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Donnerstag, 28. Mai 2015

Child 44 (Daniél Espinosa, USA, Großbritannien, Rumänien 2015)

Der Prolog zeigt in wenigen Minuten, wie innig die Biographie des Protagonisten mit der Geschichte eines Staates, eines Systems verzahnt ist: der Sowjetunion. Die Eltern von Leo Demidow verstarben, als er noch ein Kind war, bei der Holodomor, einer Hungersnot, die in den Jahren 1932 und 1933 in der Ukraine mehrere Millionen Opfer forderte. Ob Stalins Politik absichtlich zu dieser Katastrophe führte, wie es die kurzen Texttafeln zu Beginn des Films behaupten, ist in der Geschichtsschreibung umstritten. Jedenfalls erscheint die Sowjetunion in "Kind 44" von den ersten Sekunden des Films an als böser Vater, der seine unliebsamen Kinder zwar nicht auffrisst, aber doch im Wald sich selbst und dem Hunger überlässt (später im Film wird dieser Staat dann in die Rolle eines alttestamentarischen Gottes schlüpfen, der das Opfer eines nächsten Angehörigen als Loyalitätsbeweis fordert). "Im Paradies gibt es keinen Mord", diese Worte, als Motto und Leitmotiv dem Film vorangestellt, klingen von Anfang an wie blanker Hohn.
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Sonntag, 12. April 2015

Donnerstag, 5. März 2015

Hard Times (Walter Hill, USA 1975)

Bildergebnis für hard times 1975Mit dem Güterzug kommt Charles Bronson zu Beginn in den Film gefahren, die Ballonmütze auf dem Kopf wie die "Wild Boys of the Road". Aber von den harten Zeiten der Großen Depression, die im amerikanischen Kino der frühen Dreißiger so ausgiebig ihre Spuren hinterließen, erfährt man in Walter Hills erster Regie-Arbeit eigentlich so gut wie nichts. Oder eher - darin ist die Verschiebung vom historischen Kontext auf die Hauptfigur, die der deutsche Titel "Ein stahlharter Mann" vollzieht, durchaus interessant - die harten Zeiten erfahren in dem Mann, der zu Beginn kein anderes Kapital hat als sechs Dollar und seinen gestählten Körper, ihre Konkretion. Der Rest ist ein eher pittoreskes Bild vergangener Tage: Koloniale Fassaden (der Film spielt überwiegend in und um New Orleans), alte Autos und Anzüge, ein Gospel-Gottesdienst, Schuhputzer, Billardsalons.  
 Ivo Ritzer schreibt: "In seiner Konzeption von Kino verzichtet Hill stets auf eine Motivation der Figuren über ausführliche Hintergrundinformationen. Sie besitzen keine Geschichte und Leben im Hier und Jetzt. Das Kino von Walter Hill ist ein Kino der Präsenz im Präsens... Seine Welt ist eine Welt der puren Evidenz." Charles Bronson ist deshalb die ideale Besetzung für einen Hill-Film, weil er die Geschichte, von der wir nichts erfahren, gleichsam in seinen Gesichtszügen mit sich rumzutragen scheint. Nicht als Last und Leid, sondern als eine gewisse Abgeklärtheit, als eine Desillusionierung von der Welt, mit der er immer schon abgeschlossen hat. Das Lächeln, das immer auf diesen Zügen zu spielen scheint, ohne dass es sich kaum jemals manifestieren würde, verbindet Bronson mit dem Burt Lancaster aus Siodmaks "The Killers", der in der letzten Einstellung des Films nicht so sehr vor dem Zuschauer als vor der Einsicht in sein Scheitern, in die absolute Vergeblichkeit all seines Tuns gut aufgelegt den Hut zieht.
Bronson verdient sich sein Geld mit Street Fights, bei denen Männer mit bloßen Fäusten und fast ohne störendes Regelwerk aufeinander geschickt werden. Hier trifft er auf einen aufbrausenden, mit Leib und Seele zockenden und deshalb hoch verschuldeten James Coburn, der der eigentliche Kämpfer in diesem Film ist, während Bronson, in absoluter Sicherheit über seinen Sieg im Ring, doch eigentlich immer schon weiß, dass es für ihn nichts zu gewinnen gibt. Diese beiden gegensätzlichen Männer also tun sich gemeinsam mit Strother Martin als opiumabhängigem Amateur-Arzt zusammen, um in den Hierarchien des Business um die Kämpfe, bei denen um große Beträge gewettet wird langsam nach oben zu kämpfen.
Die Stärken von "Hard Times" werden offenbar, vergleicht man ihn mit anderen Filmen um illegal veranstaltete Faustkämpfe, die oft groß angelegte Ambitionen zu ihren Szenarien treiben, denen es darum geht, von Macht und Begehren in Zeiten der Sklaverei zu erzählen ("Mandingo") oder von der sadomasochistischen Triebabfuhr einer ganzen frustrierten und gelangweilten Männergeneration ("Fight Club"). "Hard Times" hingegen ist ein im besten Sinne kleiner, was seine historischen Implikationen angeht auf sehr entspannte weise unambitionierter Film, der sich nicht damit herumplagt, irgendetwas weltbewegendes, wichtiges oder besonders cleveres zu erzählen.
Darin kommen Film und Hauptfigur wiederum vorteilhaft zusammen. Warum Bronson die Strapaze der Kämpfe überhaupt noch auf sich nimmt, wird eigentlich nie so ganz klar. Ums Geld geht es ihm sagt er mehrmals. Nur weiß einer wie er mit Geld so wenig anzufangen, dass er am Ende einen Großteil davon verschenkt. Auch scheint es eher unwahrscheinlich, dass er der Welt, die er doch längst abgeschrieben hat, noch etwas beweisen muss, etwa was für ein stahlharter Mann er ist.
Seine Art, über den Dingen zu stehen wird besonders deutlich in seinem Verhältnis zum von Bronsons real life-Ehefrau Jill Ireland gespielten love interest. Ein Leben mit ihr hätte vielleicht etwas sein können, wofür er sein hart erkämpftes Geld brauchen könnte. Weil sie andere Vorstellungen hat als er, geht er einfach, wortlos wie immer, um Männerangelegenheiten zu regeln. "Dann eben nicht" scheinen seine reglosen Züge zu sagen und damit sein Lebensmotto griffig auf den Punkt zu bringen.   

Freitag, 16. Januar 2015

The Gambler (Rupert Wyatt, USA 2014)

Das Glück als Glückssache

Zielstrebig bewegt er sich durch die zwielichtigen Räume. Vorbei an den Tischen voller Menschen, überwiegend Männer, von denen einige, während sie auf das ganz große Glück warten, nervös an ihren E-Zigaretten ziehen. Am Ziel seines Ganges durch diese Unterwelt setzt er alles auf eine Karte, gewinnt zunächst Unsummen, setzt weiter alles auf eine Karte. Unruhig blickt die Dealerin zu ihren Vorgesetzten, der Erlaubnis harrend, das Spiel fortzusetzen. Es sei zu seinem eigenen Schutz, erklärt sie ihm. Doch gerade diesen Schutz will er nicht. Er will weiter spielen, immer alles auf eine Karte, bis er alles verloren hat. Und wenn er das noble Gambling Establishment verlässt, hat Jim Bennett (Mark Wahlberg) 60.000 Dollar Schulden - selbstverständlich bei Leuten, denen man besser kein Geld schuldig bleibt.
 
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Sonntag, 4. Januar 2015

The Pirate (Vincente Minnelli, USA 1948)

"Macoco leaves a flaming trail of masculinity/ And suddenly I feel I've got a big affinity/ And I'm loco for Mack, Mack, Mack the Black Macoco"

Alles beginnt mit einer Frauenphantasie. Judy Garland träumt davon, von dem berüchtigten Piraten "Mack the Black" Macoco verführt zu werden, und mit ihm aus ihrem karibischen Kaff fortzukommen in die große weite Welt. Der sexuelle Gehalt dieser Phantasie ist so offenkundig, dass sie um das Lied von ihrer Anbetung für den Piraten zu singen unter Hypnose stehen muss.
Auf der Seite ihres Gegenparts, Gene Kelly, gibt es zunächst eine weitaus gewöhnlichere Männerphantasie. So vielen schönen Frauen begegnet er als reisender Schauspieler, dass er sich in seiner ersten Nummer - vielleicht gleich der schönsten des ganzen Films - darauf verlegt, sie alle mit einem einzigen Namen anzusprechen: Ninia. So tänzelt er sich von einer Schönheit zur nächsten (Ninia, Ninia, Ninia, Ninia), kreuz und quer und auf und ab durch die rührigen Tropendorfkulissen. (Bemerkenswert an dieser Szene ist auch, wie die Frauen in ihrem Verlauf vom Objekt zum Subjekt des Blickes werden, wie Kelly zunächst viele attraktive Frauen sieht, um schließlich beim Tango auf einem Podest selbst zur Attraktion für die nun weiblichen Blickträgerinnen zu werden.)
Um von der Polygamie dieser Phantasie "geheilt" zu werden, bedarf es nur eines einzigen Blickes auf Garland. Männerliebe ist im Musical immer Liebe auf den ersten Blick, der einschlägt wie ein Blitz. Die Frau widersteht den beharrlichen Avancen, dem Stürmen und Drängeln zunächst, muss erst nach und nach erobert werden. So auch Garland hier, die ja in Macoco verliebt ist, den Mann ihrer Phantasie, die in Filmen wie diesem allemal der schnöden Realität überlegen ist.
Doch Kelly und der Pirat haben zunächst noch einen Mitbewerber. Ihre Tante, bei der Garland lebt, hat eine gewinnbringend Hochzeit mit dem Bürgermeister des Ortes (Walter Slezak) arrangiert. Weit über die erste Hälfte des Films und durch einen wunderbar abstrusen Plot Point hindurch, bleibt Macoco, der Phantasiemann, das Objekt von Garlands Begehren. In einem doppelbödigen Spiel der falschen Identitäten gilt es, Macoco zu sein, um ihr Herz zu gewinnen.
Von den Musicals, die ich in den letzten Wochen im Arsenal gesehen habe, ist The Pirate vielleicht das schönste, jedenfalls das, in dem mir Judy Garland am besten gefiel. Sie gibt ihre Rolle mit einer Hysterie, die das ganze Figuren-Dreieck, ja, den ganzen Film ansteckt. Die Inbrunst mit der sie ihre Sehnsucht aufs Meer, in die weite Welt zieht, zu Beginn. Dann später die Leidenschaft in ihrer Macoco-Nummer - einem der Durchweg großartigen Songs von Cole Porter. Schließlich eine Szene, in der ein herrschaftlicher Salon nur deshalb vollgestellt mit Vasen und allerlei anderen Tand erscheint, damit Garland etwas hat, was sie nach Kelly schmeißen kann.
Toll ist auch die Nummer in der Garlands Piratenphantasie in einem leicht bekleideten Kelly Fleisch wird - pyrotechnischer Mehraufwand inbegriffen.
Schließlich Kellys letzte Performance mit dem reizenden Ratschlag "Be a Clown" - zunächst mit den Nicholas Brothers, dann mit Garland, dem neuen Star in seinem Programm, der mit den übergroßen Clownsklamotten ganz reizend aussieht.
MGM gaben mit The Pirate alles, was sie hatten - und scheiterten kolossal. Der Film wurde ein Flop - der Freude an der entfesselten guten Laune, wie sie typisch ist für das Musical der Vierziger und Fünfziger ist, tut das sicherlich keinen Abbruch.  

Dienstag, 9. Dezember 2014

Foxcatcher (Bennett Miller, USA 2014)

"Sieger im Sport, Gewinner im Leben und aufrichtige Bürger der USA", lautet die Trainer-Philosophie von John du Pont. Zu Beginn machen weder seine sportlichen Erfolge noch seine Aufrichtigkeit aus Mark Schultz einen Gewinner. Die Goldmedaille, die er im Ringkampf bei den olympischen Spielen 1984 holte, kommt in einen Schrein voll anderer Trophäen in seiner kargen, eher ärmlichen Wohnung. Der Himmel ist grau, die Straßen schimmern regennass und die Breitbild-Fotografie scheint vor allem dazu bestimmt, weite Räume zu schaffen, in denen sich die Einsamkeit, die Isolation zeigt, in der Mark (Channing Tatum) lebt. Das Einlösen eines Schecks über 20 Dollar steht auf der Tagesordnung und Instant-Nudeln stehen auf dem Speiseplan. Außerdem trainiert er weiter unermüdlich den Sport, der ihm offenbar kein großes, sonders bislang eher ein ziemlich tristes Leben beschert hat.

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Dienstag, 11. November 2014

Fingers (James Toback, USA 1978)

Ein Blickwechsel durchs Fenster. Harvey Keitel sieht Tisa Farrow an, die ihn von der Straße aus beim Klavierspielen in seiner Wohnung beobachtete. Ein Blickwechsel, Schuss und Gegenschuss, sind alles, was es braucht, damit Keitel der Frau verfällt, oder eher: seiner Idee von ihr. Den Kassettenrecorder, aus dem "Summertime, Summertime" plärrt im Arm, spricht er sie an: "You like all kinds of music, huh? So do I." Was er in ihr sucht ist eine tiefe Übereinkunft. Eine Verwandtschaft der Seelen in der Zerrissenheit, die ihren Ausdruck in einem eher disparaten als vielfältigen Musikgeschmack findet. "All kinds of music", das heißt für ihn: Bach und The Jamies, Piano und Ghettoblaster.
Jimmy Fingers (Keitel) ist der Sohn eines kleinen italienischen Gangsters und einer jüdischen, Klavier spielenden und psychisch kranken Mutter. Dass diese Eltern beide dicht am Klischee und der Karikatur gebaut sind, vergrößert nur das Dilemma des Sohnes, seine von vornherein tragische Aufgabe, inmitten dieser Identifikationsangebote zu einer eigenständigen, "ernst zu nehmenden" Persönlichkeit zu werden. Während Jimmy sich einerseits als brutaler Geldeintreiber für seinen Vater verdingt, strebt er andererseits eine Karriere als Konzertpianist an.
Die unüberwindbaren Risse in dieser Person geht der Film durch in Jimmys Beziehung zu Carol (Farrow), der Frau, für die er eine regelrechte Obsession entwickelt, ohne sie doch wirklich zu kennen oder zu verstehen. Der Frau, in der er eine Verwandtschaft sucht, die es doch nur in seiner Vorstellung gibt, die eine reine Projektion ist, seine Projektion. Gleich zu Beginn, wenn sie sich auf der Straße zu ihm umkehrt, ihn das erste Mal direkt ansieht, zuckt er zurück. In seinen Zügen wird eine unvermittelte Angst vor der Frau sichtbar. Wenig später die Szene in der Wohnung/dem Atelier Carols. Ein stürmischer Kuss, ein einander Kennenlernen, ein langsames Ertasten des Gegenübers. Doch zu einer Zusammenkunft führt das gerade nicht. Die eine Einstellung, in der James Toback und sein Kameramann Michael Chapman diese Szene auflösen, endet mit den Beiden, die nebeneinander stehen, den Rücken zur Kamera und ihre Spiegelbilder vor sich.
Im tollen Audiokommentar der DVD sagt Toback, dass Keitel Jimmys Sexualität darstellt mit der Unsicherheit eines Mannes, der nach einer sexuellen Identität sucht, die er vielleicht nie finden wird, der nicht weiß, ob er die Rolle des Vaters oder der Mutter einnehmen soll, nicht weiß "rather he's an asshole or a dick."
Dieses Scheitern am Finden einer - nicht nur sexuellen - Identität wird für Jimmy die Gestalt einer fortwährenden Abfolge von Erniedrigungen und Niederlagen annehmen.
Da ist die Szene, in der er die Freundin eines Schuldners seines Vaters zu einem Quickie im Bad  verführt. So dicht wie Verführung und Vergewaltigung in dieser Szene beieinanderliegen, so wenig scheint Jimmy dabei jemals in seinem Element zu sein. Sein Charme will viel zu ungestüm an ein Ziel, das ihm keine Freude bereitet. Der Sex wird eher zu einem Kraftakt als einer lustvollen Angelegenheit.
Wenn Toback auf diese Szene die beim Urologen folgen lässt, der Jimmy einer Prostatauntersuchung unterzieht, dann lässt er seine Hauptfigur per Finger im Arsch nicht nur vom Subjekt zum Objekt der Penetration werden, es folgt auch eine weitere sexuelle Qual. Jemand mit Jimmys Biographie, so scheint es, kann nur immer wieder neu, aber immer wieder "falsch" gegendert werden.
Dann ist da das Vorspielen am Klavier. Eine weitere Niederlage. Jimmy kann nicht, wenn jemand guckt. Keine seiner beiden Seiten hat die Möglichkeit, sich frei zu entfalten. Jeder Weg, den Jimmy nimmt, scheint sich als neue Sackgasse herauszustellen.
Schließlich der Höhepunkt der Erniedrigungen mit Carol, bei deren Lover Dreems (Jim Brown). Zu viert mit einer anderen jungen Frau in einem Hotelzimmer. Die beiden Frauen mit dem Alphamann, der Jimmy nie sein wird, beide liebkosen Browns Brustwarzen, während Jimmy nicht nur das fünfte Rad am Wagen zu sein scheint, sondern auch das ewige Kind, das nicht erwachsen werden, sich von den Eltern lösen kann, verdammt in die Rolle des ewigen Beobachters in der Urszene.
Dann der finale Racheakt, der zeigt, wie der Vater über seinen Tod hinaus Macht über Jimmy hat. Die Kastration des Feindes als ein letzter homoerotischer Akt einer Sexualität, die keinen anderen Ausdruck als die Gewalt finden kann.
James Toback legte mit Fingers 1978 sein Regie-Debüt vor. Zu der Zeit also als das Neue Hollywood langsam alt wurde und einige der Regisseure, die es hervorgebracht hatte mit ihren Blockbustern seinen Untergang einläuteten. Im amerikanischen Kino der Siebziger wirkt Fingers wie ein Nachzügler, der dennoch einiges an neuen Talenten beförderte. Neben Toback etwa auch den Kameramann Chapman, der wenig später Scorseses Raging Bull fotografieren sollte.
Natürlich kann man dem Film einiges vorwerfen. Etwa seine Diskurslastigkeit im allgemeinen oder die Überdeutlichkeiten im Hinblick auf die sexuelle Ambivalenz und die Impotenz des Protagonisten im besonderen. Wo Keitels und Farrows Hauptfiguren mit der richtigen Dosis an Abgründigkeit ausgestattet sind, kommen die Nebenfiguren doch deutlich klischierter daher, am Störendsten vielleicht in Browns Darstellung des hyperpotenten, schwarzen Mannes.
Im Kern aber nimmt Fingers die Tragik seiner Hauptfigur ernst und verteidigt sie gegen die Lächerlichkeit. Und Hervey Keitel verleiht seiner Figur Gewicht, brilliert in der Rolle eines Mannes, der nie ganz aufgeht in den Rollen, die ihm sein Leben zuweist, der in der Welt, die ihn umgibt, daran scheitern muss, dass er sich keine dieser Rollen wirklich zu eigen machen kann.  
Die letzte Einstellung zeigt, wie die erste, Keitel am Klavier, nun vollständig nackt. Wartend. Er spielt nicht mehr, sondern blickt kauernd ins Leere, zu der Stelle, an der am Anfang Farrow stand. Es gibt für diesen Mann keinen Ausweg mehr. Keine Bezugspunkt außer dem leeren Bürgersteig, dem Asphalt und der Kamera, die ohne falsches Mitleid auf den Mann blickt, dessen Schicksal doch von Anfang an besiegelt schien.   

Samstag, 1. November 2014

Fading Gigolo (John Turturro, USA 2013)

Sexual Healing

John Turturro spielt einen Gigolo. Woody Allen seinen Zuhälter. Zur ebenfalls rapide gealterten Kundschaft gehört unter anderem Sharon Stone. Dass diese Grundkonstellation in ihrer Durchgeknalltheit allzu berechnend auf die Zielgruppe zugeschnitten daher kommt, ist noch eines der kleineren Probleme von "Fading Gigolo", der fünften Regiearbeit Turturros, der als Darsteller unter anderem aus verschiedenen Filmen der Coens und Spike Lees bekannt ist. Wesentlich heikler ist da schon die Tatsache, dass man nach den 98 Minuten des Films relativ ratlos ist, was genau er mit dieser Prämisse eigentlich vorhatte. Was Sie schon immer über männliche Prostitution wissen wollten … erfahren Sie hier jedenfalls nicht.
 
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Mittwoch, 15. Oktober 2014

Thou Wast Mild and Lovely (Josephine Decker, USA 2014)

Spielwiese des Begehrens

Vater und Tochter tollen über die Wiese. Sie hält ein enthauptetes Huhn. Er schreit, dass sie ihn damit erstechen würde. Die Kamera blickt ins Unscharfe, über das Gras und zu den Bäumen. Das Huhn bleibt kopflos auf der Wiese liegen. Dann ist da ein Hund, der knurrt und kläfft. Und eine Frau beginnt aus dem Off von ihrem Liebhaber zu sprechen, so als würde sie ein Gedicht vortragen, poetisch, überhöhend.
 
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Samstag, 11. Oktober 2014

Butter on the Latch (Josephine Decker, USA 2013)

Das Im-Wald-Verloren-sein

Einmal verlaufen sich Sarah und Isolde nachts im Wald. Zu bloßen Schatten werden die beiden Frauen, Schemen, die sich abheben von den Lichtpegeln ihrer Taschenlampen im Geäst. Es kommt zu einem Streit, bei dem die ziemlich angetrunkene Isolde ihrer Freundin Vorwürfe macht. Nachdem Isolde in der Dunkelheit verschwindet und Sarah alleine zurück lässt, folgt ein Schnitt. Es ist Tag. Die Kamera, die zuvor mit den beiden Frauen durch den Wald wankte, blickt nun ganz ruhig mit Sarah über eine Lichtung.
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Mittwoch, 8. Oktober 2014

What We Do in the Shadows (Taika Waitti, Jemaine Clement, USA 2014)

Der Wecker klingelt um sechs. Eine Hand schiebt sich aus dem Sarg, um ihn enerviert auszuschalten. So stinknormal beginnt der Tag von Viago. Oder besser gesagt: die Nacht. Denn wir befinden uns, so informiert das Presseheft, in einem "faszinierenden Dokumentarfilm", der "erstmals und mit schonungsloser Offenheit den unspektakulären Alltag einer bislang unerforschten Spezies" zeigt. Viago ist also, genau wie seine anfangs drei Mitbewohner in einer alten Villa in Wellington, Vladislav, Deacon und Petyr: ein Vampir (was auch den Sarg erklärt, über den aufmerksame Leser im zweiten Satz dieses Textes sicherlich gestolpert sind). Und "What We Do in the Shadows" - wie "5 Zimmer Küche Sarg" im Original wesentlich eleganter heißt - ist eine Mockumentary, die, angelehnt an gängige Reality-TV-Formate, den Alltag einer Vampir-WG schildert.
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Montag, 6. Oktober 2014

Wild Boys of the Road (William A. Wellman, USA 1933)

Der Film beginnt wie eine Komödie. Mit dem ausgiebig beschrifteten Auto, eine Klapperkarre mit Anker, der Freundin auf dem Rücksitz, die immer nur knutschen will (und wenn sie nicht knutschen will, will sie tanzen) und dem vom Tank anderer Autos abgezapften Benzin (ein Kniff, der angewendet werden muss, weil man den eigenen Tank auf die gleiche Weise geleert vorfand). Ein Film über Armut allerdings ist Wild Boys of the Road auch schon in diesen ersten Minuten, die eigentlich alles durchspielen, worum es in den nächsten siebzig gehen wird. Die Not, die erfinderisch macht: in Ermangelung der 75 Cent, die der Eintritt in den Tanzsaal nur für Jungs kostet, schmuggelt sich Tommy als Mädchen verkleidet rein. Und vor allem den Zusammenhalt unter den - hier sehr buchstäblich - Ausgeschlossenen, der mit dringlichem Pathos zelebriert wird.
Sehr bald aber hat die wirtschaftliche Lage, die Misere der Großen Depression den Film und seine beiden adoleszenten Protagonisten, Eddie und Tommy, vollends eingeholt - was nicht heißt, dass er sich nicht ein gewisses Maß an Humor bewahren würde. Im Angesicht von Arbeitslosigkeit und Überschuldung üben sich die Jungs zunächst im Verzicht (keine neuer Anzug, das Auto verkaufen), dessen Mechanismus darin besteht, als freiwillig auszugeben, was doch von der Situation aufgezwungen ist, lernen die kleinen Notlügen, die darauf abzielen, den Liebsten Kummer zu ersparen.
Schließlich und sehr bald reicht auch das nicht mehr aus, so dass die Jungs sich auf den Weg machen, um ihren Familien nicht länger zur Last zu fallen. Im Güterzug geht es in Richtung der großen Städte, nach Chicago und New York. Bald lernen sie Sally kennen, die auf die gleiche Weise on the road ist und überall treffen sie auf Hunderte von Jungs und Mädchen, die ihr Schicksal teilen. Mit zerrissenen Klamotten und schmutzigen Gesichtern fahren sie durchs Land auf der Suche nach Arbeit und einer Bleibe, die sie etwa in New York in slumartigen Holzverschlägen auf der städtischen Müllhalde finden (der sehnsüchtige Blick auf die Skyline aus dem Fenster sagt mehr als tausend Worte).Wind und Wetter sind sie ebenso ausgesetzt wie der Vertreibung überall, wo sie hinkommen. Der Film erzählt von einer Solidarität im Angesicht des alle bedrohenden Elends, die sich über die Grenzen von "Rasse", Klasse und Geschlecht hinwegsetzt. Nicht nur, dass die wild boys - and girls - of the road untereinander zusammenhalten wie Pech und Schwefel, es findet sich eben auch die überschwänglich freundliche Tante hier und der hilfsbereite Arzt da, die ihnen zur Seite stehen, wie sie nur können. Selbst zwei Polizisten befällt ein mulmiges Gefühl, wenn sie gegen sie vorgehen, sind sie sich doch bewusst, dass der Staat hier mit Polizeiknüppel und Feuerwehrschlauch gegen seine eigenen, buchstäblich auf der Strecke bleibenden Kinder kämpft.
Die Wucht und die Kompromisslosigkeit, mit der sich der Film ganz auf die Seite des jugendlichen Lumpenproletariats schlägt, das in der amerikanischen Gesellschaft der frühen Dreißiger nicht mehr ist als das fünfte Rad am Güterwaggon, muss man gesehen haben.
So absolut wie der Film auf die Identifizierung des Zuschauers mit den Jugendlichen abzielt, so distanzlos ist die Kamera mitten im Geschehen. Wenn es der Gruppe einmal gelingt, sich gegen die anrückende Polizei, die sie vom Zug vertreiben will, zur Wehr zu setzen, sieht die Kamera durch Polizistenaugen alles verschwommen aufgrund der Eier, mit denen die Jungs warfen. Sie ist auch mittendrin, wenn die Bande einen Bremser stellt, der ein Mädchen vergewaltigt hat (ein Höhepunkt in der Darstellung des ständigen Ausgeliefertseins dieser jungen Menschen). Es ist als würde die Kamera selbst die vielen fliegenden Fäuste abbekommen. Übrigens kommt der Mann dabei zu Tode, was in einem Pre-Code-Film nicht nur nicht gesühnt werden muss, sondern auch der positiven Identifikation mit den Jugendlichen nicht im Wege steht.
Schließlich gibt es die Szene, in der Tommy beim Abspringen von einem fahrenden Zug schlingert, mit dem Kopf gegen ein Schild knallt, sich mühsam über die Gleise windet und doch nicht verhindern kann, dass ein anrasender Zug ihm über das Bein fährt. Der Knall und der heranrauschende Zug sind perfekt gesetzte Schockmomente, die auch beim Zusehenden eine physische Wirkung nicht verfehlen. Die lange Szene, in der Eddie seinen Freund aufzuheitern versucht, während ihm ein Arzt das Bein abnimmt, wird abgelöst von einer Überblenden-Montage von marschierenden Beinen und entschlossenen Gesichtern unter Schiebermützen. Immer stellt sich der Film mit nahezu grenzenloser Empathie auf die Seite der Schwächsten unter den Schwachen.
Sicherlich stellt das Ende einen Bruch dar. Die erbitterte Anklage des Films, die Eddie ausgerechnet vor einem Richter nochmals vorträgt, wird ein Stück weit dadurch über den Haufen geworfen, dass besagter Richter mit Verständnis und einem Herz für (arme) Kinder alles ist, was es braucht, um das Schicksal der drei Hauptfiguren ins Positive zu wenden. Ekkehard Knörrer schreibt der Ausgang mache den Film zur "New-Deal-Propaganda" und schreibt, er sei Wellman wohl von Jack Warner vorgegeben worden.
Bleibt ein Film, der öfters die Richtung wechselt und doch immer zu 100% bei dem ist, was er gerade tut - und einen kleinen Hoffnungsschimmer mag ich dem Publikum der Depressionszeit, das seine Lage hier so schonungslos und ungefiltert vor Augen geführt bekam, durchaus vergönnen.

Übrigens ist die augenfälligste Parallele zum in einigen Punkten ähnlichen, ebenfalls großartigen Victimas del pecado, dass sich auch dort ausgerechnet eine Kinokasse Ziel eines Raubüberfalls wird (auch wenn in Mexiko wesentlich rabiater vorgegangen wird als in New York). Krisenzeiten scheinen nicht nur den Glamour der Gangster heraufzubeschwören, sondern vom Glamour des Kinos versprechen sich auch Gangstern ihren Teil vom großen Geld...