La niña
santa, der Titel des zweiten Films der
Argentinierin Lucrecia Martel, ist, wie schon der ihres Debuts La Ciénaga,
ebenso schlicht wie präzise gewählt. Das „Heilige“ und das Mädchen stehen sich
zunächst in Form antithetischer Diskurse gegenüber. In dem einen Diskurs, dem
der katholischen Mädchenschule, geht es um Gott, um Hingabe, um Berufung, er
wird gelehrt gepredigt und gesungen. In dem anderen, dem der Schülerinnen, die
eben, Katholizismus hin oder her, immer noch pubertierende Mädchen sind, geht
es um die Atemprobleme einer Mitschülerin beim Singen oder darum, dass gesehen
wurde, wie eine andere Mitschülerin einen Jungen geküsst hat, er wird meistens
geflüstert. Diese beiden Diskurse werden sich im Folgenden begegnen, sich
überlagern und dabei doch unvereinbar bleiben. Das Verhältnis von erwachender
Sexualität und katholischer Moral ist dabei jedoch wesentlich vielschichtiger
und komplexer als das aus Repression und Rebellion, das einem zunächst in den
Sinn kommen mag.
Amalia
(Maria Alché) lebt mit ihrer geschiedenen Mutter Helena (Mercedes Morán) in
deren Hotel. An einem medizinischen Kongress, der hier abgehalten wird, nimmt
auch Dr. Jano (Carlos Belloso) teil. Bei einem Straßenkonzert nutzt Dr. Jano
eine Menschenmenge aus, um Amalia sexuell zu belästigen. Im Folgenden spitzen
sich die Ereignisse zu, als sich Jano und Helena näher zu kommen scheinen und
Amalia, verwirrt durch die Widersprüche ihrer aufkeimenden Sexualität und der
streng katholischen Erziehung durch ihre Schule, es als ihre Berufung
betrachtet, Dr. Jano von der Sünde zu befreien.
In
La niña santa setzt Martel einerseits den Weg fort, den sie in La
ciénaga eingeschlagen hatte, wieder übersteigert sie die sehr genaue
Milieustudie ins Unheimlich, fast Mystische. Das Erstaunliche daran ist jedoch,
dass sie die Intensität des Vorgängers noch zu steigern vermag, obwohl – oder
gerade weil – La niña santa ein formal sehr viel zurückgenommener
Film ist. Der Film spielt beinahe komplett in geschlossenen Räumen, die Kamera
bleibt – abgesehen von einigen signifikanten Ausnahmen – streng statisch. Die
Einstellungen, in der Regel nah oder halb-nah, sind oft geradezu vollgestopft
mit Menschen, mit Gesichtern, die die Kadrierungen ein ums andere mal
zerschneiden, und so das Fragmentarische, das „Unvollständige“ der Figuren
verdeutlichen. Zu diesen
Mitteln kommt das großartige Spiel der Darstellerinnen – allen voran María Alches, die aus 1.400 Bewerberinnen für die Rolle
der Amalia gecastet wurde. Alché verleiht der Figur eine beinahe somnambule Anmut. Unmöglich hinter die Fassade dieses Gesichtes zu gucken, es bleibt rätselhaft wie die emotionalen Verstrickungen, die das Handeln des Mädchens bestimmen.
Auch
inhaltlich ist La niña santa ein wesentlich subtilerer Film. Ging es in La
ciénaga um eine – mitunter etwas zu – deutliche Kritik an Rassismus und dysfunktionalen Familiensturkturen, will
dieser Film auf wesentlich komplexeres hinaus als eine ähnlich gelagerte Kritik
an verlogener katholischer Sexualmoral oder sexuellen Beziehungen zwischen
erwachsenen Autoritätspersonen mit Jugendlichen. Wurden die Themen von
Krankheit und (körperlichem) Verfall dort noch mitunter drastisch ins Bild gerückt, sind
sie nun gänzlich in den Bereich der Sprache verlagert, in den Vorträgen auf dem
Kongress oder in den Gesprächen zwischen Amalia und ihrer besten Freundin
Josefina. Vielleicht lässt sich der Gegensatz beider Filme am besten anhand der
Swimming Pools beschreiben, die hier wie dort eine beträchtliche Rolle spielen.
War der Pool in La Ciénega noch ein Drecksloch, weil die Reinigungspumpe
so kaputt war, wie die meisten der Menschen, die den Film bevölkerten,
erstrahlt er hier in so reinem, geradezu beißenden Blau, dass man förmlich
meint den typischen Schwimmbadgeruch von Chlor in der Nase zu haben. Ist das
Wasser in La niña santa auch wesentlich durchsichtiger, mit den
psychologischen und weltbildlichen Verstrickungen, die das Handeln der Figuren
bestimmen, verhält es sich genau entgegengesetzt. Sehr kunstvoll bringt Martel schließlich keinen der
skizzierten Konflikte zur Auflösung – zumindest
nicht so, wie man es vielleicht erwarten könnte.
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