Sonntag, 18. Mai 2014

There's still the river

Hinweis auf meinen Text zu Il futuro in der filmgazette und ein kleiner Nachtrag


Bei der ohnehin schon recht lang geratenen Besprechung habe ich eine der schönsten Szenen von Alicia Schersons kongenialer Verfilmung zu Roberto  Bolaños Una novelita lumpen gar nicht erwähnt, die wie viele in diesem Film nur aus einer einzigen Einstellung besteht (leider finde ich keine screen shots dazu.)
Unmittelbar vor dem Ende des Films sitzen Bianca und ihr jüngerer Bruder Tomás am Ufer eines Flusses und essen ein Eis. Wenn die Art, wie der Film gerade in seiner märchenhaften Entrücktheit soziale Realitäten spiegelt nie weit entfernt ist von der Art, wie der klassische Film Noir, nicht Ab-, sondern Stimmungsbilder einer desillusionierten Nachkriegsgesellschaft lieferte, dann führt diese Szene ganz unmittelbar zu The Night of the Hunter.
Die Geschwister, der Fluss, das üppige Grün der Pflanzen, das um sie herum wuchert wie etwas, das nicht von dieser Welt zu sein scheint, das alte Gasometer, das am anderen Ufer, am anderen Bildrand zu sehen ist, und so verwunschen aussieht wie von Menschenhand gebautes nur verwunschen aussehen kann, rufen die berühmten Bilder des Flusses aus dem Laughton-Klassiker auf, auf dem ebenfalls zwei Geschwister, Bruder und Schwester, hinab treiben, und dessen Ufer überlebensgroßen Tiere wie Fabelwesen bewachen.



Bei Laughton bot der Fluss den Kindern Schutz vor dem Bösen an Land. Er war ganz und gar ihr Studio-Kinder-Märchenreich, zu dem die - natürlich nicht minder märchenhafte - Figur des bösen Stiefvaters keinen Zutritt hat. Bei Scherson aber scheinen die beiden Kinder mit dem Eis-Essen am Fluss erst in einer Kindheit angelangt zu sein, die sie zuvor nie hatten. Erzählt Il futuro also ein umgekehrtes coming of age, in dem es nicht darum geht, erwachsen zu werden, sondern Kind sein zu können? Waren sie, wenn sie am Ende das Ufer des Märchenflusses Hand in Hand verlassen, ohne dass ein Schnitt den Bilderfluss unterbrechen würde, Kinder, und sei es auch nur eine einzige Einstellung lang, um nun erwachsen werden zu können? Ist der Fluss die Zukunft? Oder doch ein Ort der Geborgenheit, an den man, hat man ihn sich einmal erkämpft, sich seinen Platz an ihm behauptet, nun immer wieder zurückkehren kann?
 
Anders gefragt: Is there still the river?   

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