Mittwoch, 30. April 2014

Patriarchat und Gewalt III: The Woman (Lucky McKee, USA 2011)

"Chris Cleek, ein perfekter Vater mit Bilderbuchfamilie, trifft bei einem Jagdausflug auf eine verwahrloste Frau und kann das sich wild sträubende Wesen einfangen. Im Keller legt er sie in schwere Ketten und stellt sie nach dem Dinner seiner Familie vor. Gemeinsam, so Chris Plan, sollen die Cleeks die Frau fortan zu einem nützlichen Mitglied der Gesellschaft erziehen. Mit dieser Entschidung reißt er Frau und Kinder in einen bitteren Strudel des Wahnsinns. an dessen Ende ein Blutbad steht..."
Wer auch immer diese Inhaltsangabe auf dem Rückcover der DVD geschrieben hat, man kann ihm oder ihr eigentlich nur von ganzem Herzen wünschen, dass das


a. purer Sarkasmus ist (wobei mir da ehrlich gesagt ein bisschen die entsprechenden Marker fehlen) oder:
b. er oder sie den Film nicht gesehen hat.

Jedenfalls ist der "perfekte Vater" ein grausamer Tyrann, seine "Bilderbuchfamilie" eine Männerherrschafts-Hölle, die Dantes Inferno wie einen Kindergeburtstag aussehen lässt und möchte man die Cleeks als Kernzelle einer Gesellschaft begreifen, will ich lieber nicht wissen, was man sich unter deren "nützlichen Mitgliedern" vorzustellen hat. Schon bei der Gartenparty zu Beginn sehen wir, dass die Gewalt in dieser Familie nicht sublimiert, sondern nur äußerst notdürftig domestiziert ist. Das Gesetz des Vaters (der übrigens als Anwalt am Gericht arbeitet) ist so stark, dass es - zumindest am Anfang - keine Schläge, ja, nicht einmal wirklich Worte braucht, um die Frauen der Familie an ihren Platz zu verweisen. Seine Frau ist eine Art Dienerin, die er nicht direkt auffordern muss, damit sie ihm ein Bier bringt, nachsieht, ob die Hamburger auf dem Grill schon fertig sind, für ihn Zigaretten dreht. Peg hingegen, die Tochter im High School-Alter, weiß dass sie, wenn sie auch nur daran denkt, ein Privatleben - gar: ein Sexualleben - zu haben, gut daran tut, auf den Kontrollblick des Vaters zu achten, der rauchend auf der Terrasse steht und über den Garten schaut wie ein Imperator über sein Reich. Dann ist da noch der etwa fünfzehnjährige Sohn Brian, der ungerührt weiter an seiner Freiwurfquote feilt, während ein paar Meter weiter seine kleine Schwester von ein paar anderen Kindern gequält wird (für die Männer in dieser Familie scheinen Frauen Wesen zu sein, die keinerlei Empathie verdienen - auch wenn man an dieser Stelle des Films noch nicht erahnen kann, welche Ausmaße das hat). Zumindest sind die biblisch-paradiesischen Konnotationen, die es wecken mag, dass wir diese Familie in einem Garten kennenlernen, schon hier blanker Hohn.
Das Gegenstück zu dieser Suburbia-Zivilisation haben wir im Prolog gesehen. Die Frau als des Wolfes Wolf.
Chris sieht sie in den Wäldern zum ersten Mal durch das Zielfernrohr seines Jagdgewehrs - genau wie der Zuschauer. Sie badet nackt im Fluss, fängt mit dem Messer einen Fisch, in den sie gierig hineinbeißt. Dazu stampfen die Beats, dröhnt die E-Gitarre und singt Sean Spillane:

" I'll see you walking down the street
in your little black shoes
and I'm thinking that I know I got to make you mine."

Die Frau ist eine prototypische Rape & Revenge-"Heldin", zugleich gewaltsam phallischer Vater (das Messer) und kastrierende Mutter (der aufgespießte Fisch). Wie für Chuckie in While She Was Out ist es auch für Chris gerade die gefährliche, die "wilde", die "ungezähmte" Frau, die zu unterwerfen, zu besitzen ("make you mine") eine besonders attraktive Herausforderung darstellt. "You're one tough bitch," sagt der Gangleader dort anerkennend zu Kim Basinger, "and that is hot!" (Übrigens beileibe nicht die einzige Parallele, die sich gerade im Detail zwischen den beiden Filmen finden lässt).
 Einerseits wird die gängige Ordnung von männlichem Blick und weiblichem Bild hier überdeutlich (vielleicht: zu deutlich) aufrecht erhalten. Nimmt man aber andererseits als Blaupause die Backwoods-Filme, in der es die Bewohner (kleinerer oder größerer) Städte in einer abgelegenen Gegend mit "barbarischen" Hinterwädlern zu tun bekommen, bemerkt man, dass die Konnotationen dieser Blickordnung verkehrt wurden: die "Wilde" gerät - wortwörtlich - ins Visier des vermeintlich Zivilisierten, nicht anders herum. Die mehr oder weniger direkten Anspielungen auf Klassiker des Genres in The Woman sind Legion. (Um nur einen zu nennen: der Vorname von Mrs. Cleek lautet Belle. Davon, dass das ihren Mann von vornherein in die Rolle des Biestes versetzt, einmal abgesehen, hießen Beauty und Beast auch die beiden Schäferhunde in Wes Cravens The Hills have Eyes von 1977. Während die Schönheit eines der ersten Opfer des blutrünstigen Kampfes zwischen "Zivilisation" und "Barbarei" ist, wird das domestizierte Biest zu einem wichtigen Verbündeten der Familie - zumindest ersteres wird sich im Finale von The Woman wiederholen.) Letztlich führen diese Anspielungen aber ins Nichts. Weder geht es in dem Film darum - wie in The Hills have Eyes - dass die "Guten" solange gegen die "Bösen" kämpfen bis sie, wenn der Film abrupt in einer Rotblende endet, nicht mehr von einander zu unterscheiden sind. Noch belehrt uns The Woman - wie Straw Dogs - darüber, dass die zivilisatorische Mauer, die den kultivierten Menschen von dem Neandertaler trennt, den er in sich trägt, den Universitätsprofessor von dem Mann, der mit siedendem Öl und Schrottflinte Haus, Hof und Frau gegen eine Gruppe männlicher Angreifer verteidigt, so dünn und zerbrechlich ist wie Brillenglas.
Vielmehr lautet die zentrale Prämisse bei McKee , dass die (kleinbürgerliche) patriarchale Kultur so abgrundtief böse ist, wie es die weibliche Natur niemals sein könnte.
Irgendwie habe ich bei Neo-Exploitation wie The Woman oder While She Was Out immer das Gefühl, dass die Filme für ihre sophistication, ihre Unterfütterung mit allerlei geisteswissenschaftlichen Diskursen (gender, race, Psychoanalyse, Filmgeschichte...) immer einen hohen Preis zahlen. Je "akademischer" diese Rache-Phantasien gerne wären, umso zwiespältiger sind sie letzten Endes.
Dass bei McKee die Dichotomien Mann/Frau, Kultur/Natur, "Zivilisation"/"Barbarei" so absolut verhärtet sind, dass sie sich nur im Blutbad begegnen können, mag ja noch gut ins düster-pessimistische Weltbild des Films passen. Sein Frauenbild hingegen kann einem schon übel aufstoßen. Frauen sind entweder hilf- und wehrlose Opfer oder Sozialpädagoginnen (im Subplot um Pegs Lehrerin, die die einzige ist, die sich genug für das Mädchen interessiert, um zu bemerken, dass sie schwanger ist). Oder eben die rohe, ganz der Natur angehörenden Gewalt der Titel-Frau. Und wer - wie ich - den Frauen dieses Films ihre blutige Rache für Misshandlung und Vergewaltigung so sehr gönnt wie in kaum einem vergleichbaren Film, wird am Ende vor den Kopf gestoßen, wenn er erkennen muss, dass eine solche Gewalt - ist sie einmal buchstäblich entfesselt - nicht lenkbar ist.
Der ungemeinen Wucht, den The Woman als splattriger Rache-Thriller entwickelt tun solche Überlegungen allerdings keinen Abbruch.

Montag, 28. April 2014

Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan (Rudolf Thome, Deutschland 1998)


 

(und vielleicht auch ein bisschen: Patriarchat und Gewalt II I/II)


Auf dem Rückweg aus den verregneten Flitterwochen in Italien nach Berlin nehmen Luise (Cora Frost) und ihr Mann Franz (Rüdiger Vogler) den Anhalter Frank Mackay (Herbert Fritsch) mit. Luise fühlt sich von Frank auf Anhieb geradezu magisch angezogen. Einen Kurzurlaub ihres Mannes nutzt sie, um mit Frank auszugehen. Der weist ihre Avancen jedoch zunächst ab, weil er seine - wie sich herausstellen wird sehr - weite Reise aufgenommen hat, um eine andere Frau zu suchen: Die Schriftstellerin Laura Luna (Valeska Hanel).

Dass das alles auf ein Ménage-a-trois in einem Landhaus hinausläuft, dürfte niemanden, der mit dem Schaffen Rudolf Thomes in den letzten zwei Dekaden vertraut ist, sonderlich überraschen.

Es gibt also das polygame Beziehungsgeflecht zwischen zwei Frauen und einem Mann, dass die "serielle Monogamie" irgendwann nicht einmal mehr als Alibi benötigt (wobei die Eifersucht, die solche Experimente extrem erschweren kann, hier mehr nach außen gelagert erscheint, als etwa in dem späteren Das rote Zimmer).  Es gibt die Wohnungen, Häuser und Seen. Es gibt die schöne Alltäglichkeit des gemeinsamen Kochens, Essens und Liebemachens, die leicht gebrochen wird durch Märchen- oder Genre (hier: Krimi- und Science-Fiction-)Elemente. Zunächst also Thome-Business as usual - zumal der Film auch relativ eng mit dem im selben Jahr entstandenen Just Married verknüpft scheint, in dem ebenfalls Flitterwochen in Italien ins Wasser fielen, wenn auch wesentlich buchstäblicher als hier (und Herbert Fritsch, der dort den Ehemann spielte, ist hier der Mann, der schließlich zwischen den Eheleuten stehen wird).

Dann hat dieser Filme, so sehr er insgesamt auch die Ruhe weg haben mag, doch auch immer wieder etwas wildes, frenetisches, exaltiertes. Da sind Szenen wie die, in der Luise und Frank gemeinsam in die Disko gehen. Eine einzige knapp zweiminütige halbnahe Einstellung lang sehen wir sie tanzen in einem einzigen Rausch aus Körpern und Gesichtern im blinkenden weiß-blaustichigen Licht, das durch das Schwarz zu einer Art Stop-Motion-Sequenz fragmentiert wird (unweigerlich musste ich dabei an die Diskoszenen denken, die sich in später entstandenen Filmen von Dominik Graf finden). Da ist der Science Fiction-Plot, um den Mann, der aus einer fernen Zukunft, in der es keine Frauen mehr gibt und die Männer unsterblich sind, in die Neunziger Jahre-Gegenwart gereist ist, um eine Frau zu suchen (wie abstrus das eigentlich ist und mit welcher Wucht es mit dem Alltagsrealismus kollidiert, fällt bei der allgemeinen Sanftheit des Films gar nicht so sehr auf).
Schließlich ist da der Krimi, der sich in Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan versteckt zu haben scheint und schon zu Beginn kurz zu uns durchlugt - in Form einer Pistole im Handschuhfach und eines Mordes, bei dem ein Mann so theatralisch stirbt, wie man es eigentlich nur aus dem Genre-Film lange vergangener Zeiten, dem klassischen Film Noir zum Bespiel, kennt. Übrigens bricht der Krimi dann im Finale ganz und gar hervor - in dem wohl wuchtigsten finalen Plot Point im gesamten bisherigen Werk des Regisseurs und gibt dem Thome-typischen "Beziehungsfilm" damit einen mörderischen Rahmen.

Samstag, 26. April 2014

Patriarchat und Gewalt II: While She Was Out (Susan Montford, USA 2008)

Im Vorspann sind die Buntstiftzeichnungen eines Kindes zu sehen. Häuser, in wenigen groben Strichen, "Meine (bürgerliche Klein-)Familie": Papa, Mama und zwei Kinder, ein Weihnachtsbaum, ein Einkaufszentrum. In dem Maße wie die Zeichnungen elaborierter, komplexer werden, die Musik anschwillt, die Kamera schneller über diese Bilder gleitet, die Überblenden dynamischer werden, wird diese Phantasiewelt auch düsterer, unheilvoller, bekommt einen vage expressionistischen Touch. Wölfe sind da zu sehen, die einander beißen, ein Engel auf einem Hügel, die Sonne vor ihm ein gewaltiger Feuerball, die Windungen eines Flusses, ein Tannenwald, dessen lange dünne Stämme sich bedrohlich (die Bedrohung ist in dieser Kinderalbtraumwelt also unverkennbar phallisch konnotiert) einem Himmel entgegenstrecken, der nirgendwo in Sicht ist. Schließlich die Ansicht eines Städtchens hinter einem Zaun und in dem Zaun ein Tor. Durch dieses gemalte Tor gleitet die Kamera in eine echte Straße hinein, in eine gated community, einen jener künstlich angelegten Stadtteile, in denen sich die, die es sich leisten können, von allen störenden sozialen Realitäten abschotten. In einer Plansequenz bewegt sie sich elegant über den regennassen Asphalt, in dem sich die Weihnachtsbeleuchtung der Häuser in diesem nicht genauer verorteten Suburbia spiegelt. Schließlich kommt die Kamera vor einem besonders protzigen Anwesen zum Stehen. Vor der Tür hält ein BMW und aus dem BMW steigt ein Mann im Anzug, telefonierend.
Aus seinem Telefonat können wir schließen, dass er an der Börse arbeitet. Außerdem fällt bereits in dem zweiten Satz, den er in sein Handy spricht, das Wort "Arschloch" und schon Grundschulkinder wissen: Was man sagt, ist man selber.
Jedenfalls ist Kenneth (Craig Sheffer), der Mann im Anzug, der wie alle Figuren in While She Was Out nur einen Vornamen hat, gar nicht amüsiert über den Zustand des Hauses, dass er betritt. Seine Frau Della (Kim Basinger) hat nicht aufgeräumt, überall liegen die Spielsachen der beiden (komplett namenlosen) Kinder herum. Und wenn sie, während er arbeiten geht, sich schon nicht zusammenreißen und das Haus in Ordnung halten kann, dann soll sie wenigstens nicht versuchen, ihm vorzuschreiben, was er zu tun hat. Sonst ist sie, so sieht er das, selbst schuld, wenn er sie fest am Arm packt ("Don't break my arm!" "Don't tell me what to do!") und mit der Faust ein Loch in die Wand schlägt, direkt neben ihrem Kopf. "Why do you make me do that?!", fragt er sie anschließend vorwurfsvoll, den Verzweiflungstränen nah. Terrence scheint Lacanier zu sein: für ihn ist die Frau ein Symptom des Mannes.
Della flüchtet sich zunächst ins Kinderzimmer. Eine interessante Inversion der sich in Affliction ständig wiederholenden Konstellation, dass Kinder bei der Mutter Schutz vor dem Vater suchen.
Doch so wenig wie die Mutter dort, bieten die Kinder hier eine Zuflucht. In der patriarchal geordneten Albtraumwelt dieses Films gibt es für eine Frau, die sich nicht in ihre Hausfrauenrolle einfinden kann oder will, keinen Unterschlupf. Nirgendwo.
Dellas nächster Fluchtversuch führt sie in ihren SUV. Auf der Zigarettenschachtel im Handschuhfach klebt ein Zettel, der "Della-Honey" dazu auffordert, dass Rauchen aufzugeben. Die - mehr als notdürftig - als Zuneigung und Sorge camouflierte männliche Kontrolle scheint überall zu sein. Della fährt in die örtliche Shopping Mall, sie braucht noch Geschenkpapier, so hatte sie ihrem Mann zum Abschied gesagt. Langsam arbeitet sich der Film an den Motiven der Kinderzeichnungen zu Beginn ab. Und so düster märchenhaft wie die gemalte, ist auch die reale Welt. Die alternde Della wirkt in diesem Albtraum-Einkaufswunderland verlorener, als es die kleine Alice in ihrem Kindertraumwunderland je sein könnte.
Auf dem Parkplatz hatte Della einen Zettel unter den Scheinwerfer eines Autos gesteckt, dass rücksichtslos zwei Plätze belegte. Als sie nun in ihren Wagen steigen will, versperrt ihr das andere Auto den Weg und sie muss feststellen, dass dessen Insassen vier delinquente junge Männer sind. Der Anführer Chuckie (Lukas Haas) stellt sich ihr mit den Worten vor: "I gotta gun! How about I aim it at your pussy first?" Die heterosexuelle männliche Performance ist in While She Was Out offenbar ohne die Verschmelzung von Phallus und Gewalt nicht zu haben. Dass der Film dabei einerseits unsubtiler zu Werke geht, als noch der krudeste von den Rape and Revenge-Movies, auf die er sich in der zweiten Hälfte so offensichtlich bezieht, andererseits versucht seine Geschichte mit allerlei gender - und race studies-Quatsch aufzupäppeln (während Chuckie weiß ist, sind seine drei brothers in crime afroamerikanisch, asiatisch- und mexikanisch-stämmig, und gestritten wird in der Gruppe unter anderem über die Verwendung des Wortes "nigger"), wie er also versucht neuere geisteswissenschaftliche Diskurse mit purer Exploitaton kurzzuschließen, kann einem schon ganz schön den Nerv rauben.
Jedenfalls mischt sich ein Wachmann in die Auseinandersetzung ein, die durch seinen Versuch, Della zu beschützen allerdings erst vollends eskaliert. Als Chuckie ihn (mehr oder weniger "aus versehen") erschießt wird Della, die es zunächst schafft, in ihrem Auto zu fliehen, zur einzigen Zeugin. Die vier Männer nehmen die Verfolgung auf, die später zu Fuß durch ein im Bau befindliches Haus und in einen Tannewald führen wird, dessen lange dünne Stämme sich einem Himmel entgegenstrecken, der nirgendwo in Sicht ist. Es kommt zu einem blutrünstigen Katz-und-Maus-Spiel, bei dem jedoch die Rollen zwischen Katze und Maus, Täter und Opfer, Mann und Frau je weiter verwischt werden, desto mehr sich Della die phallische Gewalt aneignet.
Als "realistischer" Film - und sei es auch ein "psychologischer Realismus"- macht While She Was Out nicht allzu viel Sinn. Das auf die mangelnde Erfahrung von Susan Montford zu schieben, die - sonst als Produzentin tätig - in ihrer ersten und bislang einzigen Regie-Arbeit auch ihr erstes und bislang einziges Drehbuch verfilmte, geht jedoch am Film vorbei.
Zwar arbeitet der Film mit "realistischen" Elementen (der Verweis auf bestimmte Milieus, die Handlung in Echtzeit), seine "Logik" hat mit der eines sich ständig steigernden Albtraums aber sicherlich mehr zu tun als mit irgendeiner außerfilmischen Realität.
Weiterhin sind Märchen eine Referenz: Little Red Riding Hood nennt Chuckie Della einmal und das Märchenhafte an dem Wald, in dem der Show-Down stattfindet, würde man wohl auch ohne diesen Hinweis (der natürlich einmal mehr an den Vorspann mit seinen von Kinderhand gemalten bösen Wölfen anknüpft) erkennen - wenn, tja, wenn While She Was Out ein Film wäre, der seinen Zuschauern genug zutrauen würde, um sie nicht ständig mit der Nase auf alles stoßen zu müssen.
Und dann sind da sicherlich nicht zuletzt die Reminiszenzen an die Traum- und Märchenwelt der Filmgeschichte. Zunächst die bereits erwähnten Bezüge zu den Rape and Revenge-Filmen, deren radikalfeministisch lesbaren Rache-Phantasien Montford lediglich dadurch variiert, dass Basinger hier nie im eigentlichen Sinn des Wortes vergewaltigt wird. Dann gibt es aber auch einige "Männerfilme" als Blaupause, deren Protagonisten hier durch eine Frau "ersetzt" werden. Unverkennbar sind die Parallelen zu High Noon, ebenfalls ein Film, der achtzig Minuten erzählte Zeit in achtzig Minuten Erzählzeit packt, und in dem Gary Cooper sich allein gegen eine Übermacht von vier bewaffneten Männern verteidigen muss, die er im berühmten Show-Down einen nach dem anderen zur Strecke bringt - wie Della hier. (Die Rache-Actioner der Siebziger und Achtziger griffen ja nicht zuletzt die Mythologie des Westerns auf, in dem die frontier ein Ort ist, an dem die "Zivilisation" immer wieder aufs Neue gegen die "Barbarei"  - sei es die der "Indianer" oder rücksichtsloser Banditen und Großgrundbesitzer - verteidigt werden muss. Für Charles Bronson und Co. schien die frontier in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts mitten durch die großen Städte zu verlaufen. Wer möchte, kann die Spuren dieses Diskurses wohl ohne größere Probleme in While She Was Out finden.)
Schließlich sind es für  Michael Douglas in Joel Schuhmachers Falling Down von 1993 wie für Della im Einkaufszentrum, gerade die Kleinigkeiten des Alltags in der Konsumgesellschaft (der ewige Stau auf dem freeway, der Hamburger, der auf dem Tablett soviel beschissener aussieht, als auf dem Foto der Werbeanzeige, etc.), die einen ganz "normalen" Mann in einen wild um sich schießenden (und übrigens ziemlich rassistischen) Wutbürger verwandeln.
Das einzige, was Montford mit den Subtexten dieser Filme anfängt ist, die Phantasie von der phallischen Ermächtigung der Frau im Endlosloop ablaufen zu lassen. In While She Was Out, für den mit Basinger übrigens auch eine Frau als ausführende Produzentin verantwortlich zeichnet, ist es eben eine Frau, die es allen mal so richtig zeigt, die sich nicht mehr alles gefallen lässt, sondern gnadenlos zurückschlägt. Zeigen wollte wohl auch Montford, dass auch eine Frau einen reißerischen Rache-Thriller abliefern kann. Davon abgesehen, dass, so sexistisch die Verteilung der Macht im Filmgeschäft auch bis heute ist, Kathryn Bigelow schon des Öfteren bewiesen hat, dass eine Frau auch wirklich gute Thriller und Actionfilme drehen kann, gerät While She Was Out letztlich nicht weniger reaktionär als viele seiner "männlichen" Vorbilder.
Ideologiekritik aside funktioniert der Film als Thriller mit seinem atemlosen Erzähltempo übrigens gar nicht übel. Nur entstand zwischen meinem Gefühl bei der Sichtung und meinen Gedanken als ich ihn später Revue passieren ließ, eine beträchtliche Diskrepanz. Ganz besonders im Hinblick auf die letzte Einstellung, das offene Ende, das mich beim Sehen durchaus schockte, das ich beim späteren drüber Nachdenken aber doch eher dämlich fand.
Die wohl beste Szene des Films, das finale, nun ganz offen erotische "Duell" zwischen Della und Chuckie ist symptomatisch. Gerade da, wo der Film einmal ein Risiko eingeht, tatsächliche Ambivalenzen schaffen könnte, indem er die festgetretenen Pfade verlässt und sich auf ziemlich dünnes Eis begibt, muss er doch schnell wieder zurück rudern: Die Frau ermächtigt sich - zum tausendsten mal - des Phallus. That's it.
So kann While She Was Out den Zuschauer durchaus fesseln. Um aber sich selbst wirklich zu entfesseln, ist er viel zu berechnend, viel zu möchtegernklug.

Donnerstag, 24. April 2014

Patriarchat und Gewalt I: Affliction (Paul Schrader, USA 1997)


Filme, in denen es um mörderisches Treiben in verschneiten amerikanischen Kleinstädten geht, standen in der zweiten Hälfte der Neunziger offenbar hoch im Kurs: chronologisch steht Paul Schraders Affliction genau zwischen Fargo (1996) und A Simple Plan (1998). Ein weiterer Bezug besteht zum Schaffen Martin Scorseses der Dekade: Sechs Jahre zuvor hatte Nick Nolte in Cape Fear ebenfalls einen Familienvater gespielt, der es mit einem wahrlich diabolischen Gegenspieler zu tun bekommt - und: wurde es für Paul Schrader Ende der Siebziger erst durch den Erfolg von Taxi Driver, zu dem er das Drehbuch geschrieben hatte, möglich, eine eigene Regie-Karriere zu starten, sollte Scorsese 1999 mit Bringing out the Dead erneut ein Script von Schrader verfilmen. Schließlich ist Affliction auch ein Schrader-Film durch und durch: wieder geht es um einen einsamen Mann und seine verzweifelte Suche nach Erlösung (und wie einsam er ist! Wie groß seine Verzweiflung! Und wie furchtbar weit weg alle Erlösung!)
Nun ist mit alldem über Affliction aber so gut wie nichts gesagt. Mit der gnadenlosen Cleverness der Coens hat der Film ebenso wenig gemein wie mit der moralischen Sam Raimis und die einsamen Männer in den großen Städten (sei es in Schrader- oder Schrader/Scorsese-Filmen) scheinen von der Nolte-Figur hier soweit weg zu sein, wie die monochrome Verschneitheit des Kaffs, in dem der Film spielt, vom neondurchfluteten Dschungel nächtlicher New Yorker Straßen.
Alle möglichen Spuren, die zu diesem Film führen verlieren sich letztlich im ewigen Schneetreiben einer Jagdsaison in New Hampshire - wie so manch anderes. Kein Verweis auf irgendeinen filmhistorischen Kontext vermochte es auch nur ansatzweise die Wucht zu mindern (oder auch nur: auf sie vorzubereiten) mit der mich dieser Film getroffen hat wie ein Vorschlaghammer.
Im Vorspann sieht man schwarz gerahmte Bilder einer typischen New England-Kleinstadt: hölzerne Einfamilienhäuser, eine Autowerkstadt, das Sheriffs Office, die ausgestorbene Hauptstraße, alles mit einer dichten Schneeschicht überzogen. Davon abgesehen, dass dieses vermeintliche Idyll schon an sich eher trostlos als friedlich wirkt, klingen auf der Tonspur die Hörner, dräuend, unheilverkündend. Am Ende der Credits hören wir eine Stimme aus dem Off. Sie gehört Willem Dafoe und erzählte eine Geschichte, über die, so heißt es, in diesem Ort sonst niemand spricht. Das Off, aus dem diese Stimme erklingt, konstituiert ein Jenseits zu den Bildern des Films, aus dem sich einer meldet, der nicht länger schweigen kann. Wie immer man aber diesen Sprechakt deuten möchte (die heilende, befreiende Wirkung des Sprechens kennt man in der psychoanalytischen talking cure wie in der christlichen Beichte) - er kommt zu spät! Die Katastrophe ist längst geschehen - und dass sie es ermöglichen, irgendwie weiterzuleben ist die einzige Heilung, die die Worte in diesem Film noch versprechen können.
In der Geschichte, durch die uns Rolfe Whitehouse (Dafoe) führt, geht es um seinen älteren Bruder Wade (Nolte). Wir lernen ihn kennen als hoffnungslos überforderten Vater, der verzweifelt versucht, eine Beziehung zu seiner jungen Tochter Jill aufzubauen, die bei ihrer Mutter lebt, seiner Ex-Frau, die ihn für einen reicheren Mann verlassen hat. Schon der Besuch bei Wade zu Halloween scheint Jill zu viel zu sein. Sie will nach Hause, sagt sie, zu ihrer Mutter (und die Mutter als Zufluchtsort vor dem emotionalen Versagen des Vaters, ist ein Motiv, dass sich durch die dysfunktionalen Familienkonstellationen dieses Films ziehen wird).
Als im und am Leben Gescheiterten lernen wir Wade kennen, er ist der Sheriff in dem kleinen Ort Lawford (Festungen des - väterlichen - Gesetzes und weiße Häuser, ein Film voller sprechender Namen), aber mit den glorreichen Gesetzeshütern im Western hat er sowenig gemein, wie der eingeschneite Ort am Ende der Welt mit den Freiheitsversprechen der frontier. Ein ziemlicher Scheißjob ist das, und ein ziemlicher Loser ist dieser Mann - sogar für Lawford-Verhältnisse. Wie es in ihm brodelt kann man am Anfang nur erahnen, auch wenn man durchaus sieht, dass es ihm schon hier manchmal erhebliche Mühen kostet, die Beherrschung zu behalten, seine Wut im Zaum zu halten. Wo dieses Brodeln seinen Ursprung hat jedoch, sehen wir in ein paar Rückblenden in Wades und Rolfes Kindheit. Eine grobkörnige vollkommen entfärbte Erinnerungswelt, eingefangen in verwackelten Handkamerabildern. Hier bietet nichts mehr halt. Und in die Erinnerung und den Film bricht wie eine Naturgewalt James Coburn als gewalttätiger, ständig besoffener Vater. Keine zwei Minuten Screen Time braucht Coburn, damals knapp siebzig, um zu einem der bedrohlichsten bösen Väter der Filmgeschichte zu werden. Ja, eigentlich bedarf es dazu nur eines einzigen Close-Ups seines knittrigen, vollkommen verhärteten Gesichts. Ein Gesicht wie in Stahl gegossen auf einem Körper mit der Statur eines Braunbären. Dass mit dem ersten Flashback, in dem Coburn seine beiden Söhne zwingt, seit Monaten gefrorenes und eingeschneites Holz zu stapeln ("What the hell are you? A quitter?!"), der Grundstein für einen konventionellen Familienroman gelegt ist (der Sohn eines hyperbrutalen Vaters kämpft gegen seine eigenen Aggressionen, gegen das innere Erbe des Mannes, den er so sehr hasst) tut im Angesicht der Erscheinung Coburns eigentlich kaum noch zur Sache. Diese Patriarchen-Gestalt, die, noch wenn sie so betrunken ist, dass sie sich kaum auf den Beinen halten kann, eine unendlich große Gefahr für die beiden Jungen und ihre Mutter zu sein scheint, verkörpert etwas, das weit jenseits psychologischer und soziologischer Deutungsmuster liegt. Ein mythisches, ganz und gar Böses. Eine Bibelfigur vielleicht, die wohlmöglich ihren Ursprung in der Kindheit des streng calvinistisch erzogenen Paul Schrader hat. (Übrigens hat Coburn für diese Rolle den Oscar als bester Nebendarsteller bekommen. Und wenn ich als jemand, dem der glamouröse Zirkus der Academy Awards eigentlich eben sosehr am Arsch vorbeigeht wie die Art von Hollywood-Qualitäts-Kino, die hier in der Regel absahnt, jemals eine Entscheidung der Jury zu hundert Prozent nachvollziehen konnte, dann ist es diese.)
In einem späteren Flashback versucht der kleine Wade vergeblich den noch kleineren Rolfe und die Mutter vor der Gewalt des Vaters zu beschützen - in der Whitehouse-Küche, die ganz blaustichige Grobkörnigkeit ist. Das Kinder/Söhne Frauen/Mütter vor der Gewalt von Männern/Vätern zu schützen versuchen, ist eine Konstellation, die sich in verschiedensten Variationen durch den Film ziehen wird. Die Austauschbarkeit der Beteiligten zeigt, dass es Schrader gerade nicht um häusliche Gewalt geht. Vielmehr erscheint ein Begriff wie "häusliche Gewalt", wenn man diesen Film sieht, wie eine Verharmlosung, die Individualisierung eines Menschheitsproblems: patriarchale Gewalt.
Noch relativ zu Beginn sagt Wade einmal, er fühle sich oft wie ein ausgepeitschter Hund, er habe zwar ein bisschen geknurrt, aber nie gebissen. Als er eine große Verschwörung in Lawford wittert, in die unter anderem sein bester Freund Jack (Jim True-Frost, bekannt aus The Wire) verstrickt zu sein scheint, meint er, seine Stunde sei gekommen. Und wenn Wade Whithouse der Welt etwas zu beweisen hat, dann dass er kein quitter ist.
Die große Leistung, die Nick Nolte mit Bravour gelingt, ist es, sich mehr und mehr selbst in den bösen Vater zu verwandeln. Er nimmt nicht nur dessen Atrribute an (etwa die Whiskeyflasche oder den Fünfziger Jahre-Truck) er wird zu ihm.
So großartig der Film auch in den kleineren Rollen besetzt ist, letztlich gehört er ganz und gar Nolte und Coburn und ihrem Vater-Sohn-Konflikt. Für Frauen (etwa Wades von der wunderbaren Sissy Spacek gespielte, lange Zeit verständnisvolle Freundin) oder auch für die androgyne Verletzlichkeit eines Willem Dafoe ist zwischen diesen Männern kein Platz. Dafoe bleibt in Affliction die gesamte erste Hälfte lang nur eine Stimme - wenn nicht aus dem Off, dann am Telefon.
Erst nach dem - denkbar lakonisch dargestellten - Tod der Mutter kehrt er in den Ort zurück, dem er, wie dem Gesetz des Vaters, nur scheinbar entkommen ist.
Das Erlösungsversprechen am Ende war in keinem Schrader-Film so brüchig. In einer Einstellung, die sich für immer ins Gedächtnis des Zuschauers brennt, sitzt Nolte am Tisch des väterlichen Hauses, die väterliche Flasche in der einen, das Glas in der anderen Hand. Er trinkt, während man durch das Fenster im Hintergrund sieht, wie der väterliche Truck und die väterliche Scheune brennen, mit der Leiche des Vaters. Zwischen der Hölle, die Lawford heißt, und einem Himmel, der nie so weit entfernt schien, liegen für Wade noch die Qualen des Fegefeuers - mindestens.
Und: was bleibt Rolfe, dem ewigen kleinen Bruder? Nun zunächst wieder nur seine Stimme. Sie führt uns aus dem Film, wie sie uns zu Beginn in ihn hineingeführt hat. Inhaltlich ist dieser Epilog ein flammendes Plädoyer wider die Gewalt, die Menschen - natürlich nicht nur, aber eben auch: Männer - von Kind an zu emotionalen Krüppeln macht. Was aber in jedem versöhnlicheren Film, ja, vielleicht, wenn es von irgendeiner anderen Stimme als der Willem Dafoes gesprochen würde, wohl ins Pathos kippen würde, bleibt in Affliction eiskalt. Die Beiläufigkeit, mit der diese Stimme noch über einen so kaltblütigen wie "sinnlosen" Mord hinweggeht, lässt Rolfe noch gespenstischer erscheinen als seinen Bruder. Als ob ihm noch der letzte Ausweg in die Gewalt verwehrt bliebe.
Weil ich mir keine bessere Einführung in eine Text-Reihe über Patriarchat und Gewalt vorstellen kann, seien die letzten Worte des Films hier ausführlich wiedergegeben:

     The historical facts are known by everyone. All of Lawford, all of New Hampshire, some of Massachusetts. Facts do not make history. Our stories, Wade's and mine, describe the lives of the boys and men for thousands of years: boys who were beaten by their fathers, whose capacity for love and trust was crippled almost at birth, men whose best hope for connection with other human beings lay in detachment, as if life were over. It's how we keep from destroying in turn our own children and terrorizing the women who have the misfortune to love us; how we absent ourselves from the tradition of male violence; how we decline the seduction of revenge. .... The house is still in Wade's name, and I keep paying taxes on it. It remains empty. Now and then, I drive out there and sit in my car, and wonder, why not let it go? Why not let LaRiviere buy it and build the condominiums he wants there? We want to believe Wade died that same November, froze to death on a bench or a sidewalk. You cannot understand how a man, a normal man, a man like you and me, could do such a terrible thing. Unless the police happen to arrest a vagrant who turns out to be Wade Whitehouse, there will be no more mention of him. Or his friend, Jack Hewitt. Or our father. The story will be over, except that I continue.