Dienstag, 28. Mai 2013

Abel (Diego Luna, Mexiko 2010)

Das Regie-Debüt von Diego Luna, der mir als Darsteller vor Allem aus „Y tu mamá también“ in guter Erinnerung ist, beginnt als Drama um die neunjährige Titel-Figur mit dem biblischen Namen. Abel kehrt nach zwei Jahren aus einem Krankenhaus, in dem er wegen einer nicht genauer bestimmten psychischen Erkrankung behandelt wurde, nach Hause zurück, zu seiner Mutter Cecilia, dem jüngeren Bruder Paul und der älteren Schwester Selene. Der Vater hat sich ebenfalls vor zwei Jahren aus dem Staub gemacht, um auf der „anderen Seite“ (wie man das Land jenseits der nördlichen Grenze in Mexiko mythisch verklärend nennt) zu arbeiten. Abel spricht kein Wort, schläft kaum, starrt meist teilnahmslos ins Nichts, bemalt seine Hände mit Buntstiften. Den örtlichen Ärzten fällt zu diesem Zustand nicht mehr ein als ständig neue Tabletten zu verschreiben, dennoch weigert sich Cecilia, ihn ins Kinderkrankenhaus im weitentfernten Mexiko-City zu bringen.

Ein einziges Wort Abels genügt, um aus dem Drama eine groteske Komödie werden zu lassen: „Selene!“ herrscht er seine Schwester am Essenstisch an. Damit kehrt sich nicht nur Abels Schweigen in sein Gegenteil um (er redet von nun an wie ein Wasserfall), sondern er wechselt auch seine Position innerhalb der familiären Hierarchie. Er imaginiert und generiert sich fortan als sein eigener Vater, füllt die Leerstelle aus, die Anselmo, der wirkliche Vater, wohl auch vor seinem Verschwinden kaum ausfüllte. So offensichtlich freudianisch diese Phantasie auch sein mag, um Psychologisierungen (oder auch Psychoanalyse-Parodie) geht es Luna glücklicherweise nicht. Vielmehr nutzt er sie als Quelle grotesker Situationskomik, die sich vor allem aus den Reaktionen der Familie ergibt. Cecilia ist ein Kind, das sich für seinen eigenen Vater und damit ihren Mann hält, lieber als das apathische Etwas, das ihr geliebter Sohn vorher war. Paul, dem sein „gestörter“ Bruder zuvor nur eine Last war, kann nun durchaus zu ihm aufblicken und auch Selene spielt mit, und sei es auch nur, um von nun an wieder zwei Elternteile zu haben, gegen die die Fünfzehnjährige rebellieren kann.

Einerseits steigert sich die Komik noch als plötzlich, so unangekündigt wie er einst verschwand, Anselmo zurückkehrt, andererseits kippt der Film hier leider auch ins allzu Pädagogische, allzu gut gemeinte. Schnell zeigt sich, dass Abel ein besserer Vater ist als Anselmo es je war. Anselmo war die meiste Zeit gar nicht in den USA, ist nicht wegen seiner Familie zurückkehrt, sondern um das Haus zu verkaufen, hat inzwischen in einer anderen Stadt mit einer anderen Frau ein Kind, zeigt das Foto von den beiden, stolz, wie eine Trophäe einem Kumpel beim gemeinsamen Besäufnis und wird fuchsteufelswild als er erfährt, dass Cecilia in seiner Abwesenheit ebenfalls eine Affäre hatte. Wollte man einem Neunjährigen erklären, was „machismo“ ist, ohne dabei freilich auf den erhobenen Zeigefinger ganz zu verzichten, man müsste es wohl in etwa so anstellen. Jeder aber, der nun leider schon etwas älter ist, darf sich von solch plakativen Plumpheiten durchaus intellektuell unterfordert und bevormundet fühlen.

Schön dann aber wieder, wie der Film auf einer leise hoffnungsvollen Note endet, die von falscher Versöhnlichkeit vollkommen frei ist. Wie er am Ende nur das zu retten versucht, was vielleicht noch zu retten ist.

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