Sonntag, 10. August 2014

Patriarchat und Gewalt VI: Savaged (Michael S. Ojeda, USA 2013)

Ein väterliches Erbe bringt den Plot - buchstäblich - ins Rollen. In einigen präzisen Close-Ups standesgemäß fetischisiert steht er da, der GTO, der der stummen Zoe (Amanda Adrienne) von ihrem Vater vermacht wurde. Aus L. A. will sie in ihm die weite Reise durch den Südwesten der USA zu ihrem Verlobten Dane antreten. Irgendwo in der Wüste von New Mexico wird sie Zeugin, wie ein paar Rednecks in einem Pick-Up unerbittliche Jagd auf zwei Ur-Einwohner machen und sie schließlich ermorden. Die Männer verschleppen Zoe in eine Hütte, wo sie sie gemeinsam misshandeln und vergewaltigen. Den Kern der Gruppe bilden die West-Brüder, Nachfahren eines berüchtigten Generals, der sich vor über 100 Jahren "auszeichnete" durch seine extreme Grausamkeit im Kampf gegen die Indianer und dabei unter anderem den Häuptling Red Sleeves tötete, als dieser gerade eine Waffenruhe  aushandeln wollte. Noch mehrere Generationen später setzen die Brüder Trey und West sein "Lebenswerk" fort. Bei dem Versuch, zu fliehen, wird Zoe schließlich von West erstochen und in der Wüste vergraben.
Hier wird sie jedoch von einem alten Schamanen entdeckt, der sie mithilfe eines alten Rituals seines Stammes zurück ins Leben holt. Dabei bemächtigt sich jedoch der Geist Red Sleeves ihres Körpers. Während sich Dane, mithilfe des letzten von ihr gesendeten Fotos auf die Suche nach seiner Verlobten macht, beginnen Zoe und ein von Hass gesteuerter Apachenhäuptling, eingesperrt in einen langsam verwesenden Frauenkörper, neue und alte Rechnungen mit der West-Sippe zu begleichen.   
Die Masse an Versatzstücken verschiedenster Genres und Subgenres in Savaged ist enorm. Schon das Auto, ein 68er (!) GTO verweist auf die Ära New Hollywoods und die damals so beliebten Road-Movies.  Der Prolog des Films ist sichtlich bemüht, die ganzen uramerikanischen Freiheitsversprechen dieses Genres in nur sieben Minuten zu packen: weite Landschaften, endlose Straßen und röhrende Motoren (slightly updatet durch die Selfies, die Zoe an jeder Ecke mit dem Smartphone schießt und ihrem Freund schickt). Die Art, wie in diese sonnig überbelichteten Bilder das Grauen bricht, suggeriert, dass es immer schon da war. Die Konfrontation zwischen städtischem Bürgertum und psychopathischen Hinterwäldlern gab es ähnlich schon in Psycho und vor allem Deliverance, spätestens seit The Texas Chainsaw Massacre aber bietet sie die im folgenden nur minimal variierte Formel des Backwoods-Horrors. An die Tradition des Rape-and-Revenge-Films scheint schon der Name der Protagonistin Anschluss zu suchen. Zoe Tamerlis spielte in Ms. 45 die ebenfalls stumme Thana, die nach einer doppelten Vergewaltigung zur Rächerin an der gesamten patriarchalen Kultur wird. Sowohl in den Vergewaltigungs- als auch den Racheszenen zeigt sich der Film mit seinen entfärbten, blut- und dreckstarrenden Handkamerabildern ganz dem Terrorkino jüngeren Datums verpflichtet. Dazu gibt es eben Dämonen/Untoten-Mystery mit einem indianischen Twist. Schließlich suggerieren schon Fernsehbilder an einer - recht exponierten - Stelle, dass ein Film, in dem es weiße Krieger mit blutdurstigen Indianern zu tun bekommen irgendwie immer auch ein Western ist.
Anders als es diese lange, aber wohl kaum vollständige Aufzählung nahe legt, geht es Michael S. Ojeda, der auch für Drehbuch und Schnitt verantwortlich zeichnete, weder ums postmoderne Spiel mit den Zitaten, noch um nerdige Wiedererkennungswerte. Mit dem Genre-Crossover geht ein "kultureller Crossover" einher. Die "indianische" Dämonengeschichte korreliert mit der christlichen Vorstellung des Engels, die wiederum typisch für Rape-Revenge-Movies ist. Die Männer nennen Zoe immer wieder einen Engel und Trey stellt an einer Stelle lakonisch fest: "Guess that what happens, when you drag an angel into hell, becomes a demon."
Auch die "Apachen"-Auffassung von einem glücklichen Fortleben im Jenseits sucht klar Anschluss an christliche Paradies-Vorstellungen. Und dass die verschiedenen Völker das Kriegsbeil begraben, um friedlich miteinander zu leben - und sei es auch erst im Himmel, in den ewigen Jagdgründen oder wie auch immer man es nenne möchte, ist die etwas naive, linksliberale Utopie, die der Film propagiert.
Was dem entgegensteht ist die maskuline Gewalt, die - wie in Affliction - von den Vätern auf die Söhne übertragen wird. Sie mag auch der gemeinsame Nenner der verschiedenen Genre-Traditionen sein, die hier zusammenkommen, das filmhistorische Erbe, an dem Savaged sich abarbeitet. Und wo schon die Nick Nolte-Figur in Schraders Meisterwerk nicht zuletzt deshalb zum Außenseiter wurde, weil der veränderte kulturelle Kontext diese Gewalt nicht mehr akzeptierte, werden die Wests endgültig zum abstrusen Anachronismus: Männer, die im einundzwanzigsten Jahrhundert die Schlachten des neunzehnten weiterkämpfen müssen, als hätte sich, außer der Waffentechnologie, in anderthalb Jahrhunderten nichts verändert. Wie es der Schamane einmal sagt: "The old ways will not be tolerated in todays world."
Wo in vielen anderen thematisch mehr oder weniger verwandten Filmen - siehe etwa Ms. 45, While She was Out und The Woman - die (sexuelle) Gewalt gegen Frauen, nur den Höhepunkt einer misogynen Weltordnung bildet - und den Tropfen, der das Fass zum überlaufen bringt - stellt Savaged sich die Gegenwart - auch und gerade gendertechnisch - als eine Art Utopie vor, in die erst später die maskuline Gewalt als grausames Relikt vergangener Jahrhunderte eindringt. Zu Beginn ist Zoe die Trägerin des GTO-Phallus, des väterlichen Erbes, das kein Mittel zur Macht, sondern eher Ausdruck von Selbstbestimmung und Lebensfreude ist. Sehr deutlich ist dann die Vergewaltigung ein Akt, durch den die Frau neu gegendert, in ihre Rolle als die Qualen stumm erleidendes Opfer gebannt wird.
Die politische Agenda des Films besteht zu einem Großteil darin, die im Genre gängigen Dichotomien aufzulösen. Es geht nicht um Stadt-/Landbevölkerung, Mann/Frau, Indianer/Weiße, Zivilisation/Barbarei, o. ä. Es geht darum, dass der alte Hass überwunden werden muss, damit etwas neues beginnen kann. Der Film bietet innerhalb jeder Gruppe Gegenfiguren, die es verunmöglichen, "Gut" und "Böse" durch ethnische, soziale oder Geschlechtergrenzen zu definieren. So findet Dane etwa in einem ländlichen Polizisten einen Verbündeten, der sich nicht an seiner Hautfarbe stört, sondern dem es nur darum geht, Verbrechen aufzuklären. Es gibt mit der alten Mutter der West-Brüder eine Frau, die ebenso vom Hass zerfressen ist, wie ihre Söhne. Es gibt den jüngsten, von dem blutigen Treiben seiner Familie vollkommen verstörten West-Bruder, der sich schließlich das Leben nimmt, weil er mit der Schuld nicht leben kann.  Es gibt den Geist Red Sleeves, der ebenso wenig wie die Wests von alten Fehden lassen kann.
Nun kann man bezweifeln, ob ein "politisch korrekter" Exploitationfilm wirklich eine gute Idee ist. Zumal der Film ja sein Publikum eben durch eine beträchtliche Zahl beträchtlich blutiger Schauwerte lockt und der Erkenntnisgewinn letztlich auf Triviales hinausläuft. In etwa: Gewalt ist scheiße und Hass macht Menschen kaputt - im wörtlichen wie im übertragenen Sinne.
Dass Savaged trotzdem ein bemerkenswerter Genre-Film geworden ist, liegt an dem melodramatischen Ernst, mit dem er seine - eigentlich denkbar abstruse - Geschichte erzählt. Seine Emotionalität bezieht der Film nicht, wie für Racheszenarien üblich, aus der Genugtuung des Zuschauers für vergoltenes Unrecht. So grausam die Gewalt ist, es liegt immer eine tiefe Traurigkeit über ihr. Wo das auf der einen Seite durch die ausführliche Ikonografie des geschundenen Frauenkörpers geschieht, der nicht wieder ganz wird, dadurch, dass sie die Körper der Männer zerstört, die sie - körperlich und seelisch - zerstörten, ist es auf der anderen Seite das beeindruckende Spiel von Rodney Rowland als Trey, übrigens der einzige bekanntere Darsteller des Casts, in dem man ein Wissen, um die Falschheit, mehr noch die Vergeblichkeit des eigenen Tuns erahnt.
Saveged ist voller aufrichtiger Empathie für die Verdammten, die längst vergangene Krieg ausfechten müssen, um endlich zur Ruhe kommen zu können.            

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