Sonntag, 13. Juli 2014

Christopher Strong (Dorothy Arzner, USA 1933)

Eine vom Ende her gedachte Überlegung zu Glück und Moral im Hollywood-Film - während und vor dem Production Code


Im Text des sogenannten Hays Codes heißt es zum Punkt "Sex" an erster Stelle:
"The sanctity of the institution of marriage and the home shall be upheld. Pictures shall not infer that low forms of sex relationship are the accepted or common thing.
1. Adultery, sometimes necessary plot material, must not be explicitly treated, or justified, or presented attractively." 
Daraus ergibt sich implizit, was Thomas Doherty in einer Einführung zur wunderbaren Filmreihe im Arsenal auf den Punkt brachte: Unter dem Code produzierte Filme mussten nicht "glücklich", sondern "moralisch" enden. Dabei entstand nicht selten eine Opposition zwischen dem individuellen, persönlichen Glück und der "höheren" (weil göttlichen oder zumindest: gesellschaftlichen) Moral. Ihr zerstörerisches Begehren für die femme fatale mussten etwa die Antihelden des Film Noir - wie in Double Indemnitiy - mit dem Leben bezahlen oder sie konnten - wie in Criss Cross - erst im Tod mit ihr vereint werden oder ihnen blieb - wie in The Lady from Shanghai - nur die resignierte Feststellung: "Maybe I'll live so long that I'll forget her. Maybe I'll die trying."
Geht es im Melodram von jeher um den Konflikt zwischen dem individuellen Glück und der Gesellschaft - und ihrer Moral - so konnte das Glück in den Fünfzigern bei Sirk nur gewinnen, wenn es nicht im Widerspruch zur Moral, vor allem zur "heiligen" Familie stand, eben zu All That Heaven Allows. Wenn aber die verheiratete Barbara Stanwyck ihre Jugendliebe wiedertrifft muss sie sich für Ehemann und Kinder entscheiden und There's Allways Tomorrow heißt für sie wohl, dass ihr persönliches Glück erst im Jenseits auf sie wartet. Natürlich ist diese Ende auch eine der vielen Arten, die Hollywoods Regisseure und Produzenten fanden, um den Code zu unterlaufen. Hinter der vordergründigen Wahrung der Regeln, gibt es mit dem traurigen Ende doch auch eine harsche Kritik an einer Moral, die Menschen unglücklich macht. 
Wie verhält sich ein Pre-Code-Melodram wie Christopher Strong zu alldem?
Zunächst einmal steht die Moral von Treue und Familie wesentlich mehr zur Debatte. Eine Partygesellschaft, der es langweilig wird, seltene Dinge, die man auf der Straße gefunden hat zusammenzutragen, sucht stattdessen nach zwei seltenen Menschen: einem Mann, der seine Frau noch nie betrogen hat und eine Frau, die mit einundzwanzig Jahren noch keine Liebesbeziehung hatte. Man findet sie in Christopher Strong (Colin Clive, und das überdeutliche nomen est omen macht sich vielleicht auch von Anfang an lustig über eine Moral, die Stärke zum Verzicht fordert und den Verzicht zur Stärke erklärt) und der Fliegerin Cynthia Darrington (Katherine Hepburn), deren Enthaltsamkeit nicht durch Moralvorstellungen, sondern durch ihren Willen zu Freiheit und Unabhängigkeit motiviert scheint. 
In den Verwicklungen, die folgen, nachdem sich die beiden in einander verlieben, wird schonungslos die Doppelmoral einer patriarchalen Kultur bloßgelegt, die Frauen verurteilt, die sich mit verheirateten Männern einlassen, nicht aber die verheirateten Männer, die fremd gehen. 
Vor dem Code musste nicht, wie später im Film Noir, das gesellschaftlich illegitime Begehren durch den Tod (sei es des Mannes, der Frau oder beider) bestraft werden, sondern Frau konnte den Tod wählen statt des Verzichts - und damit zur Heldin, zur Märtyrerin werden. 
Wo sich die Pre Code-Kömödien die Freiheit nahmen, christliche Moralvorstellungen nach Strich und Faden zu verhöhnen oder einfach zu ignorieren, verurteilt Dorothy Arzner, laut IMDb übrigens "the only woman director during the "Golden Age" of Hollywood's studio system--from the 1920s to the early 1940s and the woman director with the largest oeuvre in Hollywood to this day", in Chrstopher Strong die Unfreiheit des Menschen in einer Gesellschaft, der die Moral über das Glück stellt.

Unglückliche Frauen in Hollywood vor... 

...und während des Hays-Codes.


Und, last but not least, die wahrscheinlich sexyste Motte der Filmgeschichte:



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