Donnerstag, 5. September 2013

Fantasy Filmfest 2013: Und sonst?

Ziemlich gerne mochte ich die erste Hälfte von Rob Zombies The Lords of Salem. Der Musiker/Filmemacher/Comicautor setzt seine Gemahlin Sheri Moon Zombie als "traurige Frau", so nennt sie ein Priester im Film einmal, in Szene. Sheri Moon Zombie mit Brille, Dreadlocks und volltätowiertem Körper. Scheri Moon Zombie, die nackt auf dem Bett liegt und offenbar überhaupt keinen Bock hat, aufzustehen. Sheri Moon Zombie als Schatten mit Hund im gleißenden Neon-Licht der Straßenlaternen. Sheri Moon Zombie, die mit einem Arbeitskollegen in ihrer Küche zu Venus in Furs tanzt (mit The Velvet Underground und Lou Reed hat man mich ja sowieso immer voll auf seiner Seite.) Sheri Moon Zombie, dann später, wie sie, vom Verlauf der Ereignisse des Films sichtlich aufgezehrt, auf dem Bett sitzt und Heroin raucht. Zu Zombies bisherigem filmischen Werk läuft The Lords of Salem also zunächst gleich doppelt quer: Zum einen, weil dem Hang des Regisseurs zum Ensemble-Film hier die Konzentration auf eine einzelne Figur entgegensteht, zum anderen, weil er, sonst eher für's Grobe und Laute bekannt, hier zunächst einen leisen und melancholischen Film inszeniert, in den sich erst ganz langsam der gewohnte Zombie'sche Exzess, auch wenn er sich im Prolog in Form von bizarren Hexenritualen bereits ankündigt, einschleicht. Das Finale, in dem sich Zombie dann ganz seinen deliranten blasphemischen campig-satanistischen Bilderwelten hingibt, die bei aller Offensichtlichkeit der Referenzen doch etwas sehr Eigenes haben, kommt dann etwas kurz - wie vieles, ja, so ziemlich alles in diesem Film außer: Sheri Moon Zombie. Auch könnte man durchaus fragen, ob sie - Familienbande aside - wirklich die richtige für die Rolle der nicht nur traurigen, sondern auch zunehmend zerfallenden Frau ist. Dass das eine oder andere Bild, die eine oder andere Szene in Erinnerung bleibt, dass der Regisseur zumindest versucht sich selbst treu zu bleiben und dabei doch neue Wege zu gehen, auch wenn's ihm nicht so wirklich gelingen mag, ist das, was einen insgesamt doch eher mittelmäßigen Zombie dann immer noch ein gutes Stück über gängiges Genre-Mittelmaß hebt.  
Die beiden anderen Filme, die ich neben den schon ausführlicher besprochenen noch gesehen habe, widmen sich jeweils verschiedenen Bereichen der Filmgeschichte, an denen sich unsere Retro-Kultur in der unmittelbarsten Vergangenheit vermehrt abarbeitet. Pablo Berger inszeniert mit Blancanieves eine ins Torrero-Millieu verlegte Version von Schneewittchen als Stummfilm, Federico Zampaglione mit Tulpa einen Giallo.
Berger hält sich einerseits sehr streng an die Vorgaben des Formats. Also nicht nur Schwarzweiß, Seitenverhältnis 1,33:1, Zwischentitel, sondern auch, im Gegensatz zu dem ja schon in der Anlage grundverschiedenen Tabu, aber auch dem zumindest ähnlicheren The Artist, beide ebenfalls von 2012, der ja den Übergang vom Stumm- zum Ton-Film nicht nur inhaltlich behandelt, sondern auch formal mit den Formaten spielt, vollständiger Verzicht auf gesprochene Sprache. Andererseits ist der Film so frei in seinem Umgang mit (pop)kulturellen und (film)geschichtlichen Verweisen, dass dieses streng durchgehaltene Format kaum mehr ist, als ein Zitat unter vielen - angefangen bei den Grimm-Brüdern über recht eindeutige Bezüge zu verschiedenen Tonfilm-Klassikern bis zur Umdeutung der bösen Stiefmutter als Domina. Interesant ist dabei der Umgang mit dem Märchen. Nicht nur streicht der Film alles Übernatürliche aus der Handlung: den Spiegel der bösen Stiefmutter gibt es zwar, da dieser aber stumm bleibt, muss die Zeitung verraten, dass die verhasste Stieftochter noch am Leben ist, und der Kuss, der die ewig Schlafende zum Leben erwecken soll - dass der aus einem anderen Märchen stammt, stört Berger herzlich wenig - ist hier, eine der bösen Pointen, an denen der Film nicht arm ist, nur noch Jahrmarktsnummer mit unübersehbarem nekrophilen Touch. Er kehrt auch das übliche Verhältnis von Film und Märchen um: Während sich der Film immer wieder beim Fundus der Motive und Figuren der Grimm'schen Märchen bedient, dreht Berger eine Märchenverfilmung, die immer wieder auf die Filmgeschichte anspielt - von Tod Brownings Freaks bis zu Robert Aldrichs What ever happened to Baby Jane? Ob es Berger dabei um mehr geht als zu zeigen, dass man auch 2012 noch einen spannenden und unterhaltsamen Stummfilm drehen kann, sei dahingestellt. Immerhin gelingt ihm das über weite Strecken recht gut und man merkt, dass er eine Idee hat, was er mit seinem Material anfangen kann und will.
Beides geht Federico Zampaglione in Tulpa ab. Der dreht einfach einen Giallo. Punkt. Also gibt es nicht nur einen Killer mit schwarzen Handschuhen, der in ebenso artifiziell wie bunt ausgeleuchteten set pieces Frauen auf recht blutige Weise ins Jenseits befördert, sondern auch noch okkultistischen Gruppensex und esoterischen Unfug auf Glückskeks-Niveau. Der etwas konfuse Plot, der das alles zusammen halten soll, wird am Ende zwar, sagen wir, nicht wirklich zwingend, dafür aber gleich doppelt aufgelöst. Das ist wohl in etwa die abstruse und irrwitzige Mischung, die viele "echte" Gialli tatsächlich auszeichnete. Nur: Wie kann ein Film funktionieren, in dem das, was sich eben früher aus einer Mischung aus unbedingtem Stilwillen und widrigen Produktionsbedingungen "natürlich" ergab, zum durchgestylten Konzept erhoben wird? Glaubt Zampaglione tatsächlich, den teilweise beträchtlichen Charme, den die Billigproduktionen von Gesterntag bisweilen haben, in einem dann doch eindeutig gegenwärtigen Film einfach nachmachen zu können, ohne irgendwie zum Nachgemachten oder dem Akt des Nachmachens Position zu beziehen? Oder, anders gefragt: Was soll der Scheiß?       
 Gerne hätte ich mehr gesehen als die fünf Filme, die ich letzlich gesehen habe, zumal qualitativ nach oben durchaus Luft gewesen wäre. Schade auch, dass ich Johnny Tos Drug War aus meiner Liste gestrichen habe, über den es ja einiges Gutes zu lesen gab (siehe: hier, hier und hier).

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