Freitag, 3. Januar 2014

In einem Jahr mit 13 Monden (Rainer Werner Fassbinder, BRD 1978)

Schon am dritten Abend des Jahres: Ein Kinoerlebnis, das für das, was da 2014 an tollen Kinoerlebnissen kommen mag, die Messlatte verdammt hoch hängt. Fassbinders In einem Jahr mit 13 Monden im Arsenal. Auf 35mm.
Die ersten Szenen, im Park, am Fluss, erinnerten mich in ihrer Stimmung an den tollen frühen Kurzfilm Der Stadtstreicher. Die Figuren als Silhouetten vorm Abendhimmel. Kleidungsstücke, die im schimmernden Wasser treiben, langsam untergehen. Wundervoll, wie das poröse Filmmaterial zu diesen fragilen Bildern passt! Grausam ist, was geschieht. Die Transsexuelle Elvira (Volker Spengler) wird zusammengeschlagen von einer Gruppe Männer. Doch Fassbinder findet hier, wie in der Trennungsszene, die folgt, im Grausamen, im Schrecklichen, in der Gewalt eine sonderbare, sehr eigene Poesie. Sogar im Schlachthof. In den Bildern des Blutes, das aus enthaupteten Rinderkörpern sprudelt, der Häutungen. Bilder, die schwerer los zu werden sind, als so ziemlich alles, was ich kürzlich im Film gesehen habe.
Die Fragilität dieses ersten Drittels führt in einen Film, der nicht nur vom Zerfall handelt, sondern der auch selbst, nach und nach und immer mehr, zerfällt - und der seinen eigenen Zerfall, wie den des Lebens, der Geschichte, der (sexuellen) Identität, von dem er handelt, regelrecht zelebriert.
Fassbinder verarbeitete mit dem Film den Suizid seines Ex-Freunds Hans Meier, der in einigen seiner Film mitspielte und sich das Leben nahm, nachdem der Regisseur sich von ihm getrennt hatte.
Wenn Volker Spengler in einer Szene durch einen Nachtclub eher schreitet als geht, dann ist er Elvira. Wenig später fällt dieses Sein auseinander. Durch eine Bemerkung eines Mannes, wie sie jemand wie Elvira wohl ständig zu hören bekommt. Eines Mannes, der sich allein dadurch, dass Elvira ist, wie sie ist, in seiner eigenen Identiät bedroht fühlt, und auf diese Bedrohung wiederum mit einer Drohung reagiert. Nun ist sie aufgelöst, in Tränen, ganz Gefangene der hässlichen orangenen Siebziger Jahre-Dekors, die sich unter heutigen Hipstern wieder so großer Beliebtheit erfreuen. Überhaupt: Die Räume. Mehr als ich dies in jedem anderen Fassbinder-Film in Erinnerung habe, isoliert die Kadrierung die Figuren, indem sie sie an den Rand drängt, in den Hintergrund, der sehr oft durch einen Türrahmen gefilmt wird. Jenseits der Figur die Leere des Raumes, das Nichts. Überhaupt: die Türen. Ständig im Bild, ohne dass sie irgendwo hin führen, irgendeinen Ausweg bieten würden. Auf die Spitze getrieben wohl im Büro des erfolgreichen Unternehmers Anton Saitz - "mit ai" - (Gottfried John) im sechzehnten Stock. Tür hinter Tür hinter Tür. Auf der einen Seite eine Wand, auf der anderen das Fenster. Eine Architektur, die die Wahl zu lassen scheint, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen oder aus dem Fenster zu springen.
Die Geschichte Elviras entfaltet der Film nach und nach anhand anderer Geschichten, biographischer Fetzen, die sich eben nicht zu einem Ganzen fügen, sondern nur einen Eindruck davon vermitteln, dass sich aus ihnen eben keine "ganzheitliche" Person zusammen setzen lässt. Fragmente einer Biographie, die als Ganzes Fragment bleiben muss. Diese kleinen Geschichten sind Fassbinder mindestens so wichtig, wie der Plot an sich. Fetzen auch deutscher Geschichte und bundesdeutscher Gegenwart (Trennungen, Teilungen, Zerfall. So weit das Auge reicht.) Vom KZ übers Wirtschaftswunder in den Frankfurter Büro-Tower. Von Puffs und Klöstern. Es entsteht eine Ent-Hierarchiserung von "Kleinem" und "Großem", "Wichtigem" und "Unbedeutenden". Auch auf der Bild-Ebene. Ebenso wichtig wie die handelnden Personen, sind die kleinen Details. Seifenblasen und Kerzenlicht. Der Mann, der eine lange Szene lang wortlos im Raum steht und mit Hanteln trainiert. Die Weihnachts-Platte, die springt, ("Leise rieselt der, leise rieselt der, leise rieselt der...") während Elvira, zugedröhnt mit Alkohol und Tabletten, auf dem Bett liegt. (Wahrlich, ein Albtraum, das!) Der Fernseher, in dem eine Reportage über Chile unter Pinochet läuft, Soaps, ein Interview, in dem Rainer Werner Fassbinder über die Kindheit und Sex spricht. Am Ende dann, die letzte Einstellung, ein leeres Treppenhaus, das keinen Ausweg bietet. Zumindest nicht mehr für Elvira.

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