Donnerstag, 14. August 2014

Mall Movies III: Mall-Horror



»Wenn in der Hölle kein Platz mehr ist, kommen die Toten auf die Erde zurück.«
Peter in »Dawn of the Dead«
Und der Ort, an den die Untoten in George A. Romeros Zombiefilm-Klassiker »Dawn of the Dead« (USA 1978) zurückkehren, ist eines jener Einkaufsparadiese, die im Jahr 1978 groß im Kommen waren. Wie es in einem Dialog heißt: »Eines dieser Einkaufscenter auf der grünen Wiese, wo es alles gibt und alles ein bisschen billiger ist.« Die Glücksversprechen »alles« und »billiger« scheinen bei Romero bis über den Tod hinaus zu wirken. Eine der Figuren mutmaßt, dass die Untoten das Center heimsuchen, weil es sie instinktiv an diesen Ort zieht, der ihnen im Leben so viel bedeutete. Die beiden Sondereinheitspolizisten Peter (Ken Foree) und Roger (David Emgee), Steve (Scott H. Reiniger) und seine schwangere Freundin Francine (Gaylen Ross) landen auf ihrer Flucht vor der Seuche, die die Toten als menschenfleischfressende Zombies wieder auferstehen lässt, mit dem Hubschrauber in dem riesigen Einkaufszentrum. Es gelingt ihnen zwar, die Läden von Zombies zu »säubern« und die Zugänge des Centers mit LKWs zu verbarrikadieren, sie müssen sich aber später mit einer Biker-Gang auseinandersetzen, die keine Lust hat, ihnen diesen vielversprechenden Unterschlupf kampflos zu überlassen.
Im zweiten Teil von Romeros »Dead«-Saga, der sich unter Genre-Aficionados zu einem Kultfilm entwickelte, wird das Einkaufszentrum, so Georg Seeßlen, zu einem »Brennspiegel der menschlichen Befindlichkeit.«
Romeros grimmige Kritik an der Konsumgesellschaft lässt sich in verschiedene Ebenen auffächern. Zunächst ist da die Darstellung der Untoten, in der Seeßlen gerade das sieht, was den Film auch für ein studentisches, linkes Publikum interessant macht: »Diese Zombies – waren das nicht die ›Verdammten dieser Erde‹? Die ausgebeuteten Massen, das Heer der Verlierer, der Obdachlosen, der Lumpenproletarier, der Kranken und Ausgesetzten, der Street Trash?« Sie seien »eine gierige und gerade in ihrer Trägheit gefährliche Masse, die den Konsum einfach wörtlich nimmt: Fressen.« Dass die »Zombies im Kaufhaus«, wie sie ein alter deutscher Video-Titel des Films verspricht, letztlich wir alle sind, ist die offensichtliche satirische Komponente des Films, die dadurch unterstrichen wird, dass gerade die Bilder der die Gänge entlang und die Rolltreppen hinauf und herab wankenden Zombies für die humoristische Einlagen sorgen (in diesem Kontext von einem comic relief zu sprechen, das das blutrünstige Treiben des Films auflockern würde, fällt wohl eher schwer).
Doch scheint der Rückzugsraum der Mall nicht nur von außen bedroht. Nachdem die drei Überlebenden (Roger wurde inzwischen von einem Zombie gebissen und, nachdem er sich selbst verwandelt hat, von Peter erschossen) alle Zombies im Center getötet, die Tore versperrt und somit freien Zugriff auf die Geschäfte haben, sowie vor dem Eintreffen der Rocker, gerade dann also, wenn sie vorübergehend in Sicherheit sind, tritt ein anderes Problem auf: Langeweile. Romero inszeniert die Räume, die sie sich luxuriös und geschmackvoll einrichten, in denen Steve und Francine ein raffiniertes candlelight dinner abhalten, bei dem um – buchstäblich – sinnlos hohe Beträge gepokert wird und nur das weiße Rauschen im Fernseher an die Apokalypse draußen erinnert, überdeutlich als goldenen Käfig. Die klaren und – im Gegensatz zu den schnell geschnittenen Action-Szenen – relativ langen Einstellungen, die bisweilen entfernt an die Filme Rainer Werner Fassbinders erinnern, verdeutlichen die Leere und Entfremdung des Lebens im absoluten materiellen Überfluss.
Schließlich werden sie auch aus diesem noch so brüchigen Paradies vertrieben im »Territorialkrieg« mit den Rockern, wobei ein Tipi-Modell, das während der Auseinandersetzung zerstört wird, Assoziationen zur amerikanischen Kolonialgeschichte und dem Genozid an den Ureinwohnern des Kontinents hervorruft. In den »Dead«-Filmen wiederholt es sich immer wieder, dass die Rückzugsräume, die letzten Bastionen der Menschen nicht durch die Zombies, sondern durch die Uneinigkeit unter den Überlebenden zerstört werden. In letzter Instanz ist bei Romero nicht der Untote, sondern der lebende Mensch des Menschen Wolf.
Zeigte »Dawn of the Dead« auch, welch effektiver Schauplatz für einen Horrorfilm ein Einkaufszentrum ist mit seinen riesigen Katakomben und verzweigten Nebenräumen, seinen endlosen Reihen von Regalen, hinter deren jedem das Verderben lauern kann, wurde dieser Impuls in den Achtzigerjahren in einigen kleineren Produktionen aufgegriffen.
In »Chopping Mall« (USA 1986, Regie: Jim Wynorski) werden drei rollende Kampfroboter eingesetzt, um die Läden eines Einkaufszentrums nachts vor Einbrechern zu schützen

(eine etwas andere Variante der Security Guards, die fester Bestandteil des Mall-Films sind). Als der Computer, der die Maschinen zentral steuert, durch ein Gewitter Schaden nimmt, laufen die Roboter Amok und beginnen jeden, der ihnen über den Weg läuft, zu eliminieren. Sehr zum Leidwesen einiger jugendlicher Angestellter des Zentrums, die hier nach Ladenschluss zu einer feucht-fröhlichen Party laden. Wirkt sich die Notwendigkeit der Bewachung der Konsumtempel auch auf ihre filmische Repräsentation aus, in der die Security Guards, wie wir gesehen haben, fester Bestandteil des Figuren-Repertoires sind, führt hier gerade ein übersteigertes Sicherheitsbedürfnis zu einem Massaker. Zugleich erscheint die Mall von Anfang an als eine regelrechte Galerie eher amerikanischer Trash- als Populärkultur, was durch die vielen Verweise auf die Filmgeschichte unterstrichen wird.
Die Kritik an einer Gesellschaft, deren Technik-Vertrauen und übersteigertes Sicherheitsbedürfnis hier zu einem Massaker führen, bleibt Rudiment. Stattdessen nutzt dieses durchaus vergnügliche und routiniert inszenierte B-Movie seinen Plot eher für die Reihung zunächst vor allem barbusiger, später dann überwiegend blutiger und pyrotechnischer Attraktionen. Von Anfang an erscheint die Mall als eine regelrechte Galerie eher amerikanischer Trash- als Populärkultur. Schon im Vorspann, wenn die Kamera einen komödiantischen Rundgang durch das Center macht, vorbei unter anderem an heiß umkämpften Videospielautomaten, einer Kellnerin, die ein mit Coca Cola-Bechern überfülltes Tablett durch das Café balanciert, einem Jungen auf dem Skateboard und einem wild knutschenden Paar. Der Film, den Julie mit-Corman produziert, Ehefrau von B-Film-Ikone Roger Corman, verbindet Elemente der in den Achtziger Jahren sehr beliebten teenie slasher-Filme mit Anspielungen auf die obskuren Bedrohungsszenarien des Science Fiction-Kinos der Fünfziger, an die vor allem die charmant billigen Spezialeffekte erinnern. Auch die Namensgebungen der einzelnen Geschäfte sind gespickt mit Referenzen an die Filmgeschichte, so heißt der bestens sortierte Waffenladen nach dem legendären Western- und Thriller-Regisseur Sam Peckinpah „Peckinpahs“ eine Tierhandlung „Roger’s Little Shop of Pets“, in Anlehnung an Roger Cormans Kultfilm „The Little Shop of Horrors“ (USA 1960). Auch die Chopping Mall ist also ein durch und durch filmischer Raum.


Das Einkaufszentrum in »Phantom of the Mall: Eric’s Revenge« (»Phantom Nightmare«, USA 1989, Regie: Richard Friedman) wird von einem etwas anderen, aber nicht weniger blutrünstigen Sicherheitsproblem heimgesucht. Weil das Haus, in dem Eric (Derek Rydall) mit seinen Eltern lebte, beim Bau der Mall im Weg war und sich die Familie weigerte, es zu verkaufen, ließ der skrupellose Unternehmer Harv Posner (Jonathan Goldsmith) es kurzerhand niederbrennen. Jedoch fielen dem Feuer nur Erics Eltern zum Opfer, während er selbst mit schweren Verbrennungen überlebte. Nun hat er sich in den Katakomben unter dem Center häuslich eingerichtet und verfolgt nur noch zwei Ziele: Rache zu nehmen an den Menschen, die sein Leben zerstörten, und seine Freundin Melody (Kari Whitman) zurückzuerobern.

Die kritischen Tendenzen dieses Splatterfilms, angelehnt an Motive von Gaston Leroux‘ berühmtem Roman „Das Phantom der Oper“, mögen vordergründiges Mittel für die Identifikation des Zuschauers sowie Referenz an „Dawn of the Dead“ sein.[1] (Der Bezug wird auch offensichtlich hergestellt durch die Besetzung von „Dawn“-Darsteller Ken Foree als Wachmann. Bleibt abschließend zu sagen, dass wohl kein anderer Film das gesellschaftskritische und satirische  Potenzial des Mall-Horrors so ausgefeilt nutzte, wie Romeros Meisterwerk. Davon mag auch das Remake des Films (USA 2004, Regie: Zack Snyder) Zeugnis ablegen; Hier ist das Einkaufszentrum recht effektiver, aber letztlich austauschbarer Schauplatz für ein Splatter- und Action-geladenes Endzeit-Spektakel.)

Dennoch ist die über Leichen gehende Allianz aus Wirtschaft und Politik (beteiligt an Posners dunklen Machenschaften ist auch die Bürgermeisterin, deren Prestige-Objekt das Center ist) ist deutlich nicht nur ein Horror-Szenario aus der Zeit der Reaganomics, sondern auch aufschlussreich für die filmische Repräsentation des Einkaufszentrums. Werden die Center unter anderem immer wieder dafür kritisiert, dass sie »gewachsene« Einzelhandelsstrukturen zerstören, weil sich kleinere Geschäfte gegen den größeren Komfort und die günstigen Preise immer schwieriger durchsetzen können, bietet der Film eine überzeichnete Rache-Phantasie derjenigen, die für die Profite der Unternehmer und den immer komfortableren Einkauf der Massen auf der Strecke bleiben. Einerseits mag das Aufkommen der Shopping Mall mit dem verstärkten relativen Wohlstand der Mittelschicht in den westlichen Gesellschaften zusammenhängen. Im Gegensatz zu ihren Vorläufern, den noblen Einkaufsgalerien und Prestige-Kaufhäusern, ist sie wesentlich weniger elitär, verspricht den Einkauf für jedermann. Zugleich steht die buchstäbliche Zentrierung der Struktur des Einzelhandels auch für eine vermehrte »Zentrierung« von Kapital, und somit für die Entwicklung der Verteilung des Reichtums im neoliberal entfesselten Kapitalismus: Immer mehr Geld in immer weniger Händen. Lässt sich das Prinzip Shopping Mall als eines größtmöglicher Inklusion begreifen (Einkaufen für »alle«, alles unter einem Dach), geht es doch mit einer gesellschaftlichen Entwicklung einher, die immer mehr Menschen von den

Glücksversprechen der Warenwelt ausschließt.

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