Mittwoch, 30. Oktober 2013

Movie of the Week 6: Der Skorpion (Dominik Graf, D 1997)




"Ich bringe die Kunst zum Volk," sagt Daria, Porno-Darstellerin, über ihren letzten Film: "Der fickende Holländer", (wohl recht frei) nach Motiven von Richard Wagner. So ähnlich macht das auch Dominik Graf. Er bringt, über den Umweg des "Drecks" der Bahnhofskinos - Trash, Exploitation, Sleaze, drogenschwangere Psychedelik -, große Kunst ins deutsche Fernsehen. Gedreht hat er dafür auf 35mm, zu einer Zeit als Video bei Fernsehproduktionen längst Standard war. Rausgekommen ist dabei ein unglaublich frenetischer Film. Ein 100-minütiger Exzess, dem zu viel niemals genug ist. Hier ist kein Plotpoint zu abstrus, keine Wendung zu melodramatisch. Kein Schwenk zu gewagt, keine Kamera-Perspektive zu skurril. In teilweise stark überbelichteten Bildern malt Graf eine kalte Welt der Krankenhausflure und Flughafenhallen. Dazu wummern die Bässe. In eine Eislaufhalle, ganz grau in blau, setzt er dickaufgetragenen orangene Tupfer (die Sitze, Darias Schal, ein Schild an der Wand) wie eine Spur. Nur: wo führt sie hin? (Eine Szene aus der Produktiongeschichte des Films, die ich gerne gesehen hätte: Bei der Abnahme des Films durch die Verantwortlichen beim ZDF soll, nach einigen Momenten betretenen Schweigens, Graf darauf hin gewiesen worden sein, dass da noch einige Licht- und Material-Fehler zu beheben seien.) Der Skorpion löst - im Wagner-Porno, im abgeschmacktesten aller Michelangelo-Zitate als Abschlussbild - nicht nur "Hoch - und Niedrig-Kultur" in einander auf, auch die Gattungsgrenzen scheine außer Kraft gesetzt. Ein Genre-Film, natürlich. Aber: welches Genre eigentlich? Die Geschichte vom Brutalo-Bullen und seiner dysfunktionalen Familie führt Graf nicht einfach im Selbstjustiz-Drama zusammen, er stellt den Selbstjustiz-Thriller auf den Kopf, lässt das Vater-Sohn-Melodram Purzelbäume schlagen und beides schließlich mit Wucht aufeinanderprallen. Vater und Sohn finden schließlich als Komplizen zueinander. Auch die Klischees des Drogen-Films (wir erinnern uns: die Neunziger, Techno, Ecstasy) bedient er mit großer Lust, befreit sie jedoch so sehr von jeder didaktischen Absicht, dass es scheint als hätten wir die Bilder vom Club mit seinen blinkenden Spot-lights, vom berauschten Fick in der Hängematte in verschwommenen Subjektiven noch nie gesehen.
Das dialektische Kunststück, das Graf gelingt, besteht darin, dass er die Figuren und ihre Konflikte in dieser absurd künstlichen Welt ernst nimmt. Dass er gerade mit seiner exaltierten Stilisierung, mit seinem Mittelfinger an ein allzu biederes Realismus-Verständnis, an einen allzu einfachen Moralismus ein Stück deutsche Wahrheit in deutsche Wohnzimmer bringt.      

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