Montag, 7. Oktober 2013

Movie of the Week 3: Das Mikroskop (Rudolf Thome, BRD 1987)





Die schönste Szene in diesem rundum wunderschönen Film: Adriana Altares und Vladimir Weigl mit Gipsarm haben recht umständlichen, aber dadurch nur umso vergnüglicheren Versöhnungssex, gerahmt von Blicken durchs Mikroskop. Wo sich vorher Pantoffeltierchen auf behäbige Einzeller-Art "küssen", flitzen hinterher die Spermien durchs Bild.


Lukas Foerster schreibt, dass Thome mit diesem Film endgültig zu seinem ganz eigenen Stil fand: "Was heute ein Thome-Film ist, bildet sich in den ersten zwei Jahrzehnten der Karriere langsam heraus, ist aber spätestens 1986 ganz und gar da. Seit Das Mikroskop spielen die Filme in ihrem eigenen Universum. Es gibt ein Thome-Stammensemble (das allerdings erstaunlich anschlussfähig ist, siehe die Hannelore-Elsner-Serie Mitte der 00er-Jahre), es gibt Thome-Figuren, -Motive, -Orte, -Situationen, -Milieus. Sieht man von Modischem ab, von Kleidern, Frisuren, Autos, Kommunikationstechnik, könnte Das Mikroskop auch 2010 gedreht worden sein und Das rote Zimmer 1986."
Sehr bezeichnend erscheint mir in diesem Zusammmenhang der Titel des Films. Weigl, der männliche Protagonist, beschäftigt sich, nach seiner (vorübergehenden) Trennung von Altares zu Beginn, mit dem Leben in immer kleineren Formen. Vom Mikrokosmos der Aquarien, mit denen er seine Wohnung vollstellt, bis zu seinen kleinsten, nur noch durch das Mikroskop sichtbaren Formen. Zum Mikroskop wird bei Thome auch die Kamera, und es sind die Details, die durch dieses sichtbar werden, die seine Filme so faszinierend machen.


Nach dem eher enttäuschenden System ohne Schatten (1983) und einer mehrmonatigen Pause in meiner Erschließung vom Werk des Regisseurs, fühlte ich mich in Das Mikroskop, meinem nunmehr fünfzehnten Thome, auf Anhieb "zu hause". Einerseits, weil mich so vieles in diesem Film, eben en detail, an meine Westberliner Kindheit in den Achtzigern erinnerte. Die "beckers beste"-Saftflaschen auf dem Frühstückstisch. Die Werbung für ein Möbelgeschäft mit dem schlichten Namen "Regale" in einem U-Bahn-Waggon (Gibt's den Laden eigentlich noch? Gab's ihn je? Da mein einziger Berührungspunkt mit ihm eben jene Werbeaushänge waren, erschienen mir diese immer ein Stück weit wie ein nur auf sich selbst verweisendes Zeichen, sagen wir, in der Art der Grindhouse-Trailer). Das japanische Feuerwerk auf dem Flughafen Tempelhof, das ich, gebürtiger Tempelhofer, damals mit meinen Eltern vom Dach unseres Hauses aus bestaunte, und über das hier in einer Szene im Fernsehen berichtet wird. Andererseits legt sich über das so vermittelte Gefühl von Authentizität, das spezifisch Thome'sche als sehr eigene Art, "Realität" zu sehen und zu zeigen. So entstehen, wie Foerster den bereits zitierten Text überschreibt, Filme "knapp neben dem Leben".



Das in sich Abgeschlossene des Thome-Universums entsteht, nur scheinbar paradox, gerade durch die Offenheit seiner, manchmal beinahe banal anmutenden Alltagsgeschichten für allerlei - teilweise generische - Zuspitzungen. Das Mikroskop kippt immer wieder ins Komische, vor allem dann, wenn es um Sexualität - und Fortpflanzung - geht. Neben der eingangs erwähnten Szene, mochte ich besonders den Kauf von Multicolor-Buntbarschen, die, wie der Tier-Fachverkäufer informiert, polygame Maulbrüter sind. Ins Tragische, das durch eine finale Volte ins Spiel kommt, und dem sich der Film dann aber nicht hingibt. Schließlich - aber sicherlich nicht zuletzt - ins Märchehafte, das Thome in Interviews im Kontext seiner Filme gerne als offene Provokation für den Zuschauer beschreibt. Letzteres hier in der Figur der, von Malgorzata Gebel wunderbar mysteriös gespielten Frau, die Weigl auf der Straße anspricht und fortan zu einem Beziehungsdreieck führt, das sehr konsequent entgegen jeglicher Genre-Vorgaben aufgelöst wird. In der ersten Einstellung, in der sie zu sehen ist, sitzt sie auf einer Bank, in deren rote Farbe das Wort "Fuck" geritzt wurde und liest Aladin und die Wunderlampe. Die Kamera und die Xylophon-Klänge auf der Tonspur stilisieren den Berliner Park zum Märchenwald.

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