Mittwoch, 31. Juli 2013

Ältere Hollywood-Filme auf DVD

Was die Veröffentlichung von - gerade eher unbekannten - Titeln aus ihrem Back-Katalog auf DVD anbelangt, haben sich die großen Hollywood-Studios meistens nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Eine in ein mehr oder weniger lieblos gestaltetes Cover gesteckte Disc, auf die sich, wenn überhaupt, als Bonus-Material ein Trailer verirrt hat, bilden eher die Regel als die Ausnahme. Warner machte es eine zeitlang auf sehr interessante (ja, umso mehr ich drüber nachdenke: geradezu großartige) Weise anders, indem sie als Bonusmaterial einige kurze Clips packten, die die Aufführungspraxen in den amerikanischen Kinos der Dreißiger bis Fünfziger Jahre veranschaulichen sollten. Die zeitgenössischen (immer im genauen Produktionsjahr des Hauptfilms entstandenen) Cartoons, Ausschnitte aus Wochenschauen, Kurzfilme, etc. machen es für den heutigen Zuschauer zu hause nicht nur deutlich, wie der Kontext der Projektion eines feature films in der damaligen Zeit - in etwa - aussah, sie werten auch die Scheiben an sich bisweilen ungemein auf: So sind bspw. auf der DVD von Vincente Minnellis, sagen wir vorsichtig, nicht ganz zu Unrecht weitestegehend vergessenem Undercurrent, die special features, der Tex Avery-Cartoon Lonesome Lenny und der Kurzfilm Traffic with the Devil, ein von der Polizei in Auftrag gegebener Aufklärungsfilm für bewusstes Verhalten im Straßenverkehr, fast interessanter als das eigentliche feature.
Auf der DVD von The Roaring Twenties, den ich mir vor einigen Tagen angesehen habe, finden sich neben dem bezaubernden Cartoon Thugs with dirty Mugs, ebenfalls von Avery und übrigens als großartige Parodie auf Edward G. Robinson angelegt, den ich nach Cheyenne Autumn und dem Wiedersehen mit Double Indemnity für einen der interessantesten Schauspieler des klassischen Hollywood halte, auch die All Girl Revue.
Das achtminütige Musical, in dem es darum geht, dass die Frauen einen Tag lang in New York das Sagen haben, ist einerseits eine patriarchalische Phantasie vom Matriarchat, wenn ich je eine gesehen habe. Frau fällt außer in der Stadt mal so richtig zu putzen ("make the city pretty") natürlich nichts ein, was sie mit ihrer befristeten Herrschaft anfangen könnten.
Andererseits ist es aber eben auch die Art von charmantem Blödsinn Made in Hollywood, die aus einer Camp-Perspektive betrachtet, und eine andere Rezeptionshaltung erschließt sich - mir jedenfalls - aus heutiger Sicht so ohne Weiteres nicht, verdammt viel Spaß machen kann.

http://www.youtube.com/watch?feature=player_detailpage&v=ZNnWWDG0HUk
   

Dienstag, 30. Juli 2013

Veranstaltunghinweis: Lateinamerikanische Filmtage

Vom 8. bis 16. August finden an der Humboldt Uni die zweiten Lateinamerikanischen Filmtage statt. Jeweils um 19:00 im Kinosaal der HU. Der Eintritt ist frei.


Ich freue mich besonders auf Pizza, birra, faso, das Debüt des aus Uruguay stammenden und in Argentinien lebenden und arbeitenden Regisseurs Adrían Caetano, dessen wunderbarer Film Bolivia für mich definitiv eine der (Wieder-)Entdeckungen dieses Jahres ist. Von den anderen Filmen - und Filmemachern - des Programms habe ich, wie ich zu meiner Schande gestehen muss, noch nie etwas gehört - und hoffe umsomehr auf die eine oder andere Entdeckung. (Dass alle Filme als DVDs gezeigt werden ist zwar schade, aber aufgrund der Räumlichkeiten und des nicht kommerziellen Anspruchs der Veranstaltung sicherlich nachvollziehbar.)

Montag, 29. Juli 2013

La nación clandestina (Jorge Sanjinés, Bolivien 1989)


Beinahe zwei Jahre meines bisherigen Lebens habe ich in Bolivien verbracht und doch erst vor einigen Wochen zum ersten Mal einen Film von Jorge Sanjinés gesehen, dem wohl bedeutendsten Filmemacher des Landes – hier in Berlin, im Arsenal.
Zunächst schien meine erste Begegnung mit einem Sanjinés, übrigens La nación clandestina von 1989, unter keinem guten Stern zu stehen. Zunächst war der Potsdamer Platz wegen des Aufenthalts von Barack Obama im Ritz Carlton so weiträumig abgesperrt, dass ich, von den Kommentaren einiger Polizisten nicht eben ermutigt, beinahe schon die Hoffnung aufgegeben hatte, überhaupt zum Filmhaus zu gelangen (sonderbar gespenstisch übrigens die Atmosphäre des Platzes ohne Verkehr, bevölkert beinahe ausschließlich von einigen Schaulustigen und jeder Menge Polizei, die unter anderem auch Panzer aufgefahren hatte.) Nachdem ich dieses Hindernis dann doch noch, buchstäblich in letzter Minuten überwunden hatte und pünktlich im Kino war, wurde auch noch, der Film näherte sich bereits seinem Ende, die Leinwand abrupt schwarz und die Lichter gingen an. Zum Glück konnte das Problem relativ schnell behoben und der Film zu Ende gezeigt werden.  


 Eigentlich kann ich mir kaum anmaßen, allzu viel über einen Regisseur zu sagen, wenn ich nur einen einzigen seiner Filme kenne und über ihn und sein Werk sonst nur weiß, was die Wikipedia preisgibt, aber dennoch: es ist verblüffend, wie gut La nación clandestina und die spärlichen Informationen, die ich über seinen Schöpfer habe zusammenpassen. Sanjinés‘ gesamtes Leben und Werk stellt sich - weit über sein politisches Anliegen hinaus - als ein einziger Kampf dar. Ein Kampf gegen die Institutionen (so schloss die Regierung aus Angst um ihre Monopolstellung, die bolivianische Filmschule, die Sanjinés, neben anderen - eher filmpolitischen als cinephilen - Einrichtungen zu Beginn der Sechziger mitgründete, sehr schnell wieder). Gegen die Geschichte (insgesamt dreimal zwang die politische Situation seines Landes den Filmemacher ins Exil). Gegen die - im allgemeinen wohl katastrophalen - Produktionsbedingungen. Gegen die kulturelle(n) Differenz(en) zwischen Sanjinés, der selbst aus einer weißen intellektuellen Minderheit stammt, und der indigenen Mehrheit Boliviens, deren Sache seine Filme zu der ihren machen. Und schließlich und sicherlich nicht zuletzt gegen das Medium Film selbst. "Teoría y práctica de un cine junto al pueblo" lautet der Titel eines Buches, das Sanjinés 1979 veröffentlicht hat. Welche Ausdrucksmöglichkeiten, welche formalen Mittel bietet das Medium, um ein solches Projekt zu realisieren, um also tatsächlich Filme mit und nicht über das Volk zu machen? Wahre Partizipation zu schaffen, anstatt durch reine Repräsentation letztlich koloniale Diskurse und Praktiken fortzusetzen? All das scheint mir La nación clandestina in nuce abzubilden. In dem Sinne, das man ihm diese verschiedenen, aber immer eng miteinander zusammenhängenden Kämpfe bis in einzelne Szenen hinein ansieht, ist es der vielleicht kämpferischste Film, den ich kenne.     

Sebastián Mamani wird in Willkani, einer ayllu (Gemeinde der Aymara) auf dem bolivianischen Altiplano geboren. Schon als Kind schickt ihn seine Mutter ins nahe gelegene La Paz, um ihm bessere Perspektiven zu ermöglichen. Unter dem Druck der rassistischen und sozialen Ressentiments, die ihm in der Stadt begegnen, versucht sich Sebastíán zu assimilieren: Er kleidet sich "städtisch", ändert seinen Nachnamen in Maisman, verdient sich seinen Lebensunterhalt als Sargbauer, Soldat und schließlich Agent des Innenministeriums. So wenig wie es Sebastián gelingt in La Paz Fuß zu fassen, so sehr entfremdet ihn das städtische Leben von seinem ländlichen Ursprung. Wegen der Änderung seines Namens und seiner Tätigkeit für die Regierung, die ihn zum Kontrahenten des bewaffneten Widerstands der Minen-Arbeiter und Bauern macht, wird er aus seiner Gemeinde verstoßen. Zurück in der Stadt flüchtet er sich mehr und mehr in den Alkohol. Als er, anlässlich des Todes seines Vaters, abermals nach Willkani zurückkehrt, wird er, unterstützt durch seinen Bruder Vicente, der Lehrer ist und sich im Kampf der Minenarbeiter engagiert, zu einer Art politischen Vertreter der Gemeinde ernannt, der sich für deren Belange in der Stadt einsetzen soll. In dieser Funktion jedoch hintergeht und betrügt er die Gemeinde. Nicht nur entscheidet er, gegen den Willen der ayllu, eine US-amerikanische Hilfelieferung anzunehmen, er unterschlägt auch die Hälfte dieser Spende. Außerdem ist die Lieferung an die Bedingung geknüpft, dass Sebástian zusichert, dass sich Willkani nicht an den Blockaden zur Unterstützung aufständischer Minenarbeiter beteiligt. Sebástian wird nackt und gefesselt rückwärts auf einen Esel gesetzt und aus Willkani vertrieben mit der Androhung, gesteinigt zu werden, sollte er jemals zurückkommen. Vollends verzweifelt macht er sich schließlich auf den Weg nach Willkani, entschlossen, sich in dem alten Ritual des Danzati zu Tode zu tanzen.

Erzählt wird die Handlung in vielen flashbacks, gerahmt durch Sebastiáns Weg durch die kargen Weiten des Altiplano, die Maske für den Danzati auf dem Rücken. Diese Erzählstruktur verdeutlicht die Zeitwahrnehmung der Aymara, wie sie eine der höchsten Autoritäten Willkanis am Anfang formuliert, die Gleichzeitigkeit von Vergangenheit und Gegenwart. Sanjinés formale Vision bestand darin, den ganzen Film in Plansequenzen, also jede Szene in nur einer einzigen Einstellung zu drehen. Die oft mit der Hand geführte Kamera ist dabei häufig mitten im Geschehen, bewegt sich zwischen den Figuren und macht so den Zuschauer zum "Teilnehmer des Akts des Filmemachens" (Sanjinés).

Die zentrale Dichotomie aus Land und Stadt, ayllu und ciudad, die der Film als zwei gegensätzliche Welten mit zwei Geographien, zwei Sprachen, zwei Kulturen darstellt, verdichtet sich durch die Darstellungen ihrer diversen Beziehungen zu einem recht facettenreichen Bild der Probleme Boliviens - nicht nur - Ende der 80iger Jahre. Wenn Sebástian sich aus eigenem Gutdünken und um sich zu bereichern über den Willen der Gemeinschaft hinwegsetzt, macht er sich nicht nur zu einem Instrument der Ausbeuter, er wird auch einer mehr von denen, die den Aymara helfen wollen, aber dabei nichts von ihren wirklichen Problemen und Bedürfnissen verstehen. Er ähnelt darin dem studentischen Aktivisten, der im Film - unverhohlen als Karikatur gezeichnet - auf der Flucht vor dem Militär über den Altiplano irrt. Er betont immer wieder, dass er sich für die Interessen der Landbevölkerung einsetzt, obwohl es in seiner momentanen Situation doch sie sind, die ihm den Arsch retten sollen. Als ein Mann und eine Frau, die er unterwegs trifft und um Hilfe anfleht ihn nicht verstehen und schließlich gehen, brüllt er ihnen hinterher: "Indios de mierda."

Das tragische an der Figur Sebastiáns ist vor allem seine ständige Fremdbestimmung. Von dem Moment an, in dem seine Mutter ihn als Kind in die Stadt schickt bis zu dem Betrug am Ende, zu dem ihn ein schmieriger Kompagnon in der Stadt verleitete und mit dem er sich schließlich zum Werkzeug imperialistischer Interessen macht, die er nicht versteht, bleibt er immer ein Spielball anderer, versucht eben so verzweifelt wie erfolglos, seinen Platz zu finden zwischen den beiden gegensätzlichen Welten, zwischen denen er eben eher hin und her geworfen wird als dass er sich wirklich zwischen ihnen bewegt. Dass Sanjinés eben diesen Sebástian und nicht seinen politisch engagierten Bruder Vicente in den Mittelpunkt des Filmes stellt, mag daran liegen, dass diese kulturell zerrissene und fremdbestimmte Figur durchaus als Metapher auf die Geschichte Boliviens gelesen werden kann.

Sebastián findet nur im Opfertod die Möglichkeit, seine Schuld zu sühnen und sich mit seiner Herkunft auszusöhnen. Nur so kann er zu Selbstbestimmung finden, die ihm verschiedene Parteien bis zum Schluss verwehren wollen. Sowohl die Soldaten, denen er auf dem Weg nach Willkani begegnet als auch die Bevölkerung des Ortes selbst drohen, ihn zu töten, womit sie eben einmal mehr seine Selbstbestimmung untergraben würden. In La nación clandestina werden nicht nur Zeit- sondern auch Realitätsebenen verschachtelt. So scheint Sebástian sich mehrmals im Verlaufe des Films selbst auf seinem Weg zu beobachten. Am Ende schließlich, nachdem man Sebástian in Agonie am Boden liegen sieht, sind die Bewohner Willkanis zu sehen, die geschlossen unter der bolivianischen Fahne und der indigenen Wiphala in den Kampf für die Minenarbeiter ziehen. Ein Schwenk der Kamera führt von dem Zug auf das Gesicht Sebastiáns, mit dessen freeze frame der Film endet. Nur in seinem Tod können die Widersprüche, die Sebástian verkörpert aufgelöst werden. Was aus diesem Opfer entsteht ist eine Apotheose einer eigenständigen bolivianischen Identität.

Die Herausforderung dieses Filmes bestand für mich nicht so sehr in der Tragik seines Protagonisten oder des wahrlich finsteren Lebensverhältnisse, von denen er erzählt. Vielmehr hinterfragt La nación clandestina eigene westliche Welt- und (in meinem Falle auch) Bolivienbilder. Ich kannte die Landschaften, in denen der Film spielt, die Physiognomien der Darsteller, den Akzent mit dem sie Spanisch sprechen und die Blockflötenklänge, mit denen das Geschehen unterlegt ist. Doch Sanjinés Versuche eines Kinos mit dem (bolivianischen) Volke, sein Versuch - ob ihm dieser nun in jeder Szene gelingt, sei einfach mal dahingestellt - alles exotistische und folkloristische aus diesen Bildern und Tönen zu tilgen, führte mir zugleich die Oberflächlichkeit meines Blickes vor Augen. Vom Klang her "kannte" ich auch das Aymara, was eben noch lange nicht heißt, dass ich es auch verstehen würde. Für eine Kritik aus der Perspektive einer europäischen Linken gibt der Film reichlich Angriffsfläche. Man könnte ihm seine Opferthematik vorwerfen, seinen Antiamerikanismus, seine Darstellung der Stadt als das durch und durch Böse, wo jeder sich seiner Herkunft vom Lande schämt, niemand ein "Indio" sein möchte, und auch Verruchte, das korrupte Sündenbabel, in dem gesoffen und gekokst wird. All das könnte man bedenklich oder reaktionär finden und würde sich damit doch auf einen von jeher sehr bequemen Standpunkt westlichen Kulturimperialismus begeben. Was derjenige westliche Zuschauer, der sich auf die Herausforderung von La nación clandestina einlässt, bekommt, ist nicht nur ein Bild einer fremden Kultur von innen heraus, sondern auch eine Lektion darüber, wie ungenügend die eigenen Begriffe im Hinblick auf diese "fremde" Kultur sein können.    

Mittwoch, 24. Juli 2013

Kurz gesehen

   (Wolf Gremm, BRD 1982)

Zumindest was die Zutaten anbelangt ein hervorragender bundesdeutscher Frühachtziger Jahre Cocktail. Man nehme Unmengen von Sleaze und Camp und Rainer Werner Fassbinder (übrigens in seiner letzten Rolle als Schauspieler) sowie einige seiner Stammschauspieler (Günther Kaufmann, Brigitte Mira), gebe das Ganze in einen dystopischen Uberwachsungsstaats-Sci-Fi-Plot, geschüttelt, nicht gerührt und fertig! Schade nur, dass sich die einzelnen Zutaten nicht wirklich vermengen wollen, sondern sich eher gegenseitig behindern. So macht der Genuss über gut 100 Minuten Laufzeit eher schläfrig als die Augen zu öffnen oder das Bewusstsein zu ficken. Was Wolf Gremm hier versucht hat, ist ihm wohl nicht wirklich gelungen. Allein die Tatsache, dass er es versucht hat, verdient jedoch Respekt.

 

***


Nochmal Fassbinder. Diesmal auch hinter der Kamera. Diesmal im Auto mit Karl Scheydt, dem amerikanischen Soldat im gleichnamigen Film, der zurückgekommen ist nach München.
"Wo fährst du hin?" fragt Fassbinder.
"In unsere Gegend."
"Wie war's in Vietnam?"
"Laut."
"Hier hat sich nichts verändert."
"In Deutschland verändert sich nie etwas."

Schließlich kommen die beiden Männer auf dem Hof an, in dem sie aufgewachsen sind. Sie öffnen Bierdosen, die sie weit vorm Körper halten, um ihre weißen Anzüge nicht zu beschmutzen (wunderbar, wie schmierig Fassbinder hier outriert, alleine sein Gang!) Ein Kreis schließt sich und die Kamera beschreibt eine Kreisbewegung, ein 360°-Schwenk entlang der grauen Hinterhoffassade. "Hier hat sich nichts verändert," kommentiert Scheydt. "Man muss sich mal vorstellen: Hier habe ich also Vierzehn Jahre lang gelebt." Sie stehen nun in der Mitte des Hofes. Eine ältere Frau, die den Müll rausbringt, kommt zu den beiden Männern, begrüßt sie mit übertriebener Höflichkeit, bestellt Grüße an "die liebe Frau Mutter". Als die beiden Männer den Hof verlassen, schaut die Frau ihnen lange argwöhnisch nach. Wenn die absolute Starre der Verhältnisse in der Bundesrepublik in den späten Sechzigern, die Fassbinder in seinen ersten Filmen mit starren Bildern von starren Gesichtern und Figurenkonstellationen abzubilden versucht, an anderen Stellen immer wieder in unvermittelten und konsequenzlosen Gewaltausbrüchen explodiert, erfährt sie hier in diesem Hof ihre eine Implosion. Die Titelfigur ist angekommen im Kern des Films, ja, vielleicht des gesamten Fassbinder'schen Frühwerks, nur um festzustellen, dass es hier nichts zu sehen gibt, dass Zurückkehren eben so wenig eine Lösung ist wie es das Weggehen vorher war. Leere. Das Absurde daran, die Ironie, die durch das bloße Zusammentreffen von "amerikanischem" Gangster-Schick und bundesdeutscher Spießbürgerlichkeit entsteht, kann über diese Leere kaum hinwegtäuschen.
 
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Schon überraschend, dass man einen Film, in dem Oralsex das Hauptgesprächsthema ist, so bieder, gefällig, ja, spießig inszenieren kann. Alle Transgression bleibt hier pure - und geradezu dreiste - Behauptung. Auch wenn man Almodóvars Bemühungen, zu seinen campig-queeren Anfängen als Bürgerschreck in der movida madrilena zurück zu kehren, von vornherein für keine gute Idee hielt, überrascht doch, wie sehr dieser Flugzeugfilm eine Bruchlandung hinlegt. Positive Überraschungen bleiben hingegen aus. Recht komisch ist das feuchtfröhlich tuntige Treiben in den Wolken immer mal wieder durchaus. Allerdings: über sexuelle Plattitüden und Klischees, lache ich dann doch lieber in Hangover. Ist irgendwie ehrlicher.
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Laid to Rest (Robert Hall, USA 2009)
Ein Killer mit silberner Maske und überproportinoiertem verchromtem Jagdmesser, das durch Körper und - am liebsten - Gesichter schneidet als ob sie Butter wären. Ein blutrünstiger Slasher, weitestgehend gesichts- und seelenlos - wie der Killer, der eine alte, schon in den Achtzigern in Belanglosigkeit erstarrte Genre-Schablone mit allerlei neuen Technologien aufzupeppeln versucht. (Im Vorspann hat mich die mediale Selbstreflexivität in ihrer Aufdringlichkeit so genervt, dass ich nach etwa dreißig Sekunden ausschalten wollte.) Der Killer zeichnet seine Taten per auf der Schulter angebrachter Kamera auf. Navigationsysteme helfen nicht bei der Flucht. Der Notruf von FBI und Polizei ist per e-mail erreichbar - oder auch nicht. SMS werden verschickt, Handy-Passwörter gesucht - beides vergeblich. Am Ende dann, als alles schon vorbei ist, die Nachricht an die Polizei. Analog. Handgeschrieben. Vielleicht ziemlich reaktionär, das Ganze, in jedem Fall ziemlich dämlich. Irgendwas mit Medien - und Blut und Gekröse. Nur Was?
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Wes Cravens The Hills have Eyes von 1977 ist ein kleines aber gemeines und weitgehend verkanntes Meisterwerk. Am Ende gewinnen die "Guten", die bürgerliche Kleinfamilie also bzw. das was von ihr übrig ist gegen die "Bösen", die aussehen, wie eine sehr bezeichnenende Mischung aus Höhlenmenschen, "degenerierten" Rednecks und Indianern. Nur sind in der Orwell'schen Volte der letzten Einstellung dann eben "Zivilisierte" und "Barbaren", Ich und Es beim besten Willen nicht mehr zu unterscheiden. Die Grenzen verschwinden in haßverzerrtem Gesicht, Blutrausch und Rotblende. Das Verdängte ist vollends zurück gekehrt, nicht im Außen, in den Hügeln, die Augen haben, sondern im Innen, in der Seele des amerikanischen Kleinbürgers.
 
 Alexandre Ajas Remake übrigens, knapp drei Jahrzehnte später entstanden, zieht vor dem blanken Nihllismus der Vorlage in letzter Sekunde dann doch den Schwanz ein. Hier darf die Familie anständig triumphieren und bleibt in einer letzten Volte, die, gelinde gesagt, weder sonderlich überraschend noch allzu clever ist, unter beständiger Bedrohung. Trotzdem: in der nicht abreißenden Serie von Remakes von Horrorfilmen der Siebziger und Achtziger sicherlich einer der gelungeneren Vertreter, dessen intensiver Körperhorror und düstere und schmutzige Atmosphäre retrospektiv betrachtet wohl einiges dazu beigetragen haben, dass amerikanische Horrorfilme heute so aussehen, wie sie aussehen. Hier habe ich schon mal ausfürlicher über den Film geschrieben.

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Zum Schluss: Ein Dialog aus einem John Ford-Kavallerie-Western:
"Have you ever been in love?"
"No, I've been a bartender all my life."
Und, zum letzten Mal, Fassbinder: Am Ende seines frühen Kurzfilms Das kleine Chaos antwortet er auf die Frage, was er mit seinem Anteil aus einem Raubüberfall machen wird:
"Ich... ich geh' ins Kino."
In diesem Sinne...

Dienstag, 16. Juli 2013

Días de mayo (Gustavo Postiglione, Argentinien 2009)



Am Anfang und am Ende des Films sitzt eine Frau auf der Brüstung einer Brücke und blickt hinab in die Tiefe. Dazwischen liegen drei Monate, Mai, Juni und Juli 1969, in Rosario, Argentinien, wo sich im sogenannten Rosariazo ein Bündnis aus Arbeitern und Studenten gegen die Diktatur unter de facto-Präsident Juan Carlos Onganía auflehnte. Die Aufstände, bei denen sich die Polizei immer wieder zurückziehen musste, wurden schließlich vom Militär niedergeschlagen. Zwei Demonstranten wurden erschossen. Dazwischen liegt das Gemälde einer Epoche, der späten Sechziger, in Schwarzweiß und Cinemascope. Dazwischen liegt schließlich eine Liebesgeschichte. Laura, die Frau auf der Brücke, flüchtet nach einer Demo, gemeinsam mit dem Arbeiter Miguel und Pablo, Kameramann bei Film und Fernsehen, in die Wohnung von Pablos Familie. Die Drei freunden sich an. Laura und Pablo verlieben sich.
 Días de mayo, der Film des aus Rosario stammenden Regisseurs Gustavo Postiglione, der im Mai 2009, also genau vierzig Jahre nach den Ereignissen, die er beschreibt, in die argentinischen Kinos kam, geht es letztlich darum, wie diese drei Elemente, das konkrete geschichtliche Ereignis, sein größerer politischer und kultureller Kontext und schließlich die fiktive Liebesgeschichte zusammenpassen - oder eben auch nicht. Denn Postiglione ist sichtlich eher darum bemüht, Widersprüche darzustellen, als sie aufzulösen. Das wird schon daran evident, wie der Film die Zeit, in der er spielt, darstellt. Das Bild der späten Sechziger als Schlachtengemälde, in dem der Kampf von Menschen oder Ideologien aufgelöst wird in einen Kampf widersprüchlicher Zeichen. Molotow-Cocktail und Panzer, Marx und Coca Cola, Godard und Solanas, Rock und Minirock, Perón und Evita und Pariser Mai und Beatles und Gras und Vietnamkrieg und Mondlandung. Was diese Zeichen im Einzelnen - sei es als intertextueller Verweis oder zeithistorischer Kommentar - bedeuten könnten, spielt dabei kaum eine Rolle. Eben dadurch, dass sie in erster Linie in ihrer Gesamtheit auf eine historische Epoche verweisen, erzählen sie vom Scheitern der Aufbruchstimmung der späten Sechziger daran, so die These des Films, dass es nicht gelang, diese Widersprüche zu vereinen.
Dabei wird auf die Beziehung zwischen Laura und Pablo zunächst wesentlich größeres Augenmerk gelegt, als auf ihren geschichtlichen Kontext. Viel erfahren wir über die inneren und äußeren Beweggründe und Konflikte der Figuren, relativ wenig über den Verlauf des Rosariazo oder seinen politischen Hintergrund. Dennoch ist der Film mehr als ein Melodram vor historischer Kulisse.
Georg Seeßlen schreibt über das Genre des Melodram, es kritisiere "die Gesellschaft im Namen des individuellen Glücks, das nichts als sich selber will. Es ergreift Partei für das jeweils kleinere System in der sozialen Struktur: für die Gemeinde gegen die Gesellschaft, für die Familie gegen die Gemeinde, für das Individuum gegen die Familie." Einerseits könnte man Días de mayo durchaus als Melodram begreifen insofern, als der Film letzlich vom Scheitern des Kleinen am Großen, einer Liebesbeziehung an ihrem gesellschaftlichen Kontext, erzählt. Andererseits unterminiert der Film die Dichotomien des Melodrams, nicht nur, indem er das Politische konsequent ins Private verlagert, sondern auch, indem er zu zeigen versucht, wie beides immer schon zusammenhängt. Die politischen Grabenkämpfe Argentinien dieser Epoche werden, vielleicht mehr noch als auf der Straße, am familiären Essenstisch ausgetragen. Lauras Vater, ein wohlhabender Ingieneur, pflegt Verbindungen zu Regierung und Militär, zu genau denjenigen also, die das Leben seiner Tochter schließlich bedrohen werden. Er wiederum wirft der Tochter ihre Sympathien für Perón vor, der, so sagt er, Leute wie ihn am liebsten erschießen würde.
Auch die Spaltung in Lager innerhalb der Widerstandsbewegung wird im Figurenrepertoire abgebildet. "Glaubst du an die Revolution?" fragt Laura Pablo relativ zu Beginn des Films und er antwortet, dass in seiner Wohnung alles geteilt werde, dass der Kommunismus hier funktioniere. Der Widerstand gegen die bestehende Ordnung wird so in ein Innen und ein Außen aufgeteilt, wobei, in Umkehr traditioneller Geschlechterrollen, das Außen mit der weiblichen und das Innen, auch der typische Handlungsort des "Frauengenres" Melodram, mit der männlichen Hauptfigur verbunden scheint. Wie schon in den ersten Szenen angelegt, wechselt der Film beständig zwischen Innen- und Außenaufnahmen. Wo die Rahmung der Geschichte durch die Bilder von Laura auf der Brücke ihr Scheitern verdeutlicht, gibt es gewissermaßen einen Binnenrahmen, in dem es um das Scheitern von Pablos Rückzugsstrategie geht. Während zu Beginn die Flucht vor den Schergen der Diktatur in die eigenen vier Wände noch gelingt, dringen schließlich gegen Ende Soldaten in Pablos Wohnung ein, auf der Suche nach kompromittierendem Filmmaterial, das Pablo während einer Demo aufgenommen hat. Der Rückzug ins Private wird von der Diktatur einerseits forciert ("kümmert euch um euren eigenen Scheiß, sonst kümmern wir uns um euch!"), andererseits verunmöglicht, sobald das Innen dem Außen gefährlich werden könnte.
Schließlich werden auch die Widersprüche innerhalb der Figuren selbst - allen voran Laura - thematisiert. Das einzige konkrete, was man über die "Revolution" von der sie träumt erfährt, ist ihre Sympathie für Dikator und Nazifreund Perón. Nicht nur finanziert sich Laura mit dem Geld aus dem, wie dieser sagt, "materialistischen und bürgerlichen Portemonnaie" ihres Vaters, auch sonst scheint sie schon fest in der bildungsbürgerlichen Welt ihrer Eltern verankert. Ob Postigliones Standpunkt zum Scheitern der Bewegung, nicht zuletzt an ihren entweder gar nicht vorhandenen oder äußerst fragwürdigen (Perón!) Positionen letztlich im Dienst einer neo-konservativen Agenda steht oder ob er aus linker Perspektive konstatiert, dass es eben nicht gelungen ist, gründlich genug mit dem "Establishment" zu brechen, bleibt letztlich relativ offen.
Ich denke jedoch, dass das entscheidende Problem des Films nicht "politischer", sondern ästhetischer Natur ist. Was die "neuen" Kinematographien, die ab Ende der Fünfziger Jahre an verschiedenen Orten der Welt aufkamen und die auch die Bewegung Ende der Sechziger beeinflußten (in Días de mayo wird dieser Einfluß etwa an einem Poster von Godards Alphaville in Pablos Wohnung deutlich), verbindet ist wohl, dass sie nicht nur versuchten, tradierte Erzählungen im Kino zu überkommen, sondern auch mit den tradierten Erzählmechanismen des Kinos zu brechen. Die Rebellion im Kino, war immer auch eine Rebellion gegen das Kino - in seiner herkömmlichen Form. Ula Stöckls Film Neun Leben hat die Katze etwa - ein einigermaßen beliebiges Beispiel, das ich hier nur anführe weil ich ihn gestern gesehen habe - etwa erzählt nicht nur für die Zeit wohl auf tatsächlich neue Weise von der Rolle von Frauen in der Gesellschaft bzw. der Rolle, die die Gesellschaft Frauen zugedenkt, sie findet dafür auch zum Teil sehr verstörende Bilder und bricht immer wieder mit den Regeln filmischer Illusionserzeugung. Die Form bei Postiglione hingegen ist reine Gefälligkeit: romantisierendes Schwarzweiß, genau kadrierte Bilder, elegante Plansequenzen. Wo es in Días de mayo inhaltlich vielleicht tatsächlich um eine kritische retrospektive Auseinandersetzung mit den Geschehnissen der späten Sechziger geht, vermittelt die Form reine Nostalgie.


(Eigentlich überflüßig zu erwähnen, dass das Scheitern eines eben nicht wirklich gelungenen Films wie Días de mayo allemal interessanter ist als etwa ein deutscher Baader-Meinhoff-Geschichts-Porno...)