Dienstag, 21. Januar 2014

Paradies - eine imperialistische Tragikomödie (Zelimir Zilnik, BRD 1976)

Gestern im Arsenal gesehen: Drei Filme von Zelimir Zilnik. Zwei recht kurze und ein etwas längerer. Der erste, Ich weiss nicht was soll es bedeuten (1975), arbeitet sich mit eher experimentellen Mitteln an der Verkitschung von Heinrich Heines Lorelei ab.
Der zweite dann ist reine Agit-Doc. Es geht um die bedingungslose Härte von Polizeieinsätzen gegen Bankräuber in der Zeit des RAF-Terrorismus, die der Film als Öffentliche Hinrichtung(en) (1974) anklagt. Dokumentarische Bilder von einer solchen Aktion werden gezeigt, bei der ein Bankräuber erschossen wird, ohne dass selbst Rücksicht auf die Unversehrtheit der Geiseln genommen werden würde. Durchaus eindrucksvoll ist der Beginn: Ansichten von Hamburger Straßen, die dominiert werden von den Namensschriftzügen und Gittern von Banken. Auf dem ausgeblichenem schwarzweißen Film-Material, teilweise grobkörnig bis zur Beinahe-Unkenntlichkeit, ergibt das ein Bild einer kalten und - sicherlich nicht wegen des Terrorismus - bedrohlichen Welt.
Der längste der drei Filme dann, Paradies - eine imperialistische Tragikomödie (1976), scheint, das ist ein durchaus gelungener kuratorischer Clou, die ersten beiden zusammen zu führen. Wieder geht es um die BRD zur Zeit des Terrorismus, aber diesmal in einem experimentellen, immer wieder ins atemberaubend Groteske überzeichneten Spielfilm. Angelehnt an die Entführung des Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz wird erzählt von einer bankrotten Großindustriellen, die, um sich am eigenen Lösegeld zu bereichern, Anarchisten beauftragt, sie zu entführen. Ursprünglich sollten Rainer Werner Fassbinder und Hannah Schygulla die Hauptrollen übernehmen. Jedenfalls zeichnet Zilnik die BRD-Gesellschaft der Siebziger Jahre als ganz und gar verroht, jeder Empathie unfähig. Und dass die radikalisierte Linke da längst keinen Unterscheid mehr macht, schließt Paradies mit den Fassbinder-Filmen Mutter Küsters Fahrt zum Himmel und - vor allem - Die dritte Generation kurz. Was der Film politisch zu sagen hat, bleibt, trotz des Verzichts auf allzu einfache Gut-Böse-, Täter-Opfer-Zuweisungen, eher plump. (Wobei das Dreschen von Imperialismus-, Ausbeutungs-, Dritte Welt- und Gastarbeiter-Phrasen in seiner stereotypen, formelhaften Leere auch schon wieder System haben mag.)
Beeindruckend sind aber die verstörenden Bilder, die der Film für seine Geschichte findet. Da sind die Zahnarzt-Szenen bei denen in Großaufnahme in verfaulten, verformten Zähnen herumgestochert wird. (Wie sollte ich da nicht an Yuznas kürzlich wiedergesehene Dentist-Filme denken. Überhaupt: nach dem Schlachthaus in In einem Jahr mit 13 Monden, das zweite mal diesen Monat, dass ich im Arsenal den Blick abwenden musste. Ich wusste gar nicht, dass der Neue Deutsche Film so splattrig sein konnte.)
Da ist - vor allem - die komplett in extremen Close-Ups gefilmte Szene, in der eine Zunge Honig von einem Körper leckt, ein Mund Weintrauben aufnimmt, um sie wieder auszuspucken. Dann nacheinander alle Zehen eines Fußes ableckt, an ihnen saugt.
Paradies findet eine Form, das ist seine große Leistung, die unmenschlichen Verhältnisse, die er beschreibt, komplett inkommensurabel zu halten.

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