Mittwoch, 30. April 2014

Patriarchat und Gewalt III: The Woman (Lucky McKee, USA 2011)

"Chris Cleek, ein perfekter Vater mit Bilderbuchfamilie, trifft bei einem Jagdausflug auf eine verwahrloste Frau und kann das sich wild sträubende Wesen einfangen. Im Keller legt er sie in schwere Ketten und stellt sie nach dem Dinner seiner Familie vor. Gemeinsam, so Chris Plan, sollen die Cleeks die Frau fortan zu einem nützlichen Mitglied der Gesellschaft erziehen. Mit dieser Entschidung reißt er Frau und Kinder in einen bitteren Strudel des Wahnsinns. an dessen Ende ein Blutbad steht..."
Wer auch immer diese Inhaltsangabe auf dem Rückcover der DVD geschrieben hat, man kann ihm oder ihr eigentlich nur von ganzem Herzen wünschen, dass das


a. purer Sarkasmus ist (wobei mir da ehrlich gesagt ein bisschen die entsprechenden Marker fehlen) oder:
b. er oder sie den Film nicht gesehen hat.

Jedenfalls ist der "perfekte Vater" ein grausamer Tyrann, seine "Bilderbuchfamilie" eine Männerherrschafts-Hölle, die Dantes Inferno wie einen Kindergeburtstag aussehen lässt und möchte man die Cleeks als Kernzelle einer Gesellschaft begreifen, will ich lieber nicht wissen, was man sich unter deren "nützlichen Mitgliedern" vorzustellen hat. Schon bei der Gartenparty zu Beginn sehen wir, dass die Gewalt in dieser Familie nicht sublimiert, sondern nur äußerst notdürftig domestiziert ist. Das Gesetz des Vaters (der übrigens als Anwalt am Gericht arbeitet) ist so stark, dass es - zumindest am Anfang - keine Schläge, ja, nicht einmal wirklich Worte braucht, um die Frauen der Familie an ihren Platz zu verweisen. Seine Frau ist eine Art Dienerin, die er nicht direkt auffordern muss, damit sie ihm ein Bier bringt, nachsieht, ob die Hamburger auf dem Grill schon fertig sind, für ihn Zigaretten dreht. Peg hingegen, die Tochter im High School-Alter, weiß dass sie, wenn sie auch nur daran denkt, ein Privatleben - gar: ein Sexualleben - zu haben, gut daran tut, auf den Kontrollblick des Vaters zu achten, der rauchend auf der Terrasse steht und über den Garten schaut wie ein Imperator über sein Reich. Dann ist da noch der etwa fünfzehnjährige Sohn Brian, der ungerührt weiter an seiner Freiwurfquote feilt, während ein paar Meter weiter seine kleine Schwester von ein paar anderen Kindern gequält wird (für die Männer in dieser Familie scheinen Frauen Wesen zu sein, die keinerlei Empathie verdienen - auch wenn man an dieser Stelle des Films noch nicht erahnen kann, welche Ausmaße das hat). Zumindest sind die biblisch-paradiesischen Konnotationen, die es wecken mag, dass wir diese Familie in einem Garten kennenlernen, schon hier blanker Hohn.
Das Gegenstück zu dieser Suburbia-Zivilisation haben wir im Prolog gesehen. Die Frau als des Wolfes Wolf.
Chris sieht sie in den Wäldern zum ersten Mal durch das Zielfernrohr seines Jagdgewehrs - genau wie der Zuschauer. Sie badet nackt im Fluss, fängt mit dem Messer einen Fisch, in den sie gierig hineinbeißt. Dazu stampfen die Beats, dröhnt die E-Gitarre und singt Sean Spillane:

" I'll see you walking down the street
in your little black shoes
and I'm thinking that I know I got to make you mine."

Die Frau ist eine prototypische Rape & Revenge-"Heldin", zugleich gewaltsam phallischer Vater (das Messer) und kastrierende Mutter (der aufgespießte Fisch). Wie für Chuckie in While She Was Out ist es auch für Chris gerade die gefährliche, die "wilde", die "ungezähmte" Frau, die zu unterwerfen, zu besitzen ("make you mine") eine besonders attraktive Herausforderung darstellt. "You're one tough bitch," sagt der Gangleader dort anerkennend zu Kim Basinger, "and that is hot!" (Übrigens beileibe nicht die einzige Parallele, die sich gerade im Detail zwischen den beiden Filmen finden lässt).
 Einerseits wird die gängige Ordnung von männlichem Blick und weiblichem Bild hier überdeutlich (vielleicht: zu deutlich) aufrecht erhalten. Nimmt man aber andererseits als Blaupause die Backwoods-Filme, in der es die Bewohner (kleinerer oder größerer) Städte in einer abgelegenen Gegend mit "barbarischen" Hinterwädlern zu tun bekommen, bemerkt man, dass die Konnotationen dieser Blickordnung verkehrt wurden: die "Wilde" gerät - wortwörtlich - ins Visier des vermeintlich Zivilisierten, nicht anders herum. Die mehr oder weniger direkten Anspielungen auf Klassiker des Genres in The Woman sind Legion. (Um nur einen zu nennen: der Vorname von Mrs. Cleek lautet Belle. Davon, dass das ihren Mann von vornherein in die Rolle des Biestes versetzt, einmal abgesehen, hießen Beauty und Beast auch die beiden Schäferhunde in Wes Cravens The Hills have Eyes von 1977. Während die Schönheit eines der ersten Opfer des blutrünstigen Kampfes zwischen "Zivilisation" und "Barbarei" ist, wird das domestizierte Biest zu einem wichtigen Verbündeten der Familie - zumindest ersteres wird sich im Finale von The Woman wiederholen.) Letztlich führen diese Anspielungen aber ins Nichts. Weder geht es in dem Film darum - wie in The Hills have Eyes - dass die "Guten" solange gegen die "Bösen" kämpfen bis sie, wenn der Film abrupt in einer Rotblende endet, nicht mehr von einander zu unterscheiden sind. Noch belehrt uns The Woman - wie Straw Dogs - darüber, dass die zivilisatorische Mauer, die den kultivierten Menschen von dem Neandertaler trennt, den er in sich trägt, den Universitätsprofessor von dem Mann, der mit siedendem Öl und Schrottflinte Haus, Hof und Frau gegen eine Gruppe männlicher Angreifer verteidigt, so dünn und zerbrechlich ist wie Brillenglas.
Vielmehr lautet die zentrale Prämisse bei McKee , dass die (kleinbürgerliche) patriarchale Kultur so abgrundtief böse ist, wie es die weibliche Natur niemals sein könnte.
Irgendwie habe ich bei Neo-Exploitation wie The Woman oder While She Was Out immer das Gefühl, dass die Filme für ihre sophistication, ihre Unterfütterung mit allerlei geisteswissenschaftlichen Diskursen (gender, race, Psychoanalyse, Filmgeschichte...) immer einen hohen Preis zahlen. Je "akademischer" diese Rache-Phantasien gerne wären, umso zwiespältiger sind sie letzten Endes.
Dass bei McKee die Dichotomien Mann/Frau, Kultur/Natur, "Zivilisation"/"Barbarei" so absolut verhärtet sind, dass sie sich nur im Blutbad begegnen können, mag ja noch gut ins düster-pessimistische Weltbild des Films passen. Sein Frauenbild hingegen kann einem schon übel aufstoßen. Frauen sind entweder hilf- und wehrlose Opfer oder Sozialpädagoginnen (im Subplot um Pegs Lehrerin, die die einzige ist, die sich genug für das Mädchen interessiert, um zu bemerken, dass sie schwanger ist). Oder eben die rohe, ganz der Natur angehörenden Gewalt der Titel-Frau. Und wer - wie ich - den Frauen dieses Films ihre blutige Rache für Misshandlung und Vergewaltigung so sehr gönnt wie in kaum einem vergleichbaren Film, wird am Ende vor den Kopf gestoßen, wenn er erkennen muss, dass eine solche Gewalt - ist sie einmal buchstäblich entfesselt - nicht lenkbar ist.
Der ungemeinen Wucht, den The Woman als splattriger Rache-Thriller entwickelt tun solche Überlegungen allerdings keinen Abbruch.

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