Donnerstag, 14. August 2014

Red-Headed Woman (Jack Conway, USA 1932)

"So gentlemen prefer blonds, do they? Yes, they do."
Jean Harlow spielt die rotharige Frau von der anderen Seite der Bahngleise, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die von ihr selbst zu Beginn formulierte Regel zu unterlaufen. Denn Red-Headed Woman ist ein weiteres furioses Kuriosum aus der "Era Before Rules" (so nennt ein DVD-Cover die Zeit des frühen Hollywood-Tonfilms und vielleicht ist das entscheidende an diesem wie vielen anderen Pre-Code-Filme nicht, dass es eben einen offeneren und spielerischeren Umgang mit Sex - inklusive Untreue und Polygamie - und Zynismus gab, als im amerikanischen Kino - mindestens - der folgenden drei Jahrzehnte, sondern dass es eben keinen Code gab, kein Wertesystem, dass ordnend und hierarchisierend in die Beziehungen der Figuren, in das Verhältnis von Sex, Liebe, Macht und Geld eingegriffen hätte. Regeln sind hier grundsätzlich da, um gebrochen zu werden, und was dann entsteht, ist nicht einfach Amoral, sondern immer wieder eine ziemlich ausgelassene und fröhliche Form der Anarchie.)
Harlows einziges Ziel ist es, auf die Seite der Bahngleise zu gelangen, wo das Geld und das vermeintlich gute Leben sind. Ihr einziges Mittel, dieses Ziel zu erreichen, ist ihr Körper, den sie von der ersten Einstellung an hegt und pflegt und möglichst verführerisch und sexy in Szene setzt. Der Mann, durch den sie ihr Ziel zu erreichen sucht, ist ihr Chef, gespielt von Chester Morris. Die Insistenz, mit der sie ihrer Verführungsaufgabe nachkommt, macht die erste Filmhälfte eher zu einer Stalking-Komödie als zu einer Aufstiegsgeschichte. 
Zumal der Film sich für die sozialen Realitäten, dafür, was es heißt, von der falschen Seite der Bahngleise zu kommen, nicht wirklich interessiert (ganz anders etwa als der thematisch eng verwandte Angel Face, bei dem der unbedingte Aufstiegswille Barbara Stanwycks durch die grausamen sozialen Verhältnisse motiviert wird - die Spelunke in den Slums, in der sie sich prostituiert, wobei ihr eigener Vater als ihr Zuhälter agiert).
Natürlich ist Morris verheiratet. Mit der distinguirten Blondine Leila Hyams, die schnell von der Affäre ihres Mannes mitbekommt (wahrlich gemein ist die Überblende von Hyams weinendem auf Harlows lachendes Gesicht). An einer Stelle sagt sie zu Harlow: "You won't have him long. You caught him with sex. But that doesn't last forever, and when it's gone you'll lose him. Because than he'll want love. And love is one thing you don't know anything about and never will."
Daraus ergeben sich einfache Dichotomien. Sex ist rotharig, Liebe ist blond. Sex ist von der "falschen", der proletarischen Seite der Bahngleise, Liebe von der "richtigen", der aristokratischen.
Für Morris geht es wohl tatsächlich um das Hin und Her-Gerissensein zwischen den beiden Frauen, zwischen Sex und Liebe. Wobei die Sexualität auch eine deutlich aggressive Komponente hat, bei diesem Mann aus der feinen Gesellschaft mit dem Gesicht eines Profiboxers, unter dem es ständig zu kochen scheint. Am deutlichsten wird das in der Szene, in der Morris und Harlow hinter einer verschlossenen Tür streiten, an der Harlows Mitbewohnerin lauscht. Was sie hört - und wir mit ihr - könnte darauf hindeuten, dass der Mann die Frau verprügelt, ebenso sehr könnte es aber auch eine Vergewaltigung sein. Mindestens implizit sagt der Film damit auch, dass die brave Ehefrau für die "wilden", die sadistischen Anteile der männlichen Sexualität keine Abfuhr bieten kann. (Überhaupt: was man sich in diesem zynischen Filmchen unter Liebe vorzustellen hat, muss wahrlich eine stinklangweilige Angelegenheit sein.)
Noch viel ambivalenter ist der Film, was das Verhalten Harlows anbelangt. Da ist zunächst ihre enorme Fixierung auf Morris, obwohl er für sie doch nur Mittel zum Zweck ist. Sehr bezeichnend -  und ganz großartig - ist die Szene, in der sie meint, Morris würde sie mit seiner Frau "betrügen". Sie tut, was Männer im Film meist in einer solchen Situation tun, sie betrinkt sich sinnlos. Dass sie dann weint und mit den Füßen auf einem Portrait von Morris rumtrampelt, ist im Vokabular des klassischen Hollywoods wohl eine typisch weibliche Reaktion. Dass sie sich selbst und der Welt beweisen muss, dass sie auch als rotharige Frau aus armen Verhältnissen einen Gentleman an sich binden kann, ist mehr als bloßer Narzissmus. Vielmehr geht es dabei um ein Experiment mit den Klassenhierarchien. Der soziale Aufstieg hat es hier nicht (oder zumindest: nicht an erster Stelle) zum Ziel, dem Elend zu entkommen, sondern zu zeigen, dass frau durch den Sex die Regeln einer patriarchalen Welt, einer verknöcherten Oberschicht, in der weiße, reiche Männer (je älter, desto reicher) das Sagen haben, aufbrechen kann.
Harlow muss dabei zunächst Rückschläge hinnehmen. Sie schafft es, Morris und Hyams auseinanderbringen. Sie heiratet ihn und zieht mit ihm auf die gegenüberliegende Straßenseite des Hauses, in dem er mit Hyams wohnte, und in dem sie immer noch wohnt. Morris' Bekannte meiden sie demonstrativ. Als es ihm gelingt, sie doch zu einem Dinner einzuladen, gehen sie früh - rüber zu Hyams. Harlow muss feststellen, dass Haus. Mann und Name nicht genug sind, um das soziale Stigma der Herkunft loszuwerden. Wo sie ist, ist die falsche Seite der Straße.
Ihre Lösung ist, sich einen noch reicheren Liebhaber zu nehmen und ihn mit seinem Chauffeur zu betrügen. "I'm the happiest girl in the world. I'm in love and I'm gonna get married." "Gonna marry Albert?" "No, Gaerste." "In love with Gaerste?" "No, Albert."
Wo eine Frau wie sie in der Oberklasse für den Sex vorbehalten ist, behält sie sich ihre Liebe für einen Bediensteten vor.
Nach allerelei Wendungen läuft das - wie in Employees' Entrance - auf ein doppeltes Happy End hinaus, das auch hier dafür steht, dass es nicht eine, moralisch einwandfreie Auflösung gibt. Morris und Hyams dürfen schließlich wieder in Liebe zueinanderfinden. Harlow heiratet in Paris einen reichen Franzosen - Albert, ihren Chauffeur, nimmt sie mit.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen