Montag, 9. Juni 2014

Dracula (Tod Browning, USA 1931)

Der erste der beiden Filme, mit denen Tod Browning in die Filmgeschichtsbücher eingehen sollte, scheint, im Gegensatz zum atemberaubenden Freaks, nicht wirklich gut gealtert. Sein Geisterbahn-Horror mit seinen Gummi- Fledermäusen und -Spinnen, den gemalten Karpathenlandchaften und dem exzessiven Einsatz der Nebelmaschine sorgt mitunter heute eher für unfreiwillige Komik als für Grauen. Auch das Spiel (oder eher: das exzessive Nichtspiel) Bela Lugosis, der durch seine Rolle als Dracula zur Kultfigur wurde, ist zunächst eher gewöhnungsbedürftig. Genau an ihm aber, an der Art, wie er dem Grafen eben kein "Leben einhaucht", sein starrer hypnotischer Blick (wobei das Leuchten seiner Augen, wieder eine etwas obskure Idee des frühen Tonfilms von einem "hypnotischen Blick" ist) lassen sich die beträchtlichen Qualitäten des Films erkennen. Dracula ist ein Film, der beherrscht wird von Totenstarre. Ein Film über die Starre und das Starren. Und: wie Brownings Regie die Starre arrangiert und verwaltet offenbart einen Meister auf der Höhe seiner Kunst.
Da ist die Szene zu Beginn, wenn Joanthan Harker (David Manners) auf seiner Reise nach Transsylvanien, einem Mitreisenden erzählt, dass er auf dem Weg zu Schloss Dracula ist. Entsetzen ergreift den Mann, dessen starrer Blick in Richtung Kamera geht als würde er bei ihr Hilfe suchen, doch die Kamera starrt nur unbeteiligt zurück. Dann kommt der Zwischenschnitt auf eine schwarz gekleidete Frau, die sich bekreuzigt. Sie ist es auch, die ihm, als er trotz aller Versuche, ihn von seinem Vorhaben abzubringen, weiterreist ein Kruzifix mitgibt, das in einem Standbild in Großaufnahme zu sehen ist. Das Symbol des Kreuzes scheint vor allem für die Erstarrung zu stehen. (Ist diese Erstarrung hier mit dem Aberglauben der Landbevölkerung gleichzusetzen, wie in Stokers Roman, wo Harker sagt, dass ihm als einem "English Churchman" beigebracht wurde, "to regard such things [the cruzifix] as in some measure idolatrous"? Zunächst mag der Kontrast, von Bewegung, die Kutsche, die mit Harker durch die Berge und aus dem Bild davon fährt, und Starre, die Menschen an der Raststätte, die dastehen und ihm nachblicken, das Nahe legen. Aber dann beeilt sich der Film doch auch so sehr zu zeigen, dass alles woran die Landbevölkerung in Transsylvanien glaubt, der Realität entspricht.)
Dann die Szene, in der Gruft, in der die Kamera auf Lugosis Gesicht, auf seinen starren Blick zufährt, mit dem er seinen hypnotisierten Dienerinnen ruft. Wenn die Spannung in Dracula zwischen Bewegung und Starre entsteht, dann geht es dem Film nicht um eine Dialektik, sondern darum, wie alle Bewegung in Starre endet, die Starre danach zu trachten scheint, jede Bewegung zu annullieren. In den ersten Szenen bewegt sich alles - Harkers Kutsche, die Kamera, die drei Frauen - schicksalsschwanger auf den Grafen zu, der in seiner ganzen Erscheinung kaum starrer sein könnte.
Das wiederholt sich bei der Überfahrt nach England, die heftige Bewegung des Schiffsmodells auf den Studiowellen, das so eifrige wie nutzlose Streben der Männer auf Deck, ihrem besiegelten Schicksal zu entkommen. Die Reise endet wiederum in einem radikalen Bild der Starre, die Einstellung mit dem Schatten des toten Kapitäns, der ans Steuerrad gefesselt sein Ende fand.
Besonders bezeichnend ist auch die Szene, in der die meist statische Kamera, die sonst nur einige Schwenks und Zufahrten wagt, am ehesten entfesselt wird. In einer Art Freundesken Plansequenz gleitet sie ohne Schnitt über den Garten des Seward Sanatoriums (sollte es ein Zufall sein, dass diese - etwas unbeholfen wirkende - "Entfesselung" gerade in einem "Irrenhaus" stattfindet?) - und beendet ihren Schwebeflug an den Gittern eines Fensters.
Großartig ist die Montage. Die statischen Einstellungen mit ihren so präzise wie starr im Bild angeordneten Figuren prallen hart gegeneinander, spiegeln einander in Symmetrien, in denen keine Bewegung ist, nichts fließt. Mag man Dracula mit seiner Vorliebe für verfallene Häuser und seinem Gerede über den Tod in der vornehmen Londonder Gesellschaft auch für einen ausländischen Sonderling halten, die Inszenierung zeigt doch, wie gut er sich ins Bild eines ganz und gar erstarren Adels fügt.
Bram Stokers Dracula war ja auch - und sicher nicht zuletzt - ein erotischer Roman, gezwängt ins enge Korsett der viktorianischen Moralvorstellungen. Wie verhält sich Brownings Film zu dem schwelenden Begehren, das - nicht allzu tief - unter der Oberfläche des gotischen Schauers lauert? Nun, zunächst eher zurückhaltend. So fehlt etwa die nächtliche Heimsuchung Harpers durch die drei Vampirinnen, in der eine sado-masochistische Gruppensex- und Blowjob-Phantasie zu erkennen es wohl keines allzu übereifrigen Freudianers bedarf, komplett.  
Das heißt mitnichten, dass diese Ebene im Film fehlen würden. Wenn Dracula, gerade in London angekommen, seinen Blutdurst zuerst bei einer jungen - im Kontext des Films wunderbar lebhaft wirkenden - Frau stillt, die auf der Straße Blumen verkauft, sehen wir das ausbeuterische Begehren eines Adligen an seinem subproletarischen Opfer am Werk. Wenn Mina (Helen Chandler) sich geniert Van Helsing (Edward von Sloan) die Bisswunden an ihrem Hals zu zeigen, wird über die Scham die Assoziation des vampiristischem zum sexuellen Akt hergestellt. Dementsprechend auch die keusche Ausblendung der Szene in der Dracula Mina beisst. Sein Gesicht mit einem sonderbar erstarrten Begehren im Blick kommt auf sie zu - Schwarzblende. Wo der Roman bei der ersten Reise Harkers nach Transilvanien auch homoerotische Gefühle zwischen ihm und dem Grafen anzudeuten scheint (Harker sehnt sich danach, dass Dracula ihn beschützen möge vor - was sonst - den Frauen, und die harsche Intervention des Grafen, wenn sich die drei Frauen an Harker vergehen wollen, lässt sich auch als Eifersucht lesen), bleibt hier nur noch eine vage erotische Faszination des Bösen. Gerade als sie unter dem Einfluss des Grafen steht, zu einer Kreatur der Nacht wird, scheint Mina für Harker am begehrenswertesten. Es ist als würde im Falle von Dracula mit der filmischen Adaption eines literarischen Stoffes, die Schraube der Sublimierungen gleich eine ganze Handvoll Umdrehungen weitergedreht.
In der Welt, in die uns Brownings entführt, ist es nicht nur ein Verrückter, Renfield (großartig: Dwight Frye), der unter dem Einfluss des Bösen am meisten mit seinem Gewissen zu kämpfen hat (herzzerreißend ist die Szene, in der er seinen Meister anfleht, Mina nichts antun zu müßen, gefilmt durch die Gitter seines Fensters an denen er rüttelt), sondern er ist es auch, der seine Bedürfnisse, sein Begehren am deutlichsten zu artikulieren weiß. Weg, will er, immer wieder. Zum Objekt seines alles bestimmenden Begehrens, das nur außerhalb des starren Bildkaders liegen kann, im Off, in das seine starren Blicke gehen. "Lifes", will er "not big ones but little ones with blood in them". Leben, fließendes Blut.
Der Rest ist Starre.  
      
     

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