Dienstag, 31. Dezember 2013

Peckinpah-Notizen 4: The Ballad of Cable Hogue (1970)

 
Tomorrow is the song I sing
Yesterday don’t mean a thing
 
Zukunftsmusik. Für einen alternden Peckinpah-Westerner wie Cable Hogue (Jason Robards) kann das nur heißen: ein Requiem.
 
  Tomorrow is the song I sing
Tomorrow ragmen can be kings
‘Cause sometimes kings may ragmen be
If it
can happen to a king, it can happen to me
 
So ergeht es Hogue, der am Anfang von seine Kompanions ausgeraubt und in der Wüste zurückgelassen wird, um zu verdursten. Er findet Wasser, wo es keines gab. Um aber zum König von Cable Springs zu werden, gilt es in der nächsten Stadt, die auf den schönen Namen Deaddog hört, einigen Papierkram zu regeln. Hier lernt Cable Hildy (Stella Stevens) kennen. Eine kleine Prostituierte eigentlich, aber dennoch larger than life. Alles an Hildy ist groß: Ihr Temprament, ihr Herz und - vor allem - ihre Brüsten, für die Cable - wie die Kamera - sofort eine Russ Meyer'sche Obsession entwickelt. Groß sind auch ihre Träume vom großen Leben in der großen Stadt. "And when I'll hit Frisco, I'm gonna be the ladiest damn lady you ever seen."

 
1970 erwartete das Publikum von "Bloody Sam", wie Roger Ebert es formulierte, The Wild Bunch part II. Genau das ist The Ballad of Cable Hogue natürlich nicht. Dennoch gibt der Film einen fast vollständigen Überblick der zentralen Themen und Motive von Peckipahs Werk. Es gibt den alten Westerner, der mit der Welt der Städte mit ihren widerlichen Bürokraten und windigen Bankern nichts anfangen kann. Es gibt die Männerfreundschaft. Es gibt das Sinnen auf Rache. Es gibt die Kritik am heuchlerischen Klerus. Es gibt die Prostituierte, für die Regisseur und Titelfigur alle mal mehr Sympathien hegen, als für die "gute Gesellschaft", die sie verstößt. Allerdings steht einiges in diesem Peckinpah-Film auf dem Kopf, vielleicht am deutlichsten in den Slapstick-haften Zeitraffer-Szenen. Verkehren diese doch den exzessiven Einsatz von Zeitlupen, den der Regisseur erstmals in The Wild Bunch benutzen sollte, und der in den folgenden Filmen zu seinem Markenzeichen wurde. Die Figur des "Pfarrers" Joshua (David Warner), darauf spezialisiert verheirateten Frauen ihr Seelenheil zu bringen, und zwar in einer Art, dass er sich vor ihren Männern in acht nehmen muss, steigert einerseits Peckinpahs Kritik an der verlogenen (Sexual-)Moral der Kirche ins endgültig Groteske, andererseits schlägt er hier auch einige sonderbare Volten. Kann doch der Pfarrer, der keiner ist, gerade dadurch zum Sympathieträger werden. Im Zentrum des Films steht aber die Liebesgeschichte. Hildy kommt auf dem Weg nach San Francisco in Cable Springs vorbei. Aus den zwei Tagen, die sie bleiben wollte, werden drei Wochen. In drei Wochen erzählte Zeit und fünfzehn Minuten Erzählzeit versucht Peckinpah alles Glück zu packen, das zwei Menschen auf Erden nur erleben können. Und es gelingt ihm so gut, wie so etwas nur gelingen kann.

I'll be in butterfly mornings
Butterfly mornings
And wild flower afternoons

Ein Kritiker hat Stella Stevens als Hildy, gemäß ihrem musikalischen Thema im Film, einem Schmetterling verglichen. Zunächst ist sie die Raupe, die sich dann auf ihrer Reise nach Frisco verpuppt, um schließlich im Auto und im atemberaubenden grünen Kleid voll entfaltet nochmals zu Cable zurückzukehren. Allerdings fungierten Autos ja schon in The Wild Bunch und Ride the High Country als Mahnmale für die Protagonisten, die ihnen anzeigten, dass ihre Zeit vorbei war. Cable wird dann direkt überfahren. Noch in dieser tragischen letzten Volte sucht der Film vor allem das Komische. Joshua hält einen Teil der Grabrede für Cable, als er noch am Leben ist. Das schlimme ist nicht das Sterben an sich, sagt Cable, "it's not knowing what they're going to say about you, that's all."
Für ihn ist der Tod ein Happy End. Der Schmetterling aber, der kann davon fliegen.



Das Publikum übrigens zeigte sich wenig amüsiert darüber, wie Peckinpah seine Erwartungen und Bedürfnisse ignorierte. The Ballad wurde eine Riesen-Flop. Trotzig bezeichnete der Regisseur ihn später als seinen Lieblingsfilm. Er beklagte sich, dass er für die Gewalt in seinen Film kritisiert werde, mache er aber einen Film ohne Gewalt, sähen ihn sich die Leute gar nicht erst an. Ich glaube die Verbitterung, die aus diesen Worten spricht, ist echt.


Montag, 30. Dezember 2013

Spetters (Paul Verhoeven, Niederlande 1980)

Drei junge Männer, Eef, Rien und Hans, auf ihren Motorrädern. Parallel montiert auf dem Weg zu einem Auftritt ihres Motocross-Idols Geritt Wittkamp (Rutger Hauer).
Drei Szenen aus den ersten 20 Minuten: Ein Mädchen kommt auf ihrem Motorroller in die KFZ-Werkstatt ("where the boys go", wie es in einem Michael Jackson-Song, der kaum zufällig in einer anderen Szene zu hören ist, heißt). Mit ihren spitz sich unter der Bluse abzeichnenden Brüsten ist sie offenbar auf einen Russ Meyer'schen Auftritt aus. Und die Kamera gönnt ihr diesen durchaus. Zu dumm nur, dass die Jungs sie durchschauen. Flugs wird die Bluse hochgezogen und die darunter befindlichen Tennis-Bälle dem heftig fluchend von dannen fahrenden Mädchen nachgeworfen.
Hans will beim Disko-Besuch sein Glück bei einer dunkelhäutigen Schönheit versuchen. Er setzt sich zu ihr an die Bar und greift ihr, nach ein paar unbeholfenen Worten, zwischen die Beine (Wer Turks fruit kennt, weiss, dass das in einem Verhoeven-Film eine durchaus gängige Kennenlern-Strategie ist). Jedoch zieht er seine Finger mit einer zähen gelben Flüssigkeit beschmiert, unter dem Kleid wieder hervor. Er hat in den strategisch sorgfältig dort platzierten Senf-Napf gegriffen.
Nach der Disko ziehen sich Hans und Eef mit ihren jeweiligen "Eroberungen" zum Schäferstündchen in ein im Bau befindliches Haus zurück. In Hör- aber nicht in Sichtweite kommt es bei beiden Pärchen nicht zum Beischlaf, weil das Mädchen bei Hans ihre Tage bekommen hat, während Eef keinen hoch kriegt. Weil sich aber niemand vor den anderen bloßstellen will, kümmert man sich einfach trotzdem um die passende Geräuschkulisse. In einer Totale sieht man dann wie sie jeweils nebeneinandersitzen, nur eine Wand zwischen ihnen, und sich mächtig einen abstöhnen.
Wenn auf der Autofahrt von der Disko zur Baustelle kurz angehalten wird, um ein Paar Homosexuelle zu demütigen und zu verprügeln, dann sind die Themen des Films gesetzt. Es geht um Sex und sexuelle Identität, um Täuschungen, die normativen Zwänge der Gruppe und der Gesellschaft. Und nicht zuletzt - auch wenn sie hier nicht so ausgewälzt und überzeichnet wird, wie in späteren Verhoeven-Filmen - um Gewalt, die mal dazu dient, eine bestimmte (Geschlechter-)Ordnung aufrecht zu erhalten, dann wieder kathartische Form annimmt.
Der deutlichste Bezugspunkt in Verhoevens vorherigem Schaffen ist sicherlich Turks fruit, schon weil die dazwischenliegenden Filme period pictures waren, die im neunzehnten Jahrhundert (Keetje Tippel) bzw. während des zweiten Weltkriegs (Soldaat van Oranje) spielten. In Speeters nun ist die Handlung nicht allein wieder in der niederländischen Gegenwart angesiedelt, es wird auch das Thema der Jugend und ihrer Rebellion gegen eine verkalkte kleinbürgerliche Erwachsenenwelt aufgegriffen. Wo allerdings dort Rutger Hauer und Monique van de Veen zumindest teilweise noch versuchten sich gegen die Normen und die Heuchelei dieses Milieus aufzulehnen, wollen Rien, Eef und Hans einfach nur noch raus, weg. Das Motorradrennen als ewige Fluchtbewegung. Rutger Hauers kleinere Rolle greift einerseits die des Bürgerschrecks aus Turks fruit auf, andererseits kommt es hier zu einer interessanten Verschiebung. Anstelle des Künstlers, der zumindest versucht, sich gegen das Establishment aufzulehnen, ist hier der Profi-Sportler getreten. Aus den Idealen Rebellion und Freiheit von 1973 ist 1980 eine Ware geworden, die sich an die Jugend gut verkaufen lässt. Aus Hauer als Sympathieträger, dem der frühere Film schließlich eine beträchtliche Entwicklung zugesteht, ein arrogantes Arschloch.
Wovor sie fliehen, das ist für jeden der drei Protagonisten etwas anders gelagert. Während Rien einfach keine Lust hat, die Spießer-Kneipe - und mit ihr das Leben - seines Vaters zu übernehmen (dass in einer Szene in dieser Kneipe "Griechesicher Wein" gespielt wird, dürfte dafür Begründung genug sein), schlägt sich Eef - buchstäblich - mit seinem bigott-religiösen Vater herum. Hans möchte einfach nur nicht mehr der ewige Loser sein. Dazu fängt die - von Jost Vacano gewohnt großartig geführte - Kamera den Schauplatz Rotterdam in gleichermaßen schönen wie bedrückenden Bildern ein. Die Stadt ist ganz postindustrielle Einöde. Tags scheint die Sonne auf Autobahnen und Parkplätze, nachts erleuchten Neonröhren bedrohliche Fußgänger-Unterführungen, blinken die Straßen im Licht der Leuchtreklamen. Dazu Industrie-Anlagen als Skyline.
Die Fluchtbewegungen der drei Männer kreuzen sich mit der Fientjes, die mit ihrem Bruder aus einem Wagen heraus Pommes verkauft. Auch Fientje will weg, raus aus dem Gestank von Fritten-Fett. Renée Soutendijk, die in Verhoevens nächstem Film De vierde man dem Mythos der femme fatale ein androgynes Achtiger Jahre-Update verpassen sollte, spielt die verführerische Frau, die schon bald zwischen den drei Freunden steht. Sie macht nie einen Hehl daraus, dass sie ihren wertvollsten Besitz, ihre Schönheit, an den Höchstbietenden verkaufen wird. Bezeichnenderweise machen ihr nur die Frauen daraus einen Vorwurf. Für die Männer ist es eher ein Spiel. Der Schwanzvergleich in der Werkstatt. Wer den längsten hat, der soll sie bekommen. Diese Szene ist ein Musterbeispiel der Verhoeven'schen Strategie, alles an die Oberfläche zu bringen, ins Bild zu rücken, beim Wort zu nehmen. Nicht nur, dass es hier für den Schwanzvergleich - und das, worauf er abzielt - keinerlei Surrogat-Handlungen und Verschleierungen mehr bedarf, in Spetters treibt der Regisseur auch die, bereits in Turks fruit vorhandene Tendenz, das männliche Glied möglichst oft ins Bild zu rücken, auf die Spitze. Um eine Eifersuchtsgeschichte wie im - in seinem Diskurs um Jugend, (Homo-)Sexualität und Männlichkeit gar nicht so grundverschiedenen - Y tu mamá también (ein Film, der offenbar auch bei der xten Sichtung solchen Eindruck hinterlassen hat, dass ich jetzt schon im dritten Text in Folge auf ihn zurückkomme) geht es Verhoeven dabei jedoch gerade nicht.
Groß ist der Film vor allem in den Schockmomenten, die für Rien und Eef die entscheidenden Wendepunkte darstellen. Rien hat einen Motorradunfall. Er stürzt eine Böschung hinab und knallt mit dem Rücken auf einen Holzpfahl. Er fühlt kaum Schmerz, doch als er aufstehen will, geben seine Beine nach wie Gummi. Er ist querschnittgelähmt, wird den (ziemlich kurzen) Rest seines Lebens im Rollstuhl sitzen. Trauma heißt Narbe, ist also im heutigen Sprachgebrauch eine Metapher, die von der Oberfläche des Körpers ins Innere, in die Seele verlagert. Verhoeven macht das traumatische Erlebnis körperlich fühlbar, führt es ganz in seine physische Dimension zurück.
Eef hingegen wird von mehreren Männern, unter ihnen Fientjes Bruder, vergewaltigt. In dieser denkbar expliziten Szene mit Großaufnahmen von erigierten Schwänzen und dem schreienden Gesicht des Opfers, bleibt doch vor allem eine Totale im Gedächtnis, die zeigt wie zwei der Männer jeweils eines der nackten Beinen des über einer Kabeltrommel liegenden Eefs in die Höhe und auseinander halten.
Während es für Rien keine Erlösung mehr gibt - auch nicht und schon gar nicht im christlichen Glauben, wird Eef mit einer ungekannten Seite seiner Sexualität konfrontiert, die er vorher nur durch Gewalt ausleben konnte. Gerade er war es zuvor, der immer wieder Strichern nachstellte und ihre Kunden ausraubte. Dass gerade eine Vergewaltigung zu seinem Coming-Out führt, kann man als sonderbare, schwer fassabare Umdeutung - zurecht - viel kritsierter Szenen aus Straw Dogs oder Once upon a Time in America lesen, bei denen eine vergewaltigte Frau schließlich Lust empfindet. In einer sehr eindringlichen Szene gesteht er seinem Vater seine Homosexualität. Dieser versteht ihn erst, als er sich in einem Bibel-Spruch erklärt, und schlägt ihn dann zusammen.
Der deutlichste Neustart, und zwar gemeinsam mit Fientje, gelingt gerade Hans, dem eigentlichen Loser des ursprünglichen Figurentrios, dessen Motorradkünste nicht für mehr als eine Lachnummer
gut waren. Gerade er findet also einen Weg raus, oder sollte man eher sagen: rein?

In der englischsprachigen Wikipedia ist nachzulesen: "Spetters led to protests about the manner in which Verhoeven portrayed gays, Christians, the police, and the press." Das nennt man wohl einen Film, der es niemandem recht macht.

Me la debes (Carlos Cuarón, Mexiko 2002)

Als Bonus auf der Y tu mamá también-Blu-ray: ein netter Kurzfilm von Alfonso Cuarón-Bruder und Ytmt-Co-Autor Carlos.
Ein Ehemann kommt früher als gewohnt nachhause. Er ist überrascht, seine Frau schon im Bett anzutreffen. Sie weist ihn darauf hin, dass sie verdächtige "obszöne" Geräusche aus dem Zimmer der Tochter gehört hat, bittet ihn nachzusehen, ob sich nicht ihr Freund heimlich zu ihr geschmuggelt hat. Der Vater tut wie ihm geheißen, was sich wenig später als Ablenkungsmanöver der Mutter erweist, hat sie doch selbst im Schrank einen Mann versteckt, den sie nun unbemerkt herauslassen will. Leider kehrt der Vater zu schnell zurück, der Lover muss sich wieder verstecken. Doch der Mann beschließt, hatte er doch selbst nun einen Vorwand, dass Schlafzimmer zu verlassen, noch schnell ins Erdgeschoss zu gehen, um in der Küche eine Nummer mit der Hausangestellten zu schieben. Für den Lover im Schrank bietet sich die Gelegenheit zu fliehen, er wird jedoch von der Tochter abgefangen, die ihn in ihr Zimmer zieht, wie sich herrausstellt, ist er ihr Freund, der nur kurz "aufs Klo" gegangen ist. Die Mutter hört wieder Geräusche aus dem Zimmer der Tochter und sieht nun selbst nach dem Rechten. Der Lover muss sich nochmals verstecken, dann ist der Weg frei. Während sich die Ehe-Leute erschöpft Gute Nacht sagen, darf er sich im Garten mit dem Wachhund der Familie anfreunden...
Die intendierte Kritik an verlogener katholischer Sexualmoral fällt ziemlich schlicht aus. Die erste wie die letzte Einstellung zeigt ein Foto der Familie im goldenen Rahmen auf der Kommode unterm Kruzifix. Gegen die Albträume, die die Tochter angeblich zum Schreien bringen, raten die Eltern einfach einige Vaterunser und Ave Maria zu beten. Schön ist jedoch, dass der Film für seinen Inhalt eine durchaus gelungene Form findet. Wenn der Vater zu Beginn das Treppenhaus zu sakralen Chören durchschreitet wirkt das wie aus einem Horrorfilm. Überhaupt versteht es die Inszenierung die Räume schrecklich eng zu machen. Das ganze Haus ist vollgestopft mit Heiligenbildern, hier fühlt man sich ständig beobachtet. (Die erinnerungswürdigste Einstellung des Films dreht diesen Blick um: Eine Subjektive der Hausangestellten im Geschlechtsakt begriffen, ihr Blick nähert und entfernt sich im Rhythmus der Stöße von einem Jesus-Bild an der Wand.) Türen führen hier nie nach draußen, bestenfalls geben sie Möglichkeiten, sich zu verstecken. Dazu die Tonspur: eine wahre Symphonie des Grauens aus Telenovela-Geblubbere aus dem Fernseher, quietschenden Bettfedern, Gestöhne und dem Kläffen des Hundes. In etwas so muss die Hölle klingen. Alles in allem: sarkastisch vergnügliche und kurzweilige zwölf Minuten.

Auf youtube gibts den Film übrigens auch:

Freitag, 27. Dezember 2013

Gli ultimi giorni di Pompei (Mario Bonnard, Sergio Leone, Italien, BRD, Spanien, Monaco 1959)


Die Sandalenfilme dominierten die populäre Filmproduktion in Italien in den späten Fünfzigern und frühen Sechzigern. 1964, nach dem großen Erfolg von Sergio Leones Für eine Handvoll Dollar, wurden die pepla, wie sie in ihrem Herkunftsland hießen, dann von den Italo-Western abgelöst.
Die letzten Tage von Pompeji, der erste peplum, den ich vollständig und bewusst und mit Begeisterung sah, steht eigentlich noch relativ am Beginn dieser Welle. Dennoch lässt sich anhand dieses Film retrospektiv der Weg, der das italienische Genre-Kinos vom antiken Rom in den Westen, bzw. oftmals Süden der USA im späten neunzehnten Jahrhundert führen sollte, durchaus schon erahnen.
Da ist zum einen natürlich das Personal. Da der eigentliche Regisseur, Mario Bonnard, gleich in den ersten Drehtagen erkrankte, übernahm second unit director Sergio Leone den Großteil des Jobs. Wenn man so will, ist Die letzten Tage also als das Regie-Debüt des Mannes, der später der mit Abstand berühmteste Regisseur italienischer Western werden sollte. Am Drehbuch arbeiteten neben Leone u. a. auch Sergio Corbucci und Duccio Tessari mit. Es wird kolportiert, dass sie beim Dreh auf die spanische Landschaft als geeignete Kulisse für ihre späteren Filme aufmerksam wurden.
Zum anderen aber, gemahnen auch bestimmte Szenen schon an die Spaghetti-Western. Etwa der blutrünstige Überfall auf ein wohlhabendes Anwesen gleich zu Beginn. Die Männer, die die Bewohner mitsamt Sklaven, Frauen und Kindern ermorden, sind mit schwarzen Kapuzen vermummt - wie die Schurken in Django. Auch die Motive der Rache und des bösen Patriarchen spielen bereits hier eine zentrale Rolle. Wo aber der Spaghetti-Western sich in den Sechzigern zunehmend einer - teilweise vehementen - Gesellschaftkritik zuwenden sollte, ist Die letzten Tage reines naiv-eskapistisches Spektakel. Ein Kino der Schauwerte und der großen Gesten. Kitschig-protzige Kulissen, vollgestopft mit Menschenmengen in verschwenderischen Breitbild-Kompositionen. Schöne Frauen in anmutigen Gewändern und muskelbepackte Männer mit kurzen Uniformärmeln und Tuniken. Dazu passend dann die gänzlich ambivalenzfreien Figuren wie aus einem Guss, entweder edel und gut oder verschlagen und böse. Peplum-Star und Bodybuilder Steeve Reeves spielt Glaucus, den Centurion, der obwohl sein eigener Vater von - vermeintlichen - Christen ermordet wurde, nie so ganz daran glauben möchte, dass hinter den Mörderbanden, die die "bessere Gesellschaft" von Pompeji unsicher machen und an den Tatorten oder den Körpern ihrer Opfer stets ein Kreuz hinterlassen, tatsächlich die Monotheisten stehen. Sein böser Gegenspieler wird von Fernando Rey dargestellt. Der Plot, frei nach dem gleichnamigen Roman von Bulwer-Lytten, in dem es um allerlei persönliche und politische Intrigen geht, für die die Christen als Sündenböcke herhalten sollen, dient bloß als Stichwortgeber für die verschiedenen kitschigen, pathetischen, spannenden oder brutalen setpieces. Reeves bezwingt Krokodile und Löwen im Ringkampf, reißt - vermutlich eher mit Willens- als mit Körperkraft - seine Ketten aus der Wand und schwimmt durchs Feuer. (Die Krokodil-Szene übrigens in sehr ansehnlichen Unterwassaufnahmen. Es ist schon faszinerend, wie sich zwischen Filmen, die man zeitnah sieht, und die nun eigentlich aber auch gar nichts miteinander zu tun haben, immer wieder kleine Parallelen auftun: Auch im zuletzt hier besprochenen Y tu mamá también gibt es tolle underwater shoots.)
Es gibt eine Orgie zu Ehren der Göttin Isis mit feuerschluckenden schwarzen Skalven und mit Schlangen tanzenden Sklavinnen, die in einem langen Faustkampf endet.
Die Gewalt fällt für die Fünfziger Jahre erstaunlich drastisch aus. Immer wieder werden Körper von Schwertern, Pfeilen und Speeren durchbohrt. Ein Toter wird mit einem Kreuz, das ihm in die Brust geschnitten wurde, aufgefunden. Schließlich die Folterkammer, die perfektes Zeugnis sowohl vom Stilwillen des Films als auch von seiner exploitativ augewälzten Gewalt ablegt. Ein Albtraum in Eastman-Color. In den eleganten langen Einstellungen hebt sich das Rot der Uniformen und des Blutes der Gepeinigten von den Grau- und Brauntönen der Kulisse ab. Bei der Art, wie die unschuldigen Christen hier auf die Streckbank gelegt, ausgepeitscht und mit glühenden Eisen verbrannt werden, wähnt man sich beinahe in einem frühen Vorläufer der Hexenverfolgungsfilme (wenn auch, das ist ziemlich interessant, mit verkehrten Vorzeichen).
Am Ende, gerade wenn der Held und seine edlen Unterstützer zwischen der schutzlosen Chrsitenschaar und einer Übermacht Legionäre stehen, bricht (ein pyrotechnisches Glanzstück, das) der Vesuv aus. Ein gewaltiger, vernichtender (und offenbar christlicher) deus ex machina, der heidnische Tempel einstürzen lässt, die Verehrer falscher Götzen unter ihnen begräbt und die Gerechten rettet. In Pompeji bleibt kein Papp-Stein auf dem anderen. Funkenregen. Massenflucht. In den Trümmern verschüttete Leichen. Zehn Minuten lang. Dann, für die Guten, die vollkommen überladenen Boote, die sie vor dem flammenden Inferno retten. Toll.

Donnerstag, 26. Dezember 2013

Y tu mamá también (Alfonso Cuarón, Mexiko, USA 2001)

Für mich ein ganz besonderer Film. Schon aufgrund meiner persönlichen Rezeptionsgeschichte. Zum ersten, zweiten, dritten und wahrscheinlich auch noch zehnten Mal sah ich ihn während meines Jahres als Zivi in Bolivien. Die Video-Kassette, eine jener Raubkopien, die man dort für ein paar Cent auf dem Markt kaufen kann, lief für mich und meinen deutschen wie bolivianischen Freundeskreis in La Paz auf Dauerrotation. Jedes Mal verstanden wir etwas mehr von dem schwierigen nicht untertitelten Spanisch - oder man sollte in diesem Fall wohl eher sagen: Mexikanisch. Mit jeder Sichtung schienen wir etwas tiefer einzutauchen in die Komplexität dieses Films, der schließlich, indem er eine eigentlich recht einfache Geschichte über das Erwachsenwerden erzählt, von Liebe, Freundschaft, Sex und dem Leben handelt - und von der Vergänglichkeit all dessen im Angesicht des Todes. Der seine kleine Geschichte diskursiv so einbetet, dass sie zur Geschichte einer ganzen Gesellschaft wird.
Julio (Gabriel García Bernal) und Tenoch (Diego Luna) sind um die zwanzig und leben in Mexiko City. Ihre reichliche Freizeit verbringen sie mit Partys und Kiffen, mit Sex und - vor allem - damit, über Sex zu reden. Die Freundinnen der beiden, Ceci und Ana, fliegen zu Beginn nach Europa. Wenig später lernen Julio und Tenoch Luisa (Maribel Verdú) kennen, die Frau von Tenochs Cousin Jano, Spanierin und etwa zehn Jahre älter als sie. Spontan und nicht wirklich ernsthaft laden sie sie ein, mit ihr an einen frei erfundenen Strand namens La boca del cielo zu fahren. Als Luisa am nächsten Tag nicht nur die sehr negativen Resultate einer ärztlichen Untersuchung bekommt, sondern auch noch einen Anruf von Jano, der ihr, sturzbetrunken und unter Tränen, einen Seitensprung gesteht, ruft sie Tenoch an, um auf die Einladung zurückzukommen. Nun ist es wiederum an den beiden Jungs, zu improvisieren und wenig später geht es mit dem Auto los in Richtung Pazifik-Küste. Die anfangs ziemlich ausgelassene Stimmung wird zunehmend angespannt, als Luisa erst mit Tenoch, später dann auch mit Julio Sex hat...
Durch den Film zieht sich ein Voice-Over, das seiner Geschichte einen größeren Rahmen gibt. Einerseits, indem es biographische Details der drei Hauptfiguren liefert - gerade auch solche, die sie einander nie erzählen würden. Andererseits werden auch immer wieder im Vorbeifahren die Geschichten von Menschen, Orten oder Begebenheiten erzählt, deren Weg die Hauptfiguren kreuzen. Z. B. die des armen Wanderarbeiters aus dem ländlichen Michoacan, der zu Beginn tot gefahren wird, was einen Stau verursacht, in dem die beiden Kumpels stehen. Oder einen Tag aus dem Leben des mexikanischen Präsidenten, der Ehrengast auf der Feier ist, wo sie Luisa kennen lernen. Oder gegen Ende gar die einiger entlaufener Schweine, die die Zelte der drei Camper am Strand verwüsten. Alfonso Cuarón und sein Bruder Carlos, mit dem er das Drehbuch schrieb, stellen die "universalen Lebensthemen" des Coming of Age-Films damit in einen sehr konkreten historischen und soziopolitischen Kontext.
Die Kamera und der Aufbau der Szenen unterstreichen dieses zentrale Anliegen des Films. In der Szene etwa, in der Luisa Janos Anruf erhält, wie viele andere in einer handgehaltenen Plansequenz aufgelöst, sehen wir Luisa auf dem Bett. Zunächst am Telefon, verzweifelt versuchend, ihren Freund zu beruhigen. Dann, nachdem sie aufgelegt hat, bitter weinend. Die genau kadrierte Einstellung, eine jener wunderschönen, die der Film ganz der bezaubernden Maribel Verdú widmet, zeigt oben links ein Fenster, durch das man ins Fenster des Nachbarhauses gucken kann, hinter dem sich Menschen, nur als Schatten erkennbar, bewegen. Überall an den Rändern der Bilder und der Straßen scheinen sich andere Geschichten abzuspielen. Welche, die es vielleicht eben so wert wären, erzählt zu werden.
Ein anderes Beispiel ist die Szene unmittelbar vor der Abreise. Wir sehen Tenoch, Julio und Luisa in ihren jeweiligen Wohnungen. Das prunkvolle in Glas und Marmor gehaltene Haus der Familie Tenochs, durch das die Kamera einer Hausangestellten zu dem Sofa folgt, auf dem er sitzt. Der einfache, etwas kitschige Stil einer prekären lateinamerikanischen Mittelschicht in der Wohnung, die Julio mit seiner Mutter und seiner Schwester teilt. Schließlich die geschmackvolle, mit Büchern vollgestopfte Wohnung des Intelektuellen - Jano ist Schriftsteller -, in der sich die Zahnarzthelferin Luisa, wie es eine Passage des Voice-Overs später nahe legt, nie wirklich heimisch gefühlt hat. Der Film nimmt diese "sozialen Räume" nicht einfach nur als Hintergrund für seine Figuren, sondern lässt sich viel Zeit, sie genau zu "erforschen". In Y tu mamá también werden weder die Figuren zu bloßen Typen eines bestimmten Milieus, noch dient letzteres bloß als ein device der Figurenzeichnung. Immer geht es um die Beziehungen, nicht nur die zwischenmenschlichen, sondern auch die zwischen Großem und Kleinen, zwischen dem Individuum, der "Klasse" und der Gesellschaft als ganzem.
 Natürlich bietet der Film reichlich Stoff für psychoanalytische und/oder gender-theoretische Lesarten (siehe etwa hierhier oder hier). In Szene in dem Schwimmbad, an dem Tenochs Vater Teilhaber ist, liegen die beiden Freund jeweils auf einem Sprungbrett und onanieren. Nacheinander gehen sie im Dialog und ihrer Phantasie verschiedene Frauen durch - von gemeinsamen Bekannten bis Selma Hayek. Schließlich: "La espano...ol...la...ahh." Und es plumpst, vom Beckenboden aus gefilmt, Sperma ins Wasser. Auch sind ihre Schwänze, vornehmlich der des jeweils anderen, ein beliebtes Gesprächsthema. Gegen Ende kommt es zu einem Dreier zwischen Julio, Tenoch und Luisa. Der Film löst diese, für (vorwiegend heterosexuelle) Poronographie typische Konstellation homosexuell auf - und bringt damit wohl den immer schon latent homoerotischen Gehalt der Phanatasie von zwei Männern, die eine Frau ficken, an die Oberfläche. Und es kann wirklich niemand behaupten, diese Szene sei nicht von langer Hand vorbereitet. Luisa, ca. 30 Jahre und ein bisschen weise, durchschaut nicht nur die Absichten der beiden Jungs und die Strukturen des Begehrens, die dahinter stehen, die ödipale Wunschphantasie wird auch zur "kastrierenden" Mutter. In den Sex-Szenen mit Luisa werden aus den jungen Männern Kinder. Ungestüm, verlegen, ängstlich im Angesicht der Frau, die ihnen so ihrer Männlichkeit beraubt - zumindest im Sinne ihres machistischen Ideals des männlichen Souveräns. Wenn Julio und Tenoch ihr Erlebnis im Nachhinein nur totschweigen können, dann siegt in diesem Film einmal mehr die gesellschaftliche Norm, in diesem Fall der machistische Diskurs, über Bedürfnisse und Begehren der Einzelnen.
Ullrich Behrens konzentriert sich in seiner Besprechung eher auf den gesellschaftskritischen Gehalt des Films. Er schreibt: "»Y tu mamá también – Lust for Life!« ist ein Film über eine Welt, die sich selbst genügsam, selbstgerecht geworden ist, in der die Frage nach irgendeinem Sinn, dem man seinem Leben gibt, oder nach dem Schicksal anderer verloren gegangen zu sein scheint wie ein Unwetter im heißen Sommer, das nächste Woche nicht mehr erinnert werden wird. »Y tu mamá también« heißt »Mit deiner Mutter auch«, mit deiner Mutter habe ich auch geschlafen, und es kommt noch nicht einmal darauf an, ob dies wahr ist oder eine prahlerische Lüge; es zählt nur die Bedeutung dieses Satzes, dass es nämlich bedeutungslos geworden ist, ob es stimmt oder nicht. (...) Niemand weiß mehr, worauf es im Leben ankommt. Niemand stellt sich überhaupt die Frage, worauf es ankommen könnte. Selbst der Tod wird angesichts dieser Situation bedeutungslos."
Obwohl ich beide Deutungen nachvollziehen kann (und teilweise mit ihnen übereinstimme) scheint mir darin doch etwas Entscheidendes zu fehlen, was den Reiz dieses Filmes ausmacht. (Etwas, das ich als ich den Film kennen lernte, also als Gerade-nicht-mehr-Teenager auf Abwegen, wahrnahm, aber auch bei der jüngsten Sichtung des Films vor wenigen Tagen). Es ist die Liebe des Regisseurs zu seinen Figuren, die nicht unkritisch, aber doch immens ist. Die eindeutig sympathisierende Darstellung einer Jugendkultur und ihrer Idiosynkrasien widerspricht den gesellschafts- oder machismo-kritischen Deutungen des Films nicht, dennoch greift zu kurz, wer sie einfach übersieht. Es geht in dem Film auch und nicht zuletzt um einen spezifischem Style, Musik und - vor allem - Sprache (es wird fast zum running gag, dass Luisa sich erkundigen muss, was bestimmte Begriffe im mit Kraftausdrücken und Mexikanismen gesättigten Jive der Jungs bedeuten). Auch ich sehe den Pessimismus, den Behrens an dem Film ausmachte, ordne ihn aber ganz anders zu. Der Film gibt sich keinerlei Illusionen darüber hin, wo die Reise hinführt. Darüber, wie es mit der Jugend, der Liebe, der Freundschaft und irgendwann auch dem Leben ausgeht. Die Reise, die er beschreibt, stellt für alle drei Figuren einen Ausbruchversuch da. Dass dieser von vornherein vergeblich ist, macht ihn nur umso sympathischer. Anderthalb Stunden gucken wir drei Menschen zu, sie sich abmühen im Kampf mit dem Nichts. Sie quatschen, lachen, streiten, trinken und vögeln an gegen die Vergänglichkeit, das Erwachsenwerden, den Tod. Dann ist der Film vorbei - und mit ihm (für Luisa) das Leben und (für Julio und Tenoch) die Jugend.



Montag, 23. Dezember 2013

Hawks / Bogart / Bacall

Am Wochenende im Rahmen der Howard Hawks-Retrospektive im Arsenal gesehen: To Have and Have Not (1944) und The Big Sleep (1946).

Hawksian Woman...

Diederich Diederichsen schreibt über Hawks, es gebe "eine ganze Forschungsrichtung, die ihm eine spezifische Form des Feminismus hoch anrechnet, denn er hat Frauen in die(...) homosozialen Gruppen eintreten lassen, ohne dass nun wegen der Geschlechterdifferenz die Homosexualität hierarchiebildend in diese gleichartigen Gruppen einbricht". Tatsächlich ist es faszinierend, zu sehen, wie wenig die Hierarchien in den freiheitskämpferischen und ermittlerischen Projekten, von denen die Filme handeln, entlang klassischer Geschlechtergrenzen und Rollenvorstellungen verlaufen. Geht es, vor allem in The Big Sleep, um Loyalität und Verrat, so hat die Frage, wem man trauen kann und wem nicht (ganz anders als in Chandlers Roman-Vorlage), hier nichts mehr mit Geschlecht zu tun.
Bogart kann sich in beiden Filmen vor eindeutigen Angeboten und Annäherungsversuchen junger attraktiver Damen kaum retten. Es ist der Mann, nicht die Frau, der unentwegt mit Blicken ausgezogen wird. Die Frauen sind bei Hawks nicht mehr schmückende Objekte, sondern Subjekt von Blick und Begehren. Wann geküsst wird, das entscheidet in To Have and Have Not zunächst einmal Bacall. Wenn Bogart dann erst beim zweiten Kuss "mithilft", wird er quasi zum "Erfüllungshelfer" des weibliche Begehrens.


 
... and Men

Der Privat-Detektiv Philip Marlowe, wie wir ihn aus den Romanen Raymond Chandlers kennen, deren erster The Big Sleep war, wurde zum Inbegriff einer bestimmten hartgekochten Form der Coolness. Scheinbar paradoxerweise ist er auch ziemlich verklemmt - sexualitätsfeindlich und misogyn. "Women make me sick," sagt er im Roman einmal deutlich genug. Wenn es Marlowes Tragödie ist, dass es ihm nie gelingt, sich von einer bösen und korrupten Welt wirklich abzugrenzen, dann sind die Frauen immer schon Teil dieser Welt. Für ihn fallen moralische Integrität und sexuelle Abstinenz in eins. (Obwohl Marlowe die Frauen - oft ganz buchstäblich - schier in die Arme fallen, hat er erst in The Long Goodbye, seinem siebten und letzten (vollendeten) Roman-Auftritt, zum ersten Mal eine Affäre mit einer von ihnen.) Einerseits ist Bogart die perfekte Besetzung für eine solche Rolle. Immer latent aggressiv, angespannt. Unter der Oberfläche seiner meist unbewegten Züge scheint es ständig zu kochen. Die Dialoge scheinen, eher gebellt als gesprochen, aus ihm hervorzubrechen, wie etwas, das nicht länger zurück gehalten werden kann. Andererseits passt so eine Figur schlecht ins Welt- und Geschlechterbild eines Howard Hawks. Eine Szene mag verdeutlichen, wie der Film diesen Widerspruch auflöst. Im Roman kommt Marlowe eines Nachts nachhause, um Carmen Sternwood, die Tochter seines Auftraggebers, jung, attraktiv, strohdumm, verdammt und verdorben, nackt in seinem Bett vorzufinden. Dieses Eindringen in seine Privatsphäre empfindet der Roman-Marlowe beinahe wie eine Vergewaltigung. Nachdem er sie vor die Tür gesetzt hat, heißt es: "I went back to the bed and looked at it. The imprint of her head was still in the pillow, of her small corrupt body still on the sheets. I put my empty glass down and tore the bed to pieces savagely."
Auch der Film-Marlowe setzt den ungebetenen Gast vor die Tür. Sofort danach kommt eine recht lange Schwarzblende, die das zu markieren scheint, was die filmische Adaption auslässt. In der nächsten Einstellung schlummert Bogart selig in dem Bett, das sein literarisches Pendant aus lauter Ekel vor der Frau (und dem eigenen Begehren für sie?) in Stücke gerissen hatte.
Oliver Nöding schreibt zum Verhältnis von Buch und Film: "THE BIG SLEEP ist (...) ein frühes Beispiel dafür, wie Hollywood es versteht, brisante Stoffe zu entschärfen." Ich kann diese Argumentation einerseits durchaus nachvollziehen. Natürlich ist das Happy End (das der Film auch nur andeutet) eine Entschärfung im Gegensatz zum Ende des Romans, in dem Marlowe nichts bleibt, als seine Verbitterung und Selbstverachtung in Alkohol zu ertränken. Natürlich wäre ein Film, in dem es für das It-Paar seiner Zeit kein gemeinsames glückliches Ende gibt, 1946 wohl schwer bei den Produzenten durchzusetzen. Andererseits ist der Marlowe des Films, die Welt, die ihn umgibt und die Frauen, mit denen er zu tun hat, Chandlers Roman so grundverschieden, dass er es einfach nicht nötig hat, Keuschheit zu wahren, um sich selbst - zumindest ein bisschen - treu zu bleiben.

Zigaretten...

...spielen bei Bogart und Bacall, die sich beim Dreh von To Have and Have Not, Bacalls Leinwand-Debüt kennenlernten und sich - on- und off screen - zu dem Hollywood-Traumpaar ihrer Zeit entwickeln sollten, eine entscheidende Rolle. In ihrern ersten Einstellung lehnt Bacall lasziv im Türrahmen: "Anybody got a match?"


Später dann, muss Bacall in der Bar, die der Film in herrlich mit Menschen vollgestopften Einstellungen zeigt, Geld für die beiden organisieren. Sie geht zu einem Mann, der sich gerade mit einem Streichholz seine Zigarette anzünden will, nimmt seinen Arm mitsamt dem Feuer und steckt sich die ihre an. Bei der Frau scheint das Rauchen also Verfügbarkeit anzuzeigen. "Come on Baby, light my fire..." Und beim Mann?
Wie dem auch sei, in The Big Sleep greift gleich der Vorspann, neben dem von Double Indemnity einer der schönsten des klassischen Hollywood-Kinos, die ich kenne, dieses Motiv auf. Die Silhouetten von Bogart und Bacall, durch die Einblendung ihrer Namen beschriftet, zünden sich Zigaretten an. Dann, unten links im Bild ein Aschenbecher, in dem zwei brennende Zigaretten liegen, aus ihrem Rauch bilden sich die Credits, die dann auch wieder in ihm verschwimmen und verschwinden. Ubrigens starb Bogart 1957 im Alter von 57 Jahren - an Speiseröhrenkrebs, der nicht zuletzt durch Nikotin ausgelöst wird. Bacall hörte mitte der Achtziger auf zu rauchen - sie ist heute 89.


Alkohol...

In To Have and Have Not ist Eddie (Walter Brennan), Bogarts bester, meist treudoofer, wenn's drauf ankommt dann wieder ziemlich gerissener Freund, Alkoholiker. Mich hat überrascht, wie genau der Film die Symptome dieser Krankheit, die doch erst 1968, also knapp 25 Jahre später, offiziell als solche anerkannt wurde, beschreibt. Gleich zu Beginn wird Eddies Zittern thematisiert, als er später den Schurken in die Hände fällt, haben sie es relativ leicht, ihn zu foltern - sie müssen ihn nur auf Entzug setzen. Auch zieht es sich als running gag durch den Film, dass er sich nie etwas merken kann. Bogart selbst verhält sich ihm gegenüber als perfekter Co-Abhängiger. Eddy hat kaum den Mund aufgemacht, schon hat er die Genehmigung, sich noch ein Bier zu nehmen oder ein paar Münzen in der Hand, um sich den nächsten Drink zu kaufen.
(Auch in The Big Sleep spielt Sucht, als Erklärung für Carmens Verhalten eine gewisse Rolle. In Rio Bravo übrigens spielt Dean Martin eine Säufer-Figur, die Eddie recht ähnlich ist. Ich bin verdammt gespannt, ob sich in den Hawks-Filmen, die ich in den nächsten Wochen sehen werde, es noch mehr solche Figuren gibt...)




Die Retrospektive im Arsenal läuft noch bis Ende Januar.

Sonntag, 22. Dezember 2013

Amador (Fernando León de Aranoa, Spanien 2010)

Zum Werk des spanischen Regisseurs Fernando León de Aranoa hatte ich 2007, anlässlich des Deutschlandstarts seines vierten Films, Princesas, einen Text in der filmzentrale geschrieben. Da ich in den Jahren, die seit dem vergangen sind, meiner Cinephilie eher sporadisch gefröhnt habe, ist es an mir vorbeigegangen, dass León de Arranoa 2010 einen fünften Film gedreht hat, der, wie schon die beiden Vorgänger, damals im Panorama der Berlinale lief.

Mit Amador knüpft Fernado León de Aranoa an die Tendenz seiner vorherigen Filme an, die Marginalisierten der spanischen Gegenwart ins Zentrum seines Werkes zu stellen. Nach Jugendlichen in einem Armutsviertel (Barrio), Arbeitslosen (Los lunes al sol) und Prostituierten (Princesas), geht es nun um die südamerikanische Immigrantin Marcela (Magaly Solier), die mit ihrem Freund Nelson (Celso Bugally) am Rande von Madrid lebt. Sie halten sich, mehr schlecht als recht, mit einer Blumenhandlung über Wasser. Weil das Geld für einen neuen Kühlschrank für die Ware fehlt, nimmt Marcela einen weiteren Job an. Sie soll Amador pflegen, einen alten Mann, dessen Tochter mit Familie und Hausbau beschäftigt ist. Zwischen ihr und dem bettlägrigen Alt-Linken entwickelt sich bald eine innige freundschaftliche Beziehung. Amador bemerkt schnell, was Marcela bisher niemandem erzählt hat: Sie ist schwanger. Zu diesem Geheimnis gesellt sich bald ein weiteres. Als Amador unvermittelt stirbt, hält Marcela seinen Tod geheim, um ihren Job nicht zu verlieren.
Die intratexteuellen Verbindungen, die sich durch das Werk des Regisseurs ziehen, werden auch in Amador fleißig weiter gestrickt. Wieder geht es nicht nur um Armut, sondern auch - eng mit dieser verbunden - um Geheimnisse, (Selbst-)Täuschungen und (Lebens-)Lügen. Wieder gibt es auch zwischen den Schlechtgestellten der Gesellschaft knallharte Konkurenz und Hierarchien. Aber auch Freundschaften, die ethnische, Alters- und Bildungsunterschiede transzendieren - und das Leben etwas erträglicher machen. Neben Amador ist das für Marcela auch die Prostituierte Puri, die Amador einmal die Woche besuchte, und, bald nach dessen Tod, zu Marcelas einziger Mitwisserin wird (diese Verbündeten sind bei León de Aranoa auch oft die einzigen Menschen, mit denen Geheimnisse geteilt werden.)
León de Aranaoa hat ein sehr feines Gespür fürs Soziale und Alltägliche, für Milieus, für Dialoge und Dialekte, für Blicke und Gesten. Aber: Geschichten "wie aus dem Leben gegriffen" erzählen seine Filme gerade nicht. Vielmehr scheinen seine Plots geradezu auf ihre Konstruiertheit zu verweisen, wird der genau beschriebene, ziemlich triste Alltag seiner Figuren "mythisch" und "poetisch" überhöht. Marcela wird zu einer Hüterin der Geheimnisse von Schwangerschaft und Tod, des werdenden und des vergangenen Lebens. Übrigens konzentriert sich Amador, mehr als alle vorherigen Filme León de Aranoas, auf eine einzelne Hauptfigur. Mit Magaly Solier hat er für diese eine wunderbare Darstellerin gefunden. Die junge Peruanerin ist wohl vor allem bekannt für ihre Rolle in Claudia Llosas La teta asusatada, der 2009 den goldenen Bären gewann und - nicht zuletzt - berühmt geworden durch ihre, den eurozentristischen Festivalbetrieb gründlich durcheinander wirbelnde Rede auf Quechua. Die ganze Schwere der Geheimnisse, die auf ihr lasten, lassen sich von ihren traurigen Zügen ablesen. Aber auch die Erleichterung ihrer Befreiung, denn  Amador erzählt schließlich auch die Geschichte von ihrer Emanzipation. Durch die Ereignisse des Films schafft sie es, sich aus der Beziehung zu Nelson zu lösen, die sie unglücklich macht, ohne dass sie mit jemandem, am allerwenigsten wohl mit ihm, darüber sprechen könnte.
Einerseits greift León de Aranoa auch in seinem fünften Film bestimmte Motive auf, die sich schon in den früheren fanden. So gab es schon in Los lunes al sol eine weibliche Figur die sich selbst als Meerjungfrau bezeichnete, um für den Gestank, den sie von ihrer Arbeit aus einer Fischfabrik mitbrachte, eine angenehmere glücklichere Erklärung zu schaffen. Eine Meerjungfrau nennt auch Amador eine Frau im Rollstuhl, die er von seinem Fenster aus sieht - und die in dem Film immer wieder auftaucht. Weil ihre Beine verdeckt sind, behauptet er, dass man ja nicht wissen könne, ob sich wirklich Beine unter ihrem Rock befänden - oder doch eine Flosse. Dieses Reportoire an Motiven wird aber auch mit jedem neuen Film vergrößert. In Amador sind diese Leitmotive neben Blumen vor allem Puzzle. Mit ihnen vertreibt sich Amador seine Zeit. Er behauptet jeder Mensch habe bei der Geburt die Teile für das Puzzle seines Lebens bekommen, und es sei nun an ihm oder ihr, sie selbst richtig zusammenzusetzen. Dass Lebensentwürfe - um die es in diesem Film ausdrücklich auch geht - nicht (nur) eine Frage sozialer Standards sind, etwas, das man sich leisten können muss, darin besteht die Utopie, die die Titelfigur der Hauptfigur zurücklässt.
Was den Film davor bewahrt, zu einem reinen Migrantinnen-Rührstück zu werden, dem er immer wieder doch ziemlich nahe kommt, ist, dass es in León de Aranoas Puzzle, neben tragischen und traurigen auch - auf ziemlich sarkastische Weise - lustige Teile gibt.
Ein Priester, der auf Marcelas Trauer aufmerksam wird, weil sie, von Gewissensbissen geplagt, in eine Kirche geht, um für Amador zu beten, erklärt ihr, wie die Toten bei den Lebenden bleibenden, wie sie ihnen, wie die Blumen, über den Tod hinaus helfen.
Die wunderbare pechschwarzhumorige Pointe des Films besteht dann eben darin, dass er solche spirituell-religiösen Weisheiten knallhart auf den Boden der materiellen (kapitalistischen) Realität zurück holt. Und übrigens: solche "Zuwendungen" und "Hilfestellungen" von den Toten brauchen in Krisenzeiten nicht nur die Armen.

Auf den nächsten Film von Fernando León de Aranoa freue ich mich schon. Ich hoffe, dass ich dieses Mal nicht erst nach drei Jahren auf seine Existenz aufmerksam werde.   

Freitag, 20. Dezember 2013

TOP 10 2013

Hier meine Bestenliste des endenden Jahres, wie sie auch in der filmgazette erscheinen wird (Kriterium ist nicht das Produktionsjahr, sondern ein deutscher Kino- oder DVD-Start).

1.  Spring Breakers (Korine) 85
2.  Tore tanzt (Gebbe) 82
3.  Un amor - Eine Liebe fürs Leben (Hernández) 82
4.  Inside Llewyn Davis (Coens) 80
5.  Pain & Gain (Bay) 79
6.  Gravity (Cuarón) 79
7.  Tage am Strand (Fontaine) 78
8.  Texas Chainsaw 3D (Luessenhop) 78
9.  Room 237 (Ascher) 73
10.Stein der Geduld (Rahimi) 67
 
Nachträge:
Irgendwas vergisst man immer. In diesem Fall ist es für mich das Helge-Schneider-Kuriosum 00 Schneider - Im Wendekreis der Eidechse, das eigentlich relativ weit oben mit auf die Liste gehört.
 
Nochmal erwähnt sei hier auch El Desierto.  Auch wenn er mich - leider - nicht restlos überzeugte, doch ein beachtliches Regie-Debut, das lange nachwirkt - und einer jener kleinen Filmen des Welt-Genre-Kinos, wegen derer der Besuch des Fantasy Filmfest, bei aller berechtigten Kritik, doch immer wieder lohnt.

Donnerstag, 19. Dezember 2013

Crimewave (Sam Raimi, USA 1985)

(Vorab: Die einzige Art, sich Crimewave offiziell in Deutschland anzusehen, ist eine DVD des Ramschlables "Best Entertainment". Eine jener DVDs aus der Pionierzeit des Mediums, die so wirken als wäre die digitale Revolution der Bild- und Tönträger spurlos an ihnen vorbeigegangen. Also kein Originalton, das Bildformat aufs damals noch gängige 4:3 zurecht gestutzt und eine Bild- und Ton-Qualität, wie man sie auf der letzten Generation von VHS-Kassetten mühelos besser hinbekommen hätte (gerade in den dunkleren Szenen, von denen es in diesem Filmchen einige gibt, sieht man teilweise so gut wie nichts). Dass ich mit dieser Bemerkung beginne, liegt einerseits daran, dass ich mit mir gehadert habe, ob ich einen Film, den ich nur in derart verfremdeter Form gesehen habe, überhaupt besprechen sollte. Andererseits möchte ich auch mit dem Appell - an wen auch immer - beginnen, diesem, wie ich finde, auf ziemlich liebenswürdige Art ziemlich bescheuerten Film, auch hier zu lande endlich eine liebevollere Veröffentlichung zu gönnen.)

Victor Ajax wartet in der Todeszelle auf seine Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl. Er wird beschuldigt, seine ehemaligen Arbeitgeber bei der Security-Firma Trend-Odegard ermordet zu haben. Er beteuert bis zum Schluss seine Unschuld. In der Binnenhandlung, die von der Todestrakt-Szene gerahmt wird, erfahren wir, wie Victor in solch missliche Lage geriet. Mr. Odegard wollte seinen Teilhaber ausschalten. Also engagierte er Faron und Arthur, Kammerjäger, ihr Slogan: "We kill all sizes". Will sagen: ob es gegen Ratten oder Menschen (oder später - herrlich! - gegen Helden) geht, ist bloß eine Frage der Einstellung - der Stromstärke am Exterminierungsgerät. Weil die Kammerjäger aber ebenso doof sind wie das restliche Personal dieses Films, grillen sie nicht nur Trend, sondern auch gleich noch ihren Auftaggeber. (Die nachbarschaftlichen und sonstigen Verwicklungen und Verwechslungen genauer aufzuzählen, die Victor schließlich in die Todeszelle bringen - aus der ihn nur sein love interest Nancy schließlich wird retten können - habe ich gerade keine Lust. Ich glaube auch nicht, dass es zum Verständnis dieses Films irgendwie beitragen könnte.)
Nach dem - gemessen am winzigen Budget - immensen Erfolg von The Evil Dead, war es für Raimi relativ einfach, die Finanzierung für ein etwas größeres Projekt zu erhalten. Allerdings griff der Produzent später signifikant in dieses ein, etwa indem er nicht gestattete, dass Raimis Freund und Mitstreiter Bruce Campbell die Hauptrolle übernahm. (Was wirklich schade ist, weil Campbell, der als Schauspieler nie wirklich etwas geschafft hat, außer uns den Ash zu geben, in der kleinen Rolle, die ihm letztlich gewährt wurde, die vielleicht schmierigste Performance seiner Karriere hinlegte.) Das Drehbuch schrieb Raimi übrigens gemeinsam mit den Brüdern Joel und Ethan Coen. Ersterer hatte am Schnitt von The Evil Dead mitgearbeitet und zwischenzeitig gemeinsam mit seinem Bruder sein Regie-Debut Blood Simple hingelegt (der Rest ist (Film-)Geschichte).
Es ist erstaunlich, wie viel von Raimis deutlicher Handschrift schon in seinem zweiten langen Film steckt. Die Struktur des ganz offensichtlich als Nummern-Revue, als atemlose Aneinanderreihung spektakulärer setpieces angelegten The Evil Dead (die Raimi übrigens in dessen Fortsetzung noch auf die Spitze treibt) bestimmt auch Crimewave. Es gibt den exzessiven Einsatz skurriler subjektiver Kamera-Perspektiven (unter anderem sehen wir die Welt hier ganz kurz aus der Sicht eines Dobermans). Der Show-Down findet auf einer Brücke statt, ebenfalls ein Motiv, das sich - oft auch wie hier im Zusammenhang mit einer Auto-Verfolgungsjagd - in späteren Raimi-Filmen endlos wiederholen wird. Ja, selbst die Baseball-Leidenschaft des Regisseurs, der er schließlich einen eigenen Film widmen sollte, klingt in einer Szene, natürlich in der brachial-klamaukigen Art, die diesem Film eignet, an. Raimis gesamte Filmographie lässt sich von Anfang an lesen, als Arbeit an einer, bei aller Offensichtlichkeit ihrer vielfältigen Quellen, recht eigenen Vision eines Spektakelkinos. Während Raimi in den Neunzigern verschiedenen Genres seinen Stempel aufdrückte, ist Crimewave, wie die Evil Dead-Reihe, darum bemüht, möglichst viel in einem Film unterzubringen. Der Film ist eine denkbar krude Mischung aus Slapstick und Film noir-Parodie, wobei auch Raimis Ursprung im Splatter-Horror immer wieder anklingt. Etwa bei der Gabel in der Kammerjäger-Nase oder der blaulastigen Ausleuchtung diverser Szenen.
Da ich nicht wirklich weiss, wie ich mich einem Film wie diesem nähern soll, hier einfach die Beschreibung einer Szene. Die Kamera fliegt auf den Mund einer schreienden Frau zu, scheint in diesen einzudringen. Nach dem Matchcut kommt sie aus der Öffnung einer Trompete wieder heraus. Entfernt sich eben so rasend schnell von dieser, um den Blick auf das Orchester zu öffnen, dass den Tanzsaal beschallt, in dem Victor und Nancy gerade ein Date - was sie anbelangt: ein Date widerwillen - haben. Der Kotzbrocken Renaldo (Campbell), mit dem Nancy eigentlich verabredet war, hat sie, nachdem sie sich gegen seine Übergrifflichkeiten wehrte, einfach abserviert, und sich flugs an Ort und Stelle eine andere gesucht, während Nancy mit Victors denkbar unbeholfenen Liebesgeständnissen - er kennt sie zu diesem Zeitpunkt wenige Stunden - vorliebnehmen muss. Für Renaldo steht in einer solchen Situation fest: Die Rechnung wird geteilt. Nancy bekundet Victor gegenüber, sie könne auf sich selbst aufpassen, nur um eine Sekunde später festzustellen, dass sich in ihrem Portmonee nur noch ein wenig Klimpergeld befindet. Wo soll sie die 36 Dollar für die Rechnung hernehmen? Schwenk durchs Lokal, auf einen Moderator im Smoking, der einen Tanzwettbewerb verkündet. Preisgeld: 36 Dollar. Also legen Nancy und Victor eine wirklich hinreißend beknackte Swingnummer hin. (Hätte ich zu entscheiden, die Rechnung wäre beglichen.) Nur sollte man in einem Raimi - zumal: in einem Raimi/Coens) - Film sich eher nicht auf die Gutmütigkeit Dritter verlassen. Also gibt es einen Schwenk durch Raum und Zeit, an deren Ende Nancy und Victor - immer noch im schwingenden Modus - in der Küche stehen - zwischen sich bis an die Decke türmenden Bergen schmutzigen Geschirrs.
Auch ganz reizend: Die Flucht durch den sichersten Flur der Welt: Musical-Coreographie meets Mit-dem Kopf-durch-die-Tür(en)-gehen.
Der satirische Diskurs um ein kaum noch zu befriedigendes Sicherheits-Bedürfnis der amerikanischen Gesellschaft, mündet in Crimewave äußerst schlüssig in der Todesstrafe. Auch zu der gibt der Film dann einen denkbar drastischen Kommentar ab, wenn er die heuchlerisch-sadistischen Henkersknechte in der Rahmen- mit den bescheuert durchgeknallten Kammerjägern/Auftragskillern in der Binnenhandlung kurzschließt. Allerdings gehen solche kritischen Ansätze in Crimewave dann doch ziemlich komplett zwischen abstrusen plot points, skurrilen Figuren und grotesker Situationskomik unter. Das kann man schade finden - oder auch zynisch. Trotzdem: die achtzig Minuten Laufzeit vergehen wie im Flug und ich habe bevor sie zu Ende waren ein ums andere Mal schallend gelacht.

Zwei Nachbemerkungen:
Crimewave hat mich etwas nostalgisch gestimmt im Hinblick auf den amerikanischen Achtziger-Klamauk meiner Kindheit und frühen Jugend. Vielleicht steht bald ein Wiedershen an mit den Filmen aus dem Haus ZAZ oder auch mit der Police Academy.
Und natürlich wurde ich auch an Wes Craven's Shocker erinnert, den ich vor kurzem (wieder-)gesehen habe, und den ich keinesfalls gut, aber doch auf recht interessante Weise mißlungen fand. Die beiden Filme könnten den Ausgangspunkt einer Studie bilden: Elektriziätsmetaphorik und der elektrische Stuhl im US-amerikanischen Kino der Achtziger Jahre.

Freitag, 6. Dezember 2013

Movie of the Week 9: Turks fruit (Paul Verhoeven, Niederlande 1973)



Einmal legt sich der Bildhauer Eric (Rutger Hauer) mit einem seiner Auftraggeber an, weil es dem ziemlich mißfällt, dass er an einer Statue des wiederauferstandenen Lazarus Maden und Würmer zeigt. Aufgebracht argumetiert er, dass es doch in der Schrift stehe, dass er drei Tage tot war, sein Körper also Zeichen des Verfalls zeigen müsse. Erics Frau Olga (Monique van de Ven) moniert an anderer Stelle, dass er eine Zeichnung verkauft, die das Ehepaar beim Sex zeigt. Kunst entsteht bei Paul Verhoeven nicht aus der Freiheit, alles zeigen zu dürfen, sondern aus dem Zwang, alles zeigen zu müssen. Sie ist also immer exihibitionistisch und der Verhoeven-Künstler immer ein Provokateur (und übrigens auch einer der vornehmlich splitterfasernackt an und bisweilen auch vor die Tür geht).
Doch fangen wir am Anfang an: Der Film beginnt mit einer Gewaltphantasie Erics (die sich erst im Nachhinein als solche zu erkennen gibt), in der er seine Ex-Frau Olga und ihren neuen Mann blutrünstig ins Jenseits befördert. Dann, in einer Prolepse (die sich erst im Nachhinein als solche zu erkennen gibt), vögelt sich Eric durch Amsterdam. Neue Szene (einmal sogar: neue Einstellung), andere Frau. Erics Begehren, das nichts jenseits der eigenen Befriedigung kennt, ist asozial. So gibt er seinen diversen Liebschaften nicht nur den Laufpass, wenn er mit ihnen fertig ist, er wird ihnen gegenüber auch ausgesprochen grob, wenn sie ihn an genau das erinnern, was er durch sie zu vergessen sucht: Olga. (Das schöne an Verhoevens exhibitionistischer Kunst - die selten schöner war als hier - ist, dass sie die Asozialität von Erics Begehren und die in ihr enthaltene Allmachtsphantasie ("Ich ficke besser als Gott.") zwar zeigen, aber nicht bewerten oder verurteilen muss.)
Als sich Eric das Scheitern des sexuellen Ausbruchversuchs aus seinem Gefühlsleben schließlich eingestehen muss, beginnt die Rückblende auf seine Beziehung zu Olga - die ihrerseits einen gescheiterten Ausbruchversuch darstellt.
Eric lernt Olga beim Trampen kennen. Schnell sind die Verhältnisse zwischen den beiden geklärt - durch schnellen Sex auf dem Rücksitz. Schon ihre ersten gemeinsamen Szenen verdeutlichen die emotionale Achterbahnfahrt, die ihr Beziehungsleben im folgenden ausmachen wird - und die auch in der stark schwankenden Stimmung des Films selbst Ausdruck findet. Beim Anziehen klemmt sich Eric seinen Schwanz im Reißverschluss seiner Jeans ein. In einem anliegenden Haus versuchen die beiden, Eric unter beständigen Schmerzen, bei einem älteren Ehepaar eine Zange zu organisiseren. Indem Jan de Bonts durchweg großartige Kamera zeigt, was Teenie-Sex-Komödien bis heute eher im Off beliessen, den im Reißverschluss klemmenden Schwanz, wird die groteske Komik der Situation von einer viskeralen Drastik überschattet, dass einem das Lachen im Hals stecken bleibt. Eine knappe Minute später ereignet sich auch noch ein anderer, ein "richtiger" Unfall. Die beiden fahren gegen einen Baum. Im Gegenlicht trägt Eric die blutende Olga über die Straße. Viele Autos fahren einfach vorbei, bevor eines hält.
Komödie und Tragödie, ausschweifender Sex- und - im besten Sinne des Wortes - pathetischer Liebes-Film, großes Gefühl und große Gemeinheit liegen hier nicht nur mitunter nur einen Schnitt voneinander entfernt, sie begegnen sich auch des öfteren in ein und derselben Szene.
(Auch ganz toll: eine Liebesszene im Regen. Nach Großaufnahmen der Gesichter des Paares, Umschnitt in die Totale. Pittoresk die Gasse im Hintergrund mit dem Pflaster und ihren alten Häuschen, verregnet, verschwommen. Mittig eine Laterne. Ein Bild, wie aus einem Musical. Aber: bei Verhoeven macht strömender Regen auch pitschnass - und sich dem auszusetzen, sich gar in einer Pfütze zu suhlen, hat etwas ziemlich masochistisches. In Verhoeven'scher Schönheit steckt immer ein gutes Stück Verzweiflung.)
Olgas Eltern, denen der Retter und neue Freund ihrer Tochter vorgeführt wird, sind Karikaturen des Kleinbürgertums. Die Mutter in seiner niederträchtigsten, der Vater in seiner gutmütigsten Form.
Aber Olgas Ausbruch aus der Familie schlägt fehl, sie und Eric vertragen sich einfach nicht. Doch auch ihr baldiger Gatte scheitert an eben diesem Milieu, das zwar heuchlerisch genug, aber kaum noch bigott, konservativ in sexuellen Dingen ist. Beim Abendessen bei den Schwiegereltern, eine schlüpfrige promiskuitive Gesellschaft, in Rotlicht getaucht, in der sich niemand daran zu stören scheint, das Olgas Brüste aus ihrem Kleid hängen, bleibt dem Provokationskünstler gar nichts mehr übrig, als seine Schwiegermutter vollzukotzen. Danach, in einem Akt der Selbstverachtung darüber, wie ähnlich ihm diejenigen sind, von denen er sich abgrenzen will, sein eigenes Spiegelbild. 
So düster wie märchenhaft dann das letzte Drittel des Films. Die Wiederbegegnung des Paares nach der Trennung. Die zwei gehören zusammen - bis das der Tod sie scheidet. Auf genau den aber wartet Olga, sie ist krank. Eric pflegt sie. Darin liegt, nach den egozentrischen sexuellen Exzessen zu Beginn, seine Entwicklung. Nun befriedigt er die Bedürfnisse eines anderen Menschen - bis zum bitteren Ende.
Schon sonderbar, wie sehr in diesem Film mit seinem Zwang alles zeigen zu müssen, Provokation und Skandal niemals zum Selbstzweck werden. Wenn in eine volle Kloschüssel oder die Bettpfanne von Olgas sterbendem Vater, gefilmt wird, die Kamera über verfaulte Lebensmittel oder - exponiert in der letzen Einstellung - über Müllberge wandert, hat das eindeutig seinen Platz in einem Film, der von den Kreisläufen des Lebens handelt. Von seiner Schönheit und der Hässlichkeit dessen, was der Mensch aus ihr macht. Vom Tod. Von Liebe, Sexualität, Spass und dem, was bleibt.
Ein ekelhafter und wunderschöner Film. Herzhaft komisch und tot-traurig. Ein Meisterwerk.

Camal (Miguel Alvear, Ecuador 2000)

Dokumentarische Bilder vom Schlachthof in Quito. In Schwarz-weiß. Dazu ein Stück von Ryuichi Sakamoto, dräuend, sakral. "Salvation" heißt es, doch gerettet wird hier kein Mensch - und schon gar kein Tier. Immer wieder wird durch Türen gefilmt, durch Fenster, Luken, Zäune, Gitter, werden die Bilder so in verschiedene Ebenen gestaffelt. Der Schlachthof als Übergangszone, als Schwelle, als Zwischenreich. Zwischen Leben und Tod. Erde und Hölle. (Einen Himmel gibt es nicht in den fünfzehn Minuten dieses Films. Einmal: die handgehaltene Kamera auf einer Straßenkreuzung, unter Augenhöhe. Menschen, Autos, Chaos, kein Himmel.) Infernalisch jenseitige Bilder für einen eindeutig diesseitigen Ort. Subreal. Detaillierte Schlachtungen. Ein Kind, in Lumpen, verängstigt (vor der Kamera?), neben ihm ein Haufen Stierköpfe. Stierköpfe auf einer Schubkarre. Brennende Tierkadaver. Die letzen Zuckungen von kopflosen Schafskörpern. Die haargenau kadrierten Bilder schneiden auch den Menschen bisweilen die Köpfe ab. Ein kopf- und himmelloser Film. Auch: Kinder, die mit den Schafen, noch mit Köpfen, spielen. Ein Mann auf dem Markt, unter jedem Arm einen Spiegel, in dem Spiegel Spiegelungen der Marktszene um ihn herum. Eine Frau mit Ghettoblaster. Kein Kommentar, keine Kritik, keine Anklage in diesem Film, die sich nicht direkt aus seinen Bildern ergeben würde. Den Bildern, die die Misere von Mensch und Tier, das alltägliche serialisierte Töten zeigen. Der unbedingte Stilwille dieser Bilder, die sich bei Rembrandt und dem deutschen expressionistischen Film nehmen, was sie brauchen, ist ihr großer Clou. Die doch so eindeutig als real erkennbare Welt wird durch sie fremd, entfremdet. Brutale, verstörende Bilder. Bilder vom Schlachthof in Quito. Dokumentarische Bilder, wie nicht von dieser Welt.

  


Gedreht wurde 1991, ursprünglich war eine Dokumentation über die Fleischproduktion in Quito geplant, erst 2000 konnte der Film in der nun vorliegenden Form veröffentlicht werden.
Entdeckt habe ich dieses kleine Meisterwerk des ecuatorianischen Künstlers und Filmemachers Miguel Alvear auf der DVD "Cine al contracorriente", einer Sammlung experimenteller Kurzfilme aus Lateinamerika, veröffentlicht als "Katalog" zu einer Reihe des Centre de Cultura Contemporanía de Barcelona (CCCB). Einen IMDb-Eintrag gibt es bisher nicht. Ist allerdings in Arbeit.

Mittwoch, 4. Dezember 2013

Point Break (Kathryn Bigelow, USA 1991)

"100% pure adrenaline!" ist das Motto von Patrick Swayze. Und Lory Petty, die einzige Frau in diesem Film, die mehr als 30 Sekunden screen time hat, stellt einmal fest: "Okay, too much testosterone around here for me." Damit sind Thema, Stimmung und - vor allem - das Tempo des Films gesetzt. Ein Kino der Hormone, die unausgesetzt durch einen Filmkörper von beträchtlicher Eleganz fluten, wie das Wasser durch die Bilder. Schon im Vorspann. Johnny Utah (Keanu Reeves) bei Schießübungen im strömenden Regen, Bodhi (Swayze) beim Surfen. Die beiden Männer, die der Film in Parallelmontage als Antagonisten einführt, haben deutlich mehr Gemeinsamkeiten, als Unterschiede. Beide sind verdammt gut in dem, was sie tun. Beiden geht es um den Kick, den Licht und Kamera schon hier komplett durchstlyen, ästhetisieren. 
Utah kommt nach einer Football-Karriere am College zum FBI nach Los Angeles, Abteilung: Bankraub. Eine Plansequenz, bei der Donald Petermans Kamera mit vielen gewagten Schwenks die Kälte und Hektik des Büros einfängt, zeichnet den Weg an seinen neuen Arbeitsplatz. Hier gilt es, sich beständig zu behaupten. Jeder Dialog ein verbaler Schlagabtausch. So bezeichnet ihn sein neuer Chef, Ben Harp (John McGinley) als das, was er offensichtlich selber ist: ein Arschloch. "You're a real blue flame special, aren't you, son? Young, dumb and full of come". Sein neuer Partner, der ältere Angelo Pappas (Gary Busey) begrüßt ihn, wenn auch ungewollt, indem er ihn einen "quarterback punk" nennt. Der junge Karrierist, der, wenn er mit 25 die Agentenausbildung als einer der besten 2 % seines Jahrgangs abschließt, schon eine vielversprechende Sportler-Laufbahn hinter sich hat, scheint das Männlichkeitsideal des Neoliberalismus so perfekt - und buchstäblich - zu verkörpern, dass er anderen Männern immer erst einmal suspekt ist. Konkurrenzdenken. Revierverteidigung.
Der erste Fall: Eine Bande von Gangstern, die in den vergangenen drei Jahren 27 Banken überfallen hat, ohne bedeutende Spuren zu hinterlassen. Sie gehen immer nach demselben Prinzip vor: verkleidet in Anzügen und mit Gummi-Masken der ehemaligen US-Präsidenten Nixon, Carter, Reagan und Johnson, rein-raus in genau 90 Sekunden, ohne dass ein Schuss abgegeben wird. Wir sehen einen ihrer Überfälle. Auf dem Weg zur Bank im Auto reichen Bigelow ein paar kurze Einstellungen zur größtmöglichen Fetischisierung von Männermuskeln und großkalibrigen Schusswaffen. Der Überfall als Spiel, als Selbst-Inszenierung mit infantil-satirischem Duktus. Die Ex-Presidents fordern die Bank-Kunden auf, nicht zu vergessen, zu wählen. "Nixon" verbeugt sich mit den berühmten Worten: "I'm not a crook." Zum Abschied wird der blanke Arsch in Richtung Überwachungskamera gehalten, drauf steht: "Thank you."
Pappas spricht mit unverhohlener Bewunderung von diesen Kontrahenten. In der Leistungsgesellschaft ist numerisch messbarer Erfolg (man beachte die Häufung von Zahlen in diesem Film) wichtiger, als das Einhalten von Gesetzen. Bei der Verbrecherjagd geht es nicht um die Wiederherstellung einer Ordnung, sie ist ein Spiel, das umso mehr Spaß macht, je genialer der Gegner ist. Ein Kick - wie das Verbrechen selbst.
Pappas hat eine Theorie zu den Bankräubern, die zunächst denkbar wagemutig erscheinen muss: "The ex-presidents are surfers."
Also soll Utah undercover in der Surfer-Szene ermitteln. Tyler (Petty) bringt ihm nicht nur das Surfen bei, sie führt ihn auch in die Welt der Surfer ein - und natürlich auch bald in ihr Bett. Sie macht ihn mit Bodhi bekannt. (Schön, wie der Plot hier einen Konflikt, ein Beziehungsdreieck andeutet, das dann einfach nicht stattfindet. Monogamie steht eben nicht auf der Agenda adrenalin-süchtiger Surf-Gurus. That's that.)
Utah legt sich schnell mit einer Gruppe junger "Wilder" an, auf deren mafioses Revierdenken, wie auf ihren archaischen Look zutrifft, was Pappas einmal über die Surfer sagt, sie seien organisiert wie ein Stamm mit eigenen Regeln und eigener Sprache. Für Bodhi hingegen steckt hinter dem Surfen eine Philosophie, es ist für ihn, wie sein an den Buddhismus angelehnter Name untermauert, eine Art Religion. Zu seinen Männern sagt er: "This was never about the money, this was about us against the system. That system that kills the human spirit. We stand for something. We are here to show those guys that are inching their way on the freeways in their metal coffins that the human sprit is still alive." Die Suche nach dem ultimativen Kick, für den man bereit sein muss, alles zu geben, auch das eigene Leben, als letzte mögliche Form der Rebellion. Sie stellt auch das Band dar, das den Polizisten mit dem Mann verbindet, der schon bald zum Hauptverdächtigen seiner Ermittlungen wird.
Kathryn Bigelow baut einige kleine Spitzen in die Männerwelt des Films ein. So ist es gerade eine Frau, die den Protagonisten in die Männer-Domäne der Surfer einführt. Einmal wird Utah von einer Frau regelrecht zusammen geschlagen, wobei natürlich auch das Knie in die Weichteile nicht fehlen darf. Auch wird das ständige Platzhirsch- und Alphatier-Verhalten sämtlicher männlicher Figuren - nicht nur in den testosteronschwangeren Dialogen - so weit überzeichnet, dass es zur Kenntlichkeit entstellt und der Lächerlichkeit preisgegeben wird.
Das Schöne, das Großartige an Point Break ist aber gerade, dass der Film keine Lehrstunde ist, sondern lupenreines Adrenalin-Kino. Bigelows Kritik ist keine an Bodhis Philosophie des Kicks, sondern an einer Welt, in der sie die einzige verbleibende Alternative zum Diktat der Ökonomie ist. Dann doch lieber das filmische Diktat des Kicks im Action-Kino: Rasenmäher und Pitbulls sind hier nur für Thrills zuständig, für Tempo. Ob Football, Surfen oder Fallschirmspringen, Bankraub, Schießerei oder Verbrecherjagd, es geht immer nur ums eine: "100 % pure adrenaline!"

(Ach ja, und die Ex-Presidents mit ihrer schweren Artillerie hängen seit Jahren in meinem Bad. Ich sehe sie immer wieder gerne.)