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Dienstag, 4. Februar 2014

My Sweet Pepper Land (Hiner Saleem, Frankreich, Deutschland, Kurdistan 2013)



Irgendwo im Irak: Nach dem Sturz von Diktator Saddam Hussein ist ein Teil der Kurden unabhängig. Der Freiheitskämpfer Baran (Korkmaz Arslan) arbeitet für die provisorische kurdische Regierung. Auf der Flucht vor der Überfürsorge seiner Mutter, die kein anderes Ziel kennt, als ihren Sohn zu verheiraten, lässt er sich in einen kleinen Ort im Norden, an der Grenze zur Türkei und zum Iran versetzen – als Polizist. Hier ist Schmuggel die vorwiegende Beschäftigung, und das Gesetz, das Baran verteidigen soll, keinen Heller wert.

Stattdessen herrscht der lokale Klanchef Aziz Aga mit harter Hand. Der rechtschaffene und unbestechliche Baran macht sich bei ihm und seinen Männern schnell unbeliebt. Zudem tut er sich auch noch mit einer anderen Außenseiterin zusammen: Govend (Golshifteh Farahani), die als Lehrerin den Kindern des Ortes lesen und schreiben beibringt. Die junge schöne Frau muss nicht mehr tun, als unabhängig und allein stehend zu sein, um sich den zunehmenden Hass ihrer vielen Brüder und den Argwohn der Männer des Dorfes zu zuziehen. Als sich Baran auch noch in den Auseinandersetzungen zwischen dem Klan und einer Gruppe von Frauen die Govend von früher kennt und die sich zum Guerilliakampf in die Berge zurückgezogen haben für letztere einsetzt, eskalieren die Ereignisse zunehmend.

Ein kurdischer Western also. Saleem lässt reichlich Bezüge zur amerikanischen Populärkultur in seinen Film einfließen: Wenn Baran zu seinem neuen Arbeitsplatz fährt, singt Elvis im Radio: "You're so square, but Baby I don't care." Eine Tankstelle, an der er anhält, sieht aus wie aus einem Gemälde von Edward Hopper. Americana in Kurdistan. Auch viele Western spielten nach einem Krieg, dem amerikanischen Bürgerkrieg, der für die Entfaltung der Handlung als Vorgeschichte essenziell war. Baran ist der Sheriff, der in eine entlegene Stadt kommt, um für Recht und Ordnung zu sorgen, wie ihn etwa Joel McCrea des Öfteren spielte, in den tollen Western, die Jacques Tourneur in den Vierzigern und Fünfzigern drehte.  Auch die Lehrerin, die mit Büchern statt Waffen für ein besseres Land kämpfen will, ist an gängige Figuren des amerikanischen Westerns angelehnt. Allerdings erledigte den Job dort meist noch ein Mann, wie etwa in The Man who shot Liberty Valance. (Interessant: wenn man die Verbindung zwischen Govend und der Gruppe von Guerilla-Kämpferinnen betrachtet, ergibt sich eine ähnliche Konstellation, wie die zwischen Jimmy Stewart und John Wayne in dem Ford-Klassiker - nur dass alle beteiligten hier Frauen sind.) Gleichzeitig schließt Saleem aber auch an die zynischere, gewalttätigere, "dreckigere" Tradition des Italo-Westerns an. Das Gesicht von Korkmaz Arslan hat in den Großaufnahmen, deren es gerade am Anfang viele gibt, einen gewissen Franco Nero-Touch. Zu Beginn ist er daran beteiligt, das erste Todesurteil der unabhängigen kurdischen Regierung zu vollstrecken. Eine Szene, die wesentlich mehr als der Rest des Films eindeutig ins Groteske überzeichnet ist: Um jemanden zu hängen braucht man also, so lernen wir, erstens einen Strick, der zweitens so befestigt werden muss, dass er auch hält. Nach dem gescheiterten ersten Versuch wird erst mal ausgiebig debattiert, wie weiter zu verfahren sei. Ergebnis: Der Verurteilte muss nach der Hinrichtung auf jeden Fall tot sein. Wenn ihm die Augen verbunden werden, sind diese leinwandfüllend im Bild, eine Art der Einstellung, die man "Italienische" nennt. Nur ist das Bild bei Saleem nicht, wie bei Sergio Leone und Co., genau zentriert, sondern ein Stück verschoben. Diese Verschiebung beschreibt die Art, wie sich My Sweet Pepper Land dem Genre nähert.

Einerseits werden dessen Motive in einem fort evoziert: Da ist der Ort an der Grenze, nicht der US-mexikanischen, sondern der irakisch-iranisch-türkischen. Da ist der patriarchalische Ober-Schurke, der über diesen Ort mit harter Hand herrscht. Da ist die Bar, das Pepper Land, das deutlich einem Saloon nachempfunden ist. Andererseits begnügt sich der Film nicht damit, auf den Verfremdungseffekt zu zielen, der sich aus der Änderung von Epoche und Schauplatz ergibt. Also Turban statt Sombrero, Maschinenpistolen statt Colts, Tee statt Whisky.

Eher nutz er eine Genre-Erzählung, die einem spezifischen kulturellen und historischen Kontext entstammt, um eine ganz andere kulturelle und historische Situation zu zeigen. Es gelingt ihm dabei, beide gleichermaßen ernst zu nehmen, sowohl die Unterschiede als auch die Gemeinsamkeiten aufzuzeigen. So ist der patriarchalische Ehrbegriff, dem sowohl Aziz Aga als auch Govends Brüder folgen, schon ein deutlich der "arabischen Welt" entstammender. Andererseits ist aber Steinzeitpatriarchat, egal ob muslimischer oder - im Spaghetti-Western  katholischer - Prägung, ein Stück weit immer auch Steinzeitpatriarchat.

Die Genre-Form ist für Saleem weder Mittel zum Zweck für postmoderne Spielereien, noch wie vielleicht in vergleichbaren Arthaus-Filmen etwas, dass "überwunden" werden müsste. Er nimmt sie kompromisslos ernst als Form des Erzählens, bis zum Schluss, wenn Baran ebenso kompromisslos mit seinen Feinden abrechnet. So entsteht vielleicht kein großer, aber ein  feiner, kleiner Film.



Die Traurigkeit der vielgelobten Golshifteh Farahani ist mir übrigens immer ein bisschen zu penetrant. Dafür ist ihrer Lachen wirklich ganz bezaubernd: Toll sind die Szenen (hier gibt es sie einmal im Klassenzimmer, in Stein der Geduld sind sie mir gegen Ende aufgefallen) in denen ihre Leidensmine in einem Lächeln aufbricht, wie eine Wolkendecke. Ich würde sie gerne einmal in einer anderen Rolle sehen als der einer sich zwar wehrenden und starken, aber auch immer stark leidenden Frau. Einer Komödie vielleicht. 

 

Montag, 21. Oktober 2013

Stein der Geduld (Atiq Rahimi, F, D, Afghanistan 2012)


Die Frau (Golshifteh Farahani) pflegt ihren Mann (Hamid Djavan), der mit einem Genickschuss im Koma liegt. Die zwei Töchter sind die meiste Zeit im Keller, denn draußen in der Stadt herrscht Krieg. Beständig spricht die Frau mit dem Mann, der nicht reagieren, aber sie wohl hören kann. Zunächst scheint der Patriarch, auch in derart gelähmter Form, noch Macht über sie zu besitzen. Sie bittet ihn, der doch nicht antworten kann, das Haus verlassen zu dürfen. Nach und nach jedoch, wird sie immer selbstbewusster. Beginnt sich zu öffnen, zu sprechen über die Enttäuschungen und Entbehrungen ihres Ehelebens, über Selbstbefriedigung und sexuelle Fantasien. Entfaltet vor ihm die Geschichte ihrer Unterdrückung, die sich von der Herkunftsfamilie nahtlos in ihrer Ehe fortsetzte.
Regisseur Atiq Rahimi, der hier seinen eigenen Roman verfilmt, habe mit seinem Film, so das Presseheft, "den afghanischen Frauen eine Stimme [ge]geben." Das klingt zunächst einmal nach der Art von guten Absichten, die eher ungeeignet sind, um gute Filme aus ihnen zu machen. Das faszinierende an Rahimis Film, an dem es trotzdem noch einiges auszusetzen gibt, ist dann allerdings, wie er immer wieder bestimmte Systeme evoziert, um sie schließlich radikal zu unterwandern und umzuwerten - nicht zuletzt eben das, eines gut gemeinten, auf den westlichen Markt abzielenden Weltkinos.
Zum einen liegt der Geschichte der persische Mythos vom Stein der Geduld zugrunde, der alle Geständnisse und Geheimnisse eines Menschen in sich aufnimmt, bis er so vollgesogen ist, dass er zerspringt. Es bedarf aber, zum andern, wohl auch keines übergroßen interpretatorischen Ehrgeizes, um in dieser Situation, in der die Frau ihre gesamte Biographie durch Versprachlichung aufarbeitet, um sich schließlich von ihrem Leid zu befreien, Parallelen zu einem westlichen therapeutischen setting zu erkennen. Die Vorstellung von der Sprache als heilender Kraft liegt ja auch der talking cure der Psychoanalyse zu Grunde. An Bildern für den Phallus, für seine Aneignung durch die Frau und die Kastration herrscht hier dann auch wahrlich kein Mangel. In einem der Flashbacks, die den Film durchziehen, berichtet die Frau von ihrem Vater und seiner scheinbar einzigen Leidenschaft: Den Wachteln, die er hält, um sie in Kämpfen antreten zu lassen. Zuneigung scheint dieser Mann nur für die kleinen Vögel zu empfinden, während er Frau und Kinder regelmäßig verprügelt, vornehmlich dann, wenn seine Wachteln einen Kampf verloren haben. Mit eindeutig masturbatorischen Gesten ahmt Farhani nach, wie er die Vögel liebkoste. "Als Kind," sagt sie, "dachte ich immer, Männer hätten eine Wachtel zwischen den Beinen." Wenn sie eine dieser Wachteln dann der Katze zum Fraß vorwirft, ist das nicht nur eine überdeutliche Kastrationsmetapher, sondern auch ein erster Akt der Auflehnung gegen die phallische Ordnung. Wie er den persischen Mythos umdeutet, so wird auch die Psychoanalyse umgekehrt. Es geht nicht mehr, wie bei Freud, darum, die verdrängten Triebe in den Griff zu bekommen, die sich in allerlei Krankheitsbildern den Weg zurück an die Oberfläche des Bewusstseins bahnen, sondern im Gegenteil darum, das weibliche Begehren von der - zuerst äußerlichen, aber auch durch Introjektion übernommenen - Repression zu befreien. Wo (patriarchalisches) Über-Ich war, soll (weibliches) Ich werden.
Eine Verbündete findet Farahani in ihrer Tante (Hassina Burgan), die als Prostituierte arbeitet. Die Prostitution wird hier gerade nicht als weiterer Stein in der Mauer der Unterdrückung der Frau, sondern als Instrument zu ihrer Befreiung dargestellt. Im Interview sagt Rahimi, er bewundere Prostituierte für "ihren Mut, ihre Art, die Männer durch ihren Körper zu dominieren. Ihnen gegenüber werden die Männer zu Kindern."
Das trifft auch und besonders auf den jungen Soldaten zu, mit dem Farahani im letzten Drittel des Films eine Affäre eingeht. Gegenüber ihm und einem älteren Soldaten, die ihr Haus kontrollieren, behauptet sie, sie sei Prostituierte, um so einer Vergewaltigung zu entgehen. Während der andere sich tatsächlich angewidert von ihr abwendet, kehrt der jüngere später zu ihr zurück - mit Geld. Als sie ihn zunächst abweist, vergewaltigt er sie. Diese Vergewaltigung ist jedoch gerade eine Fortführung des phallischen Versagens, dass sich durch den Film zieht.
Stereotype Rollenzuweisungen sind dabei nur ein Problem von Stein der Geduld. Außerdem wirkt der Film bisweilen ziemlich überladen. Der Verzicht auf Eigennamen und genaue geographische Verortung des Geschehens soll verdeutlichen, dass sich diese Geschichte überall in der arabischen Welt zutragen könnte. Rahimi bürdet seiner Protagonistin die ganze Last der Unterdrückung der Frau in islamistischen Regimen auf. Die trägt es zunächst mit bemerkenswert durchgehaltener Leidensmiene (umso schöner dann allerdings, wie sich gegen Ende auch ihre Befreiung von ihren Zügen ablesen lässt.) Auch ist der Film in seiner Inszenierung keineswegs so homogen, wie er es in der Poesie seiner State of the Arthouse-Bilder gerne wäre. So gibt es eine sehr gelungene Szene gegen Anfang, in der Farahani, eine gespentische Erscheinung in ihrer Burkha in der gespentischen Umgebung der zerbombten Stadt, mit ihren Töchtern zur Apotheke geht. Unweit von ihnen schlagen Granaten ein. Nur wenige Augenblicke sehen wir, wie die Frau ihre Kinder in Sicherheit zu bringen sucht. Dann kommt der Schnitt und die Apotheke ist erreicht, ganz so, als wäre nichts geschehen. Hier gelingt es, zu zeigen was der Krieg für Menschen in einem Kriegsgebiet bedeutet: ein schrecklicher bedrohlicher Alltag, aber eben doch: Alltag. Wenn später jedoch erneut Kriegshandlungen zu sehen sind, setzt der Film wieder auf höchstmögliche Dramatisierung durch altbekannten Wackelkamerarealismus.
Was den Film, trotz dieser Schwächen, rettet, ist, dass die Handlung nicht, wie es die Bilder zumindest teilweise tun, Zuflucht beim guten Geschmack sucht. In der Unnachgiebigkeit mit der die Frau ihren wehrlosen Mann mit dessen eigenem Verhalten konfrontiert, darin, wie immer wieder gezeigt wird, wie wenig die Männer die Frauen befriedigen können, sie also in dem angegriffen werden, was ihnen am heiligsten ist: in ihrer Männlichkeit, liegt ein recht unverhohlener Sadismus. Damit ist der Film näher an einem feministischen revenge movie als an allen politisch korrekten Gutgemeintheiten.     

Stein der Geduld läuft seit 10. Oktober in den deutschen Kinos.