Sonntag, 9. März 2014

De vierde man (Paul Verhoeven, Niederlande 1983)

Der vierte Mann ist, so suggeriert es die Titeleinblendung, der hölzerne Jesus am Kreuz. De vierde man ist absolut unverkennbar ein Paul Verhoeven-Film. Aber von der ersten Einstellung an, die eine Spinne zeigt, die eine Fliege in ihrem Netz gefangen hat, einer, der die gängigen Themen um Sex, Gewalt und Verfall - nicht zuletzt: den Verfall (oder auch: Zerfall) maskuliner (sexueller) Identität - und deren radikale Ästhetisierung in einen denkbar kruden, eher anti- als unsubtilen Symbolismus einbindet. Verhoeven führt in seinem sechsten - und letzten niederländischen Film, bevor er in die USA ging - fort, was er in den Vorgängern begann, und wandelt dabei zugleich auf den Spuren eines Ken Russell.

Nach den Vorspann-Bildern von der Spinne und Jesus und der Spinne, die über Jesus Kopf krabbelt, erwacht der Schriftsteller Gerard Reve (Jeroen Krabbé) in seinem Bett. Stark zitternd schleppt er sich die Treppe hinab durch ein Haus, das voll steht mit Heiligenbildern und leeren Weinflaschen. Er gerät in einen Streit mit einem Mann, der am Fenster Geige spielt (sein Lebenspartner wohl), nachdem er dessen Notenständer umgeschlagen hat, kommt der abrupte Schnitt in einen Bahnhofskiosk. Zu einem muskulösen jungen Mann, der eine Zeitschrift mit nackten Frauen durchblättert, fühlt sich Gerard derart hingezogen, dass er ihn verfolgt bis auf den Bahnsteig, wo er ihn davon fahren sieht. Der Zerfall des sozialen Gefüges zu Beginn, setzt sich nahtlos fort im Zerfall von Gerards Wahrnehmung der Realität, die fließend in Visionen und Albträume übergeht. Die Anzeige im Abteil, die Samson und Delia zeigt, das Plakat draußen, das verkündet: "Jesus ist überall." Eine Welt aufgeladen mit paranoischen Zeichen, die sich oft einfach nur aus visuellen (der Schlüssel, der aussieht wie eine Pistole) oder sprachlichen (das Hotel "Sphinx", das durch die kaputte Leuchtschrift "Spin" (also Spinne) heißt) Verschiebungen und Spielereien ergeben. Gerard fasst das auf einer Lesung zusammen: "My madness is limited to reading the papers. For when it says boom I read doom. For flood I read blood and for red: dead."

Wichtiger jedoch als das Zustandekommen der paranoischen Zeichen, wichtiger als ihre katholischen oder psychoanalytischen Kodierungen, wichtiger als die offensichtlichen Bedeutungen der Symbole, ist die einfach Tatsache, dass sie sich ständig, teilweise doppelt und dreifach wiederholen werden. Der Wiederholungszwang als Motor eines Plots, der unbeirrt auf nichts anderes zusteuert, als einen Kreis zu schließen, dort anzukommen, wo er angefangen hat. Dass dabei das Gefühl einer linearen Thriller-Handlung entsteht, ist bezeichnend für einen Film, der auch formal ausgesprochen elegant vom Zerfall erzählt, sich fließend den Brüchen nähert und - nicht zuletzt - dem Schrecklichen eine bizarre Schönheit abgewinnt. Die stylische Ausleuchtung der Dekors ist dabei ebenso wichtig wie die gleitende Kamera Jan de Bonts. (Die Bedeutung der Kameraarbeit ist im Schaffen des Ästheten Verhoeven kaum hoch genug anzusetzen. Dass er in den 13 Kinofilmen, die er zwischen 1971 und 2000 drehte nur mit zwei (Star-)Kameramännern arbeitete, De Bont und Jost Vacano, ist bezeichnend.)

Was sich wiederholen wird, ist unter anderem die Farbe rot. Rot wie Blut. Rot wie Tomatensaft. Rot wie Rosen. Rot wie das Kleid von Christine, die Gerard auf einer Lesung trifft. Die Frau in rot. Die Frau mit der Kamera. Die Frau, die Blicke anzieht und mit ihrem eigenen Blick die Männer einfängt. Die schwarze Witwe mit dem blonden Haar, die ihr Netz auswirft. Gespielt wird sie von Renée Soutendijk, die schon in Verhoevens Vorgänger Spetters dafür zuständig war, dass Leben mehrerer Männer gründlich durcheinander zu bringen. In De vierde man nun mimt sie das zeitgemäß androgyne ultimative Achtziger Jahre-Update der klassischen femme fatale - so wie es Sharon Stone ein knappes Jahrzehnt später in Basic Instinct für die Neunziger tat.

Mit jeder Wiederholung der Zeichen, jeder Verschiebung von Bedeutung und Begehren wird Gerard ihr Spiel besser verstehen, ohne doch eine Chance zu haben, sich aus ihrem Netz zu befreien. In die Tiefe geht Verhoevens Film dabei nie, immer bleibt man in ihm an den Oberflächen hängen, den zwar ständig erweiterten, aber doch immer auf der Hand liegenden Bedeutungen, den durchgestylten Bildern - wie die Fliege im Spinnennetz. Kein Ausweg aus den zwanghaften Wiederholungen. Der vierte Mann, der fünfte, der sechste. Jesus am Kreuz. Die Spinne im Netz. Es ist vollbracht. (Aber nicht "gelöst".)



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