Mittwoch, 4. Dezember 2013

Point Break (Kathryn Bigelow, USA 1991)

"100% pure adrenaline!" ist das Motto von Patrick Swayze. Und Lory Petty, die einzige Frau in diesem Film, die mehr als 30 Sekunden screen time hat, stellt einmal fest: "Okay, too much testosterone around here for me." Damit sind Thema, Stimmung und - vor allem - das Tempo des Films gesetzt. Ein Kino der Hormone, die unausgesetzt durch einen Filmkörper von beträchtlicher Eleganz fluten, wie das Wasser durch die Bilder. Schon im Vorspann. Johnny Utah (Keanu Reeves) bei Schießübungen im strömenden Regen, Bodhi (Swayze) beim Surfen. Die beiden Männer, die der Film in Parallelmontage als Antagonisten einführt, haben deutlich mehr Gemeinsamkeiten, als Unterschiede. Beide sind verdammt gut in dem, was sie tun. Beiden geht es um den Kick, den Licht und Kamera schon hier komplett durchstlyen, ästhetisieren. 
Utah kommt nach einer Football-Karriere am College zum FBI nach Los Angeles, Abteilung: Bankraub. Eine Plansequenz, bei der Donald Petermans Kamera mit vielen gewagten Schwenks die Kälte und Hektik des Büros einfängt, zeichnet den Weg an seinen neuen Arbeitsplatz. Hier gilt es, sich beständig zu behaupten. Jeder Dialog ein verbaler Schlagabtausch. So bezeichnet ihn sein neuer Chef, Ben Harp (John McGinley) als das, was er offensichtlich selber ist: ein Arschloch. "You're a real blue flame special, aren't you, son? Young, dumb and full of come". Sein neuer Partner, der ältere Angelo Pappas (Gary Busey) begrüßt ihn, wenn auch ungewollt, indem er ihn einen "quarterback punk" nennt. Der junge Karrierist, der, wenn er mit 25 die Agentenausbildung als einer der besten 2 % seines Jahrgangs abschließt, schon eine vielversprechende Sportler-Laufbahn hinter sich hat, scheint das Männlichkeitsideal des Neoliberalismus so perfekt - und buchstäblich - zu verkörpern, dass er anderen Männern immer erst einmal suspekt ist. Konkurrenzdenken. Revierverteidigung.
Der erste Fall: Eine Bande von Gangstern, die in den vergangenen drei Jahren 27 Banken überfallen hat, ohne bedeutende Spuren zu hinterlassen. Sie gehen immer nach demselben Prinzip vor: verkleidet in Anzügen und mit Gummi-Masken der ehemaligen US-Präsidenten Nixon, Carter, Reagan und Johnson, rein-raus in genau 90 Sekunden, ohne dass ein Schuss abgegeben wird. Wir sehen einen ihrer Überfälle. Auf dem Weg zur Bank im Auto reichen Bigelow ein paar kurze Einstellungen zur größtmöglichen Fetischisierung von Männermuskeln und großkalibrigen Schusswaffen. Der Überfall als Spiel, als Selbst-Inszenierung mit infantil-satirischem Duktus. Die Ex-Presidents fordern die Bank-Kunden auf, nicht zu vergessen, zu wählen. "Nixon" verbeugt sich mit den berühmten Worten: "I'm not a crook." Zum Abschied wird der blanke Arsch in Richtung Überwachungskamera gehalten, drauf steht: "Thank you."
Pappas spricht mit unverhohlener Bewunderung von diesen Kontrahenten. In der Leistungsgesellschaft ist numerisch messbarer Erfolg (man beachte die Häufung von Zahlen in diesem Film) wichtiger, als das Einhalten von Gesetzen. Bei der Verbrecherjagd geht es nicht um die Wiederherstellung einer Ordnung, sie ist ein Spiel, das umso mehr Spaß macht, je genialer der Gegner ist. Ein Kick - wie das Verbrechen selbst.
Pappas hat eine Theorie zu den Bankräubern, die zunächst denkbar wagemutig erscheinen muss: "The ex-presidents are surfers."
Also soll Utah undercover in der Surfer-Szene ermitteln. Tyler (Petty) bringt ihm nicht nur das Surfen bei, sie führt ihn auch in die Welt der Surfer ein - und natürlich auch bald in ihr Bett. Sie macht ihn mit Bodhi bekannt. (Schön, wie der Plot hier einen Konflikt, ein Beziehungsdreieck andeutet, das dann einfach nicht stattfindet. Monogamie steht eben nicht auf der Agenda adrenalin-süchtiger Surf-Gurus. That's that.)
Utah legt sich schnell mit einer Gruppe junger "Wilder" an, auf deren mafioses Revierdenken, wie auf ihren archaischen Look zutrifft, was Pappas einmal über die Surfer sagt, sie seien organisiert wie ein Stamm mit eigenen Regeln und eigener Sprache. Für Bodhi hingegen steckt hinter dem Surfen eine Philosophie, es ist für ihn, wie sein an den Buddhismus angelehnter Name untermauert, eine Art Religion. Zu seinen Männern sagt er: "This was never about the money, this was about us against the system. That system that kills the human spirit. We stand for something. We are here to show those guys that are inching their way on the freeways in their metal coffins that the human sprit is still alive." Die Suche nach dem ultimativen Kick, für den man bereit sein muss, alles zu geben, auch das eigene Leben, als letzte mögliche Form der Rebellion. Sie stellt auch das Band dar, das den Polizisten mit dem Mann verbindet, der schon bald zum Hauptverdächtigen seiner Ermittlungen wird.
Kathryn Bigelow baut einige kleine Spitzen in die Männerwelt des Films ein. So ist es gerade eine Frau, die den Protagonisten in die Männer-Domäne der Surfer einführt. Einmal wird Utah von einer Frau regelrecht zusammen geschlagen, wobei natürlich auch das Knie in die Weichteile nicht fehlen darf. Auch wird das ständige Platzhirsch- und Alphatier-Verhalten sämtlicher männlicher Figuren - nicht nur in den testosteronschwangeren Dialogen - so weit überzeichnet, dass es zur Kenntlichkeit entstellt und der Lächerlichkeit preisgegeben wird.
Das Schöne, das Großartige an Point Break ist aber gerade, dass der Film keine Lehrstunde ist, sondern lupenreines Adrenalin-Kino. Bigelows Kritik ist keine an Bodhis Philosophie des Kicks, sondern an einer Welt, in der sie die einzige verbleibende Alternative zum Diktat der Ökonomie ist. Dann doch lieber das filmische Diktat des Kicks im Action-Kino: Rasenmäher und Pitbulls sind hier nur für Thrills zuständig, für Tempo. Ob Football, Surfen oder Fallschirmspringen, Bankraub, Schießerei oder Verbrecherjagd, es geht immer nur ums eine: "100 % pure adrenaline!"

(Ach ja, und die Ex-Presidents mit ihrer schweren Artillerie hängen seit Jahren in meinem Bad. Ich sehe sie immer wieder gerne.)

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