Dienstag, 16. September 2014

Brain Damage (Frank Henenlotter, USA 1988)

Eine einzige Tageslicht-Szene gibt es in Brain Damage. Als establishing shot: Die New Yorker Skyline vor dem Morgenhimmel und ihre Spiegelung im Fluss. Diese Szene bietet nicht nur einen Konterpunkt zu den oft bläulich ausgeleuchteten Interieurs und nächtlichen Straßen, zu sehen ist auch die Unterseite der Stadt, in der der Film spielt. Ein Schrottplatz, U-Bahn-Tunnel und -Bahnhöfe, ein Punk-Club namens Hell, ein Inferno fortwährend zuckender Körper, ein versifftes Hotelzimmer mit den dazugehörigen rotbraunen Fluren und dem - besonders passend - in Kackbraun gehaltenem Badezimmer. Das Körperinnere, die Eingeweide der Stadt, in die die kriechende, sich voran tastende Kamera immer tiefer eindringt.
Um Penetrationen geht es auch im Plot. In den Körper von Brian (Rick Hearst) ist etwas eingedrungen: Der wie ein besonders phallisches Exkrement aussehende Parasit Aylmer, Jahrtausende alt (in einer besonders durchgeknallten Szene erhalten wir eine Genealogie seiner Wirte durch die Epochen), mit sanfter Stimme, aber bestimmt in seinen Taten. Das Verhältnis zwischen Brian und Aylmer (oder Elmer, wie er ihn nennt) ist einfach. Elmer verabreicht ihm mit einem Stachel (noch eine Penetration, ein Brainfuck) eine bläulich schimmernde Flüssigkeit, die den Empfänger auf psychedelische Röntgen- und Neon-Trips durch die Nacht schickt. Dafür benutzt er Brian, um an sein bevorzugtes Nahrungsmittel zu gelangen: menschliches Gehirn.
Nach Sichtung der Basket Case-Trilogie und Brain Damage, also vier der nur sechs Spielfilme, die Frank Henenlotter zwischen 1982 und 2008 realisieren konnte, scheint es mir, dass das Gelingen seiner Filme von einer spezifischen Art abhängt, seine Figuren in ihrer Tragik ernst zu nehmen. In Basket Case, seinem Debüt, funktionierte das ganz vorzüglich, in den beiden Fortsetzungen nur sehr bedingt. Brain Damage, sein zweiter Film, hingegen kann ganz an den Vorgänger anknüpfen. Das zeigt schon der Prolog. Brians Nachbarn, ein älteres Ehepaar, haben den Aylmer in ihrer Badewanne gehalten und mit Tiergehirn gefüttert. Die Frau verziert ein Gehirn mit Kräuterblatt und tippelt verzückt ins Bad zur Fütterung, nur um mit großem Entsetzen festzustellen, dass die Badewanne leer ist. Auf der Suche nach Elmer zerlegen die beiden schließlich ihre ganze Wohnung. Die letzte Einstellung bevor der Film rüber zu Brian wechselt ist ein top shot, der zeigt, wie sie mit Schaum vor dem Mund, Kopf an Kopf, im Wohnzimmer auf dem Boden liegen. Die empathische Darstellung verzweifelter, leidender Menschen geht vor die B-Movie-Manierismen und die Zelebration des offensichtlich vollkommen Obskuren.
Die Parallelen zu Basket Case, gerade was den Protagonisten anbelangt, liegen auf der Hand. Beide sind Verlorenen, die von dem finsteren Wesen, das sie treibt, in ihre Außenseiter-Rolle gedrängt werden. War der Grund dort die Macht der Familienbande, ist es hier Brians Abhängigkeit von Elmers Saft. Ging es in Basket Case auch um den gesellschaftlichen Umgang mit Menschen mit Behinderung, ist Brain Damage offensichtlich auch ein Film über Drogensucht. Brians Freundin Barbara (Jennifer Lowry) und sein Bruder Mike (Gordon MacDonald) erklären sich hierdurch die drastischen Veränderungen, die er durchmacht. Schließlich sitzt in einer Szene in der U-Bahn Brian genau gegenüber Kevin von Hentenryck mit dem ikonischen Weidenkorb mit dem Vorhängeschloss.
Wenn Brian im Verlauf des Films zunehmend die Kontrolle verliert, bis hin zu dem Punkt, dass er es nicht einmal schafft, seine Liebsten vor Elmer zu bewahren, ist die Reise in sein Inneres, in die Abgründe seiner Psyche auch eine Reise zu immer außergewöhnlicheren sexuellen Phantasien. Da ist die berüchtigte "Blow-Job"-Szene, in der Elmer sich durch Brians Hosenschlitz Zugang zum Mund einer Disko-Bekanntschaft verschafft, um ihr das Gehirn auszusaugen. Da ist ein imaginierter Dreier mit Barbara und seinem Bruder. Da ist die Szene mit einem muskelbepackten Mann in der Dusche, die nach Außen hin offensichtlich eine homoerotische Attraktion zeigt. Da ist die U-Bahn-Szene mit Barbara, in der der Parasit über den Mund "übertragen" wird wie in Cronenbergs Shivers.
Vordergründig könnte man hier eine lustfeindliche Lesart anknüpfen, nach der es in dem Film um einen Mann ginge, der seinem mörderischen von Außen eingepflanzten Trieb nicht habhaft werden kann. Um solch ein Urteil zu fällen aber hat Frank Henenlotter seine getriebenen, tragischen Helden viel zu gern.

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