Freitag, 2. August 2013

Room 237 (Rodney Asher, USA 2012)

"What is in Room 237?" Auf diese Frage Dannys, des kleinen Jungen mit den hellseherischen Kräften in Stanley Kubricks The Shining von 1980, gibt Scatman Crothers eine denkbar unbefriedigende Antwort: "Nothing, there ain't nothing in Room 237. But you ain't have no business goin' in there anyway, so stay out!"
Auch Kubricks Film gibt auf die Frage, was es mit Raum 237 des Overlook Hotels auf sich hat, letztlich keine genaue Antwort. Was immer es ist, das in diesem Raum und von diesem Raum aus sein Unwesen treibt, es hat mit dem Tod zu tun, mit Sexualität und - irgendwie - mit der Vergangenheit - und offensichtlich bringt es Familienväter dazu, auf ihre, nun ja, Liebsten mit der Axt loszugehen. Und natürlich - schließlich ist The Shining ein Horrorfilm - will es raus und - was vielleicht noch schlimmer ist - Danny, sein Vater Jack (Torrence/Nicholson), wir Zuschauer wollen rein.
"What is in The Shining?" So könnte man die Frage zusammenfassen, der Regisseur Rodney Asher in seiner Dokumentation Room 237 nachgeht. Mögliche Antworten erhält er von fünf fanatischen Exegeten des Films, die in ihm allerlei mehr oder minder versteckte Anspielungen, Botschaften und Subtexte gefunden haben wollen. Nach diesen Theorien gehe es in  The Shining wahlweise um den Genozid an den amerikanischen Ureinwohnern ("The tide of terror that swept America," die das Filmplakat verkündet), den Holocaust oder - wie unoriginell! - nur um Sex. Einer der Interviewten meint im Film einen Stinkefinger in Richtung Stephen King zu entdecken, der die Romanvorlage schrieb und Kubricks Adaption nicht mochte, und ein anderer - sicherlich das Highlight! - will Hinweise darauf gefunden haben, dass die Bilder der Mondlandung eine Fälschung waren. Wobei er mehrfach betont, dass nicht die Mondlandung an sich eine Lüge sei, sondern eben "nur" die übertragenen Bilder inszeniert waren - und zwar von Stanley Kubrick, der diese Geschichte nun - elf Jahre später - in The Shining ein- und ver-arbeitete.
Einiges davon macht - tatsächlich - Sinn, Anderes macht zumindest Spaß (wobei die Komik, was die interviewten Verschwörungstheoretiker anbelangt, sicherlich unfreiwillig ist, bei den Machern des Films bin ich mir da hingegen nicht so ganz sicher), wieder Anderes - und das ist wohl am interessantesten - macht Stutzen. Natürlich kann man es als schlichte Paranoia abtun, den Anschlussfehlern eines Films tiefere Bedeutung beizumessen, aber muss denn die Häufung solcher Fehler bei einem Regisseur, der berüchtigt war für seinen Perfektionismus, nicht doch überraschen? Könnte es nicht zumindest sein, dass das Verschwinden von Stühlen, Veränderungen im wohl berühmtesten Teppichmuster der Filmgeschichte oder eine auf mysteriöse Weise ihre Farbe wechselnde Schreibmaschine, die bei einem ersten "normalen" Sehen des Films im Kino wohl tatsächlich niemandem auffallen dürften, ohne unbedingt auf tiefere Bedeutungen hinauszuwollen, ein Spiel mit dem Unbewussten des Zuschauers treiben sollen? Dass er durch solche Diskontinuitäten des inszenierten Raumes verunsichert werden soll, ohne es bewusst mitzubekommen? 
Illustriert werden die als Voice-Over vorgetragenen Theorien durch eigens annimierte Sequenzen, Ausschnitte aus sämtlichen Stanley Kubrick- und unzähligen anderen Filmen und natürlich immer wieder aus The Shining. The Shining im Kino, im Fernsehen, auf VHS, DVD und blu-ray. The Shining in Zeitlupe und Einzelbildanalyse. The Shining in Animationen und Grafiken, die zum Beispiel die genauen Wege, die Danny auf seinem Go-Kart durch die Flure des Overlooks fährt, und die mit der damals vollkommen neuen - und von ihrem Erfinder Garett Brown selbst geführten - Steadycam aufgenommen wurden. The Shining in einer doppelten Projektion, bei der der Film, übereinandergelegt, vorwärts und rückwärts abläuft. Faszinierend ist das vor allem dann, wenn die verschiedenen Interpreten die selbe Einstellung, ja, mitunter das selbe Einzelbild des Films im Hinblick auf verschiedene Details ganz unterschiedlich deuten. So entstehen verschiedene Layer, die sich über die Filmbilder legen und sie zu schier endlos mit Bedeutungen aufgeladenen - oder zumindest: mit Bedeutungen aufladbaren - Objekten machen und dadurch die Lust wecken, ganz genau hinzusehen.
Letztlich funktioniert Room 237 wohl wie ein üppiges Büfett, in dem sich jeder nehmen kann, was ihm schmeckt und den Rest liegenlässt. Allerdings ist dieses Büffet, das ist das Manko des Films, eben so überladen, dass sich schnell Übersättigung einstellt, einen die Flut der Bilder und Theorien zeitweise etwas überfordert und man, zumindest beim ersten Sehen (aber: gerade um das mehrfache und immer wieder Sehen von Filmen geht es ja auch), einiges wohl auch schlicht übersieht.
Das Filetstück des Films ist für mich eine psychoanalytische Deutung, die sich auf die Wiederkehr des Verdrängten bezieht, wohl eines der Themen im Horrorfilm schlechthin. The Shining finde dafür, so die Interpretation, in Dannys Vision von dem Blut, das sich aus den geschlossenen Fahrstuhltüren in den Flur ergießt, ein beeindruckendes Bild. Die geschlossenen Türen stünden hierbei für die Widerstände des Bewusstseins, die das Verdrängte schließlich nicht davon abhalten könnten, sich seinen Weg "nach Draußen", an die Oberfläche des Bewusstseins wie des Bildes zu bahnen. Interessant wird diese Deutung durch den historischen Bezug zu den Indianern, die ja tatsächlich - und nicht ein mal sonderlich latent - durchs Overlook Hotel zu spuken scheinen. Daraus ergeben sich für mich Bezüge zu einem anderen drei Jahre zuvor entstandenen amerikanischen Horrorfilm, den ich sehr verehre und über den ich hier schon einmal kurz geschrieben habe: Wes Cravens The Hills have Eyes. Die Bösen, mit denen es eine im Wohnmobil durch die Wüste New Mexicos reisende Familie hier zu tun bekommt, leben in Höhlen, sehen aus und sprechen wie "degenerierte" Hinterwäldler und tragen "Indianerschmuck". Dieses Zeichengemisch macht sie zum/zu den Verdrängten in mehrerer Hinsicht. Einerseits stellen sie als "Höhlenmenschen" eine - im Hinblick auf die amerikanische Familie - Vorstufe im zivilisatorischen Prozess dar und ihre kannibalischen Gelüste wie ihre sadistische Gewalt, das, was im "zivilisierten" Menschen durchaus noch vorhanden, nur eben verdrängt ist. Dann sind sie aber auch die territorial Verdrängten der Vergangenheit - die Indianer, denen man ihr Land weggenommen hat, bzw. die um ihres Landes Willen ermordet wurden - und der Gegenwart - die Marginalisierten der amerikanischen Gesellschaft der Siebziger. Bei Craven wie bei Kubrick bekommt das Freudsche Konzept damit eine historische Komponente und bei beiden steht am Ende ein (erneuter) Gewaltausbruch des weißen Mittelklasse-Amerikaners.
Dass Room 237 Lust macht, solche Bezüge zu entdecken, zu vergleichen, eben, wie gesagt, genau hinzusehen, dass er von der Lust am Kino und seiner Auslegung handelt (wenn auch nicht unbedingt in einer noch "gesunden" Form) und gleichzetig Lust auf das Kino macht, ist - relativ unabhängig davon, wie viele der hier aufgestellten Theorien und Bezüge nun absoluter Humbug sind - die große Stärke dieses Films, die über einige Schwächen gerne hinwegsehen lässt.





Room 237 startet am 19. September 2013 in den deutschen Kinos.
 

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