Mittwoch, 23. Oktober 2013

The Quick and the Dead (Sam Raimi, USA 1995)

Die naheliegendste Art von der Regie-Karriere Sam Raimis zu erzählen, ist als Geschichte zweier Trilogien. Raimi war gerade zwanzig als er 1981 mit einigen Freunden und einem mühselig zusammengestotterten Mini-Budget von etwa 400.000 Dollar in einer Waldhütte den Film drehte, der sich zu einem Riesenerfolg und einem der Kultfilme unter Splatter-Aficionados bis heute entwickeln sollte: The Evil Dead. Gut zwei Jahrzehnte später, 2002, kam Raimi mit Spider-Man endgültig in der Sphäre hundertmillionenschwerer Blockbuster an, wurde zu einem global player der Filmindustrie. Den beiden Filmen folgten jeweils zwei Fortsetzungen.
In dieser Erzählung werden Raimis andere Filme, vor allem die aus den Neunzigern, also zwischen Army of Darkness (1992), dem Abschluß der Evil Dead-Trilogie, und Spider-Man, in denen er sich mit mittelgroßen Budgets an verschiedenen Genres versuchte, zu bloßen Zwischenstationen auf dem Weg von den backwoods von Tennesse in die Multiplexe dieser Erde. Kaum mehr als Fußnoten in der Filmgeschichte. Schade daran ist, dass sich eben in dieser Phase seines Schaffens einige seiner interessantesten und schillerndsten Filme finden. Etwa der Neo-Noir-Thriller A Simple Plan, ein düsteres morality play über die Katastrophe, die vier Millionen gefundene Dollars im Leben einiger Menschen anrichten, oder eben sein (Spät-?, Post-?, Neo-?)Western The Quick and The Dead von 95.
Ellen (Sharon Stone) kehrt zurück in eine Kleinstadt, die der Revolverheld John Herod (Gene Hackman) mit eiserner Hand regiert. ("He gets fifty cents of every dollar in this town." "What's the town get?" "It get's to live.") Herod veranstaltet einen Wettkampf, bei dem jeweils zwei Männer im Duell gegeneinander antreten. Wer zuletzt noch steht, hat gewonnen und kommt in die nächste Runde. In dieser quick drawing competition vertreten die Beteiligten sehr verschiedene Interessen, trachten danach, persönliche Rechnungen zu begleichen. Herods Sohn Fee, genannt Kid (ein blutjunger, herrlich arroganter Leonardo DiCaprio) will endlich die Anerkennung seines Vaters gewinnen. Cort (zähneknirschend: Russell Crowe) will nichts mit ihr zu tun haben, als einstiger Komplize von Herod hat er der Gewalt abgeschworen und versucht sich als Priester. Die Bevölkerung der Stadt will sich ihres Tyrannen entledigen. Und Ellen will Rache an dem Mann nehmen, der ihre Familie zerstörte.
Filmhistorischer Referenzpunkt ist zunächst der Italo-Western im Allgemeinen und Sergio Leone im Besonderen. Raimi übernimmt viele seiner gängigen Motive. Die - auch intradiegetisch - als Spektakel inszenierte Gewalt. Den Sadismus der - meisten - Figuren. Den grausamen Patriarchen und das Sinnen auf Rache an ihm, das die - hier allerdings weibliche - Hauptfigur antreibt. Auch stilistisch ist dieser Einfluss eindeutig zu erkennen, wenn etwa die Duelle in Nahaufnahmen von Gesichtern und der Rathausuhr, deren Schlag das Zeichen zum Ziehen gibt, aufgelöst werden. Exzessiv wird auf Gesichter gezoomt und immer wieder zeigt die Kadrierung nur leinwandfüllende Augenpartien, eine Art der Einstellung, die seit Leone "Italienische" genannt wird. Viele der Figuren werden zunächst als Schatten eingeführt. Sharon Stone im Gegenlicht, die Sonne, genau über ihrem Kopf, scheint durch das Loch, das eine Kugel in ihrer Hutkrempe hinterlassen hat. Endlos lang fährt die Kamera am Schatten des in der Saloon-Tür stehenden Lance Henriksen entlang, dann an seinem Körper empor. Schließlich Gene Hackman, dessen Gesicht ebenfalls im Schatten liegt, wenn er den Saloon mit zwei von seinen Männern betritt und ein kalter Windhauch mit ihm durch den Raum zu gehen scheint. (Wenn sich die von Henriksen gespielte Figur wenig später als unwichtig, als Betrüger erweist, lässt Raimi den Zuschauer durch ihren spektakulären Auftritt geschickt auf deren Täuschung hereinfallen.) Nicht zuletzt ist da die Angewohnheit, durch die Löcher zu filmen, die Kugeln in Körper oder Köpfe reißen. Dass die Handlung weder zeitlich noch räumlich genauer verortet wird, hat Methode. Referenz ist eben keine historische Realität, sondern die Filmgeschichte. Der Wilde Westen wird bei Raimi endültig zur Kenntlichkeit entstellt als das, was er wohl immer schon war: ein Konglomerat popkultureller Mythen. Eine seit den europäischen - und später auch amerikanischen - Western der Sechziger und Siebziger ins "Dreckige" gewendete Phantasie-Welt voller schlechter Zähne und Tischmanieren, zerschlissener Sträflingskleidung und schmutziger Gesichter, Staub und Gewalt. Ein Comic-Heft.
Wo Raimi aber einerseits das Comic-Hafte, das schon in den Spaghetti-Western nicht übermäßig latent vorhanden war, gründlich an die Oberfläche kehrt, haucht er andererseits, seinen in groben Strichen gezeichneten Comic-Figuren nach und nach Leben ein. Selbst Herod ist nicht nur böse, handelt nicht nur aus Sadismus und Gier wie etwa die Schurken, die Fernando Sancho gerne in B-Italo-Western spielte, sondern wurde, wie alle anderen, durch eine zerrissene Biographie zu dem gemacht, was er ist. Macht der Film zunächst kein großes Aufhebens um seine weibliche Hauptfigur, so muss sie sich im Folgenden immer wieder mit losem Mundwerk, Fäusten und Colt in einer Männerdomäne behaupten, die in ihr kaum mehr sieht als ein passives Sex-Objekt. Wo ihr die Emanzipation gelingt, bleiben der Afro-Amerikaner und der Indianer, die im Wettbewerb antreten jedoch karikatureske Nebenfiguren. So hält auch das Weltbildliche und Allegorische wieder Einzug in Raimis Westen, das schon in den amerikanischen Genre-Vertretern der frühen Sechziger, beispielsweise in John Fords Spätwerk, reichlich ramponiert erschien und durch die Schwemme europäischer Western ab Mitte der Dekade - zunächst - gänzlich getilgt wurde. Das Finale setzt durch einige plot-twists zeitweilig die Dramaturgie des Rachefilms außer Kraft, nur um ihr schließlich mit umso größerer Wucht zu ihrem Recht zu verhelfen. Wo es aber im Italo-Western vorwigend um die Zerstörung alter Mythen ging, darum, mit großer Lust kaputt zu machen, wie seine linken Bewunderer wohl sagen würden, was kaputt gemacht gehört, bietet das fröhliche In-die-Luft-Sprengen der alten Ordnung hier auch die Grundlage zur Errichtung einer neuen.


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