Montag, 11. November 2013

Darkman (Sam Raimi, USA 1990)

Darkman habe ich irgendwann in der ersten Hälfte der Neunziger als VHS-Kassette auf dem Flohmarkt erstanden. Wie bei härteren Genre-Filmen auf deutschen Speichermedien jener Zeit üblich: FSK18, indiziert und zu allem Überfluss noch - wenn auch nur leicht - gekürzt. Ich mochte den Film damals sehr, deklarierte ihn, etwas provokant und dem Spott eines bestimmten (Film-)Freundes zum Trotz, auch später noch als Klassiker. Dass der Film dieses Jahr endlich vom Index gestrichen (man fragt sich wirklich, was er jemals dort zu suchen hatte), neu in HD abgetastet und von Koch Media auf DVD und Blu-ray veröffentlicht wurde, fällt glücklich mit meiner Auseinandersetzung mit dem Raimi'schen Gesamtwerk zusammen. Auf die erste Sichtung nach mindestens zehn Jahren, war ich sehr gespannt. Die frohe Botschaft: ich mag den Film heute immer noch - vielleicht mehr denn je.
Der Wissenschaftler Peyton Westlake (Liam Neeson) arbeitet fieberhaft daran, eine künstliche Haut zu erschaffen. Bisher zerfallen deren Zellen nach 99 Minuten wieder. Zufällig bekommt seine Freundin Julie (Frances McDormand) ein Dokument in die Hände, das beweist das ihr Chef in einer Baufirma, Louis Strack Jr. (Colin Friels), bei dem Projekt eines gigantomanischen Hochhausviertels mit dem skrupellosen Gangster Robert Durant (Larry Drake) zusammenarbeitet. Dass sie das Papier im Peytons Büro liegen lässt, wird diesem zum Verhängnis. Denn genau hier suchen Durant und seine Männer es, töten den Labor-Assistenten, verätzen Peytons Gesicht mit Säure und jagen das Labor in die Luft. Peyton wird von der Explosion in den anliegenden Fluß geworfen. Er überlebt und wird mit Verbrennungen am ganzen Körper am Ufer geborgen und in ein Krankenhaus gebracht. Durch einen neuen medizinischen Eingriff wird sein Schmerzempfinden komplett ausgeschaltet. Peyton flieht aus dem Krankenhaus und sinnt darauf, seine zerstörtes Leben wieder herzustellen - und Rache zu nehmen an den Männern, die es zerstörten.
Raimi wollte eigentlich schon 1990, lange vor Spider-Man (2002), einen Comic verfilmen, erhielt aber weder für Batman noch für The Shadow die Rechte. Also schuf er mit Darkman seinen eigenen Super(anti-)helden, basierend auf einer von ihm selbst geschriebenen Kurzgeschichte, die er als Hommage an die alten Universal-Horrorfilme konzipiert hatte. Darkman ist zugleich mad scientist, Frankenstein, und Monster, und in seinen Verbänden sieht er aus wie eine Mumie, die von den Toten aufersteht. Die Art wie die Stadt, namentlich wird sie nicht benannt, gedreht wurde - erkennbar - in L. A., als gotischer düster märchenhafter Ort in Szene gesetzt wurde, erinnert an Tim Burtons, ein Jahr zuvor entstandenen Batman (Showdown in luftiger Höhe inklusive). Mit Hulk hat Darkman die unkontrollierbaren Wutausbrüche gemein. Auch zu Raimis eigenem Werk lassen sich mannigfaltige Bezüge finden: nicht nur chronologisch steht der Film zwischen dem zweiten und dem dritten Teil der Evil Dead-Reihe. In den Action-Szenen, besonders deutlich bei dem Überfall von Durant und seinen Männern auf das Labor, geht das Geprügel in seinen sonderbar abgehackten Bewegungsabläufen fließend in Slapstick über. Das Groteske entsteht nicht zuletzt durch den exzessiven Einsatz der subjektiven Kamera, die seit The Evil Dead eines von Raimis auffalendsten stilistsichen Markenzeichen ist. So wird hier etwa abwechselnd aus der Perspektive einer zuschlagenden Faust und dem Mann, der sie abkriegt gefilmt, und auch Peytons Weg ins Säurebad sehen wir durch seine eigenen Augen. Einer der Tricks von Darkman besteht darin, mittels der von ihm entwickelten künstlichen Haut, die Gestalt seiner Feinde anzunehmen. Wenn er so Durant mit "sich selbst" konfrontiert, erinnert das an die Verdopplung von Ash in Evil Dead II - bzw. seine Vervielfachung in Army of Darkness. In The Quick and the Dead, seinem übernächsten Film, sollte Raimi nicht nur die Rache-Thematik wieder aufgreifen, es gibt auch - mindestens - einen direkten szenischen Verweis. Nachdem er zu Darkman geworden ist, arbeitet Peyton weiter an seiner künstlichen Haut, per Überblende schweben dabei Reagenzgläser und allerlei andere Laborutensilien durchs Bild. In einer sehr ähnlich angelegten Szene wird Raimi fünf Jahre später in seinem Western Sharon Stone den Duellen beiwohnen lassen. Schließlich, und die Liste von Bezügen ließe sich wohl beliebig lange fortsetzen, erinnerte mich vieles in dieser düsteren, in der Gewalt aber auch den sozialen Kontrasten offen- und absichtlich überzeichneten Großstadt-Welt an Paul Verhoeven. Namentlich lassen sich einige Bezüge zu Robocop, auch so ein Comic-Film ohne direkte Comic-Vorlage, entdecken, etwa die Zusammenarbeit von organisiertem Verbrechen und Immobilien-Branche zum Bau der "Stadt der Zukunft".
Das faszinierende und verblüffende an Darkman ist, wie ernst Raimi die grelle, trashige, aus unzähligen popkulturellen Versatzstücken zusammengesetzte, vor comic-haften Ideen übersprühende, durch und durch ir- und surreale Welt dieses Films nimmt. Als Nebenwirkung der Behandlung, die Peyton absolut schmerzunempfindlich macht, treten extrem verstärkte unkontrollierbare Gefühle auf. Einsamkeit, Entfremdung, Wut. Es scheint als würde dieser ständige emotionale Overkill auf den ganzen Film übergreifen. Wie das monströse Antlitz der Hauptfigur sich hinter diversen Masken verbirgt, versteckt sich unter der Comic-Maske des Films ein finsteres im Tonfall grimmigisten Pathos erzähltes Melodram. Die Ärztin, die ihren Kollegen den Eingriff schildert, der an Peyton vorgenommen wurde, erklärt ihn zu einem der namenlosen Obdachlosen, die man täglich an den Ufern des Flußes findet, für die sich, so sagt sie, niemand interessiert, bis sie im Krankenhaus landen. Diese Worte scheinen performativen Charakter zu haben. Wenige Szenen später sehen wir Peyton, in Lumpen gehüllt, unter einem Pappkarton schlafen, im sinntflutartigen Regen, in dem die Stadt zu einem unscharfen Lichtermeer verschwimmt. Von hier erhebt er sich, kämpft sich auf seinem Weg der Rache bis an die Spitze der Skyline.
Eine Szene macht besonders deutlich, wie sich Darkman zum bisherigen Werk Raimis verhält. Die Evil Dead-Filme, der zweite vielleicht noch mehr als der erste, stellen sich dar wie wilde Achterbahnfahrten, kreuz und quer und auf und ab durch die Filmgeschichte. Das Ziel, das, wie es die Achterbahnmetapher besagt, der Weg ist, ist der Ursprung des Mediums als Jahrmarktsattraktion. Genau hier, auf dem Rummel also, kommt Darkman, per Maske zu Peyton zurückverwandelt, mit Julie an - und muss doch schnell wieder weg. Größeres wartet auf ihn, tragischeres. Das Schicksal des Monsterjägers, der längst selbst zum Monster geworden ist, des Gesichtslosen, der danach trachtet, eine alte Identität zurück zu gewinnen, die es nicht mehr gibt, und der erst im Anerkennen seiner Identitätslosigkeit zu sich finden kann. "I'm everyone - and no one. Everywhere - nowhere. Call me... Darkman."
     

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