Samstag, 19. Juli 2014

Employees' Entrance (Roy del Ruth, USA 1933)

Die größten genreübergreifenden Konstanten im Hollywood-Kino der frühen Dreißiger (zumindest wenn man von der Handvoll Filme ausgeht, die dieser Tage im Arsenal zu sehen sind) sind Arbeit und sozialer Aufstieg. Gerade im Angesicht der Massenarbeitslosigkeit in der Great Depression schien das Kino ein unbändiges Interesse an Arbeitsabläufen, an der Organisation und den Hierarchien der Arbeit zu entwickeln. Das, was man etwa in Night Nurse über den Arbeitsalltag in einem Krankenhaus erfährt und zu sehen bekommt, geht über ein bloßes Setting der Handlung weit hinaus. Der soziale Aufstieg schien in der Komödie (Hard to Handle), im Drama (Angel Face) oder im Gangsterfilm (The Public Enemy) gleichermaßen Thema. Die Utopie dieser Filme besteht in einer Chancengleichheit bei der weder Herkunft noch Geschlecht über den sozialen Status entscheiden, sondern lediglich der eigene Wille. Klassendünkel sind in einem Musical wie The Gold-Diggers of 1933 allenfalls ein Grund zur Belustigung und auch der Kaufhausvorstand Knut Anderson (Warren William) in Employess' Entrance hat für die Vorstandsmitglieder mit ihrem ererbten Geld und ihren großen Familientraditionen nichts als Verachtung - und der Film nichts als Spott - übrig.  Für eine schlichte Neugeburt des amerikanische Traums aus der Stimmung des Krise, auch in dieser Situation kann es jeder schaffen durch harte Arbeit from rags to riches zu kommen, sind die Aufstiegsgeschichten dieser Filme in ihrer oft lustvoll ausgestellten Amoralität, die mit der Durchsetzung des Production Codes 1934 ein Ende finden sollte, viel zu ambig. In The Public Enemy verkünden gleich drei Texttafeln zu Beginn und am Ende von der Verwerflichkeit des Treibens von Tom Powers (James Cagney), betonen mit inbrünstigem Pathos, dass wir Kinozuschauer die Öffentlichkeit sind, deren Feind dieser Mann ist, und das obwohl diese Figur wahrlich wenig geeignet scheint, Sympathien zu wecken und zudem den Aufstieg zum Unterweltboss am Ende mit dem Leben bezahlt. Vielleicht ist darin nicht nur eine Konzession an die Zensur zu sehen, sondern es findet sich auch eine Ahnung davon, wie attraktiv der soziale Aufstieg durchs Verbrechen für das zeitgenössische Publikum gewirkt haben mag.
Immer wieder geht es auch um das Verhältnis von Arbeit zum Privatleben im allgemeinen und zu Liebe und Sexualität im ganz besonderen.
Katharine Hepburn in Christopher Strong etwa verdankt ihre Jungfräulichkeit nicht irgendwelchen Moralvorstellungen, sie hat einfach nur Angst, durch die Bindung ihre private Unabhängigkeit, ihre Abenteuerlust zu verlieren.
In Baby Face ist der Sex Mittel zur Macht. Das einzige, das einer Frau aus armen Verhältnissen bleibt, um ganz nach oben zu kommen und einerseits ändert lediglich ihr Preis durch den Aufstieg aus der Kneipe ihres Vaters in den Slums, wo sie sich zu Beginn prostituiert, in die Führungsetage eines Firmenhochhauses. Andererseits subvertiert sie mit ihrem Aufstieg und den Männern, die sie dabei hinter bzw. unter sich lässt, die Geschlechterhierarchien, indem sie, wie es ihr ihr nietzscheianischer Mentor ganz unverblümt rät, die Männer ausnutzt statt sich von ihnen ausnutzen zu lassen.
In Female ist die Macht Mittel zum Sex. Die Vorsitzende eines großen Autokonzerns (laut IMDb-Trivia übrigens genau achtzig Jahre bevor es jemals in der Realität eine weibliche Vorsitzende eines großen Autokonzerns gab) hält sich ihre attraktiven jungen männlichen Untergebenen als eine Art Harem und hält von der Ehe gar nichts: "Most women consider a man a household necessity. Myself, I'd rather have a canary."
Nicht nur darin erscheint Warren Williams Figur in Employess' Entrance als ihr männliches Gegenstück. Auch er befehligt unerbittlich über ein großes Unternehmen, ein Kaufhaus in Manhattan mit 12.000 Angestellten. Auch er schläft mit seinen Angestellten und serviert sie hinterher ab. Auch für ihn scheinen beruflicher Erfolg und feste Bindung unvereinbar.
Die Figur Knut Anderson ist das große Faszinosum dieses Films. Unerbittlich und despotisch einerseits, ein moralisches Wrack, das Sätze von sich gibt wie: "There's no room for sympathy or softness - my code is smash or be smashed!" Folgerichtig quittiert er den Suizid eines ehemaligen Angestellten mit den Worten: "When a man outlives his usefulness, he ought to jump out a window." Andererseits scheint es ihm aber bei der Rücksichtlosigkeit seines unerbittlichen Führungsstils aber gerade nicht zu um private Bereicherung zu gehen. Seine absolute Asozialität dient letztlich sozialen Interessen, der Erhaltung von Arbeitsplätzen, und selbst wenn er am Ende abgesetzt zu werden droht, scheint seine größte Sorge zu sein, dass seine Nachfolger das Kaufhaus zu Grunde richten werden.
Simon Rothöhler beschreibt sein Vorgehen folgendermaßen:
"Auf die einbrechenden Geschäftszahlen nach 1929 reagiert Anderson nicht mit Kündigungen im Maschinenraum des Kaufhauses, sondern mit salary cuts bei den Vorstandsmitgliedern. Weil er ein genialer Manager ist, lässt ihn Monoroe, der mäßig involvierte Eigentümer des Kaufhauses, zunächst widerwillig gewähren. Die Angestellten werden nicht en masse gefeuert, sollten dafür aber ihr Gehalt besser gleich im Haus wieder ausgeben, wenn sie dem gerechten Zorn Andersons entgehen wollen. Der Lohnscheck als In-House-Konsumgutschein, der Monroes Binnenkonjunktur ankurbelt. Der letzte (und erste) Keynesianer Anderson mag privat ein Ausbeuter sein, betriebspolitisch antizipiert er den New Deal - in den Grenzen des eigenen Unternehmens und gegen alle anderen."
Anderson ist stolz darauf, ein Emporkömmling zu sein und eine Ehefrau würde ihm bei seinem Aufstieg nur behindern. Ein Konflikt entsteht als einer seiner Angestellten, Martin Ford (angemessen geknickt: Wallace Ford) seine Kollegin Madeleine (Loretta Young) heiratet, mit der Anderson eine Affäre hatte, und die er im feucht fröhlichen Treiben einer Party erneut verführt, hauptsächlich um einen praktischen Beweis zu seiner These über den Unsinn und die Verlogenheit der Monogamie zu erbringen.
Den Konflikt zwischen Arbeit und Liebe muss ein Pre-Code-Film nicht im Sinne einer Läuterungsgeschichte oder eines Sieges des "Guten" über das "Böse" auflösen. Vielmehr gibt es ein doppeltes Happy End. "Der Mann, der mit einem Kaufhaus verheiratet ist" (Rothöhler) darf sich, nach einer kurzen eskapistischen Phantasie vom guten Leben (Paris und Riviera mit einer seiner Angestellten) im Angesicht des beruflichen Aus, nach der Sicherung seiner Position wieder mit alter Inbrunst und Hartherzigkeit in die Arbeit stürzen. Herr und Frau West dürfen einander in die Arme fallen. Statt einer allgemeingültigen transzendenten Moral also einfach jedem das Seine.

Ach übrigens: in der zum Brüllen komischsten Szene in diesem des Öfteren zum Brüllen komischen Film entsorgt Anderson einen dieser kleinen Handtaschenhunde, keine Ahnung, wie die Rasse heißt, fachgerecht in einem Papierkorb.

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