Dienstag, 19. November 2013

Movie of the week 8: Yankee (Tinto Brass, Italien, Spanien 1966)


"Einer, der Portraits sucht, um Rahmen zu verkaufen." So nennt Concho (Adolfo Celi), der große Schurke, einmal den Mann, den sonst alle nur Yankee nennen (Philippe Leroy). Diese geheimnisvollen Worte führen direkt zur Essenz des Films, in dem es um Portraits geht, um Bilder, um Rahm(ung)en. Ein Film, der das Genre dekonstruiert, indem er seine Bilder überhöht, verzerrt, rahmt und - in ihrer ganzen Bild-Haftigkeit - ausstellt. Eine groteske Galerie des Italo-Western.
Zunächst, im Saloon, eher implizit. An den Objekten und Körperteilen, die in Großaufnahme ins Bild gerückt werden - ein Flintenlauf, Augenpaare, fast das Dekoltee sprengende Frauenbrüste, ein Bündel Geldscheine, Spielkarten - ist der Fetischcharakter längst wichtiger, als ihre - sowieso rudimentäre - narrative oder dramaturgische Funktion. Dazu Ausleuchtung und Farben von exquisiter Künstlichkeit und die Schauspieler, die ihre - denkbar obskuren - Dialoge eher zu rezitieren scheinen, als dass sie sie sprechen würden.


(Auch großartig: der Vorspann. Die Sonne, ein roter Feuerball im Hintergrund, taucht das ganze Bild in Orange, im Vordergrund Ähren, dazwischen Yankee, der, als Schatten auf seinem Pferd, für die Kamera posiert und gar nicht so tut, als würde er etwas anderes machen, als eben das: für die Kamera posieren.)


Später dann, im Sheriffs-Office und der Kirche, in der sich die Banditen um Concho häuslich eingerichtet haben, explizit. Zwei Galerien sind das. Die erste zeigt Steckbriefe ("hässliche Visagen, aber hübsche Summen"). Die zweite eine Vielzahl von Portraits von Concho, mit denen er sich - Norma Desmond-like - umgibt - und die übrigens an Geschmacklosigkeit kaum zu überbieten sind.
Bei dem Kampf, der sich zwischen Yankee und Concho entspinnen wird, scheint es um nichts anderes zu gehen als um Bilder und die Verfügungsgewalt über sie. Yankee besucht die Bleibe seines Widersachers nachts, als dieser nicht zuhause ist. Er lässt nichts als leere Rahmen zurück. Das Badezimmer, in dem er Conchos Frau Rosita (Mirella Martin) in der Wanne antrifft, leuchtet rot gestrichen, mittig im Bild, während es ausserhalb des Rahmens der Tür, durch den gefilmt wurde, nur tiefe Dunkelheit gibt. Rosita übrigens lächelt den Mann nur an, der mit gezogener Pistole vor ihr steht, erwartungsvoll, wissend. Das Frauenbild. Außer ihr entwendet Yankee auch noch die vielen Abbilder ihres Mannes, schneidet sie aus den Rahmen, um sie an den Wänden der Stadt aufzuhängen. Darüber, nicht etwa über die Entführung seiner Frau, ist Concho so erzürnt, dass er die Bilder mitsamt den Wänden, Häusern, Frauen, Männern und Kindern, niederschießen und niederbrennen lässt. Die ganze Stadt in ein Bildnis des Höllenfeuers verwandelt. Brüllend verspricht er, das ganze Land mit Steckbriefen von Yankee pflastern zu lassen. Dann die Schießerei, zehn Minuten lang, in einem verlassenen Dorf, dessen Gemäuer mit ihren sinnlosen Fenstern und Türen zu nichts weiter dienen, als das Bild und die Figuren in ihm, die lebenden zuerst, später dann auch die toten, - manchmal gleich mehrfach - zu rahmen. Yankee gerät, wie es den Protagonisten eines Italo-Westerns im vierten Akt nun mal geschieht, in Gefangenschaft der Banditen. Concho erschießt Rosita. Tot liegt sie auf dem Boden, ihr Gesicht in Großaufnahme von oben, ein pittoresk gestalteter Blutfleck neben ihrem Mund. Yankee wird eingerahmt in einem Ring aus Feuer. Einen Menschen zu töten, bedeutet in diesem Film offenbar ein Bild von ihm zu machen, ihn in ein Gemälde zu verwandeln.
 

Mit politischen Lesarten des Films sollte man vorsichtig sein. Gewiss, überbordend ist die religiöse Symbolik. Einmal wird ein Gelage der Banditen als letztes Abendmahl inszeniert. Die Schurken haben mit "echten" Faschisten nicht nur die - oft willkürliche - Grausamkeit gemein, sondern auch die Bild-Besessenheit. Außerdem geht es ja auch irgendwie noch um Geld und Gold - auch wenn deren Wert hier eindeutig unter dem der Bilder zu stehen scheint -, was auch ein Bindeglied zwischen den vorigen Elementen sein könnte. Wer das alles jedoch zu voreilig beim Wort nimmt, ist im falschen Film oder zumindest auf der falschen Ebene der Repräsentation. Brass kritisiert nicht, er rahmt und stellt aus, zeichnet vielleicht Studien zu einer Kritik - woran auch immer.
Als Genre-Film, als narratives Unterhaltungskino also, funktioniert Yankee nur sehr bedingt. (Deshalb nimmt es kaum Wunder, dass der Produzent den Film - ich nehme an mit einigem Entsetzen und ziemlich radikal - umschneiden liess.) Als wahnwitziges Experiment im karikaturesken Genre-Gewand jedoch, ist er nicht nur großartig, sondern wahrscheinlich auch ziemlich einmalig. (Deshalb ist es umso löblicher, dass die Spaghetti-Western-Aficionados bei Koch Media ihn erstmals in seiner ursprünglich von Brass geplanten Form rekonstruierten und auf DVD veröffentlichten.)


P.S. Tinto Brass, später durch seine Sex-Filme berüchtigt geworden, hat nie wieder einen Western gedreht. Wie zum Teufel hätte der nächste denn auch aussehen sollen?

P.P.S. Schon erstaunlich, wie viel man aus diesem Film kennt - und zwar aus ungleich bekannteren, aber später entstandenen Western. Dass zu Beginn von The Wild Bunch (1969) ebenfalls ein sadistisches Spiel mit Skorpionen und Feuer stattfindet, ist wohl eher Zufall. Dass aber Sergio Leone diesen Film kannte, als er am Ende von Spiel mir das Lied vom Tod (1968) einen Menschen mit Schlinge um den Hals auf den Schultern eines Angehörigen stehen ließ, davon gehe ich jetzt einfach mal aus.


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