»Eine Einkaufspassage trügt. Für die Kunden sind
wir nur Verkäufer, die nach Ladenschluss verschwinden. Aber wir wissen, dass
wir viel mehr sind, dass es hinter unseren Schaufenstern die eine oder andere
Geschichte gibt, die, auch wenn sie vielleicht nichts Besonderes ist, doch wert
ist, erzählt zu werden.«
Und
die kleinen Geschichten der liebenswert schrulligen, aus verschiedensten
Weltgegenden und Kulturen stammenden Menschen, die in Daniel Burmans Film »El
abrazo partido« (Argentinien, Frankreich, Italien, Spanien 2004) in einer
kleinen Einkaufspassage im Barrio Once von Buenos Aires arbeiten und leben,
spiegeln zugleich die bewegte Geschichte eines ganzen Landes. Als eine Art pars pro toto steht die Passage, die für
den Protagonisten Ariel (Daniel Bendler) nicht nur Arbeitsort, sondern zugleich
Lebensmittelpunkt ist, buchstäblich also ein Zentrum für die multikulturelle
Gesellschaft des Einwanderungslandes Argentinien, wo im Laufe der letzten
Jahrhunderte Menschen aus aller Welt Schutz oder ein besseres Leben suchten.
Und: Wo ließe sich die schwierige Situation der Gegenwart des beginnenden 21.
Jahrhunderts, in der Argentinien die schlimmste Wirtschaftskrise seiner
Geschichte erlebte, durch die Hunderttausende von Menschen alles verloren,
besser erkennen als in einer Einkaufspassage? Der dreißigjährige Ariel, dessen
Mutter in der Passage ein Dessous-Geschäft besitzt, beschließt, sich die
Herkunft seiner Vorfahren, polnischer Juden, die einst auf der Flucht vor den
Nazis in Buenos Aires landeten, zunutze zu machen, um die polnische
Staatsbürgerschaft zu erlangen und nach Europa zu emigrieren. »Pole werden«
nennt er das, was zugleich eine ziemlich sarkastische Formulierung des
Schicksals vieler Menschen in den ärmeren Ländern dieser Erde ist, die eine
Zukunftsperspektive nur noch in der Migration sehen. Die Passage mit ihren mit
allerlei Kram vollgestellten Räumen sowie die heftig wackelnde Handkamera in
diesem Film, in dem es kaum Totalen gibt, verbildlichen die Orientierungslosigkeit
des Protagonisten.
Dass
kleine Einkaufspassagen wie die, in der »El abrazo partido« spielt, global mehr
und mehr von den großen Malls verdrängt werden, unterstreicht das Prekäre an
der Existenz der Figuren des Films, die von den internationalen Entwicklungen
abgehängt wurden.
Was
amerikanische Komödien, die in Einkaufszentren spielen, mit Burmans Film gemein
haben, ist, dass auch hier das Center Lebensmittelpunkt der männlichen
Protagonisten ist. Dabei scheint sich auch ein festes Figurenensemble herauszubilden.
So erschienen 2009 gleich zwei Filme, deren jeweilige Hauptfigur Security Guard
in einer Mall war: »Paul Blart: Mall Cop« (»Der Kaufhauscop«, Regie: Steve
Carr) und »Observe and Report« (»Shopping-Center King«, Regie: Jody Hill). In
Ersterem kommt die große Stunde für Paul Blart (Kevin James), wie es sich für
einen Wachmann im Film gehört, ein ziemlicher – wenn auch ziemlich
liebenswürdiger – Loser, als er einige Gangster im Alleingang überwältigt, die
das Center überfallen und mehrere Geiseln nehmen (die Story des Films ist so
offensichtlich an »Die Hard« (»Stirb langsam«, USA 1988, Regie: John McTiernan)
angelehnt, dass man fast von einem Remake sprechen könnte). Während Carrs Film
das Thema familienfreundlich behandelt, ist der Plot um Ronnie Barnhardt (Seth
Rogen), der in »Observe and Protect« auf der Jagd nach einem Exhibitionisten
ist, der in der Mall sein Unwesen treibt, wesentlich derber gefasst: Mit
böserem Humor, Drogen, Gewalt und date rape. Was beide Filme dabei
gemeinsam haben, ist die Art, wie das Einkaufszentrum zu einem Ort wird, an dem
sich soziale Hierarchien verkehren: Aus notorischen Versagern werden Helden,
den chronischen Nerds gelingt es, die popularity-Leiter
hochzuklettern und dabei die Herzen – nicht nur – ihrer Traumfrauen zu
gewinnen.
Darum,
ihre Freundinnen zurückzuerobern, die simultan mit ihnen Schluss gemacht haben,
weil in ihren Jungswelten kein Platz für sie zu sein schien, geht es auch TS
(Jeremy London) und Brodie (Jason Lee) in »Mallrats« (USA 1995, Regie: Kevin
Smith). Und da sie sich eh so gut wie nie woanders aufhalten, können sie das
nur in der örtlichen Mall tun. Ein Dialog ist dabei besonders aufschlussreich.
Drehen sich die nerdig gelehrten Unterredungen der Figuren gewöhnlich um
Comic-Superhelden oder die Macht der Jedi-Ritter, geraten sie einmal in einen
hitzigen Disput über die korrekten Termini zur Beschreibung des Aufbaus der
Mall. Das Einkaufszentrum erscheint damit als fester Bestandteil der
amerikanischen Populärkultur – wie »Star Wars« und »Spider-Man«.
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