Es ist das Jahr 1984 und Aria ist neun. Sie driftet durch die nächtlichen Straßen Roms, schwer bepackt mit ihrem riesigen Rucksack und einem Käfig mit ihrer engsten Verbündeten: der schwarzen Katze Dac. Ein Kind ohne einen Platz in der Welt. Nach der ruppig gewaltsamen Trennung ihrer egozentrischen Eltern, deren Zusammenleben bestimmt wurde von Geschrei, Gewalt und gegenseitigen Anschuldigungen, bleibt ihre älteste Halbschwester beim Vater (Gabriel Garko), die mittlere bei der Mutter (Charlotte Gainsbourg). Aria aber, die jüngste und einzige Tochter aus der wahrlich unheiligen Allianz, fällt durchs Raster. Sie wird mal von der Mutter, einer neurotischen Pianistin, (Guilia Salerno), deren beständige Sinnsuche sie zu Kommunismus, Buddhismus und ständig wechselnden Partnern treibt, aufgenommen und wieder verstoßen, dann wieder vom Vater, einem so eitlen wie hysterisch abergläubischen Filmstar.
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Mittwoch, 28. Januar 2015
Sonntag, 13. April 2014
Città violenta (Brutale Stadt) (Sergio Sollima, Italien, Frankreich 1970)
Die ersten Einstellungen, Schuss (der Mann, Charles Bronson, am Bootssteuerrad, der Oberkörper frei, braungebrannt, durchtrainiert) und Gegenschuss (die Frau, Jill Ireland, an der Reling am Bug, im Bikini, breitbeinig, in Rückenansicht, Zierrat, eine Galionsfigur, ein Objekt zur männlichen Selbstbestätigung), bilden ein Macht- als Blickverhältnis ab. Die Männer-Tragödie, um die es in den folgenden 100 Minuten gehen wird, handelt von der Dekonstruktion von Macht- und Blickverhältnissen, von der Dekonstruktion von Machtverhältnissen als Dekonstruktion von Blickverhältnissen. Das Blickverhältnis, um das es geht, der männliche Blick auf die Frau, der einerseits von Macht über sie kündet, Besitz anzeigt, andererseits in ihr nur sieht, was er sehen möchte, ein Erlösungsversprechen, etwas außerhalb der Männerwelt von Geld, Macht und Mord, ist gründlich aus dem Ruder geraten.
Im Vorspann schon, wenn Bronson zum ersten - und weiß Gott nicht zum letzten - Mal vom Subjekt zum Objekt des Blickes wird, zum Beobachteten, zum Gejagten (und dass ihn diese Bilder durch den Sucher einer Kamera noch gemeinsam mit Jill Ireland als glückliches Paar auf den Virgin Islands zeigen, entpuppt sich dann später als reine Projektion, als Phantasmagorie - wie alle Macht, alle Kontrolle, alle Unschuld in diesem Film). Danach dann die Verfolgungsjagd über die Hügel und durch die engen Gassen der kleinen Insel: Wenn sie vorbei ist, sind zehn Filmminuten um und fünf Männer tot, ohne dass ein einziges Wort gesprochen wurde. Nichts als Blicke. Bronsons Blicke. Zuerst zu ihr auf dem Beifahrersitz, dann in den Rückspiegel, der versichernde Blick, der bestätigt, dass ihn die Vergangenheit eingeholt hat. Dann nur noch starr auf die Straße, nach vorne. Das einzige, was sich in seinem Gesicht jetzt noch tut, ist dass er beim Gas-Geben den Mund ein Wenig öffnet, so dass etwas vom Weiß seiner Zähne durch die Lippen unter dem Schnurrbart leuchtet. Irelands Blicke. Zunächst zu Bronson, zärtlich. Dann fragend, ängstlich, entsetzt. Vorwurfsvoll, als er sie schließlich wortlos auf die Straße setzt. (Und spätestens hier wird auch klar, dass der Mann nicht so sehr vor anderen Männern flüchtet, sondern vor allem vor der Frau, dass er, wenn sein Versteck einmal ausgemacht ist, im Kampf wieder in seinem Element ist, das die "Liebe" nie war. Nicht nur die geliebte Frau wird sich als Illusion herausstellen, sondern - schon zu Beginn - auch seine Rolle als liebender Mann.)
Dass der Mann am Lenkrad, der Mann mit dem Finger am Abzug, den Blick durch ein Zielfernrohr gerichtet, wirklich in charge wäre, Macht und Kontrolle über die Situation hätte, ist die Illusion, die in diesem Film - genüsslich - in Stücke gerissen wird. Und immer wieder entpuppt sich nicht nur das (Frauen-)Bild als trügerisch, sondern auch das Machtverhältnis, das die Blickstrukturen suggerieren. Relativ plump noch, wenn Bronson dabei fotografiert wird, wie er einen Mord begeht, wenn er mit seinem Gewehr nicht, wie er gerne annehmen würde, am Ende einer Verkettung von Machtblicken steht, sondern - einmal mehr - auch Objekt des Blickes ist. Ganz großartig dann, wenn der Oberschurke Weber (wunderbar abgeklärt: Telly Savalas), ihm in seinem Haus etwas zeigt, ein Bild, das sich auf Knopfdruck in ein Fenster verwandelt und den Blick freigibt auf ein Schwimmbad dahinter - und auf die nackt badende Jill Ireland. Der Statussymbol gewordene Kontrollblick ist für Bronson eine - weitere - Desillusion, er offenbart ihm - einmal mehr - dass die Frau, die er sich erträumt eben nur als Projektion, als seine Vorstellung von ihr existiert. Für Savalas aber hält das Blickverhältnis hier noch die Illusion eines Machtverhältnisses aufrecht, während doch in Wirklichkeit die Frau, die er durch seinen Blick zu kontrollieren meint, die Kontrolle über ihn hat, ihr Spiel mit ihm spielt.
Ich denke, den Film auf seine - schwer bestreitbare - Misogynie zu reduzieren, ihn nur als antifeministischen Reflex zu lesen, als ängstliche Männerphantasie von der neuen Macht der Frau, greift zu kurz. Die Nostalgie nach einer Zeit, in der Männer noch echte Kerle sein konnten, weil Frauen ihren Platz in der Männerwelt kannten, ist eben nur das eine. Das andere ist die unverhohlene - etwa zu gleichen Teilen sadistische und masochistische - Lust, die der Film an der Dekonstruktion seines Frauenbildes, und damit zugleich des Männerbildes, das sich in Abgrenzung von diesem konstruiert, hat. (Aus dieser Zerrissenheit rührt vielleicht die Diskrepanz her, wie wunderschön, wie hell, wie sinnlich und sonnig - es gibt, so weit ich's bei der ersten Sichtung mitbekommen habe, keine einzige Nacht-Szene - dieser finstere, brutale, absolut hoffnungslose Film daherkommt - ein als Sommertagstraum verkleideter Albtraum.)
Der Sadismus ist noch ganz und gar patriarchal: mit einer solchen Frau schläft Bronson nicht, er vergewaltigt sie. Wenn die angebetete Frau sich mehr und mehr als "Schlampe" herausstellt, ist der Mann seiner lästigen Gentleman-Pflichten entbunden und kann ganz zum "Tier" werden. Dass er aber auf die Frau, die er doch bald entlarvt hat, jedes Mal aufs Neue reinfällt, liegt nicht nur darin begründet, dass er sich von seiner Illusion, von der Frau, die außerhalb seiner Vorstellung nicht existiert, nicht verabschieden will, weil sie das einzige ist, was ihm bleibt, es findet sich darin auch eine masochistische Lust am Scheitern, am Kontrollverlust, an der Hilflosigkeit. Eine absolute Hingabe an das da-weg-Spiel, an die Dialektik von (Selbst-)Täuschung und Ent-Täuschung, über deren tödlichen Ausgang sich wohl niemand Illusionen machen wird - am aller wenigsten er selbst.
Am Ende dann kommt dem Film nicht nur die Sprache abhanden, sondern gleich der ganze Ton. Das einzige, was man noch hört beim wirklich atemberaubenden Zeitlupen-Blut-Balett im Fahrstuhl ist das dumpfe Platzen des Glases durch die Schüsse. Und dann muss sich Bronson selbst opfern. Der Mann (seine Vorstellung von sich) kann ohne die Frau (seine Vorstellung von ihr) nicht existieren. Die Kamera zoomt auf seine Augenpartie ran. Leinwandfüllend sehen wir Bronsons Augen, die nicht mehr sehen, was es von Anfang an nicht gab. Doch nicht mal der Triumph des finalen Close-Up ist ihm vergönnt. In der letzten Einstellung wird umgeschnitten in die Totale. Ein lebender Mann mit Pistole in der Hand, der über einem tot am Boden liegenden Mann steht auf einem Dach. Fine.
Freitag, 8. November 2013
Movie of the Week 7: Une femme est une femme (Jean-Luc Godard, F 1961)
"Bevor wir unsere Farce durchspielen, sollten wir uns vor dem Publikum verbeugen," sagt Angela (Anna Karina) zu Émile (Jean-Claude Brialy). Gesagt, getan. Die beiden machen, im Wohnungsflur stehend, einen höflichen Knicks vor der Kamera, vor uns. Dann: Let the games begin! Sie streiten sich. Mal mit der extra dafür in den Mund genommenen Zahnbürste, dann wieder, ohne selbst zu reden, indem sie sich auf Buchumschlägen stehende Schimpfwörter zeigen. Émile fährt dabei teilweise mit dem Fahrrad Runden durch die geräumige Pariser Altbauwohnung. Die Tragödie festgefahrener Beziehungskonflikte, reinszeniert als Farce. Später gesellt sich Alfred (Jean-Paul Belmondo) dazu. Er fragt sich, ob wir uns in einer Komödie oder einer Tragödie befinden, hat selbst jedoch keine Zeit, diese Frage zu beantworten. Er muss weg, weil er Außer Atem sehen möchte, der im Fernsehen läuft. Diese Szene enthält en nuce, was den Film ausmacht. Brecht'sche Verfremdungseffekte am laufenden Meter, ein unablässiges sub- und meta-, intra- und inter-textuelles Verweisspiel. Godard bricht ständig mit der Illusionserzeugung, um durch den Bruch hindurch, Fetzen von Realität sichtbar zu machen. Der - immer wieder absolut hinreißende - Nonsense-Humor will gerade keinen comic relief, sondern entstellt durch Überzeichnung zur Kenntlichkeit. Gerade so gelangt Une femme est une femme zu größerer Wahrhaftigkeit in der Darstellung des alltäglichen Irrsinns zwischenmenschlicher Beziehungen, als hundert "ernstere", einem herkömmlichen Realismus-Konzept verpflichetete, Liebesfilme. Schon der Plot: Angela will ein Kind, Émile nicht, Alfred, Émiles bester Freund, soll aushelfen - und zeigt sich dazu allzu gerne bereit. Filmhistorischer Verweis, eine Geschichte wie von Ernst Lubitsch einerseits (Lubitsch heißt dann auch Alfred mit Nachnamen). Andererseits kennen die Konstellation eines zur Besessenheit ausartenden Kinderwunsches einer Frau und die Bedenken des Mannes wohl viele Menschen, nun, ich zumindest, aus dem richtigen Leben. Der Reality-Touch.
Godard bezeichnet seinen dritten Langfilm, gedreht in Farbe und Cinemscope, als "neorealistisches Musical, also einen Widerspruch in sich". Widersprüche werden hier jedoch immer nur sichtbar gemacht, nicht aufgelöst. Etwa in einer Szene zu Beginn: Im Gespräch mit Belmondo legt Karina plötzlich unvermittelt einen Tanz hin: "Ich möchte in einer Musical-Komödie sein. Mit Cyd Charisse und Gene Kelly. Choreographie: Bob Fosse." Die heruntergekommenen Gassen, die Kulissen ihrer Step-Nummer sind (jede Einstellung ein anderes set), konterkarieren das Postkarten-Paris, das ein beliebter Schauplatz im Hollywood-Film der Fünfziger war. Und doch: offensichtlich auch eine sehr liebevolle Hommage. Echte "Nostalgie nach dem Musical" (Godard), dessen strikter Anti-Realimsus in seiner ursprünglichen Form keine Option mehr ist. Schade. Als Entschädigung: Der Regisseur als Zauberer, der in einem Fort seine eigenen Tricks verrät, aber doch nie die Magie des Kinos. Der Film, der als Spiel mit offenen Karten einfach immer weiter läuft. Ein verspielter und bezaubernder Film. Einer, über den man Doktorarbeiten schreiben, den man aber auch - und das unterscheidet ihn wohl recht grundlegend von anderen Werken des Regisseurs - einfach genießen und herzhaft über ihn lachen kann. Oder, wie es Émile gegen Ende sagt: "Ob es eine Komödie oder eine Tragödie ist, weiß ich selbst nicht, aber sicherlich: Ein Meisterwerk."
Zwei Nachträge, die nicht mehr in den Text passten:
Die Vefremdungseffekte des Films finden auch - und nicht zuletzt - auf der Tonspur statt. Mal wird das Geschehen mit Chansons überorchestriert, dann wieder reiner Original-Ton, dazwischen oft eine Art "akustischer Jump Cut". Besonders toll: in einer Szene läuft Karina durch eine belebte Straße, dabei werden alle Umgebungsgeräusche ausgeblendet, zu hören sind lediglich ihre Schritte. Sie ist damit doppelt markiert und isoliert: durch den Ton und durch ihre leuchtend rote Bluse und die gleichfarbigen Socken im Grau des Quartiers Saint-Denis.
Zum Schluss noch ein Zitat von J. Hoberman im Essay zur Veröffentlichung des Films im Rahmen der Criterion Collection, das den Gender-Aspekt des Films und besonders seine Konstruktion von Weiblichkeit beschreibt: "Seen today, what’s fascinating [in Une femme est une femme] is how much social awareness Godard brings to the notion of “heterosexual love.” With her masklike makeup and bouffant hairdo, Karina is a total construction. This stubborn, graceful creature is not only the world’s most demure stripper but merely the idea of a woman—or, at least, Godard’s idea of one."
Montag, 21. Oktober 2013
Stein der Geduld (Atiq Rahimi, F, D, Afghanistan 2012)
Regisseur Atiq Rahimi, der hier seinen eigenen Roman verfilmt, habe mit seinem Film, so das Presseheft, "den afghanischen Frauen eine Stimme [ge]geben." Das klingt zunächst einmal nach der Art von guten Absichten, die eher ungeeignet sind, um gute Filme aus ihnen zu machen. Das faszinierende an Rahimis Film, an dem es trotzdem noch einiges auszusetzen gibt, ist dann allerdings, wie er immer wieder bestimmte Systeme evoziert, um sie schließlich radikal zu unterwandern und umzuwerten - nicht zuletzt eben das, eines gut gemeinten, auf den westlichen Markt abzielenden Weltkinos.
Zum einen liegt der Geschichte der persische Mythos vom Stein der Geduld zugrunde, der alle Geständnisse und Geheimnisse eines Menschen in sich aufnimmt, bis er so vollgesogen ist, dass er zerspringt. Es bedarf aber, zum andern, wohl auch keines übergroßen interpretatorischen Ehrgeizes, um in dieser Situation, in der die Frau ihre gesamte Biographie durch Versprachlichung aufarbeitet, um sich schließlich von ihrem Leid zu befreien, Parallelen zu einem westlichen therapeutischen setting zu erkennen. Die Vorstellung von der Sprache als heilender Kraft liegt ja auch der talking cure der Psychoanalyse zu Grunde. An Bildern für den Phallus, für seine Aneignung durch die Frau und die Kastration herrscht hier dann auch wahrlich kein Mangel. In einem der Flashbacks, die den Film durchziehen, berichtet die Frau von ihrem Vater und seiner scheinbar einzigen Leidenschaft: Den Wachteln, die er hält, um sie in Kämpfen antreten zu lassen. Zuneigung scheint dieser Mann nur für die kleinen Vögel zu empfinden, während er Frau und Kinder regelmäßig verprügelt, vornehmlich dann, wenn seine Wachteln einen Kampf verloren haben. Mit eindeutig masturbatorischen Gesten ahmt Farhani nach, wie er die Vögel liebkoste. "Als Kind," sagt sie, "dachte ich immer, Männer hätten eine Wachtel zwischen den Beinen." Wenn sie eine dieser Wachteln dann der Katze zum Fraß vorwirft, ist das nicht nur eine überdeutliche Kastrationsmetapher, sondern auch ein erster Akt der Auflehnung gegen die phallische Ordnung. Wie er den persischen Mythos umdeutet, so wird auch die Psychoanalyse umgekehrt. Es geht nicht mehr, wie bei Freud, darum, die verdrängten Triebe in den Griff zu bekommen, die sich in allerlei Krankheitsbildern den Weg zurück an die Oberfläche des Bewusstseins bahnen, sondern im Gegenteil darum, das weibliche Begehren von der - zuerst äußerlichen, aber auch durch Introjektion übernommenen - Repression zu befreien. Wo (patriarchalisches) Über-Ich war, soll (weibliches) Ich werden.
Eine Verbündete findet Farahani in ihrer Tante (Hassina Burgan), die als Prostituierte arbeitet. Die Prostitution wird hier gerade nicht als weiterer Stein in der Mauer der Unterdrückung der Frau, sondern als Instrument zu ihrer Befreiung dargestellt. Im Interview sagt Rahimi, er bewundere Prostituierte für "ihren Mut, ihre Art, die Männer durch ihren Körper zu dominieren. Ihnen gegenüber werden die Männer zu Kindern."
Das trifft auch und besonders auf den jungen Soldaten zu, mit dem Farahani im letzten Drittel des Films eine Affäre eingeht. Gegenüber ihm und einem älteren Soldaten, die ihr Haus kontrollieren, behauptet sie, sie sei Prostituierte, um so einer Vergewaltigung zu entgehen. Während der andere sich tatsächlich angewidert von ihr abwendet, kehrt der jüngere später zu ihr zurück - mit Geld. Als sie ihn zunächst abweist, vergewaltigt er sie. Diese Vergewaltigung ist jedoch gerade eine Fortführung des phallischen Versagens, dass sich durch den Film zieht.
Stereotype Rollenzuweisungen sind dabei nur ein Problem von Stein der Geduld. Außerdem wirkt der Film bisweilen ziemlich überladen. Der Verzicht auf Eigennamen und genaue geographische Verortung des Geschehens soll verdeutlichen, dass sich diese Geschichte überall in der arabischen Welt zutragen könnte. Rahimi bürdet seiner Protagonistin die ganze Last der Unterdrückung der Frau in islamistischen Regimen auf. Die trägt es zunächst mit bemerkenswert durchgehaltener Leidensmiene (umso schöner dann allerdings, wie sich gegen Ende auch ihre Befreiung von ihren Zügen ablesen lässt.) Auch ist der Film in seiner Inszenierung keineswegs so homogen, wie er es in der Poesie seiner State of the Arthouse-Bilder gerne wäre. So gibt es eine sehr gelungene Szene gegen Anfang, in der Farahani, eine gespentische Erscheinung in ihrer Burkha in der gespentischen Umgebung der zerbombten Stadt, mit ihren Töchtern zur Apotheke geht. Unweit von ihnen schlagen Granaten ein. Nur wenige Augenblicke sehen wir, wie die Frau ihre Kinder in Sicherheit zu bringen sucht. Dann kommt der Schnitt und die Apotheke ist erreicht, ganz so, als wäre nichts geschehen. Hier gelingt es, zu zeigen was der Krieg für Menschen in einem Kriegsgebiet bedeutet: ein schrecklicher bedrohlicher Alltag, aber eben doch: Alltag. Wenn später jedoch erneut Kriegshandlungen zu sehen sind, setzt der Film wieder auf höchstmögliche Dramatisierung durch altbekannten Wackelkamerarealismus.
Was den Film, trotz dieser Schwächen, rettet, ist, dass die Handlung nicht, wie es die Bilder zumindest teilweise tun, Zuflucht beim guten Geschmack sucht. In der Unnachgiebigkeit mit der die Frau ihren wehrlosen Mann mit dessen eigenem Verhalten konfrontiert, darin, wie immer wieder gezeigt wird, wie wenig die Männer die Frauen befriedigen können, sie also in dem angegriffen werden, was ihnen am heiligsten ist: in ihrer Männlichkeit, liegt ein recht unverhohlener Sadismus. Damit ist der Film näher an einem feministischen revenge movie als an allen politisch korrekten Gutgemeintheiten.
Stein der Geduld läuft seit 10. Oktober in den deutschen Kinos.
Dienstag, 1. Oktober 2013
Movie of the Week 2: Ascenseur pour l'échafaud (Fahrstuhl zum Schafott) (Louis Malle, Frankreich 1958)
Am Anfang nur Jeanne Moreaus Augenpartie. Der Schatten, der über ihrem restlichen Gesicht liegt, löst sich auf wie ein gelüfteter Schleier. Ihre Stimme, ein eindringliches verzweifeltes Flüstern, spricht in ein Telefon - das wir erst sehen, als sich die Kamera langsam von ihr entfernt -, wiederholt immer wieder: "Je t'aime." Am anderen Ende der Leitung ihr Liebhaber, Maurice Ronet, der ihre Liebesbekundungen erwidert. Die Kamera entfernt sich auch von ihm langsam. Von der Intimität der Gesichter der beiden Liebenden, die sich verabreden, aber sich den ganzen Film nicht treffen werden, zu einem räumlichen Kontext, der zeigt, wie sehr sie eingeschlossen, nicht nur von der sie umgebenden Welt, sondern auch von einander isoliert, sind. Sie in einer Telefonzelle. Er hinter den Fenstern eines Bürohauses. Sie planen den Ausbruch. Ihren Mann, seinen Chef, will er ermorden, den Waffenhändler, der an seinem Schreibtisch, mittig im Bild, über Paris thront, das durch das Panoramafenster hinter ihm zu sehen ist. Das - scheinbar - perfekte Verbrechen führt Ronet zunächst so kaltblütig aus, wie es geplant war. Dann jedoch macht er einen kleinen Fehler, bleibt ein Fahrstuhl stecken, wird ein Auto gestohlen.
Im selben Jahr, in dem Orson Welles mit Touch of Evil einen Schlussstrich unter die klassische Epoche des Film noir setzte, bediente sich Louis Malle in seinem Debütfilm ziemlich freigiebig bei dessen Motiven und Ästhetik, überhöht sie und kehrt sie zugleich um. Eine kaltblütige femme fatale ist Moreau gerade nicht. In den schönsten Szenen dieses an schönen Szenen gewiss nicht armen Films, geht sie einsam, verloren, schlafwandlerisch fast zu Miles Davis' berühmtem Free-Jazz-Score durch nächtliche Pariser Straßen, die hinter ihr zu einem unscharfen Einerlei der Lichter von Leuchtreklamen und Straßenlaternen, Schaufensterscheiben und Spiegelungen darin verschwimmen. Keine Kreatur der Nacht, sondern eine, die in der kalten, niemals schlafenden Großstadtwelt verzweifelt nach Geborgenheit sucht. (Stilisiert übrigens schon das Paris des Films, das Malle moderner aussehen liess, als es 1958 war)
Die Instanz hinter den Verstrickungen, aus denen es für die Liebenden kein Entkommen gibt, ist keine göttliche. Es sind andere, nicht mal ihnen irgendwie sozial "überlegene" Figuren, die sie in die Katastrophe führen. Das jüngere Paar, dessen - ebenfalls vergeblicher - Ausbruchversuch, den ihren spiegelt. Der Mann, der den Fahstuhl wartet und damit die Hebel in der Hand hält, der das - zum seidenen Faden degradierte - Seil lenkt, an dem Ronets Leben hängt. Selbst der steckengebliebene Fahrstuhl ist hier eher ein Bild für die Gefangenschaft in einer technisierten Welt, als dass es auf ein irgendwie übernatürlich gelenktes Schicksal verweisen würde.
Der Film über das Sehen, den die erste Einstellung ankündigt, ist Fahrtstuhl zum Schafott dann auch. Die falschen Fährten, denen Moreau und die Polizei folgen, ergeben sich aus sehr bezeichnenden Verwechslungen, bei denen sie auf die Anwesenheit eines Mannes schließen, wo sie doch nur sein Auto gesehen, seinen Mantel und seinen Revolver gefunden haben. Vom gescheiterten Ausbruch aus einer sozialen Ordnung, in der der Mensch, indem er über seinen Besitz definiert wird, selbst zum Objekt, zum Besitztum verkommt, handelt der Film. Von späteren Meta-Reflexionen über das Kino, das "nicht wissen, was man gesehen hat" (Argento), das "nicht gesehen haben, was man gesehen zu haben glaubt" (De Palma), unterscheidet sich Malles Film nicht nur dadurch, dass der Zuschauer von Anfang an im Bilde darüber ist, wer wen ermordet hat, sondern vor allem dadurch, dass er an die Wahrheit der Bilder glaubt. Diese Wahrheit manifestiert sich am Ende im Fotolabor. Das Bild, das zunächst sichtbar macht, was die Vergangenheit war und dann wieder verschwimmt - die Zukunft, die nicht sein wird. Dann ist da nur noch Miles Davis' traurige Trompete.
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