Dieses Mehr setzt sich relativ nahtlos fort in der Inszenierung als Mehr an Regieeinfällen, raffinierten Kamerafahrten, top shots und im überbordenden method acting Robert De Niros. Das beständige Mehr kippt dabei nie gänzlich ins Zu-viel der Überzeichnungen von Pulp und Comic. So wie man im Spiel von De Niro durch all die Intelligenz und Bildung in jedem Moment den "schlichten" Gewaltproleten, den trailer trash durchscheinen sieht, so scheint durch die unbedingte psychologische, religiöse, rechtsphilosophische Gelehrtheit und Komplexität dieses Films immer noch die Einfachheit des Comics durch. Durch die state of the art-Inszenierungs-Kunst der 90er, die bisweilen fast experimentell anmutende Form-Verliebtheit des Post-New Hollywood lugt der "Primitivismus" des klassischen Hollywood per Bild-Zitat.
Im Diskurs des Films um Recht und Gerechtigkeit müssen die gängigen Ansichten – die "rechte", aus diversen Selbstjustiz-Filmen und der Boulevard-Presse hinlänglich bekannte, dass Gesetze immer nur die Falschen, die Täter schützen und die "linke", nach der auch ein fehlbares Rechtssystem immer noch die einzige Alternative zur Barbarei ist - erkennbar bleiben, ohne dass sie irgendwie zu einfachen Lösungen oder Schlüssen führen würden.
Wollte man gehässig sein, könnte man wohl fragen, was Martin Scorsese und Robert De Niro durch dieses beständige Zeigen des eigenen Können, der eigenen Intelligenz eigentlich kompensieren wollen, zumindest ging mir die immer wieder ins einfach nur Angeberische kippende Virtuosität dieses Films, gerade in der ersten Hälfte, bisweilen empfindlich auf die Nerven.
Dass ich Cape Fear dennoch mochte, liegt zum einen daran, wie natürlich in diesem Film zusammenfindet, was nicht zusammengehört, zum Beispiel in Max Cady eine Vorstellung des Bösen, die katholischer nicht sein könnte mit gängigen Psychologisierungen: Der Teufel ist also auch nur, wie er ist, weil er durch die Hölle ging.
Zum anderen - und viel wichtiger - gibt es da diese eine Szene zwischen De Niro und Juliette Lewis, die das Zusammenkommen dessen, was nicht zusammen gehört und nicht zusammenkommen darf in formvollendete diabolische Kinomagie übersetzt:
Schnitt und Kamera sind ein paar Minuten lang dem Zwang entbunden, ständig irgendetwas besonders raffiniertes, besonders originelles machen zu müssen, und konzentrieren sich in langen meist statischen Einstellungen, in Schuss und Gegenschuss ganz auf die Schauspieler, auf die Situation und ihre erotische Aufladung. Gerade auf einer Theaterbühne entfaltet der Film seine größte Wahrheit, wird Robert De Niro von seiner "Theatralik" entbunden und darf dann ganz und gar böse sein, wenn er aufhört "böse zu spielen". Natürlich geht es dabei auf Lewis Seite um die "Verführbarkeit der Jugend", um die Verunsicherung erwachender Sexualität und De Niro verdoppelt - nicht nur in dieser Szene - sein Schauspiel: er spielt den bösen Max Cady, der seinerseits, ein Schauspieler vor dem Herrn, "Verständnis" und "Hilfsbereitschaft" spielt. Das Geniale daran aber ist, dass wir ihm dieses Spiel glauben - und zwar wider besseren Wissens. Dass eben unser Wissensvorsprung gegenüber Lewis sich ein paar unglaublich angespannte Minuten lang in Luft auflöst und wir - ganz und gar durch die Augen der Fünfzehnjährigen - nicht mehr den Abgrund sehen, sondern nur noch eine - sicherlich sehr katholische - Faszination und erotische Attraktion des Bösen, das im Lügenmeer der familiy values als Erlösungsversprechen (der Rettungsring neben De Niro!) auftritt, macht diese paar Minuten zu einer der zugleich schönsten und infernalischsten Liebesszenen der Filmgeschichte.
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