Posts mit dem Label Italo-Western werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Italo-Western werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Donnerstag, 28. August 2014

La resa dei conti / Der Gehetzte der Sierra Madre (Sergio Sollima, Italien, Spanien 1966)

Somewhere there is a land where men do not kill each other.
 
Die Italo-Western-Brutalität der Exposition bekommt angesichts des großartigen Morricone-Songs während des - nicht minder großartigen - Vorspanns eine bittere Note. Strick oder Pistole. Das ist die Wahl vor die Jonathan Corbett (Lee Van Cleef) die drei Männer stellt für die er nichts außer drei Kugeln übrig hat. Dabei scheint der Kopfgeldjäger selbst das Töten von Anfang an satt zu haben, davon zu träumen, es eines Tages hinter sich zu lassen.  
Der Geschäftsmann Brockston (Walter Barnes), der eine Eisenbahnlinie quer durch Texas bauen will, die die USA mit Mexiko verbinden soll, bittet ihn in die Politik zu gehen und seine Sache in Washington zu vertreten. Doch vorher macht sich Corbett auf die Suche nach dem Mexikaner "Cuchillo" Sanchez (Tomas Milian), der ein minderjähriges Mädchen vergewaltigt und ermordet haben soll. Doch Cuchillo erweist sich nicht nur als so gewitzter Ausreißer, dass selbst der große Corbett seine Probleme hat, ihn einzufangen, der Kopfgeldjäger beginnt auch irgendwann an der Schuld des Gejagten zu zweifeln.
 
Somewhere you will find a place where men live without fear.
Somewhere, if you keep on running, someday you'll be free.
 
An den üblichen Italo-Western-Gimmicks herrscht in La resa die Conti gewiss kein Mangel. Neben den raffinierten Verkleidungstricks, die Cuchillo für seine Flucht nutzt, ist da etwa eine Szene, in der er einen Stier in den Verschlag locken soll. Gefilmt wird teilweise mit der Handkamera aus der subjektiven Sicht sowohl des Mannes als auch des Stiers während sie miteinander kämpfen. Für die genre-typische Grausamkeit sorgen unter anderem die Messerwurfkünste, denen Cuchillo seinen Namen verdankt, oder eine Szene, in der er an Händen und Beinen mit Lassos gefesselt ausgepeitscht wird. Doch Sergio Sollima nutzt das Genre auch hier vornehmlich für seine eigenen Zwecke. Schon im Text zu Faccia a faccia habe ich den Sollima-Helden als einen gezeigt, der von seiner Leidenschaft für eine bessere Welt angetrieben wird. Der des Tötens müde ist und sich nach Frieden sehnt. In La resa dei Conti nimmt das die Form einer Desillusionierungsgeschichte an, in der Corbett langsam feststellen muss, dass die Werte der Männer für die er arbeitet nicht die seinen sind. 
 
Somewhere there is a land where men call a man a brother.
 
Im Kern ist La resi dei conti ein Film über Rassismus, den Sollima als das anprangert, was er wohl immer schon war: Ein Herrschaftsinstrument. "Ich kenne ein Gesetz, das besagt, dass es zwei Gruppen von Menschen gibt," sagt Cuchillo. "Die eine Gruppe flieht, und die andere verfolgt sie." Schon bevor Corbett - und mit ihm der Zuschauer - endgültig von der Unschuld Cuchillos überzeugt ist, scheint sich der Film ganz auf die Seite des Fliehenden, des Gehetzten, des geschundenen Körpers von Tomas Milian zu stellen.  
Die Reise des Kopfgeldjägers wird auch zu einer Odyssee durch eine regelrechte Galerie verschiedener, teils denkbar bizarrer Machtverhältnisse. Da ist sonderbare Matriarchatsphantasie, die den Gender-Diskurs von Citta violenta ein Stück weit vorwegnimmt. Auf einer Ranch gebietet die Besitzerin nach dem Tod ihres Mannes über eine Gruppe ihr untergebener Männer - wohl eine Art Harem - die sie stets mit "Seniora" anzureden haben. Da ist der ehemalige "Bruder Smith and Weston", ein Mönch, der das Schießeisen vor Jahrzehnten gegen das Kreuz eingetauscht hat, und damit die vorweggenommene Erfüllung von Corbetts Sehnsucht darstellt. Da ist die mexikanische Armee um einen gewohnt schmierigen Fernando Sancho, die den Bauern und der Revolution mit der gleichen Verachtung begegnet wie die adeligen und großbürgerlichen Kreise in den USA. Da ist eine der Schlüsselszenen bei einer feinen Gesellschaft um Brockston. Während er seine Tochter zurecht weist, die sich nicht in eine Hochzeit fügen will, die in seinem (Kapital-)Interesse liegt, folgt die Kamera einer jungen mexikanischen Bediensteten, die mit einem Tablett Champagner durch die Räume geht. Als sie sich den Rock hochzieht während sie das Tablett zu Boden stellt, zieht der Anblick ihrer Beine das Interesse von Brockstons künftigem Schwiegersohns auf sich - dem Mann für dessen pädophile Verbrechen Cuchillo als Sündenbock herhalten soll. Die gleiche Macht, die den mexikanischen Bauern jagt, macht auch die Frauen buchstäblich zum Objekt, zu einer Ware, die man möglichst gewinnbringend verkauft oder die nur dazu dient, männliche Gelüsten aller Art zu befriedigen. Die Kamera ist dabei einmal mehr ganz auf der Seite der Ausgebeuteten und Unterdrückten.  
 
Never, no never no they'll never lock you in.
No never, no never, no never let them win.
Go ahead young man, face towards the sun,
Run man, run while you can,
Run man, run man, run.   
 
Dass am Ende das Gute siegt, dass Lee van Cleefs unvergleichlich eindringlicher Blick schließlich nur die Gerechtigkeit sucht, hat bei der Genauigkeit mit der Sollima Machtverhältnisse analysiert eine regelrecht utopische Note.
 
 
Und weil's so schön ist, bekommt wer mag hier noch den restlichen Text:
 
 

Running like a hare, like deer, like rabbit,
Danger in the air, coming near, you can feel it,
And you're panting like hare, like deer like a rabbit,
Running from the snare until fear is a habit.
Hurry on and on and on.
Hurry on and on, hurry on and on
Run and run until you know you're free,
Run to the end of the world 'til you find a place
where they never never never
No never no they'll never lock you in.
Never, no never, no never let them win.
Go ahead young man, face towards the sun,
Run man, run while you can,
Run man, run man, run.


Mittwoch, 20. August 2014

Faccia a faccia / Von Angesicht zu Angesicht (Sergio Sollima, Italien, Spanien 1967)

Der Film beginnt mit einem Bruch. Professor Brad Fletcher (Gian Maria Volonté) verkündet seinen Schülern, dass ihr Geschichtskurs beendet ist, aber jederzeit an dieser Stelle fortgesetzt werden kann. Er verabschiedet sich von den Schülern, dann verabschieden sich sein Chef und eine Frau, Elisabeth, von ihm. Man merkt, dass er etwas mit ihr hatte, was genau erfährt man eben so wenig, wie den Grund, warum er geht. Bruchstückhaft, brüchig erzählt diese pre titlte sequence von einem Bruch. Jedenfalls bleibt Volonté allein in dem leeren Unterrichtssaal zurück. Allein mit einer Karte der USA. Allein mit der Geschichte. Von der Spiegelung seines Gesichtes in einer roten Scheibe gibt es einen Match Cut auf einen roten Feuerball im - wie immer bei Sollima großartigen - Vorspann. Neben den Gesichtern von Volonté und Tomas Milian, von Angesicht zu Angesicht, sehen wir in diesem Vorspann vor allem Bilder einer Kutsche, im üblichen Pop Art-Look wird sie verdoppelt, verdreifacht, vervielfacht, in knalligem rot, gelb, grün zieht sie durchs Bild, von rechts nach links und links nach rechts, von oben nach unten und unten nach oben. Die stringente Bewegung wird zersetzt durch ein konstantes hin und her und auf und ab.
Auf seinem Weg wohin auch immer wird Fletcher von dem Banditen Solomon "Beauregard" Bennet (Tomas Milian) als Geisel genommen. Der Mann der Bücher und der Mann der Waffen. In John Fords Meisterwerk The Man who shot Liberty Valance war das eines der großen Paare des postklassischen Westerns (wobei "postklassisch" hier vor allem bedeutet, dass der Film den Zivilisierungsprozess, der von jeher den Kern des Genres bildete, schon eher melancholisch zu einem Verlust erklärte, statt in ihm einen Gewinn sehen zu können). Bei Ford wird der Mann der Bücher am Ende doppelt desavouiert. Er wird gefeiert für eine Tat, die allen seinen Prinzipien widerspricht und die er in Wirklichkeit nicht einmal selbst begangen hat. Faccia a faccia geht da noch ein ganzes Stück weiter.
Immer sind die Protagonisten bei Sollima von ihrer Sehnsucht angetrieben. Nach einer besseren Welt (La resa dei conti) oder zumindest einem besseren Leben (Citta violenta). Faccia a faccia erscheint für einen Italo-Western erstaunlich sehnsuchtsgesättigt. Die Weite der Landschaft, durch die die Männer auf ihren Pferden von den Streichern und Chorälen des epischen Scores von Ennio Morricone getrieben werden, scheinen tatsächlich noch ein Freiheitsvesprechen zu geben, das in dieser Phase des Genres selten geworden ist. 
Die Stadt, in der die Männer von ihrer Sehnsucht zunächst zusammengetrieben zu werden scheinen, heißt Purgatory City (meisterlich, wie Sollima hier einmal mehr Machtverhältnisse als Blickverhältnisse abbildet. Unten im Staub der Straße, diejenigen, die schießen, oben in ihren Häusern, an den Fenstern, als Zuschauer die Gutbürgerlichen, die die schießen lassen.) Von diesem Fegefeuer aus führen ihre jeweiligen Wege die beiden Protagonisten in den Himmel bzw. die Hölle, wobei sich jedoch erst zeigen muss, was wo ist. William Berger als Charley Siringo, ein Pinkerton-Agent, der Banden infiltriert, um sie zu stellen, nimmt dabei eine Art Vermittlerrolle ein.
Ein Dialog in einem Camp, in dem sich die Bande versteckt und das einen weiteren sprechenden Namen trägt: Pietra di Fuoco (Feuerstein), verdeutlicht, wie ihre Sehnsüchte die Männer in verschiedene Richtungen treibt. Einer von Bennets Männern nennt das Camp eine Geisterstadt voller "Jäger ohne Büffel, Cowboys ohne Herden und Gold-Gräber ohne Gold", fernab von Realität und Moderne. Fletcher entgegnet, er habe noch nie so wahrhaftige, freie und glückliche Menschen gesehen wie dort. Bei Sollima führt die Sehnsucht des zivilisierten Bildungsbürgers nach einer archaischen Welt in die Katastrophe. Sie führt zu einer Ermächtigung zum grausamen gang leader, die beginnt mit dem Erschießen eines Mannes und der Vergewaltigung einer Frau. So phallisch, in Begehren und Sehnsucht getränkt die Macht in diesem Film gedacht wird, so sehr scheint sie gerade den Geist zu korrumpieren. Der Geschichtsprofessor erklärt später: "Ein gewalttätiger Mann ist tatsächlich ein Outlaw. Hundert Männer sind eine Gang und 100.000 eine Armee. Es geht darum, individuelle Gewalt zu überwinden, die ein Verbrechen ist, und zur Massengewalt zu gelangen, die die Geschichte macht."
Der Schluss ist atemberaubend ambivalent. Einerseits endet der Film, der in einem Seminarraum begann, in dem Volonté von (politischen) Subjekten träumte, die aus sich heraus richtig und falsch erkennen könnten, damit, dass zwei solcher Subjekte ausgebildet scheinen. Diese Ausbildung wurde dann aber andererseits nicht nur mit Unmengen von Blut bezahlt, sondern der Film gibt die Figur Volontés nicht preis, der sich zu Beginn wünschte, solche Subjekte zu schaffen, und dem es nun - wenn auch auf ganz andere Weise als erhofft - auch gelang. Ein wahrlich tragischer Tod ist das, bei dem ein Überschuss einer Sehnsucht, die das Gute wollte und das Böse schuf, mit seinen letzten Atemzügen aus Volontés Körper zu weichen scheint.

Donnerstag, 24. Juli 2014

Deadlock (Roland Klick, BRD 1970)

Ein Mann schleppt sich durch die Wüste. Im Zick-Zack, schwankend kommt er auf die Kamera zu. Sein grauer Anzug ist dreckig und zerrissen. Eine Schusswunde am Arm und die sengende Sonne machen jeden Schritt zur Qual. Er bleibt so stehen, dass nur seine Beine im Bild zu sehen sind. In der einen Hand hält er einen Aluminium-Koffer, in der anderen eine Maschinenpistole. Schnitt auf Marquard Bohms Gesicht, verbrannt, dreckstarrend. Er blinzelt, wischt sich den Schweiß von der Stirn. Gegenschuss auf die Sonne, ein Feuerball aus gleißendem weißen Licht.
Die ersten drei Einstellungen von Deadlock fassen in extremer Verdichtung zusammen, worum es in dem Film gehen wird. Da ist der geschundene Mensch, ein Koffer voller Geld und eine Knarre. Da ist der Kampf ums Überleben, der immer auch ein Kampf gegen sich selbst ist, gegen den eigenen Körper und seine schwindenden Kräfte, später auch: gegen das eigene Gewissen. Da ist eine bedrohliche und unbarmherzige Natur als weiterer Antagonist in diesem erbarmunslos physischen Film. Die Wüstensonne als furchtbare, alles annihilierende Macht, die die Menschen in bloße Schatten verwandelt, und noch diese Schatten zu zersetzen, aus dem Bild zu tilgen droht. (Dass ein sadistischer Killer in diesem Film ausgerechnet auf den Namen Sunshine hört, ist gewiss alles andere als die plumpe Ironie, als die es zunächst erscheinen mag).
Der Mann, der nur Kid genannt werden wird (Bohm), will in dem verlassenen Wüstenkaff Deadlock seinen Komplizen Sunshine (Antony Dawson) treffen, um mit ihm die Beute aus einem Raub zu teilen. Als er, endlich am Ziel angekommen, in Ohnmacht fällt, entdeckt ihn ein Mann, der ebenfalls einen sehr sprechenden Namen hat: John Dump (Mario Adorf). Die Zivilisation scheint ihn hier, mitten in der Wüste, weggeworfen und vergessen zu haben, genau wie die abgetakelte ehemalige Prostituierte Corinna (Betty Segal) und ihre junge stumme Tochter Jessy (Mascha Elm-Rabben). Er sieht sich plötzlich im Besitz einer Millionen Dollar. Als Sunshine eintrifft, kommt es zu einem Kampf auf Leben und Tod um einen Koffer, eine Maschinenpistole und eine Luger, die in einem Dicht gespannten Netz der dreckigen Tricks und Intrigen immer wieder die Hände wechseln. Und schon der Titel verkündet, dass es am Ende keine Gewinner geben wird: Deadlock nennt man ein Schloss, dass nur von einer Seite öffnet.
Zunächst einmal ist Deadlock recht deutlich ein Genre-Film. An den Italo-Western  gemahnen der Schauplatz in der Wüste im allgemeinen und die provisorischen Kreuze eines kleinen Friedhofs im ganz besonderen. Auch Antony Dawson scheint ganz dieser Tradition verpflichtet, schon rein äußerlich mit seinem bärtigen, verkniffenen Gesicht unter einem verstaubten, breitkrempigen, schwarzen Hut, aber auch was seinen Spaß an der Grausamkeit anbelangt, mit der er John quält. Besonders markant ist die Szene, in der er Adorf befiehlt, Metallophon zu spielen und ihm dabei die Tasten wegschießt oder eine andere, in der er ihn nötigt, eine ganze Flasche Schnaps auszutrinken. Wo aber der Spaghetti-Western 1970 seinen Zenit bereits überschritten hatte und sich im selbst-reflexiv ironischen Niedergang befand (eine Entwicklung, die vielleicht im maßlos überschätzten Mein Name ist Nobody 1973 ihren Höhepunkt fand), gibt es in diesem Film eine Dringlichkeit, die das Genre in seinen besten Momenten auszeichnete.
Marquard Bohm hatte mit seinen Auftritten in den frühen Filmen Rudolf Thomes, Detektive, Rote Sonne und Supergirl das Zeug, zu einer Art deutschem Humphrey Bogart zu werden. Die große Karriere blieb dann aber aus - genau wie diese Filme, die mit einer coolen, vage (New) Hollywood'esken Leichtigkeit von Mord, ("freier") Liebe, Sex und Zärtlichkeit erzählten, das Versprechen auf ein anderes bundesdeutsches Genre-Kino lieferten, das so nie eingelöst werden sollte.
In Deadlock bildet Bohms oft zitiertes Nicht-Spiel den Gegenpol zur Brutalität Dawsons. Kid kämpft verzweifelt darum, sich in der grausamen Welt des Films ein Stück Menschlichkeit zu erhalten - und verstrickt sich doch immer mehr in Schuld, wird immer mehr zum Handlanger der Gewalt.
Zwischen den beiden, zwischen der Gewalt als letztem Mittel, eine Beziehung aufzubauen und der absoluten Resignation, steht der manisch und panisch agierende Mario Adorf, der zunächst versucht, an das Geld zu kommen, das ihm einen Ausweg aus seiner Misere bieten soll, später aber nur noch ums blanke Überleben kämpft.
So gnadenlos wie der Determinismus des Plots ist auch der Blick der Kamera. In einer Szene versucht John, mit einem Güterzug zu fliehen, wird aber von einem Arbeiter auf dem Zug unsanft daran gehindert. Die Kamera fährt davon und lässt Adorf auf den Gleisen zurück - und seine letzte Chance, mit dem Leben davonzukommen.
Doch da ist noch etwas, das zunächst paradox erscheinen muss: Deadlock ist ein ungemein zärtlicher Film. Das manifestiert sich am deutlichsten in der Figur Jessys. Schon in ihrer ersten Einstellung, in einem Türrahmen stehend, erscheint Mascha Rabben mit ihrem verdreckten Blümchenkleid beseelt von einer sehr spezifischen Unschuld. Sie bildet ein Außen zu der Männerwelt in der es - zumindest vordergründig - ausschließlich um Macht, Gewalt und Geld geht. Ihre pure Präsenz scheint die Kamera zu verzaubern, ähnlich wie es Renate Roland in Bübchen tat. In einer Szene ist ein verfallenes, zweistöckiges Haus zu sehen, über das ein weißes Licht huscht, die Reflexion der Sonne in einem Spiegel. Es kommt schließlich auf Rabben zur Ruhe, die auf einer Außentreppe steht und zu Kid blickt, der den Spiegel hält. Schnitt auf ihr Gesicht, umrahmt von ihren feuerroten Haaren, in denen der Wind spielt, sie zu liebkosen scheint. Aus ihrem Blick sprechen Neugierde, Begehren. In der Szene, in der John Kid die Kugel aus dem Arm holt, streichen Jessys Hände und Lippen über Kids Gesicht, über seine Brust. Später dann die Sexszene zwischen den beiden, behutsam ertasten sie ihre Körper, wie das letzte, das ihnen in einer feindlichen Umwelt Halt geben könnte. Von sanften Gitarrenklängen unterlegt ist da plötzlich eine irgendwie spröde, aber gleichzeitig verspielte Poesie in den Bildern.
Aber auch darüber hinaus gibt Klick seine Figuren nie preis, nimmt jede von ihnen bedingungslos ernst in ihrer Tragik. Dadurch, dass es im Angesicht des Todes geschieht, wird alles in diesem Film umso intensiver. Ein Fiebertraum. Eine 89-minütige fortwährende Agonie.
In der letzten Einstellung verlässt Bohm den Film, wie er ihn in der ersten betreten hat. Allein in der Welt. Ganz und gar verloren. Man möchte ihm fürsorglich nachrufen: "Hey, Kid, where are you going with that gun in your Hand?"  

Nachmals hingewiesen sei auf die Klick-Retro im Berliner Lichtblick-Kino, wo man auch am Montag, den 28. Juli nochmal Gelegenheit haben wird, Deadlock zu sehen - und zwar auf die einzige Art, wie man diesen Film mit seinen starken Hell-Dunkel-Kontrasten und seinen psychedelisch knalligen Farben wirklich erleben kann - von 35mm.

Donnerstag, 10. April 2014

Sella d'argento (Silbersattel) (Lucio Fulci, Italien 1978)

1978. Der Italo-Western ist tot! Wäre Silbersattel zehn Jahre früher entstanden, wäre er - davon, dass das ohnehin undenkbar ist, einmal abgesehen - relativ beliebige Konfektionsware. 1978 aber, als Leichenfledderei am Figuren - und Motivrepertoire des toten Genres einerseits, als eine Art der Fortschreibung seiner Mythologie, wie sie nur post mortem denkbar ist, andererseits, ist er ein ganz bezaubernder Film.
Schon zu Beginn: Die Ur-Szene, der Mord am Vater. Das Trauma ist hier aber zugleich Opfer- und Tätertrauma. Das Kind wird zum Vatermörder-Mörder - und der Rachewestern ist eigentlich schon mit dem Prolog vorbei. Das Kind (es heißt - nomen est sowas von omen - Roy Blood und wird, später als Erwachsener, gespielt von Guiliano Gemma in seiner letzten Western-Rolle) übernimmt den titelgebenden silbernen Sattel. Wurde im Spaghetti-Western der Unterschied von Gut und Böse von jeher verwischt, dann hat hier, da ist der Film noch keine fünf Minuten alt, das "Gute" das "Böse" nicht besiegt, sondern sich einverleibt, es vollständig in sich aufgesogen.
Es gibt dann weiter: den bösen Patriarchen, der die Fäden zieht in einem Plot, der sich ausgeklügelt gibt, aber letztlich nichts zur Sache tut.
Seine Handlanger: ziemlich blond der eine, ziemlich "mexikanisch" die anderen.
Den Side-Kick Gemmas "2 Strike Snake" (Geoffrey Lewis), verschlagen, geldgeil.
Frauen gibt es auch: Die Saloon-Besitzerin, dunkelhaarig, großbrüstig, tiefdekolltiert, natürlich mit gutem Herz unter der rauen Schale. Die Blonde, gutbürgerlich, zugeknüpft, unnahbar.
Und es gibt den eigentlichen Star des Films: den etwa zehnjährigen Blondschopf Sven Valsecchi, Sohn des Patriarchen und damit Roy von vornherein verhasst (natürlich wird er sich erweichen lassen, über die Bürde des Blutes hinwegzusehen). In einer Szene hilft er Gemma und Lewis aus einer Falle zu entkommen, indem er von einem Kirchenturm Brandbomben auf eine Überzahl von Feinden wirft, die Gemma dann entzündet, indem er sie abschießt. Das Gesicht des Kindes dabei ist pures Verzücken, die reinste Unschuld. Ich kenne keine andere Filmszene, in der infantiler Sadismus, die schiere Freude am Töten derart ungefiltert zelebriert wird (die Schicksals- und Bedeutungsschwere etwa, mit der Sam Peckinpah am Anfang von The Wild Bunch Kinder töten lässt - und man bedenke, dass die Opfer dort Ameisen und Skorpione sind - wirkt dagegen wie von einem anderen Stern). Die Allmachtsphantasie vom kleinen Mann, der von oben herab, ganz groß, zusieht, wie die Männer durch die Luft fliegen und brennen, wird durch nichts abgeschwächt. Das Töten, ein Kinderspiel.
Noch toller ist eine Szene, in der er Gemma einen Kuss auf die Wange drückt. Der Kinderkuss macht etwas mit dem Gemma-Gesicht. Die Mischung aus Verunsicherung und Rührung (oder wohl doch eher: die tiefe Verunsicherung ob der eigenen Rührung) zeigen nichts weniger an als die - wenn auch postmortale - Verwandlung des Italo-Westerner. Das ewige traumatisierte Kind, der ewig auf Rache sinnende Sohn ist erwachsen geworden, nun, zumindest alt genug, um selbst Papa zu sein - und - noch viel entscheidender - es gibt kein Genre mehr, in das er vor der Verantwortung entfliehen könnte.
In der letzten Schlacht aber siegt der Eskapismus. Am Ende reiten sie davon, der große Mann auf dem großen Pferd und der kleine Mann auf dem kleinen Pferd. Eine Flucht vor der großen Schwester, der Mutterfigur, die dem Kind-Mann, der eins geworden ist, wie zu Beginn Gut und Böse, nur umso gefährlicher wird, je "anständiger" sie ist. So leicht scheint das mit dem Erwachsenwerden dann doch nicht zu sein. Und vor allem kein bisschen erstrebenswert in diesem Film, der kein a- sondern ein vor-moralischer ist.
1978. Der Italo-Western ist tot! Lang lebe Silbersattel!

Dienstag, 19. November 2013

Movie of the week 8: Yankee (Tinto Brass, Italien, Spanien 1966)


"Einer, der Portraits sucht, um Rahmen zu verkaufen." So nennt Concho (Adolfo Celi), der große Schurke, einmal den Mann, den sonst alle nur Yankee nennen (Philippe Leroy). Diese geheimnisvollen Worte führen direkt zur Essenz des Films, in dem es um Portraits geht, um Bilder, um Rahm(ung)en. Ein Film, der das Genre dekonstruiert, indem er seine Bilder überhöht, verzerrt, rahmt und - in ihrer ganzen Bild-Haftigkeit - ausstellt. Eine groteske Galerie des Italo-Western.
Zunächst, im Saloon, eher implizit. An den Objekten und Körperteilen, die in Großaufnahme ins Bild gerückt werden - ein Flintenlauf, Augenpaare, fast das Dekoltee sprengende Frauenbrüste, ein Bündel Geldscheine, Spielkarten - ist der Fetischcharakter längst wichtiger, als ihre - sowieso rudimentäre - narrative oder dramaturgische Funktion. Dazu Ausleuchtung und Farben von exquisiter Künstlichkeit und die Schauspieler, die ihre - denkbar obskuren - Dialoge eher zu rezitieren scheinen, als dass sie sie sprechen würden.


(Auch großartig: der Vorspann. Die Sonne, ein roter Feuerball im Hintergrund, taucht das ganze Bild in Orange, im Vordergrund Ähren, dazwischen Yankee, der, als Schatten auf seinem Pferd, für die Kamera posiert und gar nicht so tut, als würde er etwas anderes machen, als eben das: für die Kamera posieren.)


Später dann, im Sheriffs-Office und der Kirche, in der sich die Banditen um Concho häuslich eingerichtet haben, explizit. Zwei Galerien sind das. Die erste zeigt Steckbriefe ("hässliche Visagen, aber hübsche Summen"). Die zweite eine Vielzahl von Portraits von Concho, mit denen er sich - Norma Desmond-like - umgibt - und die übrigens an Geschmacklosigkeit kaum zu überbieten sind.
Bei dem Kampf, der sich zwischen Yankee und Concho entspinnen wird, scheint es um nichts anderes zu gehen als um Bilder und die Verfügungsgewalt über sie. Yankee besucht die Bleibe seines Widersachers nachts, als dieser nicht zuhause ist. Er lässt nichts als leere Rahmen zurück. Das Badezimmer, in dem er Conchos Frau Rosita (Mirella Martin) in der Wanne antrifft, leuchtet rot gestrichen, mittig im Bild, während es ausserhalb des Rahmens der Tür, durch den gefilmt wurde, nur tiefe Dunkelheit gibt. Rosita übrigens lächelt den Mann nur an, der mit gezogener Pistole vor ihr steht, erwartungsvoll, wissend. Das Frauenbild. Außer ihr entwendet Yankee auch noch die vielen Abbilder ihres Mannes, schneidet sie aus den Rahmen, um sie an den Wänden der Stadt aufzuhängen. Darüber, nicht etwa über die Entführung seiner Frau, ist Concho so erzürnt, dass er die Bilder mitsamt den Wänden, Häusern, Frauen, Männern und Kindern, niederschießen und niederbrennen lässt. Die ganze Stadt in ein Bildnis des Höllenfeuers verwandelt. Brüllend verspricht er, das ganze Land mit Steckbriefen von Yankee pflastern zu lassen. Dann die Schießerei, zehn Minuten lang, in einem verlassenen Dorf, dessen Gemäuer mit ihren sinnlosen Fenstern und Türen zu nichts weiter dienen, als das Bild und die Figuren in ihm, die lebenden zuerst, später dann auch die toten, - manchmal gleich mehrfach - zu rahmen. Yankee gerät, wie es den Protagonisten eines Italo-Westerns im vierten Akt nun mal geschieht, in Gefangenschaft der Banditen. Concho erschießt Rosita. Tot liegt sie auf dem Boden, ihr Gesicht in Großaufnahme von oben, ein pittoresk gestalteter Blutfleck neben ihrem Mund. Yankee wird eingerahmt in einem Ring aus Feuer. Einen Menschen zu töten, bedeutet in diesem Film offenbar ein Bild von ihm zu machen, ihn in ein Gemälde zu verwandeln.
 

Mit politischen Lesarten des Films sollte man vorsichtig sein. Gewiss, überbordend ist die religiöse Symbolik. Einmal wird ein Gelage der Banditen als letztes Abendmahl inszeniert. Die Schurken haben mit "echten" Faschisten nicht nur die - oft willkürliche - Grausamkeit gemein, sondern auch die Bild-Besessenheit. Außerdem geht es ja auch irgendwie noch um Geld und Gold - auch wenn deren Wert hier eindeutig unter dem der Bilder zu stehen scheint -, was auch ein Bindeglied zwischen den vorigen Elementen sein könnte. Wer das alles jedoch zu voreilig beim Wort nimmt, ist im falschen Film oder zumindest auf der falschen Ebene der Repräsentation. Brass kritisiert nicht, er rahmt und stellt aus, zeichnet vielleicht Studien zu einer Kritik - woran auch immer.
Als Genre-Film, als narratives Unterhaltungskino also, funktioniert Yankee nur sehr bedingt. (Deshalb nimmt es kaum Wunder, dass der Produzent den Film - ich nehme an mit einigem Entsetzen und ziemlich radikal - umschneiden liess.) Als wahnwitziges Experiment im karikaturesken Genre-Gewand jedoch, ist er nicht nur großartig, sondern wahrscheinlich auch ziemlich einmalig. (Deshalb ist es umso löblicher, dass die Spaghetti-Western-Aficionados bei Koch Media ihn erstmals in seiner ursprünglich von Brass geplanten Form rekonstruierten und auf DVD veröffentlichten.)


P.S. Tinto Brass, später durch seine Sex-Filme berüchtigt geworden, hat nie wieder einen Western gedreht. Wie zum Teufel hätte der nächste denn auch aussehen sollen?

P.P.S. Schon erstaunlich, wie viel man aus diesem Film kennt - und zwar aus ungleich bekannteren, aber später entstandenen Western. Dass zu Beginn von The Wild Bunch (1969) ebenfalls ein sadistisches Spiel mit Skorpionen und Feuer stattfindet, ist wohl eher Zufall. Dass aber Sergio Leone diesen Film kannte, als er am Ende von Spiel mir das Lied vom Tod (1968) einen Menschen mit Schlinge um den Hals auf den Schultern eines Angehörigen stehen ließ, davon gehe ich jetzt einfach mal aus.