Donnerstag, 10. April 2014

Sella d'argento (Silbersattel) (Lucio Fulci, Italien 1978)

1978. Der Italo-Western ist tot! Wäre Silbersattel zehn Jahre früher entstanden, wäre er - davon, dass das ohnehin undenkbar ist, einmal abgesehen - relativ beliebige Konfektionsware. 1978 aber, als Leichenfledderei am Figuren - und Motivrepertoire des toten Genres einerseits, als eine Art der Fortschreibung seiner Mythologie, wie sie nur post mortem denkbar ist, andererseits, ist er ein ganz bezaubernder Film.
Schon zu Beginn: Die Ur-Szene, der Mord am Vater. Das Trauma ist hier aber zugleich Opfer- und Tätertrauma. Das Kind wird zum Vatermörder-Mörder - und der Rachewestern ist eigentlich schon mit dem Prolog vorbei. Das Kind (es heißt - nomen est sowas von omen - Roy Blood und wird, später als Erwachsener, gespielt von Guiliano Gemma in seiner letzten Western-Rolle) übernimmt den titelgebenden silbernen Sattel. Wurde im Spaghetti-Western der Unterschied von Gut und Böse von jeher verwischt, dann hat hier, da ist der Film noch keine fünf Minuten alt, das "Gute" das "Böse" nicht besiegt, sondern sich einverleibt, es vollständig in sich aufgesogen.
Es gibt dann weiter: den bösen Patriarchen, der die Fäden zieht in einem Plot, der sich ausgeklügelt gibt, aber letztlich nichts zur Sache tut.
Seine Handlanger: ziemlich blond der eine, ziemlich "mexikanisch" die anderen.
Den Side-Kick Gemmas "2 Strike Snake" (Geoffrey Lewis), verschlagen, geldgeil.
Frauen gibt es auch: Die Saloon-Besitzerin, dunkelhaarig, großbrüstig, tiefdekolltiert, natürlich mit gutem Herz unter der rauen Schale. Die Blonde, gutbürgerlich, zugeknüpft, unnahbar.
Und es gibt den eigentlichen Star des Films: den etwa zehnjährigen Blondschopf Sven Valsecchi, Sohn des Patriarchen und damit Roy von vornherein verhasst (natürlich wird er sich erweichen lassen, über die Bürde des Blutes hinwegzusehen). In einer Szene hilft er Gemma und Lewis aus einer Falle zu entkommen, indem er von einem Kirchenturm Brandbomben auf eine Überzahl von Feinden wirft, die Gemma dann entzündet, indem er sie abschießt. Das Gesicht des Kindes dabei ist pures Verzücken, die reinste Unschuld. Ich kenne keine andere Filmszene, in der infantiler Sadismus, die schiere Freude am Töten derart ungefiltert zelebriert wird (die Schicksals- und Bedeutungsschwere etwa, mit der Sam Peckinpah am Anfang von The Wild Bunch Kinder töten lässt - und man bedenke, dass die Opfer dort Ameisen und Skorpione sind - wirkt dagegen wie von einem anderen Stern). Die Allmachtsphantasie vom kleinen Mann, der von oben herab, ganz groß, zusieht, wie die Männer durch die Luft fliegen und brennen, wird durch nichts abgeschwächt. Das Töten, ein Kinderspiel.
Noch toller ist eine Szene, in der er Gemma einen Kuss auf die Wange drückt. Der Kinderkuss macht etwas mit dem Gemma-Gesicht. Die Mischung aus Verunsicherung und Rührung (oder wohl doch eher: die tiefe Verunsicherung ob der eigenen Rührung) zeigen nichts weniger an als die - wenn auch postmortale - Verwandlung des Italo-Westerner. Das ewige traumatisierte Kind, der ewig auf Rache sinnende Sohn ist erwachsen geworden, nun, zumindest alt genug, um selbst Papa zu sein - und - noch viel entscheidender - es gibt kein Genre mehr, in das er vor der Verantwortung entfliehen könnte.
In der letzten Schlacht aber siegt der Eskapismus. Am Ende reiten sie davon, der große Mann auf dem großen Pferd und der kleine Mann auf dem kleinen Pferd. Eine Flucht vor der großen Schwester, der Mutterfigur, die dem Kind-Mann, der eins geworden ist, wie zu Beginn Gut und Böse, nur umso gefährlicher wird, je "anständiger" sie ist. So leicht scheint das mit dem Erwachsenwerden dann doch nicht zu sein. Und vor allem kein bisschen erstrebenswert in diesem Film, der kein a- sondern ein vor-moralischer ist.
1978. Der Italo-Western ist tot! Lang lebe Silbersattel!

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