Donnerstag, 9. Januar 2014

Peckinpah-Notizen 5: The Getaway (1972)



Das Idyll zu Beginn währt nur eine einzige Einstellung lang. Ein Reh auf einer Wiese. Rehe und Wiesen gibt es auch in den folgenden Einstellungen, aber eben dann schon in einem größeren Kontext, in Gefängnismauern. Dann, während des Vorspanns, der Alltag im Knast. Bilder, die von horizontalen und vertikalen Gitterstäben regelrecht zerschnitten werden. Eine Montage, die nichts ineinanderfügt oder parallel stellt, nicht verbindet, sondern nur fragmentiert. Realitäts- und Lebensfetzen. Wiederholungen, Stillstand, freeze frames.


Im Gefängnis in Texas sitzt Meisterdieb Doc McCoy (Steeve McQueen). Seine schöne Frau Carol (Ali MacGraw) erwirkt für ihn bei dem korrupten und kriminellen Provinz-Politiker Benyon (Ben Johnson) seine Begnadigung - indem sie mit ihm schläft. In Freiheit soll das Ehepaar Benyon bei einem Banküberfall helfen. Was sich, natürlich, als Falle herausstellt. Nachdem Carol Benyon beim geplanten Aufteilen der Beute erschießt, fliehen sie nicht nur vor diversen Gangstern, sondern bald auch vor der Polizei in Richtung Mexiko. Im Gepäck eine halbe Million Dollar.
Obwohl in The Getaway viel geschossen wird, Körper in Zeitlupe von Kugeln aufgerissen werden und durch die Luft fliegen, einiges zu Bruch geht und explodiert, bildet das Herz des Films, wie schon in The Ballad of Cable Hogue, eine Liebesgeschichte. Wo allerdings Jason Robards und Stella Stevens Glück dort nur kurze Zeit währen - und nur so schön sein - konnte, weil es eben, wegen grundverschiedener Lebensentwürfe von vornherein keine Zukunft hatte, passen Steve McQueen und Ali MacGraw hier eigentlich gut zueienander. Die Hindernisse, die es für sie zu überwinden gibt, kommen - zunächst! - von außen - sind allerdings so groß, dass das Glück, das ihnen in der ersten Hälfte des Films zuteil wird von sehr kurzer Dauer ist. Es währt genau fünf Einstellungen lang. Mit langen Überblenden verbunden - beinahe die einzigen in diesem Film - zeigt es die beiden beim angekleideten Bad im See. Einige Sekunden lang ist alles im Fluss in diesem Film, der sonst auf schnelle harte Schnitte setzt. Dann kommen Eifersucht, Obsessionen, Mord und Flucht.


The Getaway ist ein gutes Beispiel für Peckinpahs Verhältnis zu seinen Figuren. Er ist grausam zu ihnen, nicht obwohl, sondern weil er sie liebt. Er kann seine Zärtlichkeit nicht anders artikulieren als durch Grausamkeit. (Darin ist die McQueen-Figur im Film, vielleicht auch etwas ein Alter Ego des Regisseurs.) Einerseits ist diese Art der Liebe schon relativ traurig (Peckinpah hat die Misogynie-Vorwürfe einiger Kritikerinnen immer weit von sich gewiesen, mit dem Hinweis, er liebe Frauen. Der Teufel steckt dabei dann wohl in seinem Begriff von Liebe). Andererseits allerdings ist ein Film, der seine jungen und schönen Hollywood-Star-Protagonisten zunächst auf den Müll wirft, um sie dann, mit vor Dreck starrenden Klamotten und blutenden Gesichtern, wieder auferstehen zu lassen und ihnen schließlich sogar ein - für Peckinpah-Verhätnisse bemerkenswert unzweideutiges - Happy End zu gönnen, dann aber auch auf eine ziemlich verwegene Weise schön.

Noch etwas: besonders beeindruckt hat mich, wie es in dem Film immer wieder sehr prägnante genau und klar komponierte Einstellungen gibt, die durch das hohe Tempo und den ruppigen Schnitt sehr kurz bleiben, aber sich dadurch nur umso nachhaltiger ins Gedächtnis einbrennen. Die Leiche auf dem Asphalt, an der Schulkinder vorbeigehen (wobei eben der Schnitt kommt, bevor diese irgendwie auf den blutigen Anblick reagieren könnten). Der tote Benyon auf dem Boden, während im Bildhintergrund McQueen und MacGraw, kaum eine Sekunde lang, ihre Pistolen aufeinander richten (ein sicherlich zentrales Bild, macht es doch das Beziehungs-Dreieck, das für den Film ausgesprochen wichtig ist, explizit). McQueen in einem Laden mit vielen Fernsehern, die einen Augenblick lang alle ein Fahndungsfoto seines Gesichtes zeigen.


Schließlich sollte man auch das zweite "Beziehungs"-Dreieck des Films noch erwähnen. Rudy (cholerisch-fies: Al Lettieri) einer der Gangster, der von McQueen angeschossen wird, entführt den Arzt, der seine Wunde versorgte und seine attraktive Frau, um mit ihnen zusammen die Verfolgung aufzunehmen. Wenn er die Frau schnell zu nichts mehr zwingen "muss", weil sie den ruchlosen Verbrecher bald anziehender findet, als ihren spießig-kultivierten Mann, greift Peckinpah zum einen den - mehr als fragwürdigen - Geschlechter-Diskurs seines Vorgänger-Films Straw Dogs wieder auf. Zum anderen hat dieses Dreieck auch innerhalb des Films eine entscheidende Funktion, weil es das zentrale Dreieck Carol-Doc-Benyon spiegelt. Der phallische äußerliche Zwang in Gestalt einer .357er Magnum (tatsächlich eher eine "Kanone" als eine Pistole) hier, wirft ein anderes Licht auf die inneren Zwänge dort, kehrt diese an die Oberfläche. Darauf, ob es in Ordnung ist, wenn sich eine Frau für ihren Mann so aufopfert, ob es wirklich eine Aufopferung war, gibt es keine klaren Antworten. Zeigt Peckinpah eine Männerwelt, in der ihr schöner Körper das einzige Kapital und Machtmittel einer Frau ist nur, oder liegt in diesem "Zeigen" immer auch schon eine Kritik? Jedenfalls, wenn man das, was an seinem Menschen- und Geschlechterbild nur mittelalterlich ist abzieht, bleiben immer ziemlich interessante Rest-Ambivalenzen.

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