Die wollen nur spielen! „Die“ das sind in der ersten Szene zunächst einmal der Filmemacher Dominik Graf und ein – vielleicht – irgendwie göttlicher, auf jeden Fall aber allwissender Voice-over-Erzähler. Genau fünf Einstellungen und ein Paar Zeilen Dialog brauchen die beiden, die ja dann doch eins sind, um unmissverständlich klar zu machen, dass sie sich für die gängigen Regeln des Filmemachens und des Erzählens nicht die Bohne interessieren. In den ersten vier Einstellungen des Films sehen wir eine Frau und einen Mann in Schuss und Gegenschuss und hören einen Dialog zwischen einem Mann und einer Frau, Jojo und Kathrin heißen sie, die sich uneinig sind, ob sie sich im Folgenden ineinander verlieben werden oder nicht. Allerdings passt der Dialog nicht wirklich zu den Bildern, weil die Menschen, die im Bild zu sehen sind nichts sagen, er erklingt aus dem Off. Auch passen Schuss und Gegenschuss nicht zueinander, weil sich die beiden offensichtlich an unterschiedlichen Orten befinden. In der fünften Einstellung ist ein wolkenverhangener Himmel zu sehen und nun mischt sich eine dritte Stimme ins Gespräch ein. „Ihr werdet Euch verlieben,“ sagt sie, „ich weiß es. Ich bin der Erzähler.“
Nur spielen wollen zunächst auch Jojo und sein Kumpel Tom. Ob im Wettbüro, am Pokertsich, am Automaten oder im Casino spielt dabei keine Rolle. Hauptsache, es geht um möglichst viel Geld. Folgen dieses exzessiven Spielens sind vor Allem andere Spiele. Das Schauspiel, mit dem sie das Mitleid von Toms „Kundinnen“, den Frauen mit denen er gegen Bezahlung schläft, ausnutzen, um noch mehr Geld aus ihnen heraus zu quetschen. Das Katz- und-Maus-Spiel mit den zahlreichen Schuldigern, bei dem Jojo und Tom in schöner Regelmäßigkeit die Bruchbude in einem heruntergekommenen Münchner Altbau, in der sie hausen, durch eine Dachluke verlassen müssen. Das Leben als Spiel, das nicht, wie Freud es vom Spielen der Kinder glaubte, das Erwachsensein probt, sondern sich diesem möglichst gründlich zu verweigern sucht. Ziel ist es, für nichts und niemanden Verantwortung übernehmen zu müssen, am allerwenigsten für sich selbst. Dieser spielerische Alltag, den der Film, ganz ohne moralischen Zeigefinger, dafür mit viel Tempo und großem Gespür für Situationskomik zeichnet, gerät unerwartet durcheinander, als Jojo auf der Beerdigung seiner Tante – und Geldquelle – auf seine Kusine Kathrin trifft. Zunächst interessiert er sich nur für die 20.000 Mark, die Kathrin geerbt hat, während er selbst nichts weiter als die riesige Bulldogge Johann bekam. Schnell jedoch wird daraus mehr, was genau da legt sich der Film aber nicht fest.
Zumindest spielen Kathrin und Jojo nun zusammen (manchmal) oder gegeneinander (meistens). Im Bett, im Wettbüro und anderswo. Ein ziemlich chaotisches Spiel ist das, in dem sich doch bald klare Regeln erkennen lassen. Sie gestehen sich bald ihre Liebe, behaupten dann wieder das Gegenteil, trennen und vertragen, küssen und schlagen sich. Die Fetzen fliegen, einmal frisst sie seine Brille, später dann setzt er beim Kartenspiel alles war er gerade noch hat: Sie – und gewinnt. So wenig, wie er sie loswerden kann (oder auch wirklich will), so wenig schafft sie es, sich von ihm zu trennen. Die gegensätzlichen Lebensentwürfe, die hier aufeinanderprallen, unvereinbar bleiben und sich doch so sehr anziehen, dass sie nur vom Tod schließlich geschieden werden können, werden definiert über ein unterschiedliches Verhältnis zum Spiel, zum Glücks- wie zum Liebes-Spiel. Sie spielt, um zu gewinnen. Er spielt, um zu verlieren. Für sie ist das Spiel nur eine Abkürzung auf dem Weg in die bürgerliche Biographie, eine Möglichkeit, sich Mann, Kind und Haus leisten zu können, ohne dafür sonderlich viel tun zu müssen. Für ihn ist es eine Möglichkeit, sich all das möglichst gründlich vom Leibe zu halten. Die Verachtung für das Geld, für die Ware, die es kaufen, das Leben, das es finanzieren kann, wie ihr Jojo ständig, in Wort und Tat, Ausdruck verleiht, ist die größtmögliche Transgression, die sich der Kapitalismus denken kann. Allerdings eine Transgression, der die Strafe immer schon immanent ist, weil das Geld, sofern man es nicht schafft, sich der kapitalistischen Gesellschaft ganz zu entziehen, umso mehr man es verachtet oder es einem einfach nur scheißegal ist, nur immer wichtiger wird. Je mehr Jojo mit dem Geld um sich wirft, je öfter er Unsummen in kürzester Zeit verzockt, desto mehr bestimmt das Geld sein ganzes Leben. Jede Begegnung, jede Beziehung, jede Handlung.
Tom übrigens bleibt in der „Beziehung“ zwischen Kathrin und Jojo außen vor. Das Dreieck, das sich ankündigt, wird keins. Einmal mehr evoziert Graf bekannte Genre-Muster, um ihnen dann nonchalant eine Abfuhr zu erteilen. Schnell hat Kathrin geklärt, dass hier sexuell nichts läuft, danach reden sie kaum ein Wort miteinander. Rat- und hilflos sieht Tom nun die selbstzerstörerische Verliebtheit seines Freundes mit an. Die Ereignisse spitzen sich zu, ein Polizist kommt ums Leben, das Trio ist auf der Flucht in Richtung Cote d’Azur. Tragisch wird’s und blutig, aber dabei doch nie wirklich ernst, bleibt doch irgendwie immer nur ein Spiel – und sei der Einsatz auch das Leben.
Am Ende dann, der Gegenschuss zur Einstellung am Beginn des Films, der Blick vom Himmel aus auf die Erde hinab. Ein Happy End also, aber eines, dass – buchstäblich – nicht von dieser Welt ist. Dass die Möglichkeit auf eine diesseitige Verwirklichung eines Lebens jenseits der Norm kategorisch verneint und solch strikten Pessimismus dann noch als harmlose metaphysische Spielerei inszeniert. Dass mit dem, was man sich allgemein unter einem „Happy End“ vorstellt, so wenig gemein hat wie der Film als Ganzes mit dem, was man sich sonst so unter einer Komödie vorstellt – zumal: unter einer deutschen Komödien aus den Neunzigern. Drehbuch und Regie: Dominik Graf.
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