Mittwoch, 20. August 2014

Faccia a faccia / Von Angesicht zu Angesicht (Sergio Sollima, Italien, Spanien 1967)

Der Film beginnt mit einem Bruch. Professor Brad Fletcher (Gian Maria Volonté) verkündet seinen Schülern, dass ihr Geschichtskurs beendet ist, aber jederzeit an dieser Stelle fortgesetzt werden kann. Er verabschiedet sich von den Schülern, dann verabschieden sich sein Chef und eine Frau, Elisabeth, von ihm. Man merkt, dass er etwas mit ihr hatte, was genau erfährt man eben so wenig, wie den Grund, warum er geht. Bruchstückhaft, brüchig erzählt diese pre titlte sequence von einem Bruch. Jedenfalls bleibt Volonté allein in dem leeren Unterrichtssaal zurück. Allein mit einer Karte der USA. Allein mit der Geschichte. Von der Spiegelung seines Gesichtes in einer roten Scheibe gibt es einen Match Cut auf einen roten Feuerball im - wie immer bei Sollima großartigen - Vorspann. Neben den Gesichtern von Volonté und Tomas Milian, von Angesicht zu Angesicht, sehen wir in diesem Vorspann vor allem Bilder einer Kutsche, im üblichen Pop Art-Look wird sie verdoppelt, verdreifacht, vervielfacht, in knalligem rot, gelb, grün zieht sie durchs Bild, von rechts nach links und links nach rechts, von oben nach unten und unten nach oben. Die stringente Bewegung wird zersetzt durch ein konstantes hin und her und auf und ab.
Auf seinem Weg wohin auch immer wird Fletcher von dem Banditen Solomon "Beauregard" Bennet (Tomas Milian) als Geisel genommen. Der Mann der Bücher und der Mann der Waffen. In John Fords Meisterwerk The Man who shot Liberty Valance war das eines der großen Paare des postklassischen Westerns (wobei "postklassisch" hier vor allem bedeutet, dass der Film den Zivilisierungsprozess, der von jeher den Kern des Genres bildete, schon eher melancholisch zu einem Verlust erklärte, statt in ihm einen Gewinn sehen zu können). Bei Ford wird der Mann der Bücher am Ende doppelt desavouiert. Er wird gefeiert für eine Tat, die allen seinen Prinzipien widerspricht und die er in Wirklichkeit nicht einmal selbst begangen hat. Faccia a faccia geht da noch ein ganzes Stück weiter.
Immer sind die Protagonisten bei Sollima von ihrer Sehnsucht angetrieben. Nach einer besseren Welt (La resa dei conti) oder zumindest einem besseren Leben (Citta violenta). Faccia a faccia erscheint für einen Italo-Western erstaunlich sehnsuchtsgesättigt. Die Weite der Landschaft, durch die die Männer auf ihren Pferden von den Streichern und Chorälen des epischen Scores von Ennio Morricone getrieben werden, scheinen tatsächlich noch ein Freiheitsvesprechen zu geben, das in dieser Phase des Genres selten geworden ist. 
Die Stadt, in der die Männer von ihrer Sehnsucht zunächst zusammengetrieben zu werden scheinen, heißt Purgatory City (meisterlich, wie Sollima hier einmal mehr Machtverhältnisse als Blickverhältnisse abbildet. Unten im Staub der Straße, diejenigen, die schießen, oben in ihren Häusern, an den Fenstern, als Zuschauer die Gutbürgerlichen, die die schießen lassen.) Von diesem Fegefeuer aus führen ihre jeweiligen Wege die beiden Protagonisten in den Himmel bzw. die Hölle, wobei sich jedoch erst zeigen muss, was wo ist. William Berger als Charley Siringo, ein Pinkerton-Agent, der Banden infiltriert, um sie zu stellen, nimmt dabei eine Art Vermittlerrolle ein.
Ein Dialog in einem Camp, in dem sich die Bande versteckt und das einen weiteren sprechenden Namen trägt: Pietra di Fuoco (Feuerstein), verdeutlicht, wie ihre Sehnsüchte die Männer in verschiedene Richtungen treibt. Einer von Bennets Männern nennt das Camp eine Geisterstadt voller "Jäger ohne Büffel, Cowboys ohne Herden und Gold-Gräber ohne Gold", fernab von Realität und Moderne. Fletcher entgegnet, er habe noch nie so wahrhaftige, freie und glückliche Menschen gesehen wie dort. Bei Sollima führt die Sehnsucht des zivilisierten Bildungsbürgers nach einer archaischen Welt in die Katastrophe. Sie führt zu einer Ermächtigung zum grausamen gang leader, die beginnt mit dem Erschießen eines Mannes und der Vergewaltigung einer Frau. So phallisch, in Begehren und Sehnsucht getränkt die Macht in diesem Film gedacht wird, so sehr scheint sie gerade den Geist zu korrumpieren. Der Geschichtsprofessor erklärt später: "Ein gewalttätiger Mann ist tatsächlich ein Outlaw. Hundert Männer sind eine Gang und 100.000 eine Armee. Es geht darum, individuelle Gewalt zu überwinden, die ein Verbrechen ist, und zur Massengewalt zu gelangen, die die Geschichte macht."
Der Schluss ist atemberaubend ambivalent. Einerseits endet der Film, der in einem Seminarraum begann, in dem Volonté von (politischen) Subjekten träumte, die aus sich heraus richtig und falsch erkennen könnten, damit, dass zwei solcher Subjekte ausgebildet scheinen. Diese Ausbildung wurde dann aber andererseits nicht nur mit Unmengen von Blut bezahlt, sondern der Film gibt die Figur Volontés nicht preis, der sich zu Beginn wünschte, solche Subjekte zu schaffen, und dem es nun - wenn auch auf ganz andere Weise als erhofft - auch gelang. Ein wahrlich tragischer Tod ist das, bei dem ein Überschuss einer Sehnsucht, die das Gute wollte und das Böse schuf, mit seinen letzten Atemzügen aus Volontés Körper zu weichen scheint.

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