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Samstag, 17. Januar 2015

Der Fan (Eckhart Schmidt, BRD 1982)

Starkult und Kannibalismus

Die erste Einstellung zeigt Désirée Nosbuschs Augenpartie. Dazu hören wir einen Herzschlag, der sich beschleunigt. "Italienische" wird diese Art der Einstellung im Fachjargon genannt, nach ihrem beliebten Gebrauch in den Spaghetti-Western von Leone und Co. Es ist bezeichnend für Eckhart Schmidts Film "Der Fan", dass er, einerseits tief in der popkulturellen Gegenwart der Bundesrepublik im Jahr 1982 verwurzelt, doch andererseits gleich mit dem ersten Bild über die Enge seines filmhistorischen Entstehungskontextes hinausweist.
 
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Donnerstag, 11. September 2014

Schluckauf (Roland Klick, BRD 1989)

"An mir ist überhaupt nichts echt," gesteht Chantal gegen Ende und bricht wenig später in Tränen aus. Dabei geht es doch in Schluckauf gerade darum, dass das absolut kein Grund zum Weinen ist, darum, in denkbar schrillen Achtziger Jahre-Settings und -Klamotten die Ideologie der Authentizität zu entlarven. Oder, anders ausgedrückt, zu zeigen, dass "Echtheit" überschätzt ist.
Da ist die Szene relativ zu Beginn: Gertie (auch Flo genannt, Irene Findeisen) ist gerade aus ihrem  Kaff in der norddeutschen Provinz in Berlin angekommen, um das Model Chantal (Cathy Haase) wieder zutreffen, die sie auf einer Modenschau kennengelernt hatte. Sie trifft aber nur die türkische Putzfrau an, die ihr nach einer denkbar schroffen Begrüßung, das Licht in Chantals Wohnung vorführt, dass mit Klatschen ein- und ausgeschaltet werden kann. Eine ziemlich überflüssiges Gimick einerseits, gereichen die beiden denkbar unterschiedlichen Frauen (die doch gemein haben, irgendwie in Berlin gestrandet zu sein), die im Flur stehen und immer begeisterter das Licht an und wieder aus klatschen, dem Film zu einem ersten Moment "echter" Kinomagie.
Chantal übrigens setzt ihre Bewunderin zunächst enerviert vor die Tür. Natürlich geht es in dem Plot, der sich aus dieser Ausgangssituation entwickeln wird, darum, wie die beiden Frauen, die sich ähnlicher sind als sie es selbst glauben würden, Freundinnen werden.
Klick stellt diese Figuren und diesen Plot offen und mit einer vage Almódovar'esken Hysterie als die Klischees aus, die sie sind, nimmt sie aber in ihrer Komik ernst, und beginnt, sie lustvoll zu dekonstruieren. Der Schein trügt also, ganz besonders bei Models in ihren, nun ja, schicken Kreuzberger Wohnungen. Das naive Landei stellt sich nicht nur als vermögender, sondern auch als abgeklärter heraus als die vermeintlich toughe Frau von Welt (laut Visitenkarte: "Starmodel - London, Los Angeles, Paris, Moskau...)
Roland Klicks bislang leider letzter Film ist zugleich sein erster, in dem die Hauptfiguren Frauen sind und seine einzige Komödie. Eine Komödie von Roland Klick, das bedeutet zunächst einmal, dass sein gängiges Thema, die Tragödie gesellschaftlicher Außenseiter und ihres Kampfes ums Überleben, um das Geld, das ihnen endlich zu ihrem Platz in der Welt verhelfen soll als Farce reinszeniert wird.
Doch das ist nur das eine. Um zu zeigen, was da noch ist, soll an dieser Stelle ein kleiner theoretischer Bogen geschlagen werden.
Klick sagte: "Die Amerikaner machen Filme richtig. Ihre Geschichten und die Art, wie sie sie erzählen entspricht dem, was das Medium verlangt. Ich habe deutsche Filme gemacht, und ich habe sie offenbar richtig gemacht, denn plötzlich sahen sie amerikanisch aus."
Diederich Diederichsen schreibt über Gentlemen prefer Blondes, einen amerikanischen Film, der mit Schluckauf mindestens gemein hat, dass er zwei Protagonistinnen mit einer Vorliebe für allerlei bizarre Verkleidungen hat:
"Der vielleicht bekannteste Satz dieses Filmes lautet: »A man being rich is like a girl being pretty«... Worin besteht dieses »wie«? Was macht sie vergleichbar? Nun, beide verfügen über eine externe Eigenschaft – Reichtum, Schönheit –, die auf dem Markt konvertierbar ist. Vollkommen unabhängig davon, wie sie sich selbst verstehen, was für einen Charakter, was für eine Geschichte sie haben. Jeder und Jede kann eine solche externe Eigenschaft sich aneignen (vielleicht ist nicht jeder schön, aber jeder kann sich, so argumentiert dieser Film, eine Eigenschaft aneignen, die nicht dadurch diskreditiert wäre, dass sie angeeignet ist – nur Schminke etwa) und dann damit machen, was er oder sie will. Weder die Person noch ihre Zwecke sind mit diesen Mitteln identisch, aber die Mittel weisen ihnen einen Rang zu. Dieser Rang basiert ausschließlich auf diesem Kapital. Das ist die amerikanische Freiheitsidee, die nichts mit europäischen Genealogien und Legitimierungen zu tun hat, wo Reichtum edel ererbt oder fleißig erworben wird und Schönheit nur bestehen kann, wenn sie auch von innen kommt. Diese vorderhand egalitäre amerikanische Voraussetzungslosigkeit (die man ja auch als Tauschwert-Terror beschreiben kann) hat Frieda Grafe an verschiedenen Filmen von Howard Hawks, dem wir auch diesen verdanken, herausgearbeitet: als nicht nur eine politische und ethische Dimension amerikanischer Kultur, sondern auch als eine formal und strukturelle amerikanischer kultureller und künstlerischer Produkte: Serialität, Ersetzbarkeit, Parataxe, Aufzählung, Enzyklopädie, Doppelgänger und Remakes. Allen gemeinsam ist, dass sie ohne Hierarchie auskommen, ohne Herleitung, ohne Aufstieg und Niedergang."
Es scheint an dieser ausführlich wiedergegebenen Unterscheidung deutlich zu werden, warum es einen Filmemacher wie Klick zu dem hier skizzierten amerikanischen Kulturverständnis mehr hinzieht als zu seinem europäischen Gegenstück. Roland Klick verstand sich immer als einer, der Filme für ein Publikum machen wollte, anstatt sich von einem - letztlich immer elitären - Kunstverständnis leiten zu lassen, der das Genre dem Autorenkino vorzog.
Schon in meiner Besprechung zu Supermarkt habe ich zu zeigen versucht, dass die kurzen Momente des Glücks, die Willie in seiner Existenz des Wegrennens und des Ausgeschlossen seins erlebt, nicht dadurch diskreditiert würden, dass er einen Traum verfolgt, der sich letztlich nicht erfüllen wird.
Wo Willie seinem tragischen Schicksal nicht entkommen konnte, kann Schluckauf als Komödie ein gutes Stück weiter gehen. Der Film erträumt eine Welt, in der es keine Hierarchien gibt zwischen Traum und Realität, zwischen dem, was "wirklich echt" und dem was nur Schminke ist, zwischen den Geschichten, die jemand erzählt, damit die anderen sie mögen und ihrem Leben.
Es entsteht eine Welt, in der alles möglich ist. Eine Welt absoluter Freiheit, in dem es eben nicht darum geht, das Reale vom Irrealen zu trennen, das Echte vom Falschen, sondern in der Glück daraus entsteht, dass das Falsche, das Irreale gelebt wird. In dieser Welt kann das umgedrehte Goldfischglas zum Orakel werden, mit dem sich die Lottozahlen vorhersagen lassen. Oder ist das doch nur ein Trick? Das Schöne ist, dass das in diesem Film keine Rolle spielt. In dieser Welt lässt sich ein Koffer voll mit Geld träumen. Oder kommt der Koffer doch aus dem Fernsehen, aus Deadlock in die Diegeses dieses Films? (So oder so wohl der wagemutigste Vorstoß in Richtung Postmoderne im Schaffen Klicks.) Oder stammt er doch von Freddy (Peter-Hugo Daly), einem Bekannten Chantals, der zu Beginn mit der Maschinenpistole vor der Tür steht? Wie dem auch sei, jedenfalls kommt mit Freddy auch echte Suspense in die Welt des Wunderbaren, Kitschigen, Exaltierten dieses Films, die nicht dadurch diskreditiert würde, dass es sich nur um Tricksereien handelt. Die U-Bahn-Suspense/Horror-Szenen sind atemberaubend mit den in den Aufgängen aufschreckenden Tauben und dem zwischen zwei Zügen schreienden Gesicht. Und oben drauf gibt es in einer dieser Szenen noch die tollste Berlin-Horrorfilm-Einstellung, die ich je gesehen habe: Die Kamera wabert in einen Dönerladen hinein und auf den Spieß zu als wollte sie eine Scheibe von ihm abschneiden.
Das es in der Welt des Überzeichneten, des Bizarren, des Durchgeknallten, die dieser Film zeichnet, immer wieder um "echte" Gefühle geht, um die zärtlichen Annäherungs-Momente zweier Frauen, macht ihn auch zu einer Metapher auf das Kino, in dem es ja von jeher darum ging, künstliche Welten mit "echten" Emotionen aufzuladen.
Und dann ist Klicks letzter Film und sein dritter, der in West-Berlin spielt, auch der ultimative Mauerstadt-Film, weil es in ihm darum geht, die Mauer zwischen Traum und Realität einzureißen - und das unmittelbar bevor die reale Mauer zwischen Ost und West "fallen" sollte.

Und übrigens: "Der Kiez von heute, ist die Schickeria-Gegend von morgen." Wie recht sie doch hat, die Chantal.

Samstag, 16. August 2014

White Star (Roland Klick, BRD 1983)

Roland Klick erinnert sich an die Produktionsgeschichte seines vorletzten Films als eine Geschichte fortlaufender Katastrophen. Zunächst sagte ein amerikanischer Produzent ab, der Geld für eine Starbesetzung zugesichert hatte, zu der neben Dennis Hopper auch Jane Birkin gehören sollte, das er letztlich nicht aufbringen konnte. Dann verließ auch ein deutscher Produzent das sinkende Schiff. Klick konnte nur noch Geld zusammenkriegen für Hopper und eine US-Army-Theatergruppe (dabei allerdings: David Hess, Freunden des härteren Genre-Kinos bekannt aus Filmen wie The Last House on the Left oder Autostop rosso sangue). Dann war da die Kokainabhängigkeit Hoppers, die den Drehplan vorgab. Weil er oft nicht in der Lage war, mehr als zwei Stunden am Tag zu spielen, konnten nur die notwendigsten Szenen gedreht werden. Dadurch fehle dem Film, so Klick, das "Verdünnungsmittel". Obwohl einige Szenen zur Auflockerung nachgedreht wurden, habe der Film auch in seiner endgültigen Version "Überdruck". Bei der Uraufführung auf dem Filmfestival Hof, habe es allerlei technische Probleme gegeben und der Film sei regelrecht durchgefallen.
Bezeichnenderweise beginnt White Star, dem man seine turbulente Produktionsgeschichte durchgehend ansieht, mit einem Konzert in einem Berliner Punk-Club, das ebenfalls katastrophal verläuft. Der Nachwuchsmusiker Moody wird ausgebuht, schließlich sogar mit einem wahren Bierdosenregen von der Bühne vertrieben.
Dennis Hopper spielt Moodys Manager Ken Barlow, dessen Glanzzeit vorbei ist. In seiner ersten Szene sehen wir ein Foto von Hoppers Gesicht in einem Aschenbecher, das er langsam von Asche befreit. Aus der Asche seiner Karriere möchte Barlow auferstehen. Moody zum Star zu machen, ist seine letzte Chance, das zu erreichen. Eine große Zukunft verspricht er ihm - und denkt dabei doch nur an seine eigene. Dabei sind ihm alle Mittel recht. Dass er, um werbewirksame Schlagzeilen zu bekommen, eine Straßenschlacht anzetteln lässt, ist erst der Anfang. So wie Hopper Barlow mit vollem Körpereinsatz spielt, setzt er auch die körperliche und geistige Unversehrtheit seines Schützlings aufs Spiel.
"Nothing is too much!" sagt Hopper einmal. Damit gibt er nicht nur das Credo für die Arbeitsweise seiner Figur vor, sondern zugleich für sein manisches Spiel - und die Eskalationspolitik des ganzen Films. Hopper, die halblangen, grauschwarzen Haare mal schleimig nach hinten gegelt, dann wieder strähnig ins Gesicht hängend, ketterauchend, die Zigarette manchmal beim Reden zwischen den Zähnen eingeklemmt, fuchtelt und zappelt, schreit und keift und flucht und tobt und rast durch ein Achtziger Jahre-West-Berlin, das selten apokalyptischer aussah. Die Handkamera ist mitten im Geschehen. Zwischen den Körpern randalierender Punks, fliegenden Bierdosen und Pflastersteinen. Zwischen Polizeihelmen, dem Asphalt und den Glasscheiben, an denen sich das Wasser des Regens mit dem der Wasserwerfer vermengt.
Einerseits ist Barlow damit eine weitere Klick-Figur durch und durch. Wie die Figuren in Deadlock, wie Willi in Supermarkt trägt er einen Kampf aus gegen eine kalte, indifferente Umwelt. Einen Kampf um das Geld, das nie das ist, worum es wirklich geht, aber doch das letzte, worum man noch kämpfen kann. Die Verzweiflung, mit der er kämpft, rührt auch für ihn von dem Wissen her, keine Chance zu haben - und mit umso größerer Insistenz zu versuchen, sie zu nutzen.
Andererseits bringt der Irrsinn, mit dem Hopper diese Figur verkörpert, den Film grundlegend aus dem Gleichgewicht, degradiert alle anderen Darsteller zu mehr oder minder belanglosen Nebenfiguren. Selbst in einer Szene, in der Hopper am Boden liegt und von einem entfesselten Mob zusammengeschlagen, letztlich von einem Punk sogar angepisst wird, versucht die Figur, aus dieser Situation noch Nutzen zu schlagen - und der Schauspieler den Film weiterhin ganz an sich zu reißen.
Das Problem daran ist nicht nur, dass Hoppers Spiel vor allem in der zweiten Filmhälfte zu Redundanz führt, einem gewissen Leerlauf im beständigen Over Drive, sondern auch dass das Ende nicht wirklich funktioniert. Mehr als jeder Protagonist in einem der vorherigen Filme des Regisseurs bekommt Moody sein Happy End. Das dann aber kaum etwas zur Sache tut. Ist man doch als Zuschauer ganz bei Hopper, der in seinem Mercedes, jetzt tatsächlich weinend, durch die regennassen, dunklen Berliner Straßen fährt, dem letztlich nur ein riesiger Schluck aus der Whiskey-Flasche und der Blick in den Himmel bleibt. Zu den weißen Sternen, die nicht mehr für ihn leuchten, dem Feuerwerk, das nicht seinen Erfolg feiert.

Wie schon Lieb Vaterland, magst ruhig sein, ist auch White Star aber als Berlin-Film ganz großartig. Es gibt eine Folge von statischen Einstellungen, die nur zur Auflockerung in den Film gelangt sind, und Stadtansichten zeigen. Die Straße des 17. Juni und eine Altbauruine. Im Morgennebel. Ein Kind, das mit seinem Hund an der Mauer entlangtollt. Die Menschen, die durch die Überführung am U-Bahnhof Möckernbrücke hin und her laufen. Diese Bilder geben der Mauerstadt eine Atmosphäre, strotzen ihr eine Aura ab, die sie zu einem eigenen, etwa ein-minütigen, wundervollen Querschnittsfilm machen.

Samstag, 2. August 2014

Lieb Vaterland magst ruhig sein (Roland Klick, BRD 1976)

Jörg Schöning hat Roland Klick den Professional unter den deutschen Regisseuren genannt. Und tatsächlich scheint Klicks vierter langer Spielfilm die Bemühungen offen zu legen, ein eigenes Genre-Kino zu etablieren, ohne sich auf ein Genre festlegen zu lassen. Etwa wie die Regie-Handwerker, die im populären italienischen Kino der Zeit vorherrschend waren. Nach dem fieberhaft psychedelischen Quasi-Italo-Western Deadlock und dem Hamburger Milieuthriller Supermarkt, legte er mit Lieb Vaterland magst ruhig sein einen Spionagefilm vor.
Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Johannes Mario Simmel und angesiedelt in West-Berlin des Jahres 1964, genau drei Jahre nach dem Mauerbau, geht es um Bruno Knolle (Heinz Domez), der von Ost-Berlin aus als Spion auf eine Mission in den Westteil der Stadt geschickt wird. Er wittert seine große Chance, nicht nur die DDR, sondern auch seine Bankräuber-Vergangenheit endgültig hinter sich zu lassen. Er vertraut sich den Behörden der BRD und den West-Alliierten an. Doch so wie sich das schmierig düstere West-Berlin (beinahe könnte es ein Gegenstück zum Kerker und Tunnel-Ost-Berlin in Siodmaks Escape from East-Berlin sein), nicht wirklich ins Bild des Gelobten Landes, der freien Welt passen möchte, werden auch die hiesigen Institutionen ihn gnadenlos fallen lassen, sobald sie keine Verwendung mehr für ihn haben und sein Wissen für sie zu einer Bedrohung werden könnte.
Die schöne Besprechung des Film von Maurice Lahde nennt das "einen Beitrag zu einer Genre-Tradition, die es nie gab" und betont zugleich, wie wenig Aufhebens Klicks Film um seine Sonderstellung macht: "Der Film verhält sich gewissermaßen nicht so, als wäre er als funktionierender Genre-Beitrag hierzulande allein auf weiter Flur, sondern als gäbe es viele von seinesgleichen – dies unterscheidet ihn etwa von den Genre-Arbeiten eines Dominik Graf, die sich ihr Wissen um ihre Alleinstellung ja nicht ungerne anmerken lassen. Roland Klicks Film ist dagegen ganz und gar uneitel. Wüsste man es nicht besser, würde man ihn für ein solides Beispiel aus der reichhaltigen Tradition des BRD-Spionagefilms halten."
Aber dann ist der Mann, der versucht die Antagonisten des Kalten Krieges gegeneinander auszuspielen und dabei schließlich auf keiner Seite mehr Freunde hat, der mit höchsten Einsätzen spielt und am Ende alles verliert, auch eine Klick-Figur durch und durch. Er teilt das Schicksal von Mario Adorf in Deadlock und ist genauso zwischen allen Fronten auf sich selbst gestellt wie Willi in Supermarkt. Heinz Domez spielt ihn mit einer Abgebrühtheit, einem Hang zum Hartgekochten, unter der doch in jeder Szene die Müdigkeit ob des ewigen Kämpfens und Wegrennens sichtbar ist. Er möchte einfach nur in Ruhe gelassen werden, die Gelegenheit bekommen, neu anzufangen und sein altes Leben hinter sich zu lassen. Doch wie für alle Klick-Figuren sieht er sich mit einer kalten Welt konfrontiert, der ziemlich egal ist, was er möchte, in der es für ihn keinen Platz und aus der es für ihn kein Entkommen gibt. Ost und West entpuppen sich für ihn als zwei Seiten der selben Medaille. Schon in den ersten Szenen, wenn unter einem Banner mit der Aufschrift "Für Sozialismus und Fortschritt" die Panzer entlang rollen und sich aus dem Radio der RIAS meldet als "freie Stimme der freien Welt"- was zugleich dem Zuschauer einen Einstieg gibt in den Dauerbeschuss an westlicher, "anti-kommunistischer" Propaganda-Rhetorik in diesem Film. Die beiden antagonistischen Mächte verhalten sich absolut symmetrisch zueinander. Von dem Kommissar, der auf beiden Seiten Brunos Ansprechpartner, aber sicherlich nicht sein Freund ist über die Portraits von Ulbrich respektive Kennedy an der Wand bis zum Blick über die Schulter beim Telefonieren.
West-Berlin ist in Lieb Vaterland ein Ort des bröckelnden Putzes und der dreckigen, menschenleeren U-Bahnhöfe, der Jazz-Clubs und der schummrig verwegenen Eckkneipen, deren Schilder einen wohl recht kompletten Überblick über das damalige Biersortiment geben, der Neonleuchtreklamen und des regennassen Asphalts, das die gelblichen Lichter der Straßenlaternen reflektiert wie in einem Film Noir. Ein Taxi-Fahrer bringt das kapitalistische Wesen dieser Stadt mit Berliner Schnauze auf den Punkt: "Gloob ma bloß nich, dass dir hier allet in'n Schoß fällt. Schlaraffenland, von wejen. Hier muss jeder seine Mark treffen. Haste watt, dann biste ooch watt."
So düster wie die Szenerie ist auch das enggestrickte Netz der Intrigen und Verschwörungen. Die Nebenfiguren ergeben eine ganze Galerie der Verlorenen und Verdammten. Da ist Fanzelau (Georg Marishka), der Mann, auf den Bruno angesetzt werden sollte, und der für viel Geld gezielt Facharbeiter aus dem Osten in den Westen bringt. Da ist Knarge (Rolf Zacher), Zuhälter und alter Knastfreund von Bruno, den die Alliierten wegen dem Verkauf von Kinderpornographie in der Hand haben. Da ist Brunos Freundin Mietzi (Catherine Allégret), die im Osten, wie sie ihm am Telefon gesteht, als Agentin auf Bruno angesetzt war. Da sind die Agenten beider Seiten, die die Maschinerie in Gang halten, zwischen deren Zahnrädern Menschen - und ganz gewiss nicht nur Bruno - schier aufgerieben werden. Da sind die sensationsgeilen Reporter und Journalisten, die auf ihrer Jagd nach der ganz großen Story so heuchlerisch und skrupellos vorgehen, als würden sie direkt aus Hawks His Girl Friday oder Wilders Ace in the Hole kommen. 
Während des Drehs musste Klick das Buch mehrmals überarbeiten, auch war zunächst ein anderer Produzent geplant, der erst später durch Bernd Eichinger ersetzt wurde. Vielleicht liegt es an der schwierigen Produktionsgeschichte, dass der Film nicht die Wucht Klicks vorheriger Werke erreicht. Dennoch ist Lieb Vaterland magst ruhig sein ein sehr solider Genrebeitrag geworden, dem der Regisseur unverkennbar seinen Stempel aufgedrückt hat. Die Kamera wurde wie schon im Vorgänger vom großen Jost Vacano geführt. Ihre enorme Agilität schafft es die Hektik der Redaktionsräume und Geheimdienst-Büros adäquat einzufangen, die hysterische Stimmung der Stadt wiederzugeben, durch die die Front des Kalten Krieges verlief. 
Jörg Schöning schrieb übrigens auch, dass man niemals auf die Idee käme, von Klicks Protagonisten als "Helden" zu sprechen. Vielleicht ist die Situation Brunos noch vertrackter. Sein Dilemma kommt gerade in der Szene zum Ausdruck, in der er Fanzelau vor der Entführung durch DDR-Agenten bewahrt, also eigentlich doch zum Helden wird. Da ist zunächst das Close-Up von Fanzelau, der am Boden liegt, seinen Blick zu Bruno hebt, die Haare fallen ihm ins dreckige Gesicht, aus seiner Nase läuft Blut. Dann der Gegenschuss auf Brunos Gesicht, die Schweißperlen auf seiner Stirn und das silberne Kreuz um seinen Hals glänzen im bläulichen Licht der Nacht. Er rennt vom explodierenden Auto weg und zu Fanzelau. Doch über der Heldentat, dem Gelingen von Brunos Mission liegt eine tiefe Melancholie, die Aura der Vergeblichkeit. Der Retter und der glücklich Gerettete bleiben in diesem Film doch Verlorene. Zum Held zu werden reicht im Kino Roland Klicks nicht aus, um davonzukommen.

Montag, 28. Juli 2014

Supermarkt (Roland Klick, BRD 1973)


let's pretend we're lovers there's no time to lose
soon's gonna drift me out of town
loving's ever been an obvious dream to choose
heart beats always counting down
 
Das düster schummrige Bad einer Kneipe. Ein junger Mann steht am Waschbecken, wäscht sich das Gesicht, den Rücken zur Kamera. Er kommt raus an die Bar, trinkt seinen Kaffee aus. Die beiden Männer in der Küche sprechen Spanisch, die einzigen Gäste des Lokals, ein Paar an einem Tisch, Englisch. Der junge Mann ist ein Fremder, der keinen Ort hat, wo er hinkann - in der Stadt, aus der er vielleicht sein Leben noch nicht raus gekommen ist. Soviel macht die erste Szene von Supermarkt, aufgelöst in einer einzigen Einstellung, bei der die höchst agile Kamera dem Jungen folgt, unmissverständlich klar. Beim rausgehen versichert er sich, dass die beiden Männer in der Küche gerade nicht gucken, dann leert er das Tellerchen mit dem Trinkgeld in die Tasche seiner dreckigen Jacke. Draußen auf der Straße wird er von einer Gruppe Kinder umgerannt. Die Groschen landen auf dem Pflaster. Die Kinder stürzen sich gierig darauf, verschwinden mit ihrer Beute. Für ihn war das Schicksal, so scheint's, schon immer ein Arschloch. In der Totalen geht er davon, über das nassglänzende Pflaster einer grauen, tristen, vollgemüllten Hamburger Straße. Dazu hebt ein Song an, sein Song. "Celebration" heißt er, geschrieben von Roland Klick, gesungen von Marius (Müller) West(ernhagen).  

you know i want my celebration babe before i die
there's no place were i feel bound
it's not my destination here so babe don't cry
land of grace will soon be found
 
Der Junge heißt Willi (Charly Wierzjewski). Er ist obdachlos, ziellos, geldlos. Ein Drifter. Immer auf der Suche nach dem Platz, an dem es ihn hält. Immer dem Geld hinterher, das für ihn nie auf der Straße lag - aber eben ab und zu auf dem Trinkgeldtellerchen von Kellnern oder Klo-Frauen. Die Subproletarier können sich nur noch gegenseitig ausbeuten. Immer auf der Flucht vor der Polizei, für die Männer wie er mit seinen halblangen, fettigen Haaren und seinen abgegriffenen Klamotten unter Generalverdacht stehen.
Roland Klick sagte über den Film: "Das Wesen von Supermarkt ist das Weglaufen, das Rennen, das Sich-nicht-erwischen-lassen, das Unterkriechen. Das bedingte zweierlei: Erstens brauche ich einen Darsteller, der wirklich Rennen kann. Ich glaube von mir behaupten zu können, dass ich einem Kerl ansehe, ob er schon einmal vor der Polizei weggerannt ist. Zweitens braucht man einen Kameramann, der hinterherkommt."
Den fand er in Jost Vacano, dessen Kamera in allen Abstufungen der Beschleunigung hinter Willi her rast, -gleitet, -fliegt. Rastlos. Mit einer ruppigen Eleganz. Durch ein Hamburg des Drecks, des Schlamms, der unverwechselbaren Siebziger Jahre-Tristesse, die selten so roh und ungefiltert auf Zelluloid gebannt wurden. Aber auch der Verheißungen, der Clubs mit ihren Leuchtreklamen. Willis Wege durch die - meist nächtliche - Stadt führen hin und her zwischen dem engagierten Reporter Frank (Michael Degen), der ihm helfen möchte, dem schmierigen Gauner Theo (Walter Kohut), der ihn immer tiefer in seine kriminellen Machenschaften hineinzieht, einem reichen Homosexuellen (Hans-Michael Rehberg) und der Prostituierten Monica (Eva Mattes), die er aus dem Nachtclub, in dem sie arbeitet, "retten" möchte, mit ihr abhauen und ein neues Leben anfangen.    
 
so my journey's just a ride with an open end
one day i know what i've to pay
take a fancy to my dreams before it ends
come on it's time to slip away
 
Nachdem Deadlock relativ erfolgreich in den Kinos lief, habe man, so sagt Klick, ihm die Regie in einem Italo-Western angeboten. Er jedoch wollte sich nicht vereinnahmen lasse. Stattdessen drehte er Supermarkt - in eigener Produktion. Inspiriert hat ihn die Geschichte eines jungen Herumtreibers, den er selbst zu sich aufgenommen hatte. Wierzjewski übrigens, ein Laie, der vor dem Film nie vor einer Kamera stand, hat selbst eine ähnliche Biographie. Mit seinem dritten abendfüllenden Film befindet sich Klick auf dem Höhepunkt seines filmischen Schaffens. Die Konstanten in seinen Werk kristallisieren sich deutlich heraus. Seine Protagonisten sind Outlaws und Außenseiter. Es geht immer wieder um die Ausweglosigkeit, das Nicht-davon-kommen-können. Ob kleinbürgerliche Vorstadt, verlassenes Wüstenkaff oder Hamburger Milieu, nie sind die Orte, an denen die Filme spielen, bloße Schauplätze. Immer trachtet Klick danach, sie in ihrer Essenz zu begreifen, Figur, Plot und Ort in eine spezifische Beziehung zueinander zu setzen. Frank in seinem Trenchcoat scheint ein direkter Verwandter von Achims Vater in Bübchen. Einer, dem das Leben Versprechen gegeben hat, die es nicht einhielt. Der nicht weiß wohin mit seinem sozialen Engagement. Wie seine Partnerschaft scheint sein ganzes Leben fad geworden zu sein, brüchig. Und so verzweifelt und hilflos wie der Vater dort versucht, inmitten all des erdrückenden Spießerirrsinns eine Bindung zu seinem Sohn aufzubauen, klammert sich auch Frank an seinen Ersatzsohn. Und auch für ihn endet diese Beziehung in einer Art Komplizenschaft.
 
you know i want my celebration babe before i die
land of sunshine will be found
it's not my destination here so babe don't cry
it's gonna be a place we found
 
Ist es eigentlich Ironie, dass der Titelsong zu diesem düsteren, ausweglosen Film "Celebration" heißt? Sarkasmus? Mitnichten! Immer wieder gibt es in Willis trauriger Geschichte Momente größter Zärtlichkeit, puren Glücks. In der denkwürdigsten Einstellung dieses an denkwürdige Einstellungen reichen Films folgt die Kamera Willi bei seinem nächtlichen Weg über die Reeperbahn. Sein Kopf ist von hinten zu sehen, als Silhouette, aber scharf, während die Neonlichter vor ihm verschwimmen zu einem buntblinkenden Einerlei. Isoliert ist er, allein in der Welt. Aber die Kamera ist doch ganz auf seiner Seite, gegen die Welt, von deren Glücksversprechen er ausgeschlossen ist. Da ist die Szene, in der er aus dem Haus des Schwulen flüchtet, das in seinem Prunk und seiner Helligkeit so im Kontrast stand zu den anderen zwielichtigen Orten des Films. Und das doch für Willi einfach nur ein anderes Gefängnis, ein goldener Käfig hätte sein können. Die Kamera folgt ihm bis zur Verandatür, deren Klinke im rechten Bildrand zu sehen bleibt. Sie muss sich neu fokussieren während er weiter rennt, ans Sonnenlicht gewöhnen, an den Blick ins Freie. Ein Aufatmen. Draußen ein sonniger Tag, die aufblühende Natur, die Alster, auf der ein Schiff vorbei fährt. Dann die Szene, in der er Monica in Franks Sportwagen, den er sich "geliehen" hat abholt, um mit ihr einen Ausflug zu machen, zusammen mit ihrem kleinen Sohn. Zu dritt tollen sie am Strand entlang. Dass da einer nur so tut als ob, mit einem Auto, das nicht ihm gehört versucht ein Mädchen zu beeindrucken, "Familie zu spielen", tut nichts zur Sache. Ein Paar Minuten lang lebt er seinen Traum von einem besseren Leben, der alles ist, was er hat. Schließlich die Szene, wenn sie miteinander tanzen, sich aneinanderschmiegen, das Licht zärtlich auf ihren Gesichtern spielt. Und immer wieder erklingen dazu die jaulenden E-Gitarren von "Celebration", seinem Song. Nur im Angesicht der Ausweglosigkeit und des Todes kann die Intensität dieser Momente entstehen. Eine Feier des Lebens. Trotz allem.
Dass es für Klicks Hauptfiguren kein Happy End geben kann, dass sie sich auch bei ihrem verzweifelten Ringen nach Freiheit immer tiefer in (mörderische) Schuld verstricken, liegt nicht daran, dass er keine Gnade mit ihnen hätte.
Er liebt sie nur einfach zu sehr, um sie anzulügen. Das gleiche gilt wohl auch für sein Publikum.

so we'll have a celebration here before we die
land of sunshine will be found
you're all my fascination babe so please don't cry
it's gonna be a place we found

 

Donnerstag, 24. Juli 2014

Deadlock (Roland Klick, BRD 1970)

Ein Mann schleppt sich durch die Wüste. Im Zick-Zack, schwankend kommt er auf die Kamera zu. Sein grauer Anzug ist dreckig und zerrissen. Eine Schusswunde am Arm und die sengende Sonne machen jeden Schritt zur Qual. Er bleibt so stehen, dass nur seine Beine im Bild zu sehen sind. In der einen Hand hält er einen Aluminium-Koffer, in der anderen eine Maschinenpistole. Schnitt auf Marquard Bohms Gesicht, verbrannt, dreckstarrend. Er blinzelt, wischt sich den Schweiß von der Stirn. Gegenschuss auf die Sonne, ein Feuerball aus gleißendem weißen Licht.
Die ersten drei Einstellungen von Deadlock fassen in extremer Verdichtung zusammen, worum es in dem Film gehen wird. Da ist der geschundene Mensch, ein Koffer voller Geld und eine Knarre. Da ist der Kampf ums Überleben, der immer auch ein Kampf gegen sich selbst ist, gegen den eigenen Körper und seine schwindenden Kräfte, später auch: gegen das eigene Gewissen. Da ist eine bedrohliche und unbarmherzige Natur als weiterer Antagonist in diesem erbarmunslos physischen Film. Die Wüstensonne als furchtbare, alles annihilierende Macht, die die Menschen in bloße Schatten verwandelt, und noch diese Schatten zu zersetzen, aus dem Bild zu tilgen droht. (Dass ein sadistischer Killer in diesem Film ausgerechnet auf den Namen Sunshine hört, ist gewiss alles andere als die plumpe Ironie, als die es zunächst erscheinen mag).
Der Mann, der nur Kid genannt werden wird (Bohm), will in dem verlassenen Wüstenkaff Deadlock seinen Komplizen Sunshine (Antony Dawson) treffen, um mit ihm die Beute aus einem Raub zu teilen. Als er, endlich am Ziel angekommen, in Ohnmacht fällt, entdeckt ihn ein Mann, der ebenfalls einen sehr sprechenden Namen hat: John Dump (Mario Adorf). Die Zivilisation scheint ihn hier, mitten in der Wüste, weggeworfen und vergessen zu haben, genau wie die abgetakelte ehemalige Prostituierte Corinna (Betty Segal) und ihre junge stumme Tochter Jessy (Mascha Elm-Rabben). Er sieht sich plötzlich im Besitz einer Millionen Dollar. Als Sunshine eintrifft, kommt es zu einem Kampf auf Leben und Tod um einen Koffer, eine Maschinenpistole und eine Luger, die in einem Dicht gespannten Netz der dreckigen Tricks und Intrigen immer wieder die Hände wechseln. Und schon der Titel verkündet, dass es am Ende keine Gewinner geben wird: Deadlock nennt man ein Schloss, dass nur von einer Seite öffnet.
Zunächst einmal ist Deadlock recht deutlich ein Genre-Film. An den Italo-Western  gemahnen der Schauplatz in der Wüste im allgemeinen und die provisorischen Kreuze eines kleinen Friedhofs im ganz besonderen. Auch Antony Dawson scheint ganz dieser Tradition verpflichtet, schon rein äußerlich mit seinem bärtigen, verkniffenen Gesicht unter einem verstaubten, breitkrempigen, schwarzen Hut, aber auch was seinen Spaß an der Grausamkeit anbelangt, mit der er John quält. Besonders markant ist die Szene, in der er Adorf befiehlt, Metallophon zu spielen und ihm dabei die Tasten wegschießt oder eine andere, in der er ihn nötigt, eine ganze Flasche Schnaps auszutrinken. Wo aber der Spaghetti-Western 1970 seinen Zenit bereits überschritten hatte und sich im selbst-reflexiv ironischen Niedergang befand (eine Entwicklung, die vielleicht im maßlos überschätzten Mein Name ist Nobody 1973 ihren Höhepunkt fand), gibt es in diesem Film eine Dringlichkeit, die das Genre in seinen besten Momenten auszeichnete.
Marquard Bohm hatte mit seinen Auftritten in den frühen Filmen Rudolf Thomes, Detektive, Rote Sonne und Supergirl das Zeug, zu einer Art deutschem Humphrey Bogart zu werden. Die große Karriere blieb dann aber aus - genau wie diese Filme, die mit einer coolen, vage (New) Hollywood'esken Leichtigkeit von Mord, ("freier") Liebe, Sex und Zärtlichkeit erzählten, das Versprechen auf ein anderes bundesdeutsches Genre-Kino lieferten, das so nie eingelöst werden sollte.
In Deadlock bildet Bohms oft zitiertes Nicht-Spiel den Gegenpol zur Brutalität Dawsons. Kid kämpft verzweifelt darum, sich in der grausamen Welt des Films ein Stück Menschlichkeit zu erhalten - und verstrickt sich doch immer mehr in Schuld, wird immer mehr zum Handlanger der Gewalt.
Zwischen den beiden, zwischen der Gewalt als letztem Mittel, eine Beziehung aufzubauen und der absoluten Resignation, steht der manisch und panisch agierende Mario Adorf, der zunächst versucht, an das Geld zu kommen, das ihm einen Ausweg aus seiner Misere bieten soll, später aber nur noch ums blanke Überleben kämpft.
So gnadenlos wie der Determinismus des Plots ist auch der Blick der Kamera. In einer Szene versucht John, mit einem Güterzug zu fliehen, wird aber von einem Arbeiter auf dem Zug unsanft daran gehindert. Die Kamera fährt davon und lässt Adorf auf den Gleisen zurück - und seine letzte Chance, mit dem Leben davonzukommen.
Doch da ist noch etwas, das zunächst paradox erscheinen muss: Deadlock ist ein ungemein zärtlicher Film. Das manifestiert sich am deutlichsten in der Figur Jessys. Schon in ihrer ersten Einstellung, in einem Türrahmen stehend, erscheint Mascha Rabben mit ihrem verdreckten Blümchenkleid beseelt von einer sehr spezifischen Unschuld. Sie bildet ein Außen zu der Männerwelt in der es - zumindest vordergründig - ausschließlich um Macht, Gewalt und Geld geht. Ihre pure Präsenz scheint die Kamera zu verzaubern, ähnlich wie es Renate Roland in Bübchen tat. In einer Szene ist ein verfallenes, zweistöckiges Haus zu sehen, über das ein weißes Licht huscht, die Reflexion der Sonne in einem Spiegel. Es kommt schließlich auf Rabben zur Ruhe, die auf einer Außentreppe steht und zu Kid blickt, der den Spiegel hält. Schnitt auf ihr Gesicht, umrahmt von ihren feuerroten Haaren, in denen der Wind spielt, sie zu liebkosen scheint. Aus ihrem Blick sprechen Neugierde, Begehren. In der Szene, in der John Kid die Kugel aus dem Arm holt, streichen Jessys Hände und Lippen über Kids Gesicht, über seine Brust. Später dann die Sexszene zwischen den beiden, behutsam ertasten sie ihre Körper, wie das letzte, das ihnen in einer feindlichen Umwelt Halt geben könnte. Von sanften Gitarrenklängen unterlegt ist da plötzlich eine irgendwie spröde, aber gleichzeitig verspielte Poesie in den Bildern.
Aber auch darüber hinaus gibt Klick seine Figuren nie preis, nimmt jede von ihnen bedingungslos ernst in ihrer Tragik. Dadurch, dass es im Angesicht des Todes geschieht, wird alles in diesem Film umso intensiver. Ein Fiebertraum. Eine 89-minütige fortwährende Agonie.
In der letzten Einstellung verlässt Bohm den Film, wie er ihn in der ersten betreten hat. Allein in der Welt. Ganz und gar verloren. Man möchte ihm fürsorglich nachrufen: "Hey, Kid, where are you going with that gun in your Hand?"  

Nachmals hingewiesen sei auf die Klick-Retro im Berliner Lichtblick-Kino, wo man auch am Montag, den 28. Juli nochmal Gelegenheit haben wird, Deadlock zu sehen - und zwar auf die einzige Art, wie man diesen Film mit seinen starken Hell-Dunkel-Kontrasten und seinen psychedelisch knalligen Farben wirklich erleben kann - von 35mm.

Sonntag, 20. Juli 2014

Bübchen (Roland Klick, BRD 1968)

Bübchen (1968)Das schrecklichste an Bübchen ist vielleicht, dass es für den Schrecken, den der Film zeigt, nirgendwo ein Ventil zu geben scheint. An keiner Stelle wird das so deutlich wie in der Szene, in der der Junge Achim seine kleine Schwester erstickt, indem er ihr eine Plastiktüte über den Kopf zieht. Das Mädchen, das unter der Tüte nach Atem ringt, scheint das komprimierte, buchstäblich ins Atemlose verdichtete Bild eines ganzen Milieus zu sein, der Hamburger Stadtrandgesellschaft der späten Sechziger Jahre. Zwischen den oft und ausgiebig betrunkenen Männern und keifenden Frauen, zwischen familiärer Gewalt in verschiedenen Formen und dem obligatorischen  Männerklaps auf den Frauenpo, hinter den um jeden Preis aufrecht erhaltenen heilen Fassaden scheint in diesen Verhältnissen die Luft zum Atmen zu fehlen. Dass als Verdächtige eines "Sittlichkeitsverbrechens" nicht die Männer aus der Nachbarschaft, sondern nur "Fremde" in Frage kommen, gibt ein weiteres Beispiel für die vorherrschende Gesinnung - und erscheint zugleich als blanker Hohn. Aber dann gehört zu dieser Szene auch noch der Gegenschuss auf das Gesicht des Jungen. Auf seinen Zügen zeichnet sich ganz kurz ein Schimmer des Entsetzens ab, ein Moment der Unsicherheit. Ein Gefühl, das wie ein Schatten kurz zu erahnen ist, sich dann aber nicht wirklich manifestieren kann. Als er das Telefon klingeln hört, verlässt er den Raum. Seine Mutter ist dran, aus der Kneipe. Er nimmt ab, bleibt aber stumm. Durch die Sprachlosigkeit fehlt der Reflexion der Gefühle, des Verhaltens, der Schuld auch das Medium, um sich ausdrücken zu können. So kann die Katastrophe endgültig ihren Lauf nehmen kann.
Am Gelingen des Films haben die großartigen Schauspieler einen großen Anteil. Allen voran der beeindruckende Sascha Urchs, der als Achim seine erste und einzige Filmrolle ablieferte. Ständig scheint es zu brodeln unter seinen bedrückten Zügen, ohne dass es jemals einen Ausbruch geben würde, eine fortwährende Implosion der Gefühle, die keinen Weg nach außen finden können.
Genau so toll und ebenfalls in ihrem ersten Leinwandauftritt spielt Renate Roland Monika, die adoleszente Tochter der Nachbarfamilie. Am Nachmittag, an dem Achim seine Schwester umbrachte, sollte sie auf die beiden Kinder aufpassen, vergnügte sich aber stattdessen mit ihrem Freund. Ihr Gesicht, ihr Lächeln scheint die Kamera zu verzaubern. Ihre Ungezwungenheit, ihre - wenn auch oft gehässige - Fröhlichkeit wirkt an sich wie eine fortwährende Rebellion gegen den kleinbürgerlichen Vorstadtalltag. Großartig sind die Szenen, in denen sie mit ihrem Freund durch die Natur tollt, in denen man regelrecht aufzuatmen scheint, befreit von der erdrückenden Tristesse des Hauses mit seinen typischen Sechziger Jahre Pastell - und Brauntönen.
Achims Vater wird gespielt von Sieghardt Rupp, der zuvor unter anderem in einigen Italo-Western zu sehen war. Redlich zeigt er sich bemüht, eine besondere Verbindung zu seinem Sohn aufzubauen, die in einer Komplizenschaft endet. Er lässt die Leiche des Mädchens verschwinden, aus dem Autowrack, in dem Achim sie versteckt hatte. Die Empathie, die Klick für seine Figuren hegt, die er an keiner Stelle preisgibt, wird auch an ihm besonders spürbar. Als er das Lumpenbündel, das seine Tochter war, aus dem Kofferraum holt, sieht man in seinem Blick wieder das Gefühl, das keinen Ausgang findet, die Unfähigkeit zur Trauer. In seiner Lederjacke wirkt er wie das nie erfüllte Versprechen auf eine anderes Leben. Der Schrottplatz wird zur Seelenlandschaft, zur Endstation der Träume der BRD nach dem "Wirtschaftswunder". In einem Minenschacht lässt er die Leiche für immer verschwinden. Die Fahrt hinab mit dem Aufzug in die Hölle, in der man sich in diesem Film doch immer schon befindet.
In der letzten Szene dann zieht sich Achim selbst die Plastiktüte über den Kopf, reißt sie aber nach einigen verzweifelten Atemzügen wieder herunter. Ein letzter gescheiterter Befreiungsversuch. Er schlurft zu seinen Eltern an den Tisch. Die erdrückende Stille der letzten Einstellung, die die Familie beim Essen zeigt, wird lediglich unterbrochen von der Aufforderung der Mutter, sich die Serviette zu nehmen. Das ist sie wohl, die Katastrophe, die nach Walter Benjamin darin bestand, dass es immer so weiter geht.

Gesehen habe ich den Film übrigens gestern als Auftakt der Klick-Retrospektive im Lichtblick-Kino in Prenzlauer Berg mit seinem charmant alternativen Charme. Noch die nächsten Tage hat man dort die Möglichkeit das Gesamtwerk Roland Klicks zu bewundern - und zwar sehr löblicherweise von 35mm. Nach Bübchen und vor allem Deadlock ist für mich absolut klar, dass das die einzige Form ist, diese Filme wirklich zu erleben.   

Freitag, 18. Juli 2014

Weihnacht (Roland Klick, BRD 1962/63)

Einen Vorweihnachtstag lang zieht ein kleiner Junge durch eine Innenstadt. Mechanische Spielzeugweihnachtsmänner trommeln den Takt zum Marsch der Konsumentenmassen, die sich zur Erledigung ihrer Geschenkeinkäufe durch die Straßen und in die Straßenbahn drängen. Assoziativ verbindet die Montage diese Bilder mit denen von Gänsen, die unbeirrt ihrer letzten Bestimmung als Weihnachtsbraten entgegen marschieren, mit Karpfen, die in ihrem überfüllten Becken nach Luft schnappen, bis sie mit einem Schlag auf den Kopf ihren letzten Atemzug tun. Weihnachtsmänner, -bäume, -sterne, in allen Ausführungen. Die Kamera gleitet entfesselt über den polierten Lack nagelneuer Autos und der Schnitt ist in einem fort darum bemüht, die Reizüberflutung rhythmisch erlebbar zu machen. 
Das filmische Werk von Roland Klick, dem die auteurs des Neuen Deutschen Films später vorwarfen, zu "kommerziell" zu sein, und dem seinerseits der Elfenbeinturm des "Kunstkinos" immer etwas suspekt war, beginnt auf sehr Oberhausen konforme weise non-konform. Die Mischung aus wenig subtiler Satire und den unbedingten Willen zum formalen Experiment mit Zerrspiegel und Drehtür, könnte man so ähnlich wohl auch in einem Kurzfilm von Edgar Reitz oder Alexander Kluge finden. Der liebevolle Blick in den Szenen, die den Jungen zeigen, wie versucht wird seine Perspektive auf das Treiben wiederzugeben, das in der extremen Verdichtung seine ganze Skurrilität offenbart, scheint voraus zu weisen auf die sehr spezifische Empathie für seine Figuren, die der Regisseur später entwickeln sollte. Auch von seiner Faszination für das Lichtermeer nächtlicher Großstadtstraßen gibt es gegen Ende von Weihnacht erste Vorboten. Schließlich scheint durch eine Parallelmontage, die Frauen bei der Anprobe vor dem Spiegel mit Schaufensterpuppen verbindet eine sehr spezifische Form des Begehrens zu fließen, das mehr mit Kunststoff als mit Fleisch zu tun hat.