Montag, 21. Oktober 2013

Stein der Geduld (Atiq Rahimi, F, D, Afghanistan 2012)


Die Frau (Golshifteh Farahani) pflegt ihren Mann (Hamid Djavan), der mit einem Genickschuss im Koma liegt. Die zwei Töchter sind die meiste Zeit im Keller, denn draußen in der Stadt herrscht Krieg. Beständig spricht die Frau mit dem Mann, der nicht reagieren, aber sie wohl hören kann. Zunächst scheint der Patriarch, auch in derart gelähmter Form, noch Macht über sie zu besitzen. Sie bittet ihn, der doch nicht antworten kann, das Haus verlassen zu dürfen. Nach und nach jedoch, wird sie immer selbstbewusster. Beginnt sich zu öffnen, zu sprechen über die Enttäuschungen und Entbehrungen ihres Ehelebens, über Selbstbefriedigung und sexuelle Fantasien. Entfaltet vor ihm die Geschichte ihrer Unterdrückung, die sich von der Herkunftsfamilie nahtlos in ihrer Ehe fortsetzte.
Regisseur Atiq Rahimi, der hier seinen eigenen Roman verfilmt, habe mit seinem Film, so das Presseheft, "den afghanischen Frauen eine Stimme [ge]geben." Das klingt zunächst einmal nach der Art von guten Absichten, die eher ungeeignet sind, um gute Filme aus ihnen zu machen. Das faszinierende an Rahimis Film, an dem es trotzdem noch einiges auszusetzen gibt, ist dann allerdings, wie er immer wieder bestimmte Systeme evoziert, um sie schließlich radikal zu unterwandern und umzuwerten - nicht zuletzt eben das, eines gut gemeinten, auf den westlichen Markt abzielenden Weltkinos.
Zum einen liegt der Geschichte der persische Mythos vom Stein der Geduld zugrunde, der alle Geständnisse und Geheimnisse eines Menschen in sich aufnimmt, bis er so vollgesogen ist, dass er zerspringt. Es bedarf aber, zum andern, wohl auch keines übergroßen interpretatorischen Ehrgeizes, um in dieser Situation, in der die Frau ihre gesamte Biographie durch Versprachlichung aufarbeitet, um sich schließlich von ihrem Leid zu befreien, Parallelen zu einem westlichen therapeutischen setting zu erkennen. Die Vorstellung von der Sprache als heilender Kraft liegt ja auch der talking cure der Psychoanalyse zu Grunde. An Bildern für den Phallus, für seine Aneignung durch die Frau und die Kastration herrscht hier dann auch wahrlich kein Mangel. In einem der Flashbacks, die den Film durchziehen, berichtet die Frau von ihrem Vater und seiner scheinbar einzigen Leidenschaft: Den Wachteln, die er hält, um sie in Kämpfen antreten zu lassen. Zuneigung scheint dieser Mann nur für die kleinen Vögel zu empfinden, während er Frau und Kinder regelmäßig verprügelt, vornehmlich dann, wenn seine Wachteln einen Kampf verloren haben. Mit eindeutig masturbatorischen Gesten ahmt Farhani nach, wie er die Vögel liebkoste. "Als Kind," sagt sie, "dachte ich immer, Männer hätten eine Wachtel zwischen den Beinen." Wenn sie eine dieser Wachteln dann der Katze zum Fraß vorwirft, ist das nicht nur eine überdeutliche Kastrationsmetapher, sondern auch ein erster Akt der Auflehnung gegen die phallische Ordnung. Wie er den persischen Mythos umdeutet, so wird auch die Psychoanalyse umgekehrt. Es geht nicht mehr, wie bei Freud, darum, die verdrängten Triebe in den Griff zu bekommen, die sich in allerlei Krankheitsbildern den Weg zurück an die Oberfläche des Bewusstseins bahnen, sondern im Gegenteil darum, das weibliche Begehren von der - zuerst äußerlichen, aber auch durch Introjektion übernommenen - Repression zu befreien. Wo (patriarchalisches) Über-Ich war, soll (weibliches) Ich werden.
Eine Verbündete findet Farahani in ihrer Tante (Hassina Burgan), die als Prostituierte arbeitet. Die Prostitution wird hier gerade nicht als weiterer Stein in der Mauer der Unterdrückung der Frau, sondern als Instrument zu ihrer Befreiung dargestellt. Im Interview sagt Rahimi, er bewundere Prostituierte für "ihren Mut, ihre Art, die Männer durch ihren Körper zu dominieren. Ihnen gegenüber werden die Männer zu Kindern."
Das trifft auch und besonders auf den jungen Soldaten zu, mit dem Farahani im letzten Drittel des Films eine Affäre eingeht. Gegenüber ihm und einem älteren Soldaten, die ihr Haus kontrollieren, behauptet sie, sie sei Prostituierte, um so einer Vergewaltigung zu entgehen. Während der andere sich tatsächlich angewidert von ihr abwendet, kehrt der jüngere später zu ihr zurück - mit Geld. Als sie ihn zunächst abweist, vergewaltigt er sie. Diese Vergewaltigung ist jedoch gerade eine Fortführung des phallischen Versagens, dass sich durch den Film zieht.
Stereotype Rollenzuweisungen sind dabei nur ein Problem von Stein der Geduld. Außerdem wirkt der Film bisweilen ziemlich überladen. Der Verzicht auf Eigennamen und genaue geographische Verortung des Geschehens soll verdeutlichen, dass sich diese Geschichte überall in der arabischen Welt zutragen könnte. Rahimi bürdet seiner Protagonistin die ganze Last der Unterdrückung der Frau in islamistischen Regimen auf. Die trägt es zunächst mit bemerkenswert durchgehaltener Leidensmiene (umso schöner dann allerdings, wie sich gegen Ende auch ihre Befreiung von ihren Zügen ablesen lässt.) Auch ist der Film in seiner Inszenierung keineswegs so homogen, wie er es in der Poesie seiner State of the Arthouse-Bilder gerne wäre. So gibt es eine sehr gelungene Szene gegen Anfang, in der Farahani, eine gespentische Erscheinung in ihrer Burkha in der gespentischen Umgebung der zerbombten Stadt, mit ihren Töchtern zur Apotheke geht. Unweit von ihnen schlagen Granaten ein. Nur wenige Augenblicke sehen wir, wie die Frau ihre Kinder in Sicherheit zu bringen sucht. Dann kommt der Schnitt und die Apotheke ist erreicht, ganz so, als wäre nichts geschehen. Hier gelingt es, zu zeigen was der Krieg für Menschen in einem Kriegsgebiet bedeutet: ein schrecklicher bedrohlicher Alltag, aber eben doch: Alltag. Wenn später jedoch erneut Kriegshandlungen zu sehen sind, setzt der Film wieder auf höchstmögliche Dramatisierung durch altbekannten Wackelkamerarealismus.
Was den Film, trotz dieser Schwächen, rettet, ist, dass die Handlung nicht, wie es die Bilder zumindest teilweise tun, Zuflucht beim guten Geschmack sucht. In der Unnachgiebigkeit mit der die Frau ihren wehrlosen Mann mit dessen eigenem Verhalten konfrontiert, darin, wie immer wieder gezeigt wird, wie wenig die Männer die Frauen befriedigen können, sie also in dem angegriffen werden, was ihnen am heiligsten ist: in ihrer Männlichkeit, liegt ein recht unverhohlener Sadismus. Damit ist der Film näher an einem feministischen revenge movie als an allen politisch korrekten Gutgemeintheiten.     

Stein der Geduld läuft seit 10. Oktober in den deutschen Kinos.

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