Donnerstag, 29. August 2013

Fantasy Filmfest 2013: El desierto (Christoph Behl, Argentinien 2013)

Draußen tobt die Zombie-Apokalypse. Drinnen sitzen Ana, Jonathan und Axel. In einem kleinen heruntergekommenen Haus am Rande einer Stadt, von der nicht viel übrig ist, haben die drei Zuflucht gefunden vor den gefräßigen Horden. Abwechselnd gehen zwei von ihnen raus, schwer bewaffnet und gegen Beißattacken gepanzert, um das Notwendigste, Nahrung, Wasser und Benzin für den Generator im Hof, in den Trümmern der Stadt zu besorgen. Dass Ana und Jonathan ein Paar geworden sind und sich Axel - nicht wirklich heimlich - in seinem Begehren für Ana verzehrt, macht das Leben in der postapokalyptischen Zwangs-WG nicht eben einfacher.
El desierto konzentriert sich ganz auf seine drei Figuren, wobei die Kamera meistens so nah an ihren Körpern ist, dass man sich in den wenigen Räumen, in denen der Film beinahe ausschließlich spielt, nie wirklich eine Orientierung verschaffen kann. Jedenfalls ist alles in diesem Haus, getaucht ins ständige Dämmerlicht, das durch die Milchglasscheiben fällt, vergilbt, verbraucht, abgefuckt. Von der Gegenwart kündet hier außer - bezeichnenderweise - einer Video-Kamera und einigen vollautomatischen Waffen kaum etwas. Die Hitze und die schlechte Luft werden durch das Licht und die allgegenwärtigen Fliegen (deren Summen einen entscheidenden Anteil am bedrückenden sound design des Films haben) beinahe physisch erlebbar.
Das Außen zu diesem Innen existiert gleich in doppelter Hinsicht nicht (mehr). Nicht nur kann man die Einstellungen, die mehr zeigen als die wahrlich beengenden Räume des Hauses und des wiederum durch Mauern streng begrenzten Hofes an einer Hand abzählen. Diese wenigen Einstellungen, die einzigen "echten" Totalen des Films, unscharf und grau, dienen dann auch hauptsächlich dazu, zu zeigen dass es da draußen nichts mehr gibt, wohin man flüchten könnte: ein Schwenk über eine verfallene Skyline, eine Straße, in der sich die Leichenberge türmen, und die zu allem Überfluss noch eine Sackgasse ist. No. Way. Out. Gerade in seiner Inexistenz ist dieses Außen die Vorraussetzung, für die Geschichte im Innen, um die es Behl geht. Die Zombies (oder auch, dazu später: der Zombie) und die Apokalypse sind hier wenig mehr als plot devices in einem wahrlich klaustrophobischen Dreiecks-Beziehungsdrama.   
Zu dem fehlenden Außen gesellen sich die mangelnden Rückzugsmöglichkeiten für die einzelnen Figuren im Inneren des Hauses. Ana hat dafür, mehr schlecht als recht, eine Lösung gefunden. All das an Gedanken und Gefühlen, was jeder einzelne der Gruppe den anderen beiden nicht erzählen kann, erzählt er statt dessen einer Video-Kamera, wobei die jeweiligen Bänder für die anderen unzugänglich aufbewahrt werden.  "Consultorio" hat sie das getauft. Die Kamera als Therapeut. Das Videotagebuch als letzte Form einer Privatsphäre, die es in der Welt des Films eigentlich nicht mehr gibt. In diesen Video-Aufzeichnungen stellen sich nicht nur die drei Protagnisten zu Beginn selbst dem Zuschauer vor, sie erzählen der Kamera, also auch uns, das, was sie einander eben gewiss nicht sagen könnten. So beschwert sich Ana nicht nur über Axels Voyeurismus, über ihren Freund erfahren wir auch: "Jonathan ist Ingenieur. Er fickt auch wie ein Ingenieur."    Diese Sätze unterstreichen nicht nur das Erzwungene in dieser Gemeinschaft, in der man einander, darum geht es, mehr braucht als in so ziemlich jeder anderen vorstellbaren, aber die doch eben gerade dadurch immer Zweckgemeinschaft bleibt, es charakterisiert auch gut Jonathans Rolle im Film. Letztlich steht, allem Anschein der Figurenkonstellation zum Trotz, er als Mann ohne Eigenschaften, eher zwischen den beiden anderen wesentlich interessanteren Figuren. Ana hat nicht nur das Consultorio eingerichtet, sie schreibt auch für jeden Zombie, den sie getötet hat einen Namen an die Wand des Wohnzimmers. Sie versucht also einerseits händeringend Wege zu finden, mit der gegenwärtigen Situation umzugehen, andererseits scheint sie auch an eine mögliche Zukunft zu denken, für die man als Monument den anonymen Toten Namen hinterlässt. (Wer möchte, kann ihre Besessenheit mit Namen auch im Hinblick auf einen, nie ausgesprochenen Kinderwunsch, deuten.) Axel hingegen scheint sich soweit mit dem Verfall - und dessen einziger möglicher Konsequenz - arrangiert zu haben, dass er ihn sich langsam auf seinen eigenen Körper einschreibt, indem er sich diesen vollständig mit Fliegen voll tätowiert. Wenn es keinen Platz mehr für mehr Fliegen gibt, so sagt er, wird er gehen.
Was den Film, und den Ausnahmezustands-Alltag von dem er handelt, strukturiert, sind zum einen die verschiedenen Spiele, mit denen sich die drei abzulenken versuchen, zum anderen die Blicke, in denen Regisseur Christoph Behl das Beziehungsdreieck auflöst. Ausdruck des Begehrens - vor allem natürlich Axels für Anas - sind diese Blicke einerseits, andererseits auch von klar strukturierten Machtverhältnissen. Ana versucht das Machtverhältnis der Blicke um zukehren, indem sie sich vom Objekt von Axels voyeuristischen Blicken, mit denen er sie nackt im Bett und unter der Dusche ansieht, zum Subjekt macht. Ihn, so sagt sie, "obsessiv beobachtet", ihn ständig anstarrt und hinter ihm herläuft bis zur Toilette, wo sie ihm beim Pinkeln auf den Schwanz guckt. Diese Umkehrung gelingt ihr, soviel kann man wohl sagen, ohne zu viel zu verraten, nicht.
Blick, Spiel und Macht treffen sich in dem Blickduell zwischen Axel und Jonathan, bei dem verloren hat, wer zuerst wegguckt. Über dieses Spiel kommt schließlich auch der vierte "Mitbewohner" ins Haus. Beim Flaschendrehen wählt Axel Pflicht und Jonathan fordert, dass er Blickduell mit einem Zombie spielen soll. Diesen bringen die beiden Männer dann tatsächlich von ihrem nächsten Ausgang mit. Der Zombie an der Kette verweist nicht nur direkt auf Day of the Dead (mit Romero hat der Film dann übrigens, so atypisch er als "Zombiefilm" auch sein mag, doch eine ganze Menge zu tun), er liefert auch ein Ventil für die ständig zunehmenden Agressionen zwischen den Figuren. Einen Körper, an dem all die Gewalt, die sich in der Gruppe mehr und mehr anstaut, bis man in dem Haus, so sagt Jonathan gegen Ende und diese Atmosphäre wird auch für den Zuschauer immer mehr greifbar, nicht mehr atmen kann, hemmungs-, reue- und konsequenzenlos ausagiert werden kann.
Behl macht zunächst sehr vieles richtig: Die Intensität, auf die er offensichtlich abzielt, erreicht er über weite Strecken durchaus. Immer wieder werden Konflikte nicht zu Ende geführt, nicht aufgelöst, weil sie in der gezeigten Welt nicht mehr aufgelöst werden können. Einerseits erinnerte mich - nicht nur - das an Lucrecia Martel (ein Einfluss, den mir Behl im anschließenden Q&A auch bestätigte), andererseits werden hier auch geschickt geschürte (Genre-)Zuschauererwartungen ein ums andere mal in die Irre geführt. Mit seinen minimalen Mitteln erzielt er tatsächlich immer wieder maximalen Effekt, oder eher: Affekt.
Ein bisschen ratlos hat mich der Film schließlich denoch zurück gelassen. Die Auflösung trivialisiert das Ganze in seinem Detail- und Anspielungs-reichtum dann doch etwas arg. Auf die Frage eines Zuschauers nach der Botschaft seines Films wollte Behl natürlich keine Antwort geben, verwies darauf, dass das Aufgabe der Zuschauer bzw. Kritikers sei, es aber wohl einiges zu entdecken gäbe. Vom Ende her betrachtet ist die "Botschaft", die sich mir erschließt, dass drei einer zu viel sind und auch in der absoluten Extrem-Situation letztlich nicht zusammenwächst, was nicht zusammen gehört, die materiellen und emotionalen Abhängigkeiten innerhalb des Trios keine Grundlage für irgendwelche "gesunden" Beziehungen bieten. Das ist dann irgendwie doch ein recht minimales Ergebnis bei maximalem Affekt-Aufwand.

Den Namen des in Argentinien lebenden deutschen Regisseurs Christoph Behl, der hier nach einem Kurzfilm und einigen Dokus sein Langfilm-Debüt vorlegt, kann man sich aber wohl trotzdem getrost merken.    

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