Dienstag, 1. Oktober 2013

Movie of the Week 2: Ascenseur pour l'échafaud (Fahrstuhl zum Schafott) (Louis Malle, Frankreich 1958)


Am Anfang nur Jeanne Moreaus Augenpartie. Der Schatten, der über ihrem restlichen Gesicht liegt, löst sich auf wie ein gelüfteter Schleier. Ihre Stimme, ein eindringliches verzweifeltes Flüstern, spricht in ein Telefon - das wir erst sehen, als sich die Kamera langsam von ihr entfernt -, wiederholt immer wieder: "Je t'aime." Am anderen Ende der Leitung ihr Liebhaber, Maurice Ronet, der ihre Liebesbekundungen erwidert. Die Kamera entfernt sich auch von ihm langsam. Von der Intimität der Gesichter der beiden Liebenden, die sich verabreden, aber sich den ganzen Film nicht treffen werden, zu einem räumlichen Kontext, der zeigt, wie sehr sie eingeschlossen, nicht nur von der sie umgebenden Welt, sondern auch von einander isoliert, sind. Sie in einer Telefonzelle. Er hinter den Fenstern eines Bürohauses. Sie planen den Ausbruch. Ihren Mann, seinen   Chef, will er ermorden, den Waffenhändler, der an seinem Schreibtisch, mittig im Bild, über Paris thront, das durch das Panoramafenster hinter ihm zu sehen ist. Das - scheinbar - perfekte Verbrechen führt Ronet zunächst so kaltblütig aus, wie es geplant war. Dann jedoch macht er einen kleinen Fehler, bleibt ein Fahrstuhl stecken, wird ein Auto gestohlen.
Im selben Jahr, in dem Orson Welles mit Touch of Evil einen Schlussstrich unter die klassische Epoche des Film noir setzte, bediente sich Louis Malle in seinem Debütfilm ziemlich freigiebig bei dessen Motiven und  Ästhetik, überhöht sie und kehrt sie zugleich um. Eine kaltblütige femme fatale ist Moreau gerade nicht. In den schönsten Szenen dieses an schönen Szenen gewiss nicht armen Films, geht sie einsam, verloren, schlafwandlerisch fast zu Miles Davis' berühmtem Free-Jazz-Score durch nächtliche Pariser Straßen, die hinter ihr zu einem unscharfen Einerlei der Lichter von Leuchtreklamen und Straßenlaternen, Schaufensterscheiben und Spiegelungen darin verschwimmen. Keine Kreatur der Nacht, sondern eine, die in der kalten, niemals schlafenden Großstadtwelt verzweifelt nach Geborgenheit sucht. (Stilisiert übrigens schon das Paris des Films, das Malle moderner aussehen liess, als es 1958 war)


Die Instanz hinter den Verstrickungen, aus denen es für die Liebenden kein Entkommen gibt, ist keine göttliche. Es sind andere, nicht mal ihnen irgendwie sozial "überlegene" Figuren, die sie in die Katastrophe führen. Das jüngere Paar, dessen - ebenfalls vergeblicher - Ausbruchversuch, den ihren spiegelt. Der Mann, der den Fahstuhl wartet und damit die Hebel in der Hand hält, der das - zum seidenen Faden degradierte - Seil lenkt, an dem Ronets Leben hängt. Selbst der steckengebliebene Fahrstuhl ist hier eher ein Bild für die Gefangenschaft in einer technisierten Welt, als dass es auf ein irgendwie übernatürlich gelenktes Schicksal verweisen würde. 


Der Film über das Sehen, den die erste Einstellung ankündigt, ist Fahrtstuhl zum Schafott dann auch. Die falschen Fährten, denen Moreau und die Polizei folgen, ergeben sich aus sehr bezeichnenden Verwechslungen, bei denen sie auf die Anwesenheit eines Mannes schließen, wo sie doch nur sein Auto gesehen, seinen Mantel und seinen Revolver gefunden haben. Vom gescheiterten Ausbruch aus einer sozialen Ordnung, in der der Mensch, indem er über seinen Besitz definiert wird, selbst zum Objekt, zum Besitztum verkommt, handelt der Film. Von späteren Meta-Reflexionen über das Kino, das "nicht wissen, was man gesehen hat" (Argento), das "nicht gesehen haben, was man gesehen zu haben glaubt" (De Palma), unterscheidet sich Malles Film nicht nur dadurch, dass der Zuschauer von Anfang an im Bilde darüber ist, wer wen ermordet hat, sondern vor allem dadurch, dass er an die Wahrheit der Bilder glaubt. Diese Wahrheit manifestiert sich am Ende im Fotolabor. Das Bild, das zunächst sichtbar macht, was die Vergangenheit war und dann wieder verschwimmt - die Zukunft, die nicht sein wird. Dann ist da nur noch Miles Davis' traurige Trompete.  



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