Samstag, 12. April 2014

Cape Fear (Martin Scorsese, USA 1991)

"I ain't no white trash piece of shit. I'm better than you all! I can out-learn you. I can out-read you. I can out-think you. And I can out-philosophize you. And I'm gonna outlast you," brüllt Robert De Niro als Max Cady in Martin Scorseses Cape Fear-Remake und verdeutlicht damit nicht nur, wie seine Figur gerade durch ihren Minderwertigkeitskomplex dazu angetrieben wird, sich immer weiter, immer psychopathischer anderen - allen anderen! - überlegen fühlen, absolute Macht und Kontrolle über sie ausüben zu müssen, er gibt auch die Überbietungslogik des Films vor. Gegenüber J. Lee Thompsons gleichnamigem Original von 1962 zeichnet sich Scorseses Film durch ein konstantes Mehr aus. Beileibe nicht nur ein Mehr an Sex, Gewalt und Boshaftigkeit, das dem entspricht, was das Hollywood-Kino 1991 durfte, woran aber drei Jahrzehnte zuvor noch nicht zu denken war, sondern auch durch ein Mehr an moralischen Verwicklungen, ein Mehr an Diskursen (Recht und Gerechtigkeit? Psychoanalyse? Katholizismus? Egal! Hauptsache: Mehr!), ein Mehr an Dysfunktionalität der bürgerlichen Kleinfamilie, deren tief schlafende Vernunft sich die eigenen Monster, die eigenen Max Cadys gebiert (und dieses Monstrum, so "bestialisch" es einem vorkommen mag, ist doch letztlich die reine Berechnung, eine unerhörte - auch und vor allem psychologische - Intelligenz ohne einen Funken Empathie, in gewisser Hinsicht also ein Mehr an "Vernunft". Und: an genau der Stelle, wo sich die Nick Nolte-Figur in der Vorgeschichte von ihren Emotionen leiten ließ, wo die Diskrepanz zwischen dem geschriebenen, festgelegten Recht und der individuell gefühlten Gerechtigkeit so groß war, dass er sich zugunsten von letzterer über ersteres hinwegsetzte, genau da ruft er eben Max Cady auf den Plan. Max Cady, dessen Körper so mit Bibelsprüchen und christlichen Symbolen voll tätowiert ist, dass es einmal heißt, man wisse nicht, ob man ihn angucken oder lesen solle. Max Cady, der ganz festgeschriebener, unveränderlicher, ewiger Text ist, dem die Umstände, sei es in Form von Zeit- oder Lebensgeschichte nichts anhaben können, hier ist das Wort tatsächlich Fleisch geworden, fleischgewordener Fundamentalismus - vom "Auge um Auge" bis zum seventh ammendement.)
Dieses Mehr setzt sich relativ nahtlos fort in der Inszenierung als Mehr an Regieeinfällen, raffinierten Kamerafahrten, top shots und im überbordenden method acting Robert De Niros. Das beständige Mehr kippt dabei nie gänzlich ins Zu-viel der Überzeichnungen von Pulp und Comic. So wie man im Spiel von De Niro durch all die Intelligenz und Bildung in jedem Moment den "schlichten" Gewaltproleten, den trailer trash durchscheinen sieht, so scheint durch die unbedingte psychologische, religiöse, rechtsphilosophische Gelehrtheit und Komplexität dieses Films immer noch die Einfachheit des Comics durch. Durch die state of the art-Inszenierungs-Kunst der 90er, die bisweilen fast experimentell anmutende Form-Verliebtheit des Post-New Hollywood lugt der "Primitivismus" des klassischen Hollywood per Bild-Zitat.    
Im Diskurs des Films um Recht und Gerechtigkeit müssen die gängigen Ansichten – die "rechte", aus diversen Selbstjustiz-Filmen und der Boulevard-Presse hinlänglich bekannte, dass Gesetze immer nur die Falschen, die Täter schützen und die "linke", nach der auch ein fehlbares Rechtssystem immer noch die einzige Alternative zur Barbarei ist - erkennbar bleiben, ohne dass sie irgendwie zu einfachen Lösungen oder Schlüssen führen würden.
Wollte man gehässig sein, könnte man wohl fragen, was Martin Scorsese und Robert De Niro durch dieses beständige Zeigen des eigenen Können, der eigenen Intelligenz eigentlich kompensieren wollen, zumindest ging mir die immer wieder ins einfach nur Angeberische kippende Virtuosität dieses Films, gerade in der ersten Hälfte, bisweilen empfindlich auf die Nerven.
Dass ich Cape Fear dennoch mochte, liegt zum einen daran, wie natürlich in diesem Film zusammenfindet, was nicht zusammengehört, zum Beispiel in Max Cady eine Vorstellung des Bösen, die katholischer nicht sein könnte mit gängigen Psychologisierungen: Der Teufel ist also auch nur, wie er ist, weil er durch die Hölle ging.
Zum anderen - und viel wichtiger - gibt es da diese eine Szene zwischen De Niro und Juliette Lewis, die das Zusammenkommen dessen, was nicht zusammen gehört und nicht zusammenkommen darf in formvollendete diabolische Kinomagie übersetzt:




Schnitt und Kamera sind ein paar Minuten lang dem Zwang entbunden, ständig irgendetwas besonders raffiniertes, besonders originelles machen zu müssen, und konzentrieren sich in langen meist statischen Einstellungen, in Schuss und Gegenschuss ganz auf die Schauspieler, auf die Situation und ihre erotische Aufladung. Gerade auf einer Theaterbühne entfaltet der Film seine größte Wahrheit, wird Robert De Niro von seiner "Theatralik" entbunden und darf dann ganz und gar böse sein, wenn er aufhört "böse zu spielen". Natürlich geht es dabei auf Lewis Seite um die "Verführbarkeit der Jugend", um die Verunsicherung erwachender Sexualität und De Niro verdoppelt - nicht nur in dieser Szene - sein Schauspiel: er spielt den bösen Max Cady, der seinerseits, ein Schauspieler vor dem Herrn, "Verständnis" und "Hilfsbereitschaft" spielt. Das Geniale daran aber ist, dass wir ihm dieses Spiel glauben - und zwar wider besseren Wissens. Dass eben unser Wissensvorsprung gegenüber Lewis sich ein paar unglaublich angespannte Minuten lang in Luft auflöst und wir - ganz und gar durch die Augen der Fünfzehnjährigen - nicht mehr den Abgrund sehen, sondern nur noch eine - sicherlich sehr katholische - Faszination und erotische Attraktion des Bösen, das im Lügenmeer der familiy values als Erlösungsversprechen (der Rettungsring neben De Niro!) auftritt, macht diese paar Minuten zu einer der zugleich schönsten und infernalischsten Liebesszenen der Filmgeschichte.  

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