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Samstag, 30. August 2014

Patriarchat und Gewalt VII: Hotte im Paradies (Dominik Graf, Deutschland 2002)

Der Film, dessen Titel dem Protagonisten das Paradies verspricht, beginnt mit einer infernalischen Szenerie. Feuer, Blaulicht, Sirenen, Krankenwagen. Wie in einem Film Noir beginnt Hotte (Misel Maticevic), ein Zuhälter im Berliner Milieu rund um den Stuttgarter Platz, seine Geschichte im Rückblick, per Voice-Over zu erzählen.
Über Hotte im Paradies in der Serie zu Patriarchat und Gewalt zu schreiben, ist gerade deshalb so interessant, weil er mit den anderen in diesem Zusammenhang besprochenen Filmen zunächst weder formal noch inhaltlich etwas zu tun zu haben scheint. In der Geschichte um Hotte und seine zunächst drei, später dann zwischenzeitlich nur noch eine Hure wird die Prostitution klar als grausame patriarchale Ausbeutung beschrieben, zu deren Durchsetzung es auch mal mehr, mal weniger subtiler Formen maskuliner Gewalt bedarf.
Dennoch hat Grafs Fernseh-Film mit den generischen Formen, durch die im Kino die gewaltsame Unterdrückung der Frau durch die männerdominierte Gesellschaft gezeigt werden, kaum etwas gemein. Vielmehr bildet Grafs TV-Zuhälter-Drama eine Art Komplementärfilm zu seiner Kino-Zocker-Komödie Spieler. Hier wie dort geht es um eine bestimmte Beziehung des Subjekts zur Welt, deren scheinbar einziges Medium das Geld ist. Das Geld, das nur immer wertvoller wird, je mehr es den Männern scheißegal ist. Hier wie dort bietet das Geld eine Alternative zur bürgerlichen Biographie. Die Protagonisten in Spieler waren zu sehr damit beschäftigt vor Schuldnern zu fliehen, mit großen oder kleinen Gaunereien das Geld zu beschaffen, von dem sie immer noch mehr verzockten als sie beschafften, um Zeit für das zu haben, was gemeinläufig mit dem Erwachsenwerden assoziiert wird: Arbeiten gehen, eine Familie gründen, etc. Parallel dazu erklärt Hotte: "Und noch watt, wenn du im Milieu bist, die absolute Nichtachtung das Geldes. Dit is bedrucktes Papier, mehr nicht." Das Geld, das, auch das sagt Hotte im Voice-Over schonungslos ehrlich, die Frauen erarbeiten und die Männer ausgeben. Deshalb muss die Prostituierte, die nach dem Koksen einen Fünfhunderter in ihrem Kleid verschwinden ließ, ihn schnell wieder rausrücken. Das Geld, das die Männer mit betonter Wegwerf-Bewegung beim Würfelspiel auf die Tische schmeißen, muss für die Frauen doch immer seinen Wert behalten. Die Macht der Zuhälter über die Huren ist eine Macht durch die - und zur Verschwendung von Geld.
Der Plot beginnt damit, dass Hotte ein neues Mädchen von einem Kollegen kauft: Jenny (Nadeshda Brennicke). Mit Rosa (Birge Schade) und der unter ihrem Job zunehmend leidenden Yvonne (Stefanie Stappenbeck) arbeiten nun drei Frauen für ihn.
Doch auch die Seele der sehr jungen und sehr attraktiven Jenny scheint durch das Anschaffen und die Drogen mehr und mehr Schaden zu nehmen. Eine Szene bringt das Machtverhältnis zwischen dem Luden und den Prostituierten auf den Punkt. Als ein Freier versucht Jenny für eine andere Organisation abzuwerben, zeigt sie sich zunehmend aufmüpfig gegenüber Hotte. Nachdem sie ihn in einem Restaurant auffordert, sie zu schlagen, legt er sie vollkommen enerviert übers Knie und versohlt ihr in aller Öffentlichkeit den Arsch. Einerseits eine Maßnahme, die ihren Grund darin hat, dass man an ihrem Gesicht beim Anschaffen keine Spuren sehen darf, zeigt diese Szene doch auch überdeutlich, dass das Verhältnis vom Mann zur Frau in diesem Geschäft ist, wie von einem Erwachsenen zu einem Kind, das wenn es nicht pariert eben mit Schlägen gemaßregelt werden muss. Horkheimer und Adorno schreiben: "Nicht bloß mit der Entfremdung der Menschen von den beherrschten Objekten wird für die Herrschaft bezahlt: Mit der Versachlichung des Geistes wurden die Beziehungen der Menschen selber verhext, auch die jedes einzelnen zu sich."
Hotte im Paradies geht gerade darin weiter als die feministische Kritik an der Prostitution, dass die Versachlichung der Körper nicht nur die beherrschten Frauen betrifft, sondern auch die herrschenden Männer selbst. Kaum zufällig beginnt der Alltag Hottes, den er am Anfang kurz skizziert, mit zwei Stunden Fitness Studio nach dem Aufstehen am Mittag. Wo Frauen zwischen den Männern verkauft werden wie die diversen Statussymbole, wie Uhren, Autos, Klunker, wird der Wert des Mannes eben an diesen Gegenständen bemessen. Zu Beginn, bevor er sich seinen Jaguar kauft, bleibt Hotte wie ein Ausgeschlossener als einziger in einer Bar sitzen, als es anfängt zu regnen, während alle anderen aufspringen, um die Verdecke ihrer Cabrios zu schließen.
Diese Statussymbole sind keine Fetische im Freud'schen Sinne, kein Penisersatz, sondern eher eine symbolische Penisverlängerung. Der Fortsatz eines sowieso zwangsläufig durch und durch sexualisierten Egos.
Doch da ist noch etwas: Durch die Distanzlosigkeit zu dem gezeigten Milieu, die unter anderem durch den Einsatz der beiden mobilen Mini-DV-Kameras entsteht, die fast immer mitten im Geschehen sind, wird auch die Zärtlichkeit innerhalb der ganz und gar kaputten, durch das Milieu und - vor allem - das Geld zerstörten Beziehungen der Figuren gezeigt. Misel Maticevic spielt Hotte mit einer beeindruckenden Gratwanderung, dass er auch dann wenn er sich wie das letzte Arschloch benimmt immer noch charmant wirkt.

Mittwoch, 16. April 2014

Eine Stadt wird erpresst (Dominik Graf, Deutschland 2006)

Leipziger Nächte sind lang... In medias res schmeißt uns die erste Einstellung in eine der Disko-Szenen, die beinahe schon ein Markenzeichen von Dominik Graf-Filmen sind, mitten zwischen die in den bunt blinkenden Lichtern tanzenden Körper. Parallel montiert wird ein vermummter Mann, der einen Strommast empor klettert und anderes terroristisches Treiben unter anderem mit auf ferngesteuerte Autos montiertem Sprengstoff. Die Synthese entsteht mit einem Knall, als ziemlich buchstäblicher Kurzschluss von These und Antithese: die Bombe auf dem Strommast geht hoch und die Lichter in der ganzen Stadt gehen aus - auch in der Disko, in der unter anderem ein paar Beamte der Leipziger Polizei Geburtstag feiern.
Mit einem Knall, mit Wucht prallt in diesem Film auch zusammen, wird miteinander kurzgeschlossen, was zusammen zu denken wohl erst Mal schwerfallen würde: der deutsche Fernseh-Krimi des vergangenen Jahrzehnts mit den stilistischen Mitteln des italienischen Genre-Kinos der Sechziger und Siebziger, des damals populären poliziesco etwa.
Schon die Gestaltung des Titels und der Credits sieht aus, als hätte man sich in der Dekade geirrt und im folgenden wird flink auf allerlei Schilder, Fotos, Gesichter und Augenpartien gezoomt, werden Dialoge nicht in Schuss und Gegenschuss aufgelöst, sondern mit Reißschwenks, dass es nur so eine Art hat. Das Geniale daran, das durchaus dialektische Kunststück, das Graf ein ums andere Mal mit Bravour gelingt ist, dass er gerade über die extreme Stilisierung, über den Einsatz von Mitteln, die so offensichtlich nichts mit dem Produktions-Ort, -Zeitpunkt und -Zusammenhang, in dem sein Film steht und entsteht, zu tun hat, sehr konkreten deutschen - im Fall von Eine Stadt wird erpresst: ostdeutschen - Realitäten der Gegenwart näher kommt, als man es vom deutschen Film und Fernsehen gewöhnt ist.
Es geht also um die Erpressung einer ganzen Stadt. Diamanten im Wert von zwanzig Millionen Euro soll Leipzig bereitstellen, sonst folgen, so heißt es von Seiten der offenbar bestens organisierten Täter, auf die Explosion auf dem Strommast weitere, an zentralen Stellen, in wichtigen Gebäuden. Mit der Ermittlung betraut werden der alternde, schon zu DDR-Zeiten im Polizeidienst tätige Kommissar Kalinke (Uwe Kokisch) und seine jüngeren Kollegen Ronny Banderes (Misel Maticevic) und Maria Rogalla (Julia Blankenburg).
Aus der genau gefassten Gegenwart des Leipzigs im Jahr 2006 führen sie die Spuren in die Vergangenheit, in die Achtziger und frühen Neunziger, zur "Wende", die für viele eher ein "Bruch", ein "Einschnitt" war. Je weniger diese Vergangenheit "aufgearbeitet" wurde, je weniger der Systemwechsel die Menschen "mitgenommen" hat, an die Stelle des Alten etwas Neues, eine bessere - oder nur überhaupt irgendeine - Zukunft getreten ist, desto mehr bleibt das Vergangene gegenwärtig - als Gespenst. Eine Stadt wird erpresst ist auch - obgleich weniger explizit als andere Filme des Regisseurs - ein Gespensterfilm.
Da passt es umso besser, dass die Ermittlungen schnell an einen gespenstischen Ort führen: Das Dorf Gralwitz soll dem Tagebau weichen. Verfall so weit das Auge reicht, heruntergekommene Fachwerkfassaden, eingefallene Häuser, grau in grau, das Gespenst eines Ortes aus einer anderen Zeit, einem anderen Land. Die Wenigen, die geblieben sind, um den Bürgermeister Rössler (Lutz Teschner) und den Unternehmer Naumann (Thomas Neumann), wehren sich erbittert. Eine Festung des Widerstands scheint dieser Ort, vollgehängt mit Plakaten gegen den "Heimatklau". Auch das Gespenst einer Utopie: Die Firma OstRotor hat Naumann hier aufgebaut, der durch die Wende arbeitslos wurde. Aus sechs Mitarbeitern zu Beginn wurden 42. "Und die Firma gehörte uns allen. Und das funktionierte diesmal."
Die Begegnung mit Naumann wird für Kalinke auch zu einer Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit. An der Vertuschung eines Unfalls, dem Naumanns Tochter zum Opfer fiel, durch die Stasi hat er sich mitschuldig gemacht. Die Frage, wie weit man in einer Diktatur mitmachen musste, wie weit man sich wehren konnte wird aufgeworfen. Wer aber eine fernsehzuschauergerechte, säuberlich die Guten von den Bösen trennende Antwort erwartet, der ist im falschen Film.
Ein weiterer Handlungsstrang, eine weitere Spur führt übrigens zur Russenmafia, in Hotelzimmer mit Koks und Nutten, in denen Jahrgangschampagner getrunken und mit Geldscheinen rumgeworfen wird.
Die Redundanz, das beständige Zu-Viel des Inhalts, entspricht dem Einsatz der filmischen Mittel. Wie durch die Gegenwart des wiedervereinigten Deutschlands die Vergangenheit des geteilten spukt, so durch diesen Fernsehfilm als Zitat das vergangene, das untergegangene Kino - eben der Italo-Sleaze.
Mustergültig werden die Erzählstränge am Ende zusammen geführt, der Fall lückenlos aufgeklärt. Wo aber im Krimi von einst durch die Aufklärung eine Ordnung wiederhergestellt wurde, ein Bruch gekittet, der durch das Verbrechen entstanden war, da bleiben hier nach dem letzten Knall des denkbar wuchtigen Show-Downs nur Close-Ups von verzweifelten, schreienden, weinenden Gesichtern, nur neue Traumata. Und ein helicopter shot von dem, was der Tagebau von einer Landschaft übrig lässt. Eine Mond-, eine Trümmerlandschaft. Eine menschgemachte Wüste.
Für falsche Versöhnlichkeiten ist im Deutschland Dominik Grafs glücklicherweise kein Platz.

Sonntag, 16. März 2014

Kalter Frühling (Dominik Graf, Deutschland 2004)


Der Film endet so, wie er angefangen hat: Mit einem Familienfest im Hause Berger. Jedoch werden sich die Hierarchien, die innerfamiliären Machtverhältnisse entschieden verändert haben. Um diese Verschiebungen, die (immer wieder durchaus radikalfeministisch lesbare) Ermächtigung einer jungen Frau innerhalb eines sozialen Gefüges, in dem sie zu Beginn kaum mehr ist als das ewige Sorgenkind, wird es gegangen sein in den neunzig Minuten zwischen Familienfest und Familienfest.

Auf dem Familienfest zu Beginn wird der 22-jährigen Sylvia (Jessica Schwarz) eröffnet, dass nicht sie, wie ihr Leben lang angenommen, sondern ihre Cousine Manuela (Tanja Gutman) die väterliche Firma übernehmen soll. Eine Ankündigung, die alte Wunden aufklaffen lässt. Sylvia rebelliert. Auf einer Party lernt sie den mit dubiosen Geschäften sein Geld verdienenden Rico kennen (wunderbar charismatisch am Klischee des herzenbrechenden Gangsters vorbeispielend: Misel Maticevic).

Nach einer kurzen Affäre macht er kühl und einsilbig mit ihr Schluss. Wenig später erfährt sie, dass sie Syphilis hat. Mit ihren hilflosen Eltern, die sich schmerzlich in eine Zeit zehn Jahre zuvor zurück versetzt fühlen, als ihnen ihre Tochter während einer schweren Krise schon einmal komplett zu entgleiten drohte, überwirft sie sich bald ganz. Sie drehen ihr den Geldhahn zu, kündigen ihre Wohnung. Sylvia lernt Ben Lüders (Matthias Schweighöfer) kennen. Sie zieht zu ihm. Hatte Ben jedoch schon zu Beginn eine auffällige Affinität zum morgendlichen Biertrinken, entdeckt sie bald im Bad eine versteckte Crack-Pfeife. Sie verlässt ihn, ist nun ohne Bleibe und prostituiert sich. Wer aber glaubt, der Film steuere auf die Endstation Straßenstrich zu, der kennt Sylvia Berger und Dominik Graf schlecht.

Die Inszenierung dieses TV-Thrillers von 2004 wirkt für Graf-Verhältnisse, etwa im Vergleich zu Der Skorpion, Die Freunde der Freunde oder Eine Stadt wird erpresst beinahe konventionell. Zwar gibt es den einen oder anderen gewagten Zoom, wird der eine oder andere Dialog in eleganten Schwenks aufgelöst. Es gibt, wie in vielen Filmen des Regisseurs, die fulminante Disko-Szene, in dem sich die Kamera ganz dem Rausch der in rotes Licht getauchten Körper und Gesichter hingibt und der Blaustich der stylisch gefilmten Kölner Straßen ist bisweilen beträchtlich. In erster Linie aber ist der Exzess in Kalter Frühling keiner der Form, sondern einer des Inhalts.

Die Unterkühltheit, mit der Graf von dysfunktionalen Familien, Seitensprüngen, Betrug, harten Drogen und Sexarbeit erzählt, wirkt gegenüber der didaktischen Emotionalität mit der solche Themen gerne im Film (zumal: im Fernsehfilm) verhandelt werden, wie von einem anderen Stern.

Umso mehr passt diese Kälte zur Entwicklung der Protagonistin, die vom nach außen hin toughen, aber eigentlich ziemlich hilflosen Mädchen zu einer Art Racheengel im Business-Dress wird. Immer skrupelloser reißt sie alle Fäden an sich. Im letzten Drittel gehört der Film ganz und gar ihr. Sie führt alle Handlungsstränge so zusammen, dass sie zu ihrem Vorteil gereichen. In der Art, wie dieses gründlich vom Kopf auf die Füße gestellte Coming-of-Age zelebriert wird, liegt schon ein gewisser Sadismus.

Jedoch bleibt gerade der Loser Ben der Stachel im Fleisch ihrer neu erworbenen gesellschaftsfähigen Asozialität. Ist die letzte Einstellung, die Tochter im Arm des Vaters, ein Bruch? Wird der kalte Frühling hier warm? Oder ist das nicht viel eher der konsequente Schluss einer radikal zu Ende gedachten weiblich-ödipalen Ermächtigungsphantasie?