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Mittwoch, 17. September 2014

The Human Centipede (First Sequence) (Tom Six, Großbritannien, Niederlande 2009)

Nach einer ersten Bekanntschaft mit Dr. Heiter und seinen düsteren Machenschaften im Prolog, beginnt der Film wie ein x-beliebiger Backwood-Horror-Streifen. Zwei amerikanische Touristinnen unterwegs in einem wenig anheimelnden Deutschland (ein Club namens Bunker, ein notgeiler Porno-Opa, Regen) haben eine Autopanne im nächtlichen Wald. Auf der Suche nach Hilfe landen sie im Haus von besagtem Dr. Heiter, der der deutschen Gastfreundlichkeit die Krone aufsetzt. Hier erweist sich die Backwoods-Fährte als Falle. Für die beiden Frauen sowieso, aber auch für uns Zusehende. Denn im Genre bekommen es die durchreisenden Vertreter der großstädtischen Zivilisation für üblich mit "barbarischen" Hinterwäldlern zu tun, mit menschenfleischhungrigen Rednecks und wilden Hügelbewohnern, während das Grauen, das hier wartet, betont "kultiviert" daherkommt. Josef Heiter, dem ein bestens aufgelegter Dieter Laser einmalig markante Kontur verleiht, ist ein Chirurg, ausgezeichnet für die Trennung von siamesischen Zwillingen und mit exquisitem - wenn auch recht morbidem - Kunstgeschmack. So grausam steril wie seine OP- und Laborräume mutet seine gesamte luxuriöse Residenz an. Außerdem suggeriert der generische Beginn des Films auch, dass altbekannte Qualen und Torturen auf die jungen Protagonistinnen warten, während Tom Six und Josef Heiter sich doch etwas ganz spezielles haben einfallen lassen: Mund an After näht Heiter seine Opfer aneinander, um so, durch einen gemeinsamen Verdauungstrakt miteinander verbunden, den menschlichen Hundertfüßer zu kreieren.
Wie The Human Centipede (First Sequence) als Horrorfilm funktioniert zeigt sich an der vielleicht bedrückendsten Szene des Films, in der eigentlich gar nichts passiert. Es ist der Moment, wenn Heiter seinen Opfern, unmittelbar nach dem sie aus der Narkose erwacht sind, in die er sie versetzt hat, seine Operation erklärt. Seine Bemerkung, dass er seine Ausführungen nicht wiederholen wird und die einfachen Zeichnungen von Menschen, Aftern und Mündern sind genug, um die Phantasie des Zuschauers mit allerlei quälenden und unappetitlichen Vorstellungen anzureichern. Neben den beiden Frauen, Lindsay (Ashley C. Williams) und Jenny (Ashlynn Yennie), sind die Opfer der Japaner Katsuro (Akihiro Kitamura) und ein Truckfahrer. Weil er letzteren nicht gebrauchen kann, wird er fachmännisch ermordet und im Garten vergraben. Für den kaltblütigen Dr. Heiter sind die Menschen nichts als Material für seine Schöpfung und haben nur als solches ihren Wert.
Der Vorname Heiters ist eine Anspielung auf Josef Mengele und als filmisches Vorbild nennt Tom Six Pasolinis Saló, was sich besonders in der Szene niederschlagen mag, wenn der Doktor den "Kopf" des Hundertfüßers, Katsuro, auffordert, die beiden Frauen hinter ihm zu "füttern". Mag man in diesem filmhistorischen Bezug auch eine Anmaßung sehen, Six geht es doch um eine Form der Machtausübung, die aus der absoluten Unterwerfung, Erniedrigung und Entmenschlichung, der buchstäblichen Degradierung zum Tier des Gegenübers eine sehr spezifische Form der ästhetischen Lust zieht. Darin dass er "schöpft" und vernichtet erhebt sich der Halbgott in Weiß zum Gott. So explizit sexuell wie das seines Nachfolgers und -ahmers in der Fortsetzung ist das Handeln Heiters hier noch lange nicht. Auch darin bleibt der Film wesentlich perfider.

 
 
Durch die so "kranke" wie "neue" Grundidee entwickelte sich The Human Centipede per Netzdiskussionen zu einem Kultfilm bevor ihn irgendjemand zu Gesicht bekommen hatte. Wo er anderswo ein breites Echo erfuhr, was sich unter anderem in einer Parodie in einer South Park-Folge ausdrückte, blieb er in Deutschland, wo er nur in einer stark gekürzten Version auf DVD erschien, ein Randphänomen. Was Tom Six mit seinem Film gelungen ist, ist ein düsterer, stylisch steril gehaltener und konsequenter Exploitationfilm mit kulturpessimistischen Untertönen.  
 

Dienstag, 16. September 2014

Brain Damage (Frank Henenlotter, USA 1988)

Eine einzige Tageslicht-Szene gibt es in Brain Damage. Als establishing shot: Die New Yorker Skyline vor dem Morgenhimmel und ihre Spiegelung im Fluss. Diese Szene bietet nicht nur einen Konterpunkt zu den oft bläulich ausgeleuchteten Interieurs und nächtlichen Straßen, zu sehen ist auch die Unterseite der Stadt, in der der Film spielt. Ein Schrottplatz, U-Bahn-Tunnel und -Bahnhöfe, ein Punk-Club namens Hell, ein Inferno fortwährend zuckender Körper, ein versifftes Hotelzimmer mit den dazugehörigen rotbraunen Fluren und dem - besonders passend - in Kackbraun gehaltenem Badezimmer. Das Körperinnere, die Eingeweide der Stadt, in die die kriechende, sich voran tastende Kamera immer tiefer eindringt.
Um Penetrationen geht es auch im Plot. In den Körper von Brian (Rick Hearst) ist etwas eingedrungen: Der wie ein besonders phallisches Exkrement aussehende Parasit Aylmer, Jahrtausende alt (in einer besonders durchgeknallten Szene erhalten wir eine Genealogie seiner Wirte durch die Epochen), mit sanfter Stimme, aber bestimmt in seinen Taten. Das Verhältnis zwischen Brian und Aylmer (oder Elmer, wie er ihn nennt) ist einfach. Elmer verabreicht ihm mit einem Stachel (noch eine Penetration, ein Brainfuck) eine bläulich schimmernde Flüssigkeit, die den Empfänger auf psychedelische Röntgen- und Neon-Trips durch die Nacht schickt. Dafür benutzt er Brian, um an sein bevorzugtes Nahrungsmittel zu gelangen: menschliches Gehirn.
Nach Sichtung der Basket Case-Trilogie und Brain Damage, also vier der nur sechs Spielfilme, die Frank Henenlotter zwischen 1982 und 2008 realisieren konnte, scheint es mir, dass das Gelingen seiner Filme von einer spezifischen Art abhängt, seine Figuren in ihrer Tragik ernst zu nehmen. In Basket Case, seinem Debüt, funktionierte das ganz vorzüglich, in den beiden Fortsetzungen nur sehr bedingt. Brain Damage, sein zweiter Film, hingegen kann ganz an den Vorgänger anknüpfen. Das zeigt schon der Prolog. Brians Nachbarn, ein älteres Ehepaar, haben den Aylmer in ihrer Badewanne gehalten und mit Tiergehirn gefüttert. Die Frau verziert ein Gehirn mit Kräuterblatt und tippelt verzückt ins Bad zur Fütterung, nur um mit großem Entsetzen festzustellen, dass die Badewanne leer ist. Auf der Suche nach Elmer zerlegen die beiden schließlich ihre ganze Wohnung. Die letzte Einstellung bevor der Film rüber zu Brian wechselt ist ein top shot, der zeigt, wie sie mit Schaum vor dem Mund, Kopf an Kopf, im Wohnzimmer auf dem Boden liegen. Die empathische Darstellung verzweifelter, leidender Menschen geht vor die B-Movie-Manierismen und die Zelebration des offensichtlich vollkommen Obskuren.
Die Parallelen zu Basket Case, gerade was den Protagonisten anbelangt, liegen auf der Hand. Beide sind Verlorenen, die von dem finsteren Wesen, das sie treibt, in ihre Außenseiter-Rolle gedrängt werden. War der Grund dort die Macht der Familienbande, ist es hier Brians Abhängigkeit von Elmers Saft. Ging es in Basket Case auch um den gesellschaftlichen Umgang mit Menschen mit Behinderung, ist Brain Damage offensichtlich auch ein Film über Drogensucht. Brians Freundin Barbara (Jennifer Lowry) und sein Bruder Mike (Gordon MacDonald) erklären sich hierdurch die drastischen Veränderungen, die er durchmacht. Schließlich sitzt in einer Szene in der U-Bahn Brian genau gegenüber Kevin von Hentenryck mit dem ikonischen Weidenkorb mit dem Vorhängeschloss.
Wenn Brian im Verlauf des Films zunehmend die Kontrolle verliert, bis hin zu dem Punkt, dass er es nicht einmal schafft, seine Liebsten vor Elmer zu bewahren, ist die Reise in sein Inneres, in die Abgründe seiner Psyche auch eine Reise zu immer außergewöhnlicheren sexuellen Phantasien. Da ist die berüchtigte "Blow-Job"-Szene, in der Elmer sich durch Brians Hosenschlitz Zugang zum Mund einer Disko-Bekanntschaft verschafft, um ihr das Gehirn auszusaugen. Da ist ein imaginierter Dreier mit Barbara und seinem Bruder. Da ist die Szene mit einem muskelbepackten Mann in der Dusche, die nach Außen hin offensichtlich eine homoerotische Attraktion zeigt. Da ist die U-Bahn-Szene mit Barbara, in der der Parasit über den Mund "übertragen" wird wie in Cronenbergs Shivers.
Vordergründig könnte man hier eine lustfeindliche Lesart anknüpfen, nach der es in dem Film um einen Mann ginge, der seinem mörderischen von Außen eingepflanzten Trieb nicht habhaft werden kann. Um solch ein Urteil zu fällen aber hat Frank Henenlotter seine getriebenen, tragischen Helden viel zu gern.

Sonntag, 10. August 2014

Patriarchat und Gewalt VI: Savaged (Michael S. Ojeda, USA 2013)

Ein väterliches Erbe bringt den Plot - buchstäblich - ins Rollen. In einigen präzisen Close-Ups standesgemäß fetischisiert steht er da, der GTO, der der stummen Zoe (Amanda Adrienne) von ihrem Vater vermacht wurde. Aus L. A. will sie in ihm die weite Reise durch den Südwesten der USA zu ihrem Verlobten Dane antreten. Irgendwo in der Wüste von New Mexico wird sie Zeugin, wie ein paar Rednecks in einem Pick-Up unerbittliche Jagd auf zwei Ur-Einwohner machen und sie schließlich ermorden. Die Männer verschleppen Zoe in eine Hütte, wo sie sie gemeinsam misshandeln und vergewaltigen. Den Kern der Gruppe bilden die West-Brüder, Nachfahren eines berüchtigten Generals, der sich vor über 100 Jahren "auszeichnete" durch seine extreme Grausamkeit im Kampf gegen die Indianer und dabei unter anderem den Häuptling Red Sleeves tötete, als dieser gerade eine Waffenruhe  aushandeln wollte. Noch mehrere Generationen später setzen die Brüder Trey und West sein "Lebenswerk" fort. Bei dem Versuch, zu fliehen, wird Zoe schließlich von West erstochen und in der Wüste vergraben.
Hier wird sie jedoch von einem alten Schamanen entdeckt, der sie mithilfe eines alten Rituals seines Stammes zurück ins Leben holt. Dabei bemächtigt sich jedoch der Geist Red Sleeves ihres Körpers. Während sich Dane, mithilfe des letzten von ihr gesendeten Fotos auf die Suche nach seiner Verlobten macht, beginnen Zoe und ein von Hass gesteuerter Apachenhäuptling, eingesperrt in einen langsam verwesenden Frauenkörper, neue und alte Rechnungen mit der West-Sippe zu begleichen.   
Die Masse an Versatzstücken verschiedenster Genres und Subgenres in Savaged ist enorm. Schon das Auto, ein 68er (!) GTO verweist auf die Ära New Hollywoods und die damals so beliebten Road-Movies.  Der Prolog des Films ist sichtlich bemüht, die ganzen uramerikanischen Freiheitsversprechen dieses Genres in nur sieben Minuten zu packen: weite Landschaften, endlose Straßen und röhrende Motoren (slightly updatet durch die Selfies, die Zoe an jeder Ecke mit dem Smartphone schießt und ihrem Freund schickt). Die Art, wie in diese sonnig überbelichteten Bilder das Grauen bricht, suggeriert, dass es immer schon da war. Die Konfrontation zwischen städtischem Bürgertum und psychopathischen Hinterwäldlern gab es ähnlich schon in Psycho und vor allem Deliverance, spätestens seit The Texas Chainsaw Massacre aber bietet sie die im folgenden nur minimal variierte Formel des Backwoods-Horrors. An die Tradition des Rape-and-Revenge-Films scheint schon der Name der Protagonistin Anschluss zu suchen. Zoe Tamerlis spielte in Ms. 45 die ebenfalls stumme Thana, die nach einer doppelten Vergewaltigung zur Rächerin an der gesamten patriarchalen Kultur wird. Sowohl in den Vergewaltigungs- als auch den Racheszenen zeigt sich der Film mit seinen entfärbten, blut- und dreckstarrenden Handkamerabildern ganz dem Terrorkino jüngeren Datums verpflichtet. Dazu gibt es eben Dämonen/Untoten-Mystery mit einem indianischen Twist. Schließlich suggerieren schon Fernsehbilder an einer - recht exponierten - Stelle, dass ein Film, in dem es weiße Krieger mit blutdurstigen Indianern zu tun bekommen irgendwie immer auch ein Western ist.
Anders als es diese lange, aber wohl kaum vollständige Aufzählung nahe legt, geht es Michael S. Ojeda, der auch für Drehbuch und Schnitt verantwortlich zeichnete, weder ums postmoderne Spiel mit den Zitaten, noch um nerdige Wiedererkennungswerte. Mit dem Genre-Crossover geht ein "kultureller Crossover" einher. Die "indianische" Dämonengeschichte korreliert mit der christlichen Vorstellung des Engels, die wiederum typisch für Rape-Revenge-Movies ist. Die Männer nennen Zoe immer wieder einen Engel und Trey stellt an einer Stelle lakonisch fest: "Guess that what happens, when you drag an angel into hell, becomes a demon."
Auch die "Apachen"-Auffassung von einem glücklichen Fortleben im Jenseits sucht klar Anschluss an christliche Paradies-Vorstellungen. Und dass die verschiedenen Völker das Kriegsbeil begraben, um friedlich miteinander zu leben - und sei es auch erst im Himmel, in den ewigen Jagdgründen oder wie auch immer man es nenne möchte, ist die etwas naive, linksliberale Utopie, die der Film propagiert.
Was dem entgegensteht ist die maskuline Gewalt, die - wie in Affliction - von den Vätern auf die Söhne übertragen wird. Sie mag auch der gemeinsame Nenner der verschiedenen Genre-Traditionen sein, die hier zusammenkommen, das filmhistorische Erbe, an dem Savaged sich abarbeitet. Und wo schon die Nick Nolte-Figur in Schraders Meisterwerk nicht zuletzt deshalb zum Außenseiter wurde, weil der veränderte kulturelle Kontext diese Gewalt nicht mehr akzeptierte, werden die Wests endgültig zum abstrusen Anachronismus: Männer, die im einundzwanzigsten Jahrhundert die Schlachten des neunzehnten weiterkämpfen müssen, als hätte sich, außer der Waffentechnologie, in anderthalb Jahrhunderten nichts verändert. Wie es der Schamane einmal sagt: "The old ways will not be tolerated in todays world."
Wo in vielen anderen thematisch mehr oder weniger verwandten Filmen - siehe etwa Ms. 45, While She was Out und The Woman - die (sexuelle) Gewalt gegen Frauen, nur den Höhepunkt einer misogynen Weltordnung bildet - und den Tropfen, der das Fass zum überlaufen bringt - stellt Savaged sich die Gegenwart - auch und gerade gendertechnisch - als eine Art Utopie vor, in die erst später die maskuline Gewalt als grausames Relikt vergangener Jahrhunderte eindringt. Zu Beginn ist Zoe die Trägerin des GTO-Phallus, des väterlichen Erbes, das kein Mittel zur Macht, sondern eher Ausdruck von Selbstbestimmung und Lebensfreude ist. Sehr deutlich ist dann die Vergewaltigung ein Akt, durch den die Frau neu gegendert, in ihre Rolle als die Qualen stumm erleidendes Opfer gebannt wird.
Die politische Agenda des Films besteht zu einem Großteil darin, die im Genre gängigen Dichotomien aufzulösen. Es geht nicht um Stadt-/Landbevölkerung, Mann/Frau, Indianer/Weiße, Zivilisation/Barbarei, o. ä. Es geht darum, dass der alte Hass überwunden werden muss, damit etwas neues beginnen kann. Der Film bietet innerhalb jeder Gruppe Gegenfiguren, die es verunmöglichen, "Gut" und "Böse" durch ethnische, soziale oder Geschlechtergrenzen zu definieren. So findet Dane etwa in einem ländlichen Polizisten einen Verbündeten, der sich nicht an seiner Hautfarbe stört, sondern dem es nur darum geht, Verbrechen aufzuklären. Es gibt mit der alten Mutter der West-Brüder eine Frau, die ebenso vom Hass zerfressen ist, wie ihre Söhne. Es gibt den jüngsten, von dem blutigen Treiben seiner Familie vollkommen verstörten West-Bruder, der sich schließlich das Leben nimmt, weil er mit der Schuld nicht leben kann.  Es gibt den Geist Red Sleeves, der ebenso wenig wie die Wests von alten Fehden lassen kann.
Nun kann man bezweifeln, ob ein "politisch korrekter" Exploitationfilm wirklich eine gute Idee ist. Zumal der Film ja sein Publikum eben durch eine beträchtliche Zahl beträchtlich blutiger Schauwerte lockt und der Erkenntnisgewinn letztlich auf Triviales hinausläuft. In etwa: Gewalt ist scheiße und Hass macht Menschen kaputt - im wörtlichen wie im übertragenen Sinne.
Dass Savaged trotzdem ein bemerkenswerter Genre-Film geworden ist, liegt an dem melodramatischen Ernst, mit dem er seine - eigentlich denkbar abstruse - Geschichte erzählt. Seine Emotionalität bezieht der Film nicht, wie für Racheszenarien üblich, aus der Genugtuung des Zuschauers für vergoltenes Unrecht. So grausam die Gewalt ist, es liegt immer eine tiefe Traurigkeit über ihr. Wo das auf der einen Seite durch die ausführliche Ikonografie des geschundenen Frauenkörpers geschieht, der nicht wieder ganz wird, dadurch, dass sie die Körper der Männer zerstört, die sie - körperlich und seelisch - zerstörten, ist es auf der anderen Seite das beeindruckende Spiel von Rodney Rowland als Trey, übrigens der einzige bekanntere Darsteller des Casts, in dem man ein Wissen, um die Falschheit, mehr noch die Vergeblichkeit des eigenen Tuns erahnt.
Saveged ist voller aufrichtiger Empathie für die Verdammten, die längst vergangene Krieg ausfechten müssen, um endlich zur Ruhe kommen zu können.            

Mittwoch, 4. Juni 2014

Basket Case (Frank Henenlotter, USA 1982)

Ein wunderbar wilder Film. Schon der Anfang: der Mord im Prolog mit der wirklich, nun ja, gruseligen Maske. Die Einstellung von der Mappe mit Dokumenten, auf der ein Revolver liegt und auf die Blut spritzt. Dann der sehr abrupte, irgendwie abgehackt wirkende Schnitt auf den nächtlichen Times Square. Der junge Mann, der mit dem riesigen Korb unterm Arm eine Straße entlang geht, vorbei an den hell erleuchteten Schaufenstern der Läden, dem bunt blinkenden Neon-Licht der Leuchtreklamen, die 1982 in dieser Gegend von Manhattan noch versuchten, den Passanten in allerlei Porno-Kinos und Sex-Shops zu locken. All das macht Sinn, durch und durch. (Allerdings auf eine, so würde ich, ohne größere Kenntnisse des Werkes des Regisseurs, mutmaßen, sehr spezifische Frank Henenlotter-Weise, die mit den Sinnzusammenhängen, die man sonst so aus dem Kino kennt, nur am Rande etwas zu tun hat.)
Der junge Mann, der die Straße entlang geht, heißt Duane Bradley und in dem Koffer befindet sich sein Bruder Belial. Als siamesische Zwillinge geboren wurden sie im Alter von zwölf Jahren getrennt, wobei der deformierte Belial, der dem sonst "normal" gebauten Duane aus der Seite wuchs, abgeschnitten wurde und eigentlich getötet werden sollte. Er überlebte, tötete den Vater der beiden, und begleitet nun seinen Bruder, wohin dieser geht. Als gefräßiges, extrem eifersüchtiges, mörderisches, sehr buchstäblich und sehr komplett abgespaltenes Es im Weidenkorb.
Gemeinsam sinnen die beiden auf Rache, an den Männern, die sie voneinander getrennt haben. Dass Belial nicht zulassen kann, das sein Bruder hat, was ihm verwehrt bleiben soll, führt schließlich in die Katastrophe.
Basket Case ist eigentlich kein Horrorfilm, sondern eine Tragikomödie. Ein Film, der im Tragischen immer das Komische sucht, und im Absurden, im Albernen, im maßlos ins Groteske überzeichneten immer wieder eine sehr ehrliche und sehr "ernsthafte" Tragik findet. Das geht schon damit los, dass diese Tragikomödie in den Mordszenen durchaus als Horrorfilm funktioniert. Henenlotter gelingt es Suspense, eine Atmosphäre der Bedrohung aufzubauen - obwohl die creature - und Splattereffekte, wohl schon Anfang der Achtziger, höflich ausgedrückt, nicht auf der Höhe der Zeit waren und alle Frauen in diesem Film schreien - was sie übrigens sehr häufig tun - als gelte es, den Oscar für die skurrilste scream queen zu gewinnen.
Das ist nur ein Beispiel dafür, wie der Film demjenigen, der bereit ist, sich auf ihn einzulassen, immer wieder sehr verschiedene Affekte abringt, die unter der trashigen Oberfläche lauern, wie Belial in seinem Korb. (Wer indes nicht bereit ist, sich auf ihn einzulassen, der wird wohl nur das entdecken, was das Lexikon des internationalen  Films beschreibt: „Haarsträubende[n] Unfug, der auf den Brechreiz des Zuschauers spekuliert.“)
Ein anderes ist etwa die Szene, in der Belial einer attraktiven Nachbarin, in der Absteige, in der sich die beiden niedergelassen haben auflauert. Gerade dadurch, dass verhältnismäßig wenig von ihrem Körper zu sehen ist, entsteht, wenn sie ihren Slip unter dem bescheuerten Smiley-Nachthemd auszieht ein erotisches Knistern, von dem sich viele "Erotikfilme" eine gehörige Scheibe abschneiden könnten.
Schließlich, aber sicherlich nicht zuletzt ist da der Rückblick, der die Geschichte der siamesischen Zwillinge erzählt. Ein in sich abgeschlossener Film-im-Film, eine Tragödie über die Gemeinheit einer Welt, in der nicht zusammen gehören darf, was zusammen gehört. Die Grausamkeit des Vaters, der von seinem deformierten Sohn, bzw. - später - dem deformierten Teil seines Sohnes, kategorisch nichts wissen will. Die Operation, die mehr zu hören als zu sehen ist, mit knarrenden Geräuschen, die durch Mark und Bein gehen. Dann das herzerweichende Bild der kleinen Klaue, die ihren Weg aus einem Müllsack sucht.
Überhaupt: dass der Film für Belial, für dieses, in, gelinde gesagt, billigen Stop-Motion-Effekten animierte Fleischknäuel gerade am Ende offensichtlich große Sympathien hegt, uns Mitleid für diese Kreatur entlockt, zeugt von Hennenloters Liebe für die Deformierten, die Ausgestoßenen, die Nicht-gewollten dieser Erde. Was übrigens auch in den beiden Frauen Ausdruck findet, die sich Duane förmlich an den Hals werfen: während die "bürgerliche", die in einer Arzt-Praxis arbeitet eher beknackt ist, scheint, gerade die Zuneigung der Prostituierten, die ein Zimmer weiter wohnt sehr ehrlich zu sein (eine Ehrlichkeit, die sich in kleinen Gesten ausdrückt, die an das Klischee der Hure mit dem guten Herzen, dem so viele "bessere" Filme hoffnungslos verfallen, gar nicht weiter denken lässt).
Wenn Kunst darin besteht, für einen Inhalt eine angemessene Form zu finden, dann ist Basket Case große Kunst, weil er die Tragödie einer Trennung erzählt, die nie vollständig vollzogen, aber genauso wenig rückgängig gemacht werden kann, mit disparaten, nicht zueinander passenden Mitteln und Elementen, die ohne versöhnt werden zu können, doch auf eine ganz spezifische Art Sinn machen. Einen Frank Henenlotter-Sinn eben.