Samstag, 28. Juni 2014

Escape from East-Berlin (Robert Siodmak, USA, BRD 1962)

Escape from East-Berlin sind eigentlich zwei Filme, nicht neben- oder nacheinander, sondern in- und übereinander. Schon der eine, offenkundigere ist nicht wirklich das, was ich erwartet hatte. Die Geschichte von 28 Menschen, die durch einen Tunnel unter der Mauer von Ost- nach West-Berlin fliehen, 1962 von der MGM in den UFA-Studios in Berlin gedreht, wird nicht so sehr als Flucht-Thriller erzählt, sondern eher als propagandistisches Melodram. In dem "jail of communism", als das sich dieser Film Ost-Berlin imaginiert, hat die "Freie Welt" des Westens keinen anderen Agenten als das Streben nach Freiheit in den eingesperrten Menschen (übrigens scheint dieses Streben in den Frauen durchweg stärker zu sein als in den Männern, und: ob die Frauen nun aber wirklich Freiheit wollen oder doch nur endlich vernünftige Nylons, ist für die Belange des Films eher nebensächlich).
Das ist schon an sich alles verdammt weird und wird durch das "Deutsche" in einer sehr Hollywood-typischen Form der Propaganda - ein sehr "amerikanischer" Filme, (fast) ohne Amerikaner - noch verdammt viel weirder.
Zum Glück ist da aber auch noch der andere Film, der einerseits mit dem ersten Hand in Hand geht, ihn zu sehr wirkungsvoller Propaganda macht, aber andererseits sein sehr konkretes propagandistisches Anliegen transzendiert und überlebt: Escape from East-Berlin ist auch ein sehr beklemmender und in seiner Beklemmung allgemeingültiger Film über die Gefangenschaft des Menschen. Es gibt in diesem Film keinen einzigen "freien Blick", keinen Blick auf die Figuren, der nicht durch Gitter, durch marode Türen oder Fenster gerahmt werden, der nicht je an einer Mauer oder an einem Zaun enden, im Stacheldraht hängen bleiben würde. Keine Einstellung, die nicht mit Ruinen oder Menschen vollgestellt wäre, wobei die Szene, in der die uniformierten Körper und die Maschinenpistolen der Grenzposten den Blick auf Don Murray und Christine Kaufmann rahmen, der Mensch sehr bildlich des Menschen Gefängnis wird, nur einen Höhepunkt bilden in einer 89 Minuten lang aufrecht erhaltenen Atmosphäre, die einem die Luft zum Atmen zu nehmen scheint. Schon alleine wie es ihm gelingt, dass durchzuhalten offenbart die Meisterschaft des von der Kritik - vor allem in Deutschland - oft gescholtenen oder verlachten späten Robert Siodmak. Darüberhinaus bleibt mir vor allem die Inszenierung der beiden frühen brachialen Flucht-Versuche im Gedächtnis. Der erste endet wirklich schaurig mit dem Todesschuss auf den hoffnungslos im Stacheldraht verknäuelten Mann. Der zweite strotzt dem Kontrast von Christine Kaufmanns schönem Gesicht zu Mauer und Stacheldraht eine sehr eigene, sehr spröde, gar nicht kitschige Poesie ab.
So wie das Ruinen-Ost-Berlin des Films, als nicht gerade "realere", aber eben doch historisch konkreter fundierte Fortsetzung  der labyrinthischen Städte des Film Noir erscheint, so kann die Klaustrophobie dieser Stadt nur noch durch den unterirdischen Tunnel auf die Spitze getrieben werden. Ein Reich der Schatten, die die schmutzigen Gesichter aufzufressen scheinen, an dessen Ende Licht durch ein Loch in der Erde fällt.
Escape from East-Berlin ist kein großer Film wie Siodmaks fünf Jahre zuvor entstandener NS-Psycho- und Polit-Thriller Nachts, wenn der Teufel kam. Das schematische des Plots und der Figuren lässt ein derart komplexes Bild von Schuld und Verantwortung des Menschen im Totalitarismus nicht zu. Und doch: das Bild von der Gefangenschaft des Menschen, das mehr ist als nur die propagandistische Geschichte vom guten Menschen im bösen System, offenbart letztlich auch ein Stück weit die Freiheit des Kinos.    

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