Montag, 1. September 2014

The Divorcee (Robert Z. Leonard, USA 1930)

"I've balanced our accounts," sagt Norma Shearer zu Chester Morris, ihrem Ehemann. Zunächst heißt das einfach nur, dass sie ihm in gleicher Münze heimgezahlt hat. Er war ihr untreu, also war sie ihm untreu . In der zweiten Hälfte des Films aber, die mit dieser Szene beginnt, weist der Satz auf eine doppelte emanzipatorische Utopie hin. Zunächst besteht sie darin, dass weibliche Untreue tatsächlich gleich behandelt wird wie männliche. Eine Gleichberechtigung der Geschlechter in Liebesdingen, die  die sexuell erfahrene Frau ebenso beurteilt wie den Mann, der sich austobt, sich "die Hörner abstößt". Dann muss sich aber auch der Mann befreien vor den Werten der patriarchalen Kultur, für die das unter keinen Umständen das gleiche ist, damit sich die Beiden, die sich lieben, letztlich ihre jeweiligen Seitensprünge verzeihen und wieder zueinander finden können.
In dem Gespräch zwischen den Eheleuten, das zur Trennung führen wird gibt es eine Szene, die die Unterschiede zwischen den Geschlechtern in der Situation, wie sie ist, verdeutlicht und gleichzeitig eindeutig für Shearer Partei ergreift. Es gibt eine Zweier-Einstellung, in der sie streiten, sie seinem grimmigen Blick standhält, dann folgt die Kamera ihr, wie sie ihm den Rücken zudreht, während er aus dem Bildrahmen verschwindet. Gegenschnitt auf ihn, seine absolut verhärteten Züge.
Von hier an werden die beiden die nächsten vierzig Minuten Erzählzeit und viele Jahre erzählter Zeit alles tun, um einander zu vergessen. Diese paar Einstellungen jedoch machen die unterschiedlichen Ausgangspositionen ihrer jeweiligen Fluchtbewegungen klar. Sie flieht vor dem Bild, das sich der Mann von ihr macht, der Rolle der duldenden Ehefrau, die er und die patriarchale Gesellschaft ihr zudenken. Er flieht vor ihr, weil sein männliches Selbstbild besagt, dass er ihr nicht verzeihen darf, was sie getan hat. Da ist die Mobilität, die Bewegung, die doch über allerlei Um- und Abwege nur zu ihm zurückführt bei ihr, der Ausbruch aus den absolut erstarrten Geschlechterbildern bei ihm.
Er übt sich im Folgenden als stets betrunkener Party-Crusher. Wobei die schönste der Feierlichkeiten, auf denen er die Stimmung vermiest, eine Sylvester-Party ist. Über das ausgelassene Treiben in einem Saal, in dem alles tanzt und feiert, werden die einzelnen Musiker der Band geblendet. Die Laune ist so beschwingt, dass sie sich mühelos auf den Zusehenden überträgt.
Sie reist um die Welt und lernt allerlei Männer kennen. Der Großteil ihrer "Abenteuer" wird aufgelöst in drei Einstellungen, in denen nichts als Hände zu sehen sind. Männerhände, die ihr Brillantringe an die Finger stecken ("I heard of platonic love, but I didn't know there was such a thing as platonic jewelry.") In der zweiten dieser Einstellungen sitzen ihr und ihr Liebhaber sich an einem Tisch gegenüber, an der Wand hinter dem Tisch ist sein Schatten zu sehen. Aus den Dialogen wird die unterschiedliche Provinenz ihrer Liebhaber deutlich.
Norma Shearer und Greta Garbo sind die beiden Darstellerinnen an deren Schaffen entlang Mick LaSalle in seinem Buch "Complicated Women - Sex and Power in Pre-Code-Hollywood" die Geschichte der modernen Frauen im frühen amerikanischen Ton-Film erzählt. Ich hatte vor dem Buch nie von ihr gehört und The Divorcee ist der erste Film mit ihr, den ich gesehen habe. Tatsächlich ist sie eine großartige Schauspielerin. Da ist die Szene, in der sie Morris mit seinem besten Freund betrügt. Eine kurze Einstellung zeigt sie im Taxi auf dem Weg nachhause. Sie ist an ihn angelehnt, während ihr Blick fast direkt in die Kamera geht und sie tief seufzt. Ein Blick und ein Seufzer, aus denen mehr Genuss und Neugierde sprechen als Genugtuung. Sie fühlt sich in diesem Moment in ihrer Haut pudelwohl. LaSalle schreibt, eine der Hauptaufgaben des Hays Codes sei es gewesen, "to prevent women from having fun." Diese wenige Sekunden kurze Einstellung offenbart, dass Norma Shearer eine der Frauen war, die sich bestens darauf verstanden, auf der Leinwand Spaß zu haben.

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