Montag, 19. Mai 2014

Patriarchat und Gewalt V: Ms. 45 (Abel Ferrara, USA 1981)


Die stumme Thana (Zoe Tamerlis) arbeitet in einer New Yorker Textilfabrik. Eines Tages wird sie auf dem Weg nachhause von einem maskierten Mann in eine kleine Gasse gezogen und vergewaltigt. Als sie in ihrer Wohnung ankommt, erwartet sie ein Einbrecher, der sich wiederum an der jungen Frau vergeht. Doch Thana gelingt es, den Mann zu überwältigen und zu töten. Mit seiner Waffe, einer 45er Magnum, geht sie in den dreckigen Straßen der Metropole auf Männerjagd.
Im Bericht der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (heute: -"Medien") wird die Indizierung der alten VHS-Kassette von "Die Frau mit der 45er Magnum" (nach der Kinoauswertung bis heute die einzige offizielle Veröffentlichung des Films in Deutschland) nicht nur mit dem "Tatbestand" der "Befürwortung von Selbstjustiz" des Films, dessen "reine Mordideologie" "verrohend" wirke, begründet, sondern ihm wird darüber hinaus bescheinigt, "frauen- und behindertendiskriminierend" zu sein:
"Der 1981 in USA [sic!] gedrehte Film vermittelt vor allem jugendlichen Recipienten den Eindruck, Frauen neigten nach einer Vergewaltigung besonders leicht zu Rachefeldzügen und würden dabei besonders leicht einem Blutrausch erliegen... Es ist besonders peinlich, einem Menschen, dem das Mittel der Sprache fehlt, derart schändlich mißbraucht zu sehen."
Erschwerend wirke sich der hohe "Realitätsgehalt" des Filmes aus, dessen Hauptfigur als "bedauernswerte Einzelkämpferin" dargestellt werde, "die in ihrem Privatkrieg laufend Lynchjustiz ausübt, um eine angeblich zerstörte Ordnung wieder herzustellen."
Anzumerken wäre zunächst die extreme Stilisierung, die den "Realismus" des Films konterkariert, und zwar auf inhaltlicher (dass Thana an einem Nachmittag gleich zweimal vergewaltigt wird erscheint doch, nun ja, eher unwahrscheinlich und dem "Job" als "Racheengel" geht sie mit einer buchstäblichen Zielgenauigkeit nach als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht) wie formaler (die grellen Farben und schrillen Sounds des großartigen Scores von Ferraras Hauskomponist Joe Delia, die offensichtlich der rohen Ästhetik des Exploitation-Kinos verpflichtete Montage) Ebene. Eher scheint sich Ferrara der Mittel des "filmischen Realismus", z. B. der Handkamera zu bedienen, um die urbane Realität in ein Albtraumbild ihrer selbst zu überzeichnen, einen Ort schier grenzenloser Verwahrlosung (also eher "verhässlicht" als "ungeschönt") und ständiger Bedrohung.
Was aber die Ordnung anbelangt, die Thana angeblich mit ihren Taten wieder herzustellen trachtet, so ist doch das genaue Gegenteil der Fall. Es geht in ihrem Rachefeldzug um die Zerstörung einer Ordnung, der misogynen Ordnung der patriarchalen Kultur. Julia Reifenberger weist in ihrer Arbeit zum Rape-Revenge-Film besonders auf Ms. 45 hin, wenn sie beschreibt, wie die Filme ab den Siebzigern das Bild einer regelrechten "rape culture" entwerfen.
Die "anzüglichen" Blicke und obszönen Bemerkungen der Männer, die den Weg auf der Straße nachhause für Thana und ihre Kolleginnen zu einem Spalierlauf machen, die patronisierende "Gutmütigkeit" ihres Chefs in einer Welt, in der Frau zwar arbeiten geht, dabei aber männlicher Ausbeutung und Willkür ausgeliefert ist, also auch die Klassenhierarchie derart "gegendert" erscheint, die "Schamlosigkeit" eines Mannes in einem Café, der eben noch wild mit seiner Begleitung rumknutschte, und sich, kaum ist diese aus der Tür, zu Thana und ihren Freundinnen gesellt, um hier anzubändeln. All das bietet das - allerdings stark stilisierte - Bild einer Gesellschaft, in der die Frau zu einem reinen Objekt degradiert wird, das dem Mann - nicht nur sexuell - zu Diensten zu sein hat. Die Vergewaltigung erscheint damit nur als letzte "logische" Konsequenz einer gesellschaftlichen Ordnung. Dass Thana stumm aber nicht taub ist unterstreicht ihre Passivität. Der Platz, den ihr die phallozentristsiche Macht zugesteht, ist der der ausschließlich Aufnehmenden.
Ihre Rache im zweiten Teil des Films ist - mehr noch als in vielem ähnlich gelagerten Thriller -  ein Feldzug gegen eine komplette gesellschaftliche Ordnung. Mit dem Mann aus dem Café, der sie "abschleppen" will, geht sie in sein Fotostudio, wo sie ihn erschießt. Ihrer Inszenierung als Lustobjekt durch und für den männlichen Blick, setzt sie ihre Gewalt als Gegeninszenierung entgegen. Ihre späteren Opfer sind unter anderem ein schwarzer Zuhälter, ein Scheich, der in seiner Limousine auf der Suche nach weiblicher Gesellschaft durch die nächtlichen Straßen fährt und eine Gang von jungen Männern. So klassen-, "rassen"- und kulturübergreifend wie das Patriarchat ist auch ihr Feldzug dagegen. Und auch der Regisseur, der (damalige) "Exploitation-auteur" Abel Ferrara nimmt sich selbst aus dieser Ordnung nicht aus: er selbst spielt den ersten Vergewaltiger - unter dem Pseudnyom Jimmy Laine und mit einer Maske, die so geformt ist, dass wer sein Gesicht kennt, es doch wiedererkennen kann.
Für ihre blutigen Streifzüge legt Thana "Kriegsbemalung" an, die zu Beginn sich geradezu kindlich unscheinbar auftretende und kleidende Frau, putzt sich heraus, kleidet sich sexy und schminkt sich, entspricht damit zunächst dem sexualisierten Bild, das sich die Männer von ihr machen, und transzendiert es zugleich, wenn sie es nutzt, um ihre Opfer in eine Falle zu locken.
Den Höhepunkt dieser "Venusfalle" bietet die Halloween-Party am Schluss, zu der Albert Thana eingeladen hat. Sie erscheint im sexy Nonnenkostüm, er als Dracula. Die Frau als verführerische Unschuld und der Mann, der sie sich "aufgespart" hat, um sie sich nun durch seinen Biss ganz und gar anzueignen (der besondere Reiz eine Jungfrau zu "verführen" kommt auf der Party auch in einem Dialog zur Geltung, in dem ein Mann einem anderen den Urlaub in Puerto Rico schmackhaft zu machen versucht, wo man schon für "dreihundert Dollar eine Jungfrau bekommt", gleichzeitig greift Ferrara damit auch Sextourismus als eine Form neokolonialer sexueller Ausbeutung auf). Doch als Albert Thanas Kostüm lüftet, sieht er die Pistole, die in ihrem Strumpfband steckt, davor baumelt in der Großaufnahme das Kruizfix, das sie um den Hals trägt. Das Schwert und das Kreuz nicht mehr im Dienste sexistisch/kolonialistsicher Unterwerfung, sondern als Waffen des "Racheengels" (Angel of Vengeance lautete ein Alternativtitel des Films). Das atemberaubende finale Massaker in Zeitlupe, mit der schummrigen Ausleuchtung und den panischen Schreien, die so sehr verzerrt sind, dass sie klingen wie das Heulen von Gespenstern in einer Gruft wirkt dann auch wie nicht von dieser Welt, wie ein jüngstes Gericht vielleicht - in dem auch Thana schließlich den Tod findet.
Reifenberger bemerkt zu Ms. 45 und überhaupt Rape-Revenge-Filmen, in denen der female avenger am Ende getötet wird, dass die Rächerinnen "nicht nur für die Morde zur Verantwortung gezogen [werden] die sie an Figuren begangen haben, die an der Vergewaltigung keinerlei Schuld tragen. Bestraft wird hier zugleich ein feminines Aufbegehren gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt, ein Selbstermächtigung der Frau zur Wehrhaftigkeit und der Ausbruch aus der Geschlechternorm einer passiven Weiblichkeit durch die Gewaltausübung. Eine solche Reaktion, das implizieren diese Rape-Revenge-Plots, führt direkt dazu, dass Frauen Amok laufen und deshalb - notfalls durch eine Vergewaltigung - in ihre Schranken gewiesen werden müssen."
Im Bezug auf Ms. 45 scheint mir eher, dass das Ende ein doppeltes Scheitern impliziert, der weiblichen Hauptfigur, die letztlich auch durch die Gewalt nicht zu dem Subjekt werden kann, dass ihr die Männerwelt zu sein vorenthielt, die in den diversen Masken, die ihr diese aufdrückte nicht "sich selbst", sondern nur den Tod finden kann.
Aber auch auf Seiten des Regisseurs, der im Film doch nur als doppelt maskierter Teil der patriarchalen Gewalt vorkommt, die er auf so grimmige und vernichtende Weise kritisiert.

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