Donnerstag, 24. Juli 2014

Deadlock (Roland Klick, BRD 1970)

Ein Mann schleppt sich durch die Wüste. Im Zick-Zack, schwankend kommt er auf die Kamera zu. Sein grauer Anzug ist dreckig und zerrissen. Eine Schusswunde am Arm und die sengende Sonne machen jeden Schritt zur Qual. Er bleibt so stehen, dass nur seine Beine im Bild zu sehen sind. In der einen Hand hält er einen Aluminium-Koffer, in der anderen eine Maschinenpistole. Schnitt auf Marquard Bohms Gesicht, verbrannt, dreckstarrend. Er blinzelt, wischt sich den Schweiß von der Stirn. Gegenschuss auf die Sonne, ein Feuerball aus gleißendem weißen Licht.
Die ersten drei Einstellungen von Deadlock fassen in extremer Verdichtung zusammen, worum es in dem Film gehen wird. Da ist der geschundene Mensch, ein Koffer voller Geld und eine Knarre. Da ist der Kampf ums Überleben, der immer auch ein Kampf gegen sich selbst ist, gegen den eigenen Körper und seine schwindenden Kräfte, später auch: gegen das eigene Gewissen. Da ist eine bedrohliche und unbarmherzige Natur als weiterer Antagonist in diesem erbarmunslos physischen Film. Die Wüstensonne als furchtbare, alles annihilierende Macht, die die Menschen in bloße Schatten verwandelt, und noch diese Schatten zu zersetzen, aus dem Bild zu tilgen droht. (Dass ein sadistischer Killer in diesem Film ausgerechnet auf den Namen Sunshine hört, ist gewiss alles andere als die plumpe Ironie, als die es zunächst erscheinen mag).
Der Mann, der nur Kid genannt werden wird (Bohm), will in dem verlassenen Wüstenkaff Deadlock seinen Komplizen Sunshine (Antony Dawson) treffen, um mit ihm die Beute aus einem Raub zu teilen. Als er, endlich am Ziel angekommen, in Ohnmacht fällt, entdeckt ihn ein Mann, der ebenfalls einen sehr sprechenden Namen hat: John Dump (Mario Adorf). Die Zivilisation scheint ihn hier, mitten in der Wüste, weggeworfen und vergessen zu haben, genau wie die abgetakelte ehemalige Prostituierte Corinna (Betty Segal) und ihre junge stumme Tochter Jessy (Mascha Elm-Rabben). Er sieht sich plötzlich im Besitz einer Millionen Dollar. Als Sunshine eintrifft, kommt es zu einem Kampf auf Leben und Tod um einen Koffer, eine Maschinenpistole und eine Luger, die in einem Dicht gespannten Netz der dreckigen Tricks und Intrigen immer wieder die Hände wechseln. Und schon der Titel verkündet, dass es am Ende keine Gewinner geben wird: Deadlock nennt man ein Schloss, dass nur von einer Seite öffnet.
Zunächst einmal ist Deadlock recht deutlich ein Genre-Film. An den Italo-Western  gemahnen der Schauplatz in der Wüste im allgemeinen und die provisorischen Kreuze eines kleinen Friedhofs im ganz besonderen. Auch Antony Dawson scheint ganz dieser Tradition verpflichtet, schon rein äußerlich mit seinem bärtigen, verkniffenen Gesicht unter einem verstaubten, breitkrempigen, schwarzen Hut, aber auch was seinen Spaß an der Grausamkeit anbelangt, mit der er John quält. Besonders markant ist die Szene, in der er Adorf befiehlt, Metallophon zu spielen und ihm dabei die Tasten wegschießt oder eine andere, in der er ihn nötigt, eine ganze Flasche Schnaps auszutrinken. Wo aber der Spaghetti-Western 1970 seinen Zenit bereits überschritten hatte und sich im selbst-reflexiv ironischen Niedergang befand (eine Entwicklung, die vielleicht im maßlos überschätzten Mein Name ist Nobody 1973 ihren Höhepunkt fand), gibt es in diesem Film eine Dringlichkeit, die das Genre in seinen besten Momenten auszeichnete.
Marquard Bohm hatte mit seinen Auftritten in den frühen Filmen Rudolf Thomes, Detektive, Rote Sonne und Supergirl das Zeug, zu einer Art deutschem Humphrey Bogart zu werden. Die große Karriere blieb dann aber aus - genau wie diese Filme, die mit einer coolen, vage (New) Hollywood'esken Leichtigkeit von Mord, ("freier") Liebe, Sex und Zärtlichkeit erzählten, das Versprechen auf ein anderes bundesdeutsches Genre-Kino lieferten, das so nie eingelöst werden sollte.
In Deadlock bildet Bohms oft zitiertes Nicht-Spiel den Gegenpol zur Brutalität Dawsons. Kid kämpft verzweifelt darum, sich in der grausamen Welt des Films ein Stück Menschlichkeit zu erhalten - und verstrickt sich doch immer mehr in Schuld, wird immer mehr zum Handlanger der Gewalt.
Zwischen den beiden, zwischen der Gewalt als letztem Mittel, eine Beziehung aufzubauen und der absoluten Resignation, steht der manisch und panisch agierende Mario Adorf, der zunächst versucht, an das Geld zu kommen, das ihm einen Ausweg aus seiner Misere bieten soll, später aber nur noch ums blanke Überleben kämpft.
So gnadenlos wie der Determinismus des Plots ist auch der Blick der Kamera. In einer Szene versucht John, mit einem Güterzug zu fliehen, wird aber von einem Arbeiter auf dem Zug unsanft daran gehindert. Die Kamera fährt davon und lässt Adorf auf den Gleisen zurück - und seine letzte Chance, mit dem Leben davonzukommen.
Doch da ist noch etwas, das zunächst paradox erscheinen muss: Deadlock ist ein ungemein zärtlicher Film. Das manifestiert sich am deutlichsten in der Figur Jessys. Schon in ihrer ersten Einstellung, in einem Türrahmen stehend, erscheint Mascha Rabben mit ihrem verdreckten Blümchenkleid beseelt von einer sehr spezifischen Unschuld. Sie bildet ein Außen zu der Männerwelt in der es - zumindest vordergründig - ausschließlich um Macht, Gewalt und Geld geht. Ihre pure Präsenz scheint die Kamera zu verzaubern, ähnlich wie es Renate Roland in Bübchen tat. In einer Szene ist ein verfallenes, zweistöckiges Haus zu sehen, über das ein weißes Licht huscht, die Reflexion der Sonne in einem Spiegel. Es kommt schließlich auf Rabben zur Ruhe, die auf einer Außentreppe steht und zu Kid blickt, der den Spiegel hält. Schnitt auf ihr Gesicht, umrahmt von ihren feuerroten Haaren, in denen der Wind spielt, sie zu liebkosen scheint. Aus ihrem Blick sprechen Neugierde, Begehren. In der Szene, in der John Kid die Kugel aus dem Arm holt, streichen Jessys Hände und Lippen über Kids Gesicht, über seine Brust. Später dann die Sexszene zwischen den beiden, behutsam ertasten sie ihre Körper, wie das letzte, das ihnen in einer feindlichen Umwelt Halt geben könnte. Von sanften Gitarrenklängen unterlegt ist da plötzlich eine irgendwie spröde, aber gleichzeitig verspielte Poesie in den Bildern.
Aber auch darüber hinaus gibt Klick seine Figuren nie preis, nimmt jede von ihnen bedingungslos ernst in ihrer Tragik. Dadurch, dass es im Angesicht des Todes geschieht, wird alles in diesem Film umso intensiver. Ein Fiebertraum. Eine 89-minütige fortwährende Agonie.
In der letzten Einstellung verlässt Bohm den Film, wie er ihn in der ersten betreten hat. Allein in der Welt. Ganz und gar verloren. Man möchte ihm fürsorglich nachrufen: "Hey, Kid, where are you going with that gun in your Hand?"  

Nachmals hingewiesen sei auf die Klick-Retro im Berliner Lichtblick-Kino, wo man auch am Montag, den 28. Juli nochmal Gelegenheit haben wird, Deadlock zu sehen - und zwar auf die einzige Art, wie man diesen Film mit seinen starken Hell-Dunkel-Kontrasten und seinen psychedelisch knalligen Farben wirklich erleben kann - von 35mm.

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