Mittwoch, 29. Januar 2014

Hinweis: Zwei neue Texte von mir in der filmgazette

Asghar Farhadis Le passé, einen wunderbaren Film über die Sprachlosigkeit, in dem viel gestritten und wenige Lösungen gefunden werden, bespreche ich hier.


Ein epischer Verriss des furchtbaren Biopics Mandela - A Long Walk to Freedom findet sich hingegen hier.

Sonntag, 26. Januar 2014

Hinweis: "Oslo, 31. August" in der filmgazette

Für die filmgazette habe ich Joachim Triers sehr empfehlenswerten "Oslo, 31. August" besprochen, der kürzlich auf DVD erschienen ist.



Noch ein Gedanke dazu: Triers Film basiert lose auf Pierre Drieu la Rochelles Roman Le feu follet von 1931. Der wiederum ist angelehnt an das Leben des surrealistischen Dichters Jacques Rigaut, der sich 1929 das Leben nahm. Louis Malle hat den Roman bereits 1963 verfilmt, wobei er die Handlung in die damalige Gegenwart versetzte. Die Verschiebungen und Transformationen von der historischen Figur in den Zwanzigern zur Romanfigur in den Dreißigern zur Filmfigur in Paris in den Sechzigern zu der in Oslo in den 2010ern zu untersuchen, erscheint mir, ohne Kenntnisse des Romans und über Rigaut nicht mehr wissend, als Wikipedia verrät, ein recht interessantes Projekt zu sein. (Was nicht bedeuten soll, dass ich Zeit und/oder Muße hätte, es anzugehen. Zumindest im Moment nicht.)

Donnerstag, 23. Januar 2014

Filmgeschichte der New Yorker U-Bahn

Ein ganz kurzer Abriss mit Clips 

als Nachtrag zu meinem letzten Post


Ziemlich falsche Erinnerungen hatte ich an die U-Bahn in Death Wish: neuer Zug, 1974 noch ganz ohne Graffiti. Trotzdem ein gutes Bespiel für das, was ich als "U-Bahn-Grauen des zwanzigsten Jahrhunderts" bezeichnet habe. (Vor wem hättet ihr mehr Angst? Vor den Rowdies mit Messern oder doch eher vor dem faschistoiden (Schieß-)Wutbürger?!)


Auch in The Warriors begegnet sich sozial Ungleiches in der Subway, 1979 dann schon mit Graffiti, nicht unbedingt auf freundschaftlicher Basis. Trotzdem eine interessante Perspektivverschiebung zum ersten Clip. Die "Gangster" nicht mehr als "asoziale Elemente", die für den hart arbeitenden Kleinbürger den Weg in den wohlverdienten Feierabend zu einem lebensgefährlichen Unterfangen machen, sondern als Antihelden des Films, die selbst sichtlich müde nur noch nachhause wollen - und dabei in einer erstaunlich einfühlsamen Szene, die mir Lust macht, den Film nach Jahren wiederzusehen, zum "Opfer" sozialer Stigmatisierung werden.


 
Der ganze Film ist übrigens, der Vorspann beweist es, nicht zuletzt eine Hommage an das New Yorker-U-Bahn-Netz (und ein einzigartiges Denkmal für seinen Zustand Ende der Siebziger).


In der wohl berühmtesten - und vielleicht schönsten - Szene von Wild Style wird die U-Bahn zu einem Hauptschauplatz alternativer und kreativer Lebensentwürfe (oder zumindest einer - im besten Sinne des Wortes - naiven Utopie davon).

http://www.youtube.com/watch?feature=player_detailpage&v=SKR-rQtAFNs

Akermans Subway-Impressionen:
























Nur für Hartgesottene (schon allein, weil das Cinemascope-Format auf 4:3 zurechtgestutzt wurde): Das U-Bahn-Grauen des 21. Jahrhunderts in The Midnight Meat Train.

 
 
 
Wem das Lust auf mehr gemacht hat, der kann sich hier einen wesentlich ausführlicheren Überblick verschaffen:
 
 
Und noch ein kurioses Fundstück meiner YouTube-Recherche:
 


Mittwoch, 22. Januar 2014

The Midnight Meat Train (Riyuhei Kitamura, USA 2008)

Der Fotograf Leon (Bradley Cooper) stößt bei seinen nächtlichen Streifzügen durch New York, auf der Suche nach - möglichst reißerischen - Stadt-Impressionen auf ein grausiges Geheimnis. In der U-Bahn verschwinden nachts Menschen. Zunächst bekommt Leon nur einen unheimlichen Metzger (Vinnie Jones) ins Visier seiner Kamera. Als er diesen aber, immer wagemutiger, immer besessener, verfolgt, stößt er schließlich auf eine Verschwörung, deren ganze Ausmaße er nicht mal erahnt.
 Auf den ersten Blick eher ein entgleister und verunglückter U-Bahn-Horrorfilm. Wie der titelgebende Zug durch die Tunnel, rast er durch seine blutrünstigen set pieces und altbekannten Genre-Versatzstücke, mit Hochgeschwindigkeit und, so soll es seine stilistische und atmosphärische Geschlossenheit zumindest vorgaukeln, sehr zielgerichtet. Natürlich kann man bewundern, wie sehr er sehr er seine Stilisierung von der ersten Einstellung an durchhält. Der Prolog zeigt blutiges Treiben in einer U-Bahn, die ganz blaustichige sterile Kälte ist. Dann kommt eine Einstellung einer New Yorker Avenue, verschwommen, in fahlem Licht, im Zeitraffer, wenn Bradley Cooper, nah, ins Bild tritt, wird der Hintergrund scharf, läuft jetzt in Zeitlupe ab. Cooper macht ein Foto von uns, den Zuschauern. Diesen aufs äußerste stilisierten Anti-Naturalismus zieht der Film Hundert Minuten lang unbeirrt durch. Auch die drastischen Splatter-Effekte, eigentlich denkbar billig in ihrer offensichtlichen Computergeneriertheit, fügen sich gut ins Bild. Wenn Blut in riesigen Fontänen aus Körpern spritzt oder Augen aus dem Kopf und auf die Kamera zu fliegen, passt das zur restlichen extremen Künstlichkeit. Im Show Down dann kommen Zug und Film schließlich im endgültigen Exzess und der vollkommenen Entkopplung von jeglicher Lebensrealität an. Fragt sich nur: was außer Exzess - der Form, der Farben, des Blutvergießens und auch des Melodrams - hatten denn die vorherigen Anderthalb Stunden zu bieten? Und: Stand anstelle jeglicher Lebensrealität nicht von Anfang an die ebenso dreiste wie beharrliche klischierte Behauptung davon? 
Das Problem dabei ist nicht, dass The Midnight Meat Train auf die Realität einfach scheißen würde - das wäre bei einem solchen Film nicht unbedingt eine falsche Entscheidung -, sondern dass er sich genau das dann eben doch nicht traut. Sie wird vor allem in den Figuren und ihren Konflikten einfach behauptet, was dann zu nichts weiter als gängigen Klischees führt: der Zynismus der New Yorker-Kunstwelt, der Künstler zwischen Broterwerb und Selbstverwirklichung, der man on a mission, dessen Besessenheit, eine Verschwörung aufzudecken, immer selbstzerstörerische Züge annimmt (inklusive der erwartbaren Reaktionen seiner Freundin, die ihm loyal ist bis in den Tod.)
Interessant ist der Film allerdings unter einem ganz bestimmten Aspekt: Als neuerer Beitrag zur Filmgeschichte der New Yorker U-Bahn.
Dazu ein kurzer Exkurs: Man kennt die Bilder der New Yorker Subway aus Filmen der späten Siebziger- und frühen Achtziger Jahre. Dreckige, heruntergekommene Züge, innen und außen von oben bis unten mit Graffiti vollgesprüht. Den rechten Action-Reißern dieser Zeit schienen sie eine ideale Kulisse zu sein, weil sie nicht groß überzeichnet werden mussten, um wie ein Ort auszusehen, an dem mit harter Hand mal so richtig aufgeräumt werden musste. (Wie gefährlich im Bezug auf Kriminalität die U-Bahn damals wirklich war, spielt für diese Filme kaum ein Rolle. Sie sah auf jeden Fall so aus, dass es ein Leichtes war, diese Gefahr zu behaupten.) Ein filmischer Gegendiskurs findet sich in den Dokus und Spielfilmen, die sich Anfang der Achtziger mit der aufkommenden Hiphop-Kultur auseinandersetzten. In Style Wars und Wild Style ist die U-Bahn nicht mehr ein Ort, der einfach nur urbanen Verfall illustriert, sondern einer, an dem auch Neues entsteht, soziale Hierarchien unterwandert werden können. Die Kids aus den Armenvierteln gehen, indem sie ihre Kreativität mit der Sprühdose am Zug ausleben, all City. Die Subway wird zu einem zentralen Ort subkultureller Bewegungen.
Zwischen diesen Polen finden sich Filme wie The Taking of Pelham One Two Three (1974), hier wird die U-Bahn zwar auch zum Schauplatz eines Verbrechens, alles in allem ist sie aber doch ein Ort, an dem die kulturellen und sozialen Gegensätze der Stadt vermehrt aufeinandertreffen, ein Herzstück des melting pots, der dann eben nicht so per se böse ist wie bei Winner, Bronson und Co. Walter Hills The Warriors (1978), in dem eine New Yorker Gang vor allen anderen New Yorker Gangs mit der U-Bahn quer durch die Stadt fliehen muss, von der Bronx nach Coney Island, bedient sicherlich vordergründig allerlei kleinbürgerliche großstädtische Ängste. Andererseits ist der Film vom New Yorker U-Bahn-System mindestens ebenso fasziniert wie von der gang culture. Eine - wenn auch grundverschiedene - Faszination von urbanem Zerfall und Anonymität sieht man in Chantal Akermans New York-Meditation News from Home, die ebenfalls zu nicht geringem Teil in der Subway spielt  (und dass er den längst wegsanierten Verfall New Yorks anno 1977 präserviert, Bilder längst untergegangener urbaner Welten zeigt, macht heute sicherlich einen großen Teil der Faszination dieses Films aus).
Zurück ins Jahr 2008 und zu Kitamura. Wenn der Film sich für irgendeine reale Entwicklung interessiert, dann ist es wohl die, dass die New Yorker U-Bahn von heute kaum mit der von vor dreißig Jahren vergleichbar ist. In einer Szene wird auf die Sicherheit hingewiesen, der Blick durch einen Wagen mit den Worten kommentiert: "Look, no graffiti. Air conditioning works. You can understand the conductor. It's a new century." Wenn die U-Bahn in diesem Film auch im 21. Jahrhundert zu einem Ort des Grauens wird, dann unterscheidet sich dieses grundlegend von dem des 20. Jahrhunderts. Hier treiben nicht mehr - zumindest nicht in erster Linie - marodierende Gangs ihr Unwesen, sondern eine straff bis in die Behörden durchorganisierte, nun ja, Untergrundsekte. Waffen sind nicht mehr Baseballschläger und Springmesser, sondern glänzende Metzgerwerkezeuge und Dienstpistolen. Es herrscht gerade kein Chaos, sondern ein systematisches industrialisiertes (Menschen-)Schlachten. Das Grauen ist steril, organisiert, digitalisiert. (Merklich dem Computer enstammt nicht nur das Blut, sondern auch die sich wiederholenden Bilder von den rasenden Zügen. Überhaupt, welch ein Unterschied zwischen den verrosteten, klappernden, pfeifenden U-Bahnen von früher und denen, die hier wie Hochgeschwindigkeitszüge durch die Tunnel sausen.) Dieses neue Grauen jedoch ist überaus brüchig. Es bedarf kaum mehr als des Flackern der Wagenbeleuchtung und schon scheint es für Momente zurückzuschlagen ins alte U-Bahn-Grauen des Zwanzigsten Jahrhunderts. In einer Szene werden diese beiden Register geschickt gegeneinander ausgespielt. Leon verfolgt ein paar finstere Gestalten in einen U-Bahnhof, wo diese eine Frau überfallen. Eine Szene, wie es in den Großstadt-Thrillern der Siebziger und Achtziger Dutzende gab. Hier wird sie jedoch vollkommen anders aufgelöst. Leon macht sich für die Männer bemerkbar. Als einer von ihnen auf ihn zukommt, fotografiert er unbeeindruckt weiter. Gerade als der Mann auf ihn losgehen will, zeigt Leon eine Überwachungskamera, die genau neben ihm hängt. Die drei Männer verdrücken sich. Letztlich gewinnt hier aber nicht die absolute Überwachung über das Verbrechen, sondern das alte Verbrechen wird nur durch ein neues institutionalisiertes und ungleich schrecklicheres abgelöst. Eigentlich überflüssig zu erwähnen, dass diese U-Bahn, dieser futuristische Schlachthof mit dem Charme eines aufgemotzten Krankenhausflurs, kein Ort der Begegnung mehr ist. Geschweige denn einer, an dem irgendwelche subversiven Bewegungen möglich wären.
Je länger ich über diese Lesart nachdenke, umso mehr mag ich den Film dann irgendwie doch.

Dienstag, 21. Januar 2014

Paradies - eine imperialistische Tragikomödie (Zelimir Zilnik, BRD 1976)

Gestern im Arsenal gesehen: Drei Filme von Zelimir Zilnik. Zwei recht kurze und ein etwas längerer. Der erste, Ich weiss nicht was soll es bedeuten (1975), arbeitet sich mit eher experimentellen Mitteln an der Verkitschung von Heinrich Heines Lorelei ab.
Der zweite dann ist reine Agit-Doc. Es geht um die bedingungslose Härte von Polizeieinsätzen gegen Bankräuber in der Zeit des RAF-Terrorismus, die der Film als Öffentliche Hinrichtung(en) (1974) anklagt. Dokumentarische Bilder von einer solchen Aktion werden gezeigt, bei der ein Bankräuber erschossen wird, ohne dass selbst Rücksicht auf die Unversehrtheit der Geiseln genommen werden würde. Durchaus eindrucksvoll ist der Beginn: Ansichten von Hamburger Straßen, die dominiert werden von den Namensschriftzügen und Gittern von Banken. Auf dem ausgeblichenem schwarzweißen Film-Material, teilweise grobkörnig bis zur Beinahe-Unkenntlichkeit, ergibt das ein Bild einer kalten und - sicherlich nicht wegen des Terrorismus - bedrohlichen Welt.
Der längste der drei Filme dann, Paradies - eine imperialistische Tragikomödie (1976), scheint, das ist ein durchaus gelungener kuratorischer Clou, die ersten beiden zusammen zu führen. Wieder geht es um die BRD zur Zeit des Terrorismus, aber diesmal in einem experimentellen, immer wieder ins atemberaubend Groteske überzeichneten Spielfilm. Angelehnt an die Entführung des Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz wird erzählt von einer bankrotten Großindustriellen, die, um sich am eigenen Lösegeld zu bereichern, Anarchisten beauftragt, sie zu entführen. Ursprünglich sollten Rainer Werner Fassbinder und Hannah Schygulla die Hauptrollen übernehmen. Jedenfalls zeichnet Zilnik die BRD-Gesellschaft der Siebziger Jahre als ganz und gar verroht, jeder Empathie unfähig. Und dass die radikalisierte Linke da längst keinen Unterscheid mehr macht, schließt Paradies mit den Fassbinder-Filmen Mutter Küsters Fahrt zum Himmel und - vor allem - Die dritte Generation kurz. Was der Film politisch zu sagen hat, bleibt, trotz des Verzichts auf allzu einfache Gut-Böse-, Täter-Opfer-Zuweisungen, eher plump. (Wobei das Dreschen von Imperialismus-, Ausbeutungs-, Dritte Welt- und Gastarbeiter-Phrasen in seiner stereotypen, formelhaften Leere auch schon wieder System haben mag.)
Beeindruckend sind aber die verstörenden Bilder, die der Film für seine Geschichte findet. Da sind die Zahnarzt-Szenen bei denen in Großaufnahme in verfaulten, verformten Zähnen herumgestochert wird. (Wie sollte ich da nicht an Yuznas kürzlich wiedergesehene Dentist-Filme denken. Überhaupt: nach dem Schlachthaus in In einem Jahr mit 13 Monden, das zweite mal diesen Monat, dass ich im Arsenal den Blick abwenden musste. Ich wusste gar nicht, dass der Neue Deutsche Film so splattrig sein konnte.)
Da ist - vor allem - die komplett in extremen Close-Ups gefilmte Szene, in der eine Zunge Honig von einem Körper leckt, ein Mund Weintrauben aufnimmt, um sie wieder auszuspucken. Dann nacheinander alle Zehen eines Fußes ableckt, an ihnen saugt.
Paradies findet eine Form, das ist seine große Leistung, die unmenschlichen Verhältnisse, die er beschreibt, komplett inkommensurabel zu halten.

Montag, 20. Januar 2014

Das rote Zimmer (Rudolf Thome, Deutschland 2010)

Ein Mann zündet Kerzen an, die auf einem reich gedeckten Tisch stehen. Letzte Vorbereitungen für ein romantisches dinner for two. Es klingelt an der Tür, draußen steht eine Frau, allerdings nicht die Frau, die er erwartete. "Wer bist du denn? Ich sagte doch, Jaqueline soll kommen." Die falsche Prostituierte betritt das Phantasiegebäude des Mannes, der offensichtlich mit seinem Geld wesentlich mehr kaufen wollte als Sex, als einen Körper, wie der Elefant den Porzellanladen. Sie mustert den Tisch. "Was ist das denn? Ich dachte, du wolltest ficken. Oder gehört das bei dir zum Vorspiel dazu?" "Ich wollte mit Jaqueline meinen Geburtstag feiern." Eilig stopft sie die sorgfältig auf ihrem Teller zu recht gelegten 100 Euro-Scheine in ihr Portemonnaie. Den Mantel, unter dem sie nichts anhat, auszuziehen kostet noch mal 100. "Weißt du, das Leben ist teuer. Und die Liebe auch."
Dass es in der grandiosen Eröffnungsszene von Das rote Zimmer um eine Enttäuschung geht (und ich finde, sie illustriert sehr schön, wie die eigentliche und die übertragene Bedeutung dieses Wortes zusammenhängen) ist klar. Die Themen jedoch, die hier anklingen (also in etwa "käufliche" vs. "echte Liebe", die Kapital-Flüsse, die unter einer bestimmten Begehrensstruktur liegen und hier schonungslos, auch mit einem gehörigen Maß Sadismus, freigelegt werden) sind schwerlich Thome-Themen. Für den folgenden Film spielt denn auch ein anderer Aspekt dieser Szene eine Rolle: Die Austauschbarkeit der Menschen, die bei Thome nichts negatives hat, den Menschen nicht "entwertet", sondern eher logische Folge aus seiner Vergänglichkeit ist.
Der Mann heißt Fred (Peter Knaack) und ist "Kuss-Forscher" an der Technischen Universität Berlin. In seinem Labor sieht er jungen Paaren beim Küssen zu und wertet anschließend ihr Blut und ihren Speichel aus. Fred ist über die Trennung von seiner Frau nie hinweggekommen. Die Scheidung steht an.
Gleich zu Beginn montiert der Film parallel zur Geschichte Freds einen zweiten Handlungsstrang um zwei Frauen, Lucie (Katharina Lorenz) und Sibil (Seyneb Saleh). Sie wollen ein Buch schreiben über die Seele der Männer. Dazu suchen sie in den Bibliotheken und Buchhandlungen Berlins ("Wer einsam ist, liest Bücher.") Männer, die als Untersuchungsobjekte herhalten sollen. So lernt Lucie Fred kennen, den sie in das Haus in Mecklenburg-Vorpommern einladen, in dem sie ihre "Studien" durchführen. Sehr lose, nach und nach, fächert der Film die Geschichten seiner drei Hauptfiguren auf, lässt sich auch eine knappe halbe Stunde Zeit, um sie schließlich zusammen zu führen.
Im Mittelpunkt dieses, wie vieler anderer Filme des Regisseurs steht eine Reise-Bewegung. Das Berliner Milieu zu Beginn ist - zumindest stadt-geographisch - sehr genau gezeichnet. Wenn sich der in Kreuzberg lebende Fred scheiden lässt, geschieht das im Familiengericht Kreuzberg. Wenn Sibil in die Staatsbibliothek geht, ist die Berliner Staatsbibliothek die Berliner Staatsbibliothek (und der Weg dorthin ist der Weg dorthin). Ein TU-Mitarbeiter hat auch eine TU-Visitenkarte, usw. Das Haus auf dem Land, in das die Reise führt, scheint dann aber vor allem in Thome-Country zu liegen. Hier finden sich unzählige und immer konkretere Bezüge zum bisherigen Schaffen des Regisseurs. Schon gleich zu Beginn, in den ersten hier angesiedelten Szenen sieht man: Zwei Frauen im Bett, am Frühstückstisch, am See und weiß: Ein Thome-Film. Eine Frauen-WG mit rotem Zimmer (bzw., ich hab gerade nochmal nachgesehen, rotem Flur und einigem roten Mobiliar) gab es bereits in Thomes zweitem - und wohl bekanntestem - Film Rote (!) Sonne. Und auch in dieser wurde mit Männern ein (freilich ungleich blutigeres) Spiel arrangiert. Spaghetti mit Butter und Käse, die in Das rote Zimmer einmal gegessen werden, spielten schon in Das Geheimnis eine Rolle (übrigens gab es auch Pläne, dass sie dem Film seinen Titel geben sollten). Und um explizit polygame Beziehungsgeflechte ging es - unter anderem - auch in Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan und Der Philosoph.
Gleichzeitig bildet die Reise aber auch den - vorläufigen - Endpunkt dreier Biographien, die sehr bewusst fragmentarisch gehalten werden. Über die Gründe, warum die Ehe Freds gescheitert ist, erfährt man kaum etwas. Nur kurz angerissen werden auch die Geschichten der beiden Frauen. Die Kurdin Sibil ist von Zuhause abgehauen, weil sie in der Türkei zwangsverheiratet werden sollte. Lucie ist eine geschiedene Schriftstellerin mit Geldsorgen, die auf dem Land an einem Roman arbeiten will.
Thome, der sich selbst gerne als Feministen bezeichnet, nutzt die Gelegenheit, die ihm dieser Plot bietet, um (sexuelle) Machtverhältnisse umzukehren durchaus. Fred, dem ja schon in der ersten Szene eine Kontrolle über die Situation, die er gerne gehabt hätte, radikal entzogen wird, entwickelt sich im Verlauf des Films vom Subjekt zum Objekt der Forschungen - und damit auch des Blicks. Gleich nach seiner Ankunft etwa fordert ihn Lucie auf, im See zu baden, da er keine Badehose hat, eben ohne. Später gibt sie unumwunden zu, dass sie ihn nur nackt sehen wollte.
Wichtiger als dieser Gender-Aspekt scheint mir jedoch der "therapeutische" Wert, den das Geschehen des Films für ihn hat. Von der Fixierung an seine Ex-Frau gelangt er zur Erkenntnis von der Vergänglichkeit menschlicher Beziehungen und Gefühle. In der Dynamik, die sich zwischen den drei Figuren entfaltet, passiert das, was man vorausahnen könnte. Also: zunächst verliebt sich Lucie in Fred, was Sibil eifersüchtig macht - eher auf Fred als auf Lucie. Dann ist Lucie ihrerseits eifersüchtig, weil Sibil zuerst mit Fred geschlafen hat. Fred hingegen verliebt sich immer mehr in beide Frauen. Nichts davon ist unbedeutend, aber auch nichts in Stein gemeißelt, fest gefahren, fixiert. Alles ist vergänglich, wie ein paar sonnige Sommertage auf dem Land. Und genauso schön. Dass dann am Ende eine Art polygamer Ehe-Vertrag aufgesetzt und mit Blut unterschrieben wird, ist im Kontext des Films reine Ironie. Denn gerade um die unbedingte Schönheit des Vergänglichen geht es.

Sonntag, 19. Januar 2014

Hinweis: Jahres-Bestenliste 2013 in der filmgazette

Die Kritiker/innen der filmgazette haben wieder gewählt! Also hier die wirklich absolut allerbesten 25 Filme des vergangenen Jahres. Erstmalig durfte auch ich mit meiner Top Ten einen kleinen Beitrag dazu leisten.

Mittwoch, 15. Januar 2014

One, two, Freddy's coming for you...

... und zwar drüben in den VHS-Akten. Go there or be square!

The Enforcer (James Fargo, USA 1976)

Der dritte Dirty Harry-Film beginnt durchaus vielversprechend. Von Anfang an: ein Film der keine Gefangenen macht. Aufreißende Körper und platzende Flaschen, Blut und Bier spritzen durch die Gegend, vermengen sich. Ein Männerarsch in Levi's, am Gürtel das Messer mit Schlagring.    Durchaus geschickt kadriert und montiert. Schön ist etwa, wie wir den Killer zunächst bedrohlich im Bildhintergrund sehen, dann wird in statischen Einstellungen immer näher auf ihn ran geschnitten bis in die "Italienische", die nur seine Augenpartie zeigt. Überhaupt: eindeutig amerikanisch (auch und vor allem in einer spezifischen abstrusen Idee - gewalttätiger - Männlichkeit), aber auch mit einem gewissen Italo-Touch. Ins deutlich Campige überzeichnetes Testosteron-Kino. Edel-Trash.
Es wäre falsch zu sagen, dass der folgende Film nicht einhält, was seine pre title sequence verspricht. Sex, Gewalt und ein ebenso reaktionärer wie alberner Gender-Diksurs, all das, worum es im weiteren gehen wird, findet sich schon hier - und auch schon hier ist nicht so ganz klar, wie ernst man es nun nehmen soll. Wie der Film das macht jedoch, ist grundfalsch.
In einem - erstaunlich gelungenen - Blu-ray-featurette zu den politischen Implikationen des Dirty Harry-Franchise sagte einer der Interviewten, dass Harry Callahan es in seinen Filmen abwechselnd mit "rechten" und "linken" Gegenspielern zu tun bekomme. Nach dem hippie'esken Serien-Killer im ersten Teil, mit einer faschistoiden Vereinigung killender Cops im zweiten. Gerade das machte den Vorgänger zu The Enforcer, Magnum Force (1973), den ich vor einigen Monaten wiedersah, zu einem faszinierenden Film. Er entlarvte den Diskurs des Selbsjustiz-Thrillers auf bezeichnende Weise - ob er das absichtlich tut oder nicht, spielt dabei gar keine so große Rolle. Dass der Polizist, der nach eigenem Gutdünken Menschen tötet, sich unterscheidet von seinen Antagonisten, Polizisten, die nach eigenem Gutdünken Menschen töten, bleibt hier eine vollmundige Behauptung der Hauptfigur. Großartig war auch, wie der Film seine Schurken in Uniform inszeniert, eine anoyme gesichtslose Bedrohung. Großaufnahmen von Sonnenbrillen, Motorradhelmen, Lederstiefeln. Das immer schon - mehr oder weniger latent - Fetisch-Hafte des Genre-Films wurde nicht nur konsequent an die Oberfläche gekehrt, sondern auch mit einer ziemlich dezidiert faschistischen Ästhetik kurz geschlossen.
Hier also sind die Gegner nun wieder "links", Karikaturen von Terroristen, die sich "The Revolutionary Strike Force" nennen, denen es aber ausschließlich ums Geld geht. Der Diskurs des Films zum Umgang mit ihnen ist einfach: Wir verhandeln nicht mit Terroristen, wir knallen sie ab, sonst denken sie nämlich, sie könnten machen, was sie wollen. (Georg Seeßlen führt Dirty Harry gerne an als Beispiel eines Filmes, der keinewegs so rechts ist, wie sein Protagonist. Das mag für den ersten Teil stimmen und - auf ganz andere Weise - auch für den zweiten. In The Enforcer kann ich hingegen nicht erkennen, dass sich das Weltbild des Films von dem seiner Hauptfigur unterscheiden würde.) 
Wesentlich interessanter erscheint mir der Geschlechter-Diskurs. Um bei den nächsten Wahlen gut dazustehen, setzt sich der amtierende Bürgermeister von San Francisco für mehr Frauen bei der Polizei ein. So kommt auch Harry, der, muss man's erwähnen, von der Idee gar nichts hält, zu seiner ersten Partnerin. Die, gespielt von Tyne Daly, tut erst mal eine halbe Stunde lang alles, um zu beweisen, dass sie für die Aufgabe denkbar ungeeignet ist. Schließlich bekommt sie aber einmal doch für ihre Ermittlungen ein Lob vom Partner, rettet ihm sogar per Schusswaffe den Arsch, nur um dann ins Maschinengewehrfeuer zu rennen. Was uns das sagen soll? Wahrscheinlich, dass die wahren Feinde der Frauen, gewissenlose Linkspopulisten sind, die sie, nach Wählerinnenstimmen heischend, in Berufe stecken, für die sie nicht geeignet sind.
Übrigens sieht man The Enforcer auch durchaus an, dass er im "goldenen Zeitalter" des amerikanischen Pornos entstanden ist. Es gibt Prostituierte, Gummipuppen und bei einer - durchaus ansehnlichen - Verfolgungsjagd über die Dächer von San Francisco purzeln zuerst der Flüchtige, dann Callahan ins Set eines Porno-Dreh.
Das Schlimmste an dem Film ist gar nicht mal, dass er nur noch tumbes Fascho-Kino ist, dem die ideologische Zerrissenheit der Vorgänger gründlich abgeht, sondern dass er sich mit plumper Ironie aus dem Schneider zu ziehen versucht. Ein Film also, der den reaktionären Unfug, den er verzapft, nicht nur in keinster Weise relativiert, sondern dem in letzter Instanz sogar der Mut fehlt, zu ihm zu stehen.