Anlässlich des Starts des neuen, hervorragenden Franchise-Beitrags "Mad Max: Fury Road", habe ich mir die ganze Serie wieder angesehen und für die filmgazette einen Text dazu geschrieben.
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Donnerstag, 21. Mai 2015
Donnerstag, 5. März 2015
Hard Times (Walter Hill, USA 1975)
Ivo Ritzer schreibt: "In seiner Konzeption von Kino verzichtet Hill stets auf eine Motivation der Figuren über ausführliche Hintergrundinformationen. Sie besitzen keine Geschichte und Leben im Hier und Jetzt. Das Kino von Walter Hill ist ein Kino der Präsenz im Präsens... Seine Welt ist eine Welt der puren Evidenz." Charles Bronson ist deshalb die ideale Besetzung für einen Hill-Film, weil er die Geschichte, von der wir nichts erfahren, gleichsam in seinen Gesichtszügen mit sich rumzutragen scheint. Nicht als Last und Leid, sondern als eine gewisse Abgeklärtheit, als eine Desillusionierung von der Welt, mit der er immer schon abgeschlossen hat. Das Lächeln, das immer auf diesen Zügen zu spielen scheint, ohne dass es sich kaum jemals manifestieren würde, verbindet Bronson mit dem Burt Lancaster aus Siodmaks "The Killers", der in der letzten Einstellung des Films nicht so sehr vor dem Zuschauer als vor der Einsicht in sein Scheitern, in die absolute Vergeblichkeit all seines Tuns gut aufgelegt den Hut zieht.
Bronson verdient sich sein Geld mit Street Fights, bei denen Männer mit bloßen Fäusten und fast ohne störendes Regelwerk aufeinander geschickt werden. Hier trifft er auf einen aufbrausenden, mit Leib und Seele zockenden und deshalb hoch verschuldeten James Coburn, der der eigentliche Kämpfer in diesem Film ist, während Bronson, in absoluter Sicherheit über seinen Sieg im Ring, doch eigentlich immer schon weiß, dass es für ihn nichts zu gewinnen gibt. Diese beiden gegensätzlichen Männer also tun sich gemeinsam mit Strother Martin als opiumabhängigem Amateur-Arzt zusammen, um in den Hierarchien des Business um die Kämpfe, bei denen um große Beträge gewettet wird langsam nach oben zu kämpfen.
Die Stärken von "Hard Times" werden offenbar, vergleicht man ihn mit anderen Filmen um illegal veranstaltete Faustkämpfe, die oft groß angelegte Ambitionen zu ihren Szenarien treiben, denen es darum geht, von Macht und Begehren in Zeiten der Sklaverei zu erzählen ("Mandingo") oder von der sadomasochistischen Triebabfuhr einer ganzen frustrierten und gelangweilten Männergeneration ("Fight Club"). "Hard Times" hingegen ist ein im besten Sinne kleiner, was seine historischen Implikationen angeht auf sehr entspannte weise unambitionierter Film, der sich nicht damit herumplagt, irgendetwas weltbewegendes, wichtiges oder besonders cleveres zu erzählen.
Darin kommen Film und Hauptfigur wiederum vorteilhaft zusammen. Warum Bronson die Strapaze der Kämpfe überhaupt noch auf sich nimmt, wird eigentlich nie so ganz klar. Ums Geld geht es ihm sagt er mehrmals. Nur weiß einer wie er mit Geld so wenig anzufangen, dass er am Ende einen Großteil davon verschenkt. Auch scheint es eher unwahrscheinlich, dass er der Welt, die er doch längst abgeschrieben hat, noch etwas beweisen muss, etwa was für ein stahlharter Mann er ist.
Seine Art, über den Dingen zu stehen wird besonders deutlich in seinem Verhältnis zum von Bronsons real life-Ehefrau Jill Ireland gespielten love interest. Ein Leben mit ihr hätte vielleicht etwas sein können, wofür er sein hart erkämpftes Geld brauchen könnte. Weil sie andere Vorstellungen hat als er, geht er einfach, wortlos wie immer, um Männerangelegenheiten zu regeln. "Dann eben nicht" scheinen seine reglosen Züge zu sagen und damit sein Lebensmotto griffig auf den Punkt zu bringen.
Sonntag, 24. August 2014
Spider-Man (Sam Raimi, USA 2002)
Gerade als ich bei Spider-Man ankam schienen zu viele andere Projekte, andere Filme dazwischen gekommen zu sein. Nachdem ich den Film nun nochmals gesehen habe, steht für mich fest, dass er zu gut ist, um als Karteileiche in meiner Posts-Liste zu enden.
Spider-Man ist nicht zwangsläufig der beste, aber doch der ultimative Sam Raimi-Film. Und mindestens dass er sowohl als Comic-Verfilmung, wie auch im Raimi-Universum vortrefflich funktioniert, unterscheidet den ersten Teil von seinen beiden Nachfolgern. Der Film ist zunächst voll von Raimiismen. Viele der Action-Szenen sind so inszeniert, dass man sich geradezu in einem Remake von Darkman wähnt. Die Szene in der Peter Parker sein Spider-Man-Kostüm entwirft ist video-clipartig mit mehreren übereinander liegenden Bildebenen angelegt, wie man es aus diversen anderen Filmen Raimis kennt. Bruce Campbell hat sein obligatorisches Cameo als Moderator einer Wrestling-Show, in der Parker versucht, seine neuen Superkräfte zu Geld zu machen. Bildet schon diese Szene die Miniatur einer White Trash-Hölle, die den Ursprung des Regisseurs beim humoresken Horrorfilm klar erkennen lässt, gibt es im Finale einen direkten Bildverweis aus The Evil Dead in Form einer Hand, die sich ihren Weg aus der Erde nach oben ins Freie sucht. Spider-Man verbindet das düstere Pathos von Darkman mit dem morality play aus A Simple Plan und der Emotionalität aus For Love of the Game (wobei sie hier wesentlich besser am Platz ist als dort)
Peter Parker (Tobey Maguire) ist der etwas nerdige Mittelklasse-Junge aus Queens, der bei seiner Tante und seinem Onkel lebt und unter dem popularity-Terror an seiner High School mächtig zu leiden hat. Nachdem er durch den Biss einer Spinne zu außergewöhnlichen Kräften gelangt, muss er nicht nur lernen mit diesen umzugehen, sondern auch sie sinnvoll einzusetzen. Der Film schließt die körperlichen Veränderungen, die Peter durchmacht, kurz mit den Prozessen der Pubertät. Und bei der Mann- wie der Spinnenwerdung zählt: "With great power, comes great responsibility." Was die Art, wie diese Geschichte erzählt wird so grundsympathisch macht ist, dass sie mit der Produktionsgeschichte des Films zu korrespondieren scheint. Es ist tatsächlich so als würde Raimi, zum ersten Mal mit einem wirklich großen Budget betraut, ausprobieren, was man damit so alles anstellen kann. Die Abgeklärtheit des Mega-Blockbusters und das Gefühl einem Movie-Nerd zuzusehen, der sich mit 130 Millionen Dollar im Comic-Laden so richtig austobt, erzeugen produktive Reibung. Dass nicht alles an diesem Film gelungen aussieht, dass etwa viele der Spezialeffekte - mindestens - schlecht gealtert sind, und namentlich die Gestaltung von Spider-Mans großem Antagonisten, dem Geen Goblin, etwas bescheiden geraten ist, vermochte mir meine Freude an der Experimentierfreudigkeit des Films nicht zu vermiesen.
Es geht in Spider-Man immer auch um die Diskrepanz zwischen dem, was ganz offensichtlich larger than life ist und ganz alltäglichen, menschlichen Sorgen. Dass Peter im Spinnenkostüm zum Schrecken der Unterwelt werden, immer wieder die Welt im allgemeinen und Mary Jane Watson (Kirsten Dunst), die Frau in der er seit der ersten Klasse verliebt ist, im besonderen retten kann, heißt eben noch nicht, dass er im Stande wäre, sie zu einem Date einzuladen oder mit ihr über seine Gefühle zu sprechen.
Toby Maguire und Kirsten Dunst haben in diesem Film nicht nur den vielleicht berühmtesten Kuss der jüngeren Filmgeschichte, sie schaffen es auch dem Geschehen die nötige Erdung zu geben. Das dicht gesponnene Netz der Verwicklungen zwischen den Figuren, in dessen Zentrum das Wort Verantwortung hängt, wird durch die "Natürlichkeit" der beiden immer wieder zurückgeholt auf den Boden der Tatsachen eines gar nicht spießigen, aber dafür prekären Kleinbürgertums in Queens. Auch darüber hinaus ist der Film gut bestezt. Besonders Willem Dafoe verleiht seinem Osborn/Green Goblin in seiner Zwiegespaltenheit Tiefe. Seine Gespaltenheit vererbt er auch an seinen Sohn Harry, der zum Ende Peter Parker ein loyaler Freund bleibt, aber Spider-Man, von dessen wahrer Identität er nichts weiß, blutige Rache schwört. Besondere Erwähnung verdient auch J. K. Simmons als extrem geiziger, schnell-, groß- und kaltschnäuziger Zeitungsredakteur.
Alles in allem ist Sam Raimi mit seinem endgültigen Aufbruch in den Blockbuster-Geschäft ein Superheldenfilm gelungen, der mächtig Laune macht.
Donnerstag, 22. Mai 2014
Universal Soldier (Roland Emmerich, USA 1992)
In den Achtzigern dann scheint sich der Kampf der "Zivilisierten" gegen die "Barbarei", der die frontier des Öfteren mitten durch die Innenstädte verlaufen ließ - wenn auch nicht immer so explizit wie etwa in Assault on Precinct 13 - zum Kampf des Menschen gegen die Maschine zu wandeln. Der technologische Fortschritt selbst wird zur größten Bedrohung. In The Terminator ganz explizit, wenn die Maschinen die Macht an sich reißen und einen Vernichtungskrieg gegen die Menschheit beginnen (und es ist im zweiten Teil dann gerade die Maschine, die "zivilisiert" werden muss, wenn der pubertierende John Connor dem Terminator das Terminieren asbgwöhnen will). Feindlich gesinnte Außerirdische sind manchmal selbst mindestens so sehr Maschine wie Monster (die Alien-Filme) oder verfügen doch über sehr elaborierte Vernichtungstechnologien (Predator). An die Stelle der marodierenden Gangs treten die kultivierten und vor allem hochtechnisierten Gangster in Die Hard (und die Siege John McClanes über seine Widersacher sind dann eben immer auch Siege der menschlichen Intelligenz und des männlichen Körpers über die Computer).
Robert Emmerich, das Spielbergle von Sintelfingen, versuchte mit seiner ersten großen Holywood-Produktion - übrigens recht erfolgreich - auf den Zug von Camerons T2 aufzuspringen.
Nach einem Massaker an Zivilisten während des Vietnamkriegs töten sich der Soldat Luc Deveraux (Jean-Claude van Damme) und sein Amok laufender Vorgesetzter Andrew Scott (Dolph Lundgren) gegenseitig. Aus ihren sterblichen Überresten bastelt das Militär die perfekte Kampfmaschine, den Universal Soldier. Das Experiment gerät außer Kontrolle, als die beiden anfangen, sich an die traumatischen Ereignisse unmittelbar vor ihrem Tod zu erinnern. Die Impulse, die sie damals beschäftigten, werden nun zum einzigen Motor ihres Handelns. Wo Luc, unmittelbar vor dem Ende seines Einsatzes stehend, nur noch nachhause wollte, meinte Andrew weiter Krieg führen, die Rebellen und alle "Verräter" bekämpfen zu müssen.
Universal Soldier variiert die Mythologie der Mensch-Maschinen also mit einer zunächst verdammt interessanten Idee. Die Retraumatisierung als Beginn der (Wieder-)Menschwerdung, das Trauma, das für den einen darin bestand, dass der Krieg einfach nicht aufhören wollte, für den anderen darin, dass er vorbei sein sollte, als (menschlicher) Systemfehler der Mordmaschine. Eine Stärke des Films besteht sicherlich darin, dass Van Dammes und Lundgren für die Vorstellung von Männern, deren gesamtes Sein in zwei konträren Impulsen besteht - endlich mit dem Töten aufzuhören für den einen, unbeirrt weitertöten für den anderen - ein passendes Bild zu liefern. Sie vermitteln die Unfertigkeit der Maschinen, die Menschen werden wollen. Ihre gestählten Körper wirken tatsächlich wie leere Hüllen, in denen keine Seele wohnt (die Bemerkung erübrigt sich wohl, dass diese Darstellung mit "Schauspielen" im herkömmlichen Sinne nicht allzu viel zu tun hat). Darüber hinaus gewinnt der Film aus dieser interessanten Idee zwei großartige Szenen. In den beiden Kämpfen zwischen den Antagonisten, der erste im Prolog in Vietnam, der zweite im Show-Down im Süden der USA, verschwimmen die Zeiten, die Orte, Trauma und Retraumatisierung. Die Künstlichkeit des Lichtes und der Farbgebung - das Rot des Blutes, das Blau, in das der strömende Regen die Szenerie taucht, die schwärzlich verdreckten Gesichter - die beinahe an die frühen Technicolor-Exzesse oder auch an Argento gemahnt, jedenfalls bei aller Finsternis befremdlich bunt wirkt, formen das Bild eines Nicht-Ortes in einer Nicht-Zeit, der ganz und gar und durch und durch Kino ist.
Leider ist der Film, der sich zwischen diesen beiden Szenen entwickelt, ziemlich bescheuert. Was Emmerich im Sinn hatte, ist wohl eine Ironisierung des Genres, Universal Soldier sollte vielleicht für den Sci-Fi-Actioner etwas ähnliches sein, wie Scream einige Jahre später für den Teenie-Slasher. Jedenfalls ist der Film tatsächlich eher angelegt wie eine Komödie, die in fast jeder Szene nicht auf die Action-Schauwerte, sondern auf die humoristischen Pointen (meist in der Form geradezu atemberaubend blöder One-Liner) hinauswill. Dass er dadurch als Action-Film über weite Strecken nicht wirklich gut funktioniert, ist das eine Problem. Das andere, vielleicht noch größere, besteht darin, dass sein Humor dermaßen dumpfbackig ist, dass sich Cravens Film dagegen wie ein tiefgründiges intellektuelles Meisterwerk ausnimmt. Die schon beim ersten Mal nicht wirklich lustigen Jokes - zum Bespiel über Lundgrens Halskette mit abgeschnittenen menschlichen Ohren ("I'm all ears.") oder Van Dammes freizügigen Umgang mit seinem nackten Körper, werden zu allem Überfluss auch noch in der Endlosschleife totgeritten. (Wobei die campy Fetischiserung des gestählten Männerkörpers eben auch nicht auf Dekonstruktion aus ist, sondern eher einfach nur wie ein schlechter Witz, bzw. eben: eine ganze Reihe schlechter Witze.) Dass es für das Zuhause, anch dem sich Van Damme so sehr sehnt, natürlich auch einer Frau Bedarf, der Reporterin, die bald unverhofft mit ihm auf der Flucht ist, und die Aly Walker als schrecklich nerviges Klischee einer "emanzipierten Frau" spielt, die dann letzlich natürlich auch nur auf den richtigen Mann wartet, um ihrerseits endlich "nachhause" kommen zu können, macht das ganze natürlich keinen Deut besser.
Die Menschwerdung des Protagonisten Van Dammes zum Schluss muss sich wie eine leere Behauptung ausnehmen, in einem Film, dem es selbst so gar nicht gelingt, seine gute Idee mit Leben zu erfüllen,der monton heruntergespulten Genre-Form eine Seele einzuhauchen.
Mittwoch, 16. April 2014
Eine Stadt wird erpresst (Dominik Graf, Deutschland 2006)
Mit einem Knall, mit Wucht prallt in diesem Film auch zusammen, wird miteinander kurzgeschlossen, was zusammen zu denken wohl erst Mal schwerfallen würde: der deutsche Fernseh-Krimi des vergangenen Jahrzehnts mit den stilistischen Mitteln des italienischen Genre-Kinos der Sechziger und Siebziger, des damals populären poliziesco etwa.
Schon die Gestaltung des Titels und der Credits sieht aus, als hätte man sich in der Dekade geirrt und im folgenden wird flink auf allerlei Schilder, Fotos, Gesichter und Augenpartien gezoomt, werden Dialoge nicht in Schuss und Gegenschuss aufgelöst, sondern mit Reißschwenks, dass es nur so eine Art hat. Das Geniale daran, das durchaus dialektische Kunststück, das Graf ein ums andere Mal mit Bravour gelingt ist, dass er gerade über die extreme Stilisierung, über den Einsatz von Mitteln, die so offensichtlich nichts mit dem Produktions-Ort, -Zeitpunkt und -Zusammenhang, in dem sein Film steht und entsteht, zu tun hat, sehr konkreten deutschen - im Fall von Eine Stadt wird erpresst: ostdeutschen - Realitäten der Gegenwart näher kommt, als man es vom deutschen Film und Fernsehen gewöhnt ist.
Es geht also um die Erpressung einer ganzen Stadt. Diamanten im Wert von zwanzig Millionen Euro soll Leipzig bereitstellen, sonst folgen, so heißt es von Seiten der offenbar bestens organisierten Täter, auf die Explosion auf dem Strommast weitere, an zentralen Stellen, in wichtigen Gebäuden. Mit der Ermittlung betraut werden der alternde, schon zu DDR-Zeiten im Polizeidienst tätige Kommissar Kalinke (Uwe Kokisch) und seine jüngeren Kollegen Ronny Banderes (Misel Maticevic) und Maria Rogalla (Julia Blankenburg).
Aus der genau gefassten Gegenwart des Leipzigs im Jahr 2006 führen sie die Spuren in die Vergangenheit, in die Achtziger und frühen Neunziger, zur "Wende", die für viele eher ein "Bruch", ein "Einschnitt" war. Je weniger diese Vergangenheit "aufgearbeitet" wurde, je weniger der Systemwechsel die Menschen "mitgenommen" hat, an die Stelle des Alten etwas Neues, eine bessere - oder nur überhaupt irgendeine - Zukunft getreten ist, desto mehr bleibt das Vergangene gegenwärtig - als Gespenst. Eine Stadt wird erpresst ist auch - obgleich weniger explizit als andere Filme des Regisseurs - ein Gespensterfilm.
Da passt es umso besser, dass die Ermittlungen schnell an einen gespenstischen Ort führen: Das Dorf Gralwitz soll dem Tagebau weichen. Verfall so weit das Auge reicht, heruntergekommene Fachwerkfassaden, eingefallene Häuser, grau in grau, das Gespenst eines Ortes aus einer anderen Zeit, einem anderen Land. Die Wenigen, die geblieben sind, um den Bürgermeister Rössler (Lutz Teschner) und den Unternehmer Naumann (Thomas Neumann), wehren sich erbittert. Eine Festung des Widerstands scheint dieser Ort, vollgehängt mit Plakaten gegen den "Heimatklau". Auch das Gespenst einer Utopie: Die Firma OstRotor hat Naumann hier aufgebaut, der durch die Wende arbeitslos wurde. Aus sechs Mitarbeitern zu Beginn wurden 42. "Und die Firma gehörte uns allen. Und das funktionierte diesmal."
Die Begegnung mit Naumann wird für Kalinke auch zu einer Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit. An der Vertuschung eines Unfalls, dem Naumanns Tochter zum Opfer fiel, durch die Stasi hat er sich mitschuldig gemacht. Die Frage, wie weit man in einer Diktatur mitmachen musste, wie weit man sich wehren konnte wird aufgeworfen. Wer aber eine fernsehzuschauergerechte, säuberlich die Guten von den Bösen trennende Antwort erwartet, der ist im falschen Film.
Ein weiterer Handlungsstrang, eine weitere Spur führt übrigens zur Russenmafia, in Hotelzimmer mit Koks und Nutten, in denen Jahrgangschampagner getrunken und mit Geldscheinen rumgeworfen wird.
Die Redundanz, das beständige Zu-Viel des Inhalts, entspricht dem Einsatz der filmischen Mittel. Wie durch die Gegenwart des wiedervereinigten Deutschlands die Vergangenheit des geteilten spukt, so durch diesen Fernsehfilm als Zitat das vergangene, das untergegangene Kino - eben der Italo-Sleaze.
Mustergültig werden die Erzählstränge am Ende zusammen geführt, der Fall lückenlos aufgeklärt. Wo aber im Krimi von einst durch die Aufklärung eine Ordnung wiederhergestellt wurde, ein Bruch gekittet, der durch das Verbrechen entstanden war, da bleiben hier nach dem letzten Knall des denkbar wuchtigen Show-Downs nur Close-Ups von verzweifelten, schreienden, weinenden Gesichtern, nur neue Traumata. Und ein helicopter shot von dem, was der Tagebau von einer Landschaft übrig lässt. Eine Mond-, eine Trümmerlandschaft. Eine menschgemachte Wüste.
Für falsche Versöhnlichkeiten ist im Deutschland Dominik Grafs glücklicherweise kein Platz.
Sonntag, 13. April 2014
Città violenta (Brutale Stadt) (Sergio Sollima, Italien, Frankreich 1970)
Die ersten Einstellungen, Schuss (der Mann, Charles Bronson, am Bootssteuerrad, der Oberkörper frei, braungebrannt, durchtrainiert) und Gegenschuss (die Frau, Jill Ireland, an der Reling am Bug, im Bikini, breitbeinig, in Rückenansicht, Zierrat, eine Galionsfigur, ein Objekt zur männlichen Selbstbestätigung), bilden ein Macht- als Blickverhältnis ab. Die Männer-Tragödie, um die es in den folgenden 100 Minuten gehen wird, handelt von der Dekonstruktion von Macht- und Blickverhältnissen, von der Dekonstruktion von Machtverhältnissen als Dekonstruktion von Blickverhältnissen. Das Blickverhältnis, um das es geht, der männliche Blick auf die Frau, der einerseits von Macht über sie kündet, Besitz anzeigt, andererseits in ihr nur sieht, was er sehen möchte, ein Erlösungsversprechen, etwas außerhalb der Männerwelt von Geld, Macht und Mord, ist gründlich aus dem Ruder geraten.
Im Vorspann schon, wenn Bronson zum ersten - und weiß Gott nicht zum letzten - Mal vom Subjekt zum Objekt des Blickes wird, zum Beobachteten, zum Gejagten (und dass ihn diese Bilder durch den Sucher einer Kamera noch gemeinsam mit Jill Ireland als glückliches Paar auf den Virgin Islands zeigen, entpuppt sich dann später als reine Projektion, als Phantasmagorie - wie alle Macht, alle Kontrolle, alle Unschuld in diesem Film). Danach dann die Verfolgungsjagd über die Hügel und durch die engen Gassen der kleinen Insel: Wenn sie vorbei ist, sind zehn Filmminuten um und fünf Männer tot, ohne dass ein einziges Wort gesprochen wurde. Nichts als Blicke. Bronsons Blicke. Zuerst zu ihr auf dem Beifahrersitz, dann in den Rückspiegel, der versichernde Blick, der bestätigt, dass ihn die Vergangenheit eingeholt hat. Dann nur noch starr auf die Straße, nach vorne. Das einzige, was sich in seinem Gesicht jetzt noch tut, ist dass er beim Gas-Geben den Mund ein Wenig öffnet, so dass etwas vom Weiß seiner Zähne durch die Lippen unter dem Schnurrbart leuchtet. Irelands Blicke. Zunächst zu Bronson, zärtlich. Dann fragend, ängstlich, entsetzt. Vorwurfsvoll, als er sie schließlich wortlos auf die Straße setzt. (Und spätestens hier wird auch klar, dass der Mann nicht so sehr vor anderen Männern flüchtet, sondern vor allem vor der Frau, dass er, wenn sein Versteck einmal ausgemacht ist, im Kampf wieder in seinem Element ist, das die "Liebe" nie war. Nicht nur die geliebte Frau wird sich als Illusion herausstellen, sondern - schon zu Beginn - auch seine Rolle als liebender Mann.)
Dass der Mann am Lenkrad, der Mann mit dem Finger am Abzug, den Blick durch ein Zielfernrohr gerichtet, wirklich in charge wäre, Macht und Kontrolle über die Situation hätte, ist die Illusion, die in diesem Film - genüsslich - in Stücke gerissen wird. Und immer wieder entpuppt sich nicht nur das (Frauen-)Bild als trügerisch, sondern auch das Machtverhältnis, das die Blickstrukturen suggerieren. Relativ plump noch, wenn Bronson dabei fotografiert wird, wie er einen Mord begeht, wenn er mit seinem Gewehr nicht, wie er gerne annehmen würde, am Ende einer Verkettung von Machtblicken steht, sondern - einmal mehr - auch Objekt des Blickes ist. Ganz großartig dann, wenn der Oberschurke Weber (wunderbar abgeklärt: Telly Savalas), ihm in seinem Haus etwas zeigt, ein Bild, das sich auf Knopfdruck in ein Fenster verwandelt und den Blick freigibt auf ein Schwimmbad dahinter - und auf die nackt badende Jill Ireland. Der Statussymbol gewordene Kontrollblick ist für Bronson eine - weitere - Desillusion, er offenbart ihm - einmal mehr - dass die Frau, die er sich erträumt eben nur als Projektion, als seine Vorstellung von ihr existiert. Für Savalas aber hält das Blickverhältnis hier noch die Illusion eines Machtverhältnisses aufrecht, während doch in Wirklichkeit die Frau, die er durch seinen Blick zu kontrollieren meint, die Kontrolle über ihn hat, ihr Spiel mit ihm spielt.
Ich denke, den Film auf seine - schwer bestreitbare - Misogynie zu reduzieren, ihn nur als antifeministischen Reflex zu lesen, als ängstliche Männerphantasie von der neuen Macht der Frau, greift zu kurz. Die Nostalgie nach einer Zeit, in der Männer noch echte Kerle sein konnten, weil Frauen ihren Platz in der Männerwelt kannten, ist eben nur das eine. Das andere ist die unverhohlene - etwa zu gleichen Teilen sadistische und masochistische - Lust, die der Film an der Dekonstruktion seines Frauenbildes, und damit zugleich des Männerbildes, das sich in Abgrenzung von diesem konstruiert, hat. (Aus dieser Zerrissenheit rührt vielleicht die Diskrepanz her, wie wunderschön, wie hell, wie sinnlich und sonnig - es gibt, so weit ich's bei der ersten Sichtung mitbekommen habe, keine einzige Nacht-Szene - dieser finstere, brutale, absolut hoffnungslose Film daherkommt - ein als Sommertagstraum verkleideter Albtraum.)
Der Sadismus ist noch ganz und gar patriarchal: mit einer solchen Frau schläft Bronson nicht, er vergewaltigt sie. Wenn die angebetete Frau sich mehr und mehr als "Schlampe" herausstellt, ist der Mann seiner lästigen Gentleman-Pflichten entbunden und kann ganz zum "Tier" werden. Dass er aber auf die Frau, die er doch bald entlarvt hat, jedes Mal aufs Neue reinfällt, liegt nicht nur darin begründet, dass er sich von seiner Illusion, von der Frau, die außerhalb seiner Vorstellung nicht existiert, nicht verabschieden will, weil sie das einzige ist, was ihm bleibt, es findet sich darin auch eine masochistische Lust am Scheitern, am Kontrollverlust, an der Hilflosigkeit. Eine absolute Hingabe an das da-weg-Spiel, an die Dialektik von (Selbst-)Täuschung und Ent-Täuschung, über deren tödlichen Ausgang sich wohl niemand Illusionen machen wird - am aller wenigsten er selbst.
Am Ende dann kommt dem Film nicht nur die Sprache abhanden, sondern gleich der ganze Ton. Das einzige, was man noch hört beim wirklich atemberaubenden Zeitlupen-Blut-Balett im Fahrstuhl ist das dumpfe Platzen des Glases durch die Schüsse. Und dann muss sich Bronson selbst opfern. Der Mann (seine Vorstellung von sich) kann ohne die Frau (seine Vorstellung von ihr) nicht existieren. Die Kamera zoomt auf seine Augenpartie ran. Leinwandfüllend sehen wir Bronsons Augen, die nicht mehr sehen, was es von Anfang an nicht gab. Doch nicht mal der Triumph des finalen Close-Up ist ihm vergönnt. In der letzten Einstellung wird umgeschnitten in die Totale. Ein lebender Mann mit Pistole in der Hand, der über einem tot am Boden liegenden Mann steht auf einem Dach. Fine.
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