Mittwoch, 22. Januar 2014

The Midnight Meat Train (Riyuhei Kitamura, USA 2008)

Der Fotograf Leon (Bradley Cooper) stößt bei seinen nächtlichen Streifzügen durch New York, auf der Suche nach - möglichst reißerischen - Stadt-Impressionen auf ein grausiges Geheimnis. In der U-Bahn verschwinden nachts Menschen. Zunächst bekommt Leon nur einen unheimlichen Metzger (Vinnie Jones) ins Visier seiner Kamera. Als er diesen aber, immer wagemutiger, immer besessener, verfolgt, stößt er schließlich auf eine Verschwörung, deren ganze Ausmaße er nicht mal erahnt.
 Auf den ersten Blick eher ein entgleister und verunglückter U-Bahn-Horrorfilm. Wie der titelgebende Zug durch die Tunnel, rast er durch seine blutrünstigen set pieces und altbekannten Genre-Versatzstücke, mit Hochgeschwindigkeit und, so soll es seine stilistische und atmosphärische Geschlossenheit zumindest vorgaukeln, sehr zielgerichtet. Natürlich kann man bewundern, wie sehr er sehr er seine Stilisierung von der ersten Einstellung an durchhält. Der Prolog zeigt blutiges Treiben in einer U-Bahn, die ganz blaustichige sterile Kälte ist. Dann kommt eine Einstellung einer New Yorker Avenue, verschwommen, in fahlem Licht, im Zeitraffer, wenn Bradley Cooper, nah, ins Bild tritt, wird der Hintergrund scharf, läuft jetzt in Zeitlupe ab. Cooper macht ein Foto von uns, den Zuschauern. Diesen aufs äußerste stilisierten Anti-Naturalismus zieht der Film Hundert Minuten lang unbeirrt durch. Auch die drastischen Splatter-Effekte, eigentlich denkbar billig in ihrer offensichtlichen Computergeneriertheit, fügen sich gut ins Bild. Wenn Blut in riesigen Fontänen aus Körpern spritzt oder Augen aus dem Kopf und auf die Kamera zu fliegen, passt das zur restlichen extremen Künstlichkeit. Im Show Down dann kommen Zug und Film schließlich im endgültigen Exzess und der vollkommenen Entkopplung von jeglicher Lebensrealität an. Fragt sich nur: was außer Exzess - der Form, der Farben, des Blutvergießens und auch des Melodrams - hatten denn die vorherigen Anderthalb Stunden zu bieten? Und: Stand anstelle jeglicher Lebensrealität nicht von Anfang an die ebenso dreiste wie beharrliche klischierte Behauptung davon? 
Das Problem dabei ist nicht, dass The Midnight Meat Train auf die Realität einfach scheißen würde - das wäre bei einem solchen Film nicht unbedingt eine falsche Entscheidung -, sondern dass er sich genau das dann eben doch nicht traut. Sie wird vor allem in den Figuren und ihren Konflikten einfach behauptet, was dann zu nichts weiter als gängigen Klischees führt: der Zynismus der New Yorker-Kunstwelt, der Künstler zwischen Broterwerb und Selbstverwirklichung, der man on a mission, dessen Besessenheit, eine Verschwörung aufzudecken, immer selbstzerstörerische Züge annimmt (inklusive der erwartbaren Reaktionen seiner Freundin, die ihm loyal ist bis in den Tod.)
Interessant ist der Film allerdings unter einem ganz bestimmten Aspekt: Als neuerer Beitrag zur Filmgeschichte der New Yorker U-Bahn.
Dazu ein kurzer Exkurs: Man kennt die Bilder der New Yorker Subway aus Filmen der späten Siebziger- und frühen Achtziger Jahre. Dreckige, heruntergekommene Züge, innen und außen von oben bis unten mit Graffiti vollgesprüht. Den rechten Action-Reißern dieser Zeit schienen sie eine ideale Kulisse zu sein, weil sie nicht groß überzeichnet werden mussten, um wie ein Ort auszusehen, an dem mit harter Hand mal so richtig aufgeräumt werden musste. (Wie gefährlich im Bezug auf Kriminalität die U-Bahn damals wirklich war, spielt für diese Filme kaum ein Rolle. Sie sah auf jeden Fall so aus, dass es ein Leichtes war, diese Gefahr zu behaupten.) Ein filmischer Gegendiskurs findet sich in den Dokus und Spielfilmen, die sich Anfang der Achtziger mit der aufkommenden Hiphop-Kultur auseinandersetzten. In Style Wars und Wild Style ist die U-Bahn nicht mehr ein Ort, der einfach nur urbanen Verfall illustriert, sondern einer, an dem auch Neues entsteht, soziale Hierarchien unterwandert werden können. Die Kids aus den Armenvierteln gehen, indem sie ihre Kreativität mit der Sprühdose am Zug ausleben, all City. Die Subway wird zu einem zentralen Ort subkultureller Bewegungen.
Zwischen diesen Polen finden sich Filme wie The Taking of Pelham One Two Three (1974), hier wird die U-Bahn zwar auch zum Schauplatz eines Verbrechens, alles in allem ist sie aber doch ein Ort, an dem die kulturellen und sozialen Gegensätze der Stadt vermehrt aufeinandertreffen, ein Herzstück des melting pots, der dann eben nicht so per se böse ist wie bei Winner, Bronson und Co. Walter Hills The Warriors (1978), in dem eine New Yorker Gang vor allen anderen New Yorker Gangs mit der U-Bahn quer durch die Stadt fliehen muss, von der Bronx nach Coney Island, bedient sicherlich vordergründig allerlei kleinbürgerliche großstädtische Ängste. Andererseits ist der Film vom New Yorker U-Bahn-System mindestens ebenso fasziniert wie von der gang culture. Eine - wenn auch grundverschiedene - Faszination von urbanem Zerfall und Anonymität sieht man in Chantal Akermans New York-Meditation News from Home, die ebenfalls zu nicht geringem Teil in der Subway spielt  (und dass er den längst wegsanierten Verfall New Yorks anno 1977 präserviert, Bilder längst untergegangener urbaner Welten zeigt, macht heute sicherlich einen großen Teil der Faszination dieses Films aus).
Zurück ins Jahr 2008 und zu Kitamura. Wenn der Film sich für irgendeine reale Entwicklung interessiert, dann ist es wohl die, dass die New Yorker U-Bahn von heute kaum mit der von vor dreißig Jahren vergleichbar ist. In einer Szene wird auf die Sicherheit hingewiesen, der Blick durch einen Wagen mit den Worten kommentiert: "Look, no graffiti. Air conditioning works. You can understand the conductor. It's a new century." Wenn die U-Bahn in diesem Film auch im 21. Jahrhundert zu einem Ort des Grauens wird, dann unterscheidet sich dieses grundlegend von dem des 20. Jahrhunderts. Hier treiben nicht mehr - zumindest nicht in erster Linie - marodierende Gangs ihr Unwesen, sondern eine straff bis in die Behörden durchorganisierte, nun ja, Untergrundsekte. Waffen sind nicht mehr Baseballschläger und Springmesser, sondern glänzende Metzgerwerkezeuge und Dienstpistolen. Es herrscht gerade kein Chaos, sondern ein systematisches industrialisiertes (Menschen-)Schlachten. Das Grauen ist steril, organisiert, digitalisiert. (Merklich dem Computer enstammt nicht nur das Blut, sondern auch die sich wiederholenden Bilder von den rasenden Zügen. Überhaupt, welch ein Unterschied zwischen den verrosteten, klappernden, pfeifenden U-Bahnen von früher und denen, die hier wie Hochgeschwindigkeitszüge durch die Tunnel sausen.) Dieses neue Grauen jedoch ist überaus brüchig. Es bedarf kaum mehr als des Flackern der Wagenbeleuchtung und schon scheint es für Momente zurückzuschlagen ins alte U-Bahn-Grauen des Zwanzigsten Jahrhunderts. In einer Szene werden diese beiden Register geschickt gegeneinander ausgespielt. Leon verfolgt ein paar finstere Gestalten in einen U-Bahnhof, wo diese eine Frau überfallen. Eine Szene, wie es in den Großstadt-Thrillern der Siebziger und Achtziger Dutzende gab. Hier wird sie jedoch vollkommen anders aufgelöst. Leon macht sich für die Männer bemerkbar. Als einer von ihnen auf ihn zukommt, fotografiert er unbeeindruckt weiter. Gerade als der Mann auf ihn losgehen will, zeigt Leon eine Überwachungskamera, die genau neben ihm hängt. Die drei Männer verdrücken sich. Letztlich gewinnt hier aber nicht die absolute Überwachung über das Verbrechen, sondern das alte Verbrechen wird nur durch ein neues institutionalisiertes und ungleich schrecklicheres abgelöst. Eigentlich überflüssig zu erwähnen, dass diese U-Bahn, dieser futuristische Schlachthof mit dem Charme eines aufgemotzten Krankenhausflurs, kein Ort der Begegnung mehr ist. Geschweige denn einer, an dem irgendwelche subversiven Bewegungen möglich wären.
Je länger ich über diese Lesart nachdenke, umso mehr mag ich den Film dann irgendwie doch.

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