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Montag, 28. April 2014

Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan (Rudolf Thome, Deutschland 1998)


 

(und vielleicht auch ein bisschen: Patriarchat und Gewalt II I/II)


Auf dem Rückweg aus den verregneten Flitterwochen in Italien nach Berlin nehmen Luise (Cora Frost) und ihr Mann Franz (Rüdiger Vogler) den Anhalter Frank Mackay (Herbert Fritsch) mit. Luise fühlt sich von Frank auf Anhieb geradezu magisch angezogen. Einen Kurzurlaub ihres Mannes nutzt sie, um mit Frank auszugehen. Der weist ihre Avancen jedoch zunächst ab, weil er seine - wie sich herausstellen wird sehr - weite Reise aufgenommen hat, um eine andere Frau zu suchen: Die Schriftstellerin Laura Luna (Valeska Hanel).

Dass das alles auf ein Ménage-a-trois in einem Landhaus hinausläuft, dürfte niemanden, der mit dem Schaffen Rudolf Thomes in den letzten zwei Dekaden vertraut ist, sonderlich überraschen.

Es gibt also das polygame Beziehungsgeflecht zwischen zwei Frauen und einem Mann, dass die "serielle Monogamie" irgendwann nicht einmal mehr als Alibi benötigt (wobei die Eifersucht, die solche Experimente extrem erschweren kann, hier mehr nach außen gelagert erscheint, als etwa in dem späteren Das rote Zimmer).  Es gibt die Wohnungen, Häuser und Seen. Es gibt die schöne Alltäglichkeit des gemeinsamen Kochens, Essens und Liebemachens, die leicht gebrochen wird durch Märchen- oder Genre (hier: Krimi- und Science-Fiction-)Elemente. Zunächst also Thome-Business as usual - zumal der Film auch relativ eng mit dem im selben Jahr entstandenen Just Married verknüpft scheint, in dem ebenfalls Flitterwochen in Italien ins Wasser fielen, wenn auch wesentlich buchstäblicher als hier (und Herbert Fritsch, der dort den Ehemann spielte, ist hier der Mann, der schließlich zwischen den Eheleuten stehen wird).

Dann hat dieser Filme, so sehr er insgesamt auch die Ruhe weg haben mag, doch auch immer wieder etwas wildes, frenetisches, exaltiertes. Da sind Szenen wie die, in der Luise und Frank gemeinsam in die Disko gehen. Eine einzige knapp zweiminütige halbnahe Einstellung lang sehen wir sie tanzen in einem einzigen Rausch aus Körpern und Gesichtern im blinkenden weiß-blaustichigen Licht, das durch das Schwarz zu einer Art Stop-Motion-Sequenz fragmentiert wird (unweigerlich musste ich dabei an die Diskoszenen denken, die sich in später entstandenen Filmen von Dominik Graf finden). Da ist der Science Fiction-Plot, um den Mann, der aus einer fernen Zukunft, in der es keine Frauen mehr gibt und die Männer unsterblich sind, in die Neunziger Jahre-Gegenwart gereist ist, um eine Frau zu suchen (wie abstrus das eigentlich ist und mit welcher Wucht es mit dem Alltagsrealismus kollidiert, fällt bei der allgemeinen Sanftheit des Films gar nicht so sehr auf).
Schließlich ist da der Krimi, der sich in Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan versteckt zu haben scheint und schon zu Beginn kurz zu uns durchlugt - in Form einer Pistole im Handschuhfach und eines Mordes, bei dem ein Mann so theatralisch stirbt, wie man es eigentlich nur aus dem Genre-Film lange vergangener Zeiten, dem klassischen Film Noir zum Bespiel, kennt. Übrigens bricht der Krimi dann im Finale ganz und gar hervor - in dem wohl wuchtigsten finalen Plot Point im gesamten bisherigen Werk des Regisseurs und gibt dem Thome-typischen "Beziehungsfilm" damit einen mörderischen Rahmen.

Montag, 20. Januar 2014

Das rote Zimmer (Rudolf Thome, Deutschland 2010)

Ein Mann zündet Kerzen an, die auf einem reich gedeckten Tisch stehen. Letzte Vorbereitungen für ein romantisches dinner for two. Es klingelt an der Tür, draußen steht eine Frau, allerdings nicht die Frau, die er erwartete. "Wer bist du denn? Ich sagte doch, Jaqueline soll kommen." Die falsche Prostituierte betritt das Phantasiegebäude des Mannes, der offensichtlich mit seinem Geld wesentlich mehr kaufen wollte als Sex, als einen Körper, wie der Elefant den Porzellanladen. Sie mustert den Tisch. "Was ist das denn? Ich dachte, du wolltest ficken. Oder gehört das bei dir zum Vorspiel dazu?" "Ich wollte mit Jaqueline meinen Geburtstag feiern." Eilig stopft sie die sorgfältig auf ihrem Teller zu recht gelegten 100 Euro-Scheine in ihr Portemonnaie. Den Mantel, unter dem sie nichts anhat, auszuziehen kostet noch mal 100. "Weißt du, das Leben ist teuer. Und die Liebe auch."
Dass es in der grandiosen Eröffnungsszene von Das rote Zimmer um eine Enttäuschung geht (und ich finde, sie illustriert sehr schön, wie die eigentliche und die übertragene Bedeutung dieses Wortes zusammenhängen) ist klar. Die Themen jedoch, die hier anklingen (also in etwa "käufliche" vs. "echte Liebe", die Kapital-Flüsse, die unter einer bestimmten Begehrensstruktur liegen und hier schonungslos, auch mit einem gehörigen Maß Sadismus, freigelegt werden) sind schwerlich Thome-Themen. Für den folgenden Film spielt denn auch ein anderer Aspekt dieser Szene eine Rolle: Die Austauschbarkeit der Menschen, die bei Thome nichts negatives hat, den Menschen nicht "entwertet", sondern eher logische Folge aus seiner Vergänglichkeit ist.
Der Mann heißt Fred (Peter Knaack) und ist "Kuss-Forscher" an der Technischen Universität Berlin. In seinem Labor sieht er jungen Paaren beim Küssen zu und wertet anschließend ihr Blut und ihren Speichel aus. Fred ist über die Trennung von seiner Frau nie hinweggekommen. Die Scheidung steht an.
Gleich zu Beginn montiert der Film parallel zur Geschichte Freds einen zweiten Handlungsstrang um zwei Frauen, Lucie (Katharina Lorenz) und Sibil (Seyneb Saleh). Sie wollen ein Buch schreiben über die Seele der Männer. Dazu suchen sie in den Bibliotheken und Buchhandlungen Berlins ("Wer einsam ist, liest Bücher.") Männer, die als Untersuchungsobjekte herhalten sollen. So lernt Lucie Fred kennen, den sie in das Haus in Mecklenburg-Vorpommern einladen, in dem sie ihre "Studien" durchführen. Sehr lose, nach und nach, fächert der Film die Geschichten seiner drei Hauptfiguren auf, lässt sich auch eine knappe halbe Stunde Zeit, um sie schließlich zusammen zu führen.
Im Mittelpunkt dieses, wie vieler anderer Filme des Regisseurs steht eine Reise-Bewegung. Das Berliner Milieu zu Beginn ist - zumindest stadt-geographisch - sehr genau gezeichnet. Wenn sich der in Kreuzberg lebende Fred scheiden lässt, geschieht das im Familiengericht Kreuzberg. Wenn Sibil in die Staatsbibliothek geht, ist die Berliner Staatsbibliothek die Berliner Staatsbibliothek (und der Weg dorthin ist der Weg dorthin). Ein TU-Mitarbeiter hat auch eine TU-Visitenkarte, usw. Das Haus auf dem Land, in das die Reise führt, scheint dann aber vor allem in Thome-Country zu liegen. Hier finden sich unzählige und immer konkretere Bezüge zum bisherigen Schaffen des Regisseurs. Schon gleich zu Beginn, in den ersten hier angesiedelten Szenen sieht man: Zwei Frauen im Bett, am Frühstückstisch, am See und weiß: Ein Thome-Film. Eine Frauen-WG mit rotem Zimmer (bzw., ich hab gerade nochmal nachgesehen, rotem Flur und einigem roten Mobiliar) gab es bereits in Thomes zweitem - und wohl bekanntestem - Film Rote (!) Sonne. Und auch in dieser wurde mit Männern ein (freilich ungleich blutigeres) Spiel arrangiert. Spaghetti mit Butter und Käse, die in Das rote Zimmer einmal gegessen werden, spielten schon in Das Geheimnis eine Rolle (übrigens gab es auch Pläne, dass sie dem Film seinen Titel geben sollten). Und um explizit polygame Beziehungsgeflechte ging es - unter anderem - auch in Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan und Der Philosoph.
Gleichzeitig bildet die Reise aber auch den - vorläufigen - Endpunkt dreier Biographien, die sehr bewusst fragmentarisch gehalten werden. Über die Gründe, warum die Ehe Freds gescheitert ist, erfährt man kaum etwas. Nur kurz angerissen werden auch die Geschichten der beiden Frauen. Die Kurdin Sibil ist von Zuhause abgehauen, weil sie in der Türkei zwangsverheiratet werden sollte. Lucie ist eine geschiedene Schriftstellerin mit Geldsorgen, die auf dem Land an einem Roman arbeiten will.
Thome, der sich selbst gerne als Feministen bezeichnet, nutzt die Gelegenheit, die ihm dieser Plot bietet, um (sexuelle) Machtverhältnisse umzukehren durchaus. Fred, dem ja schon in der ersten Szene eine Kontrolle über die Situation, die er gerne gehabt hätte, radikal entzogen wird, entwickelt sich im Verlauf des Films vom Subjekt zum Objekt der Forschungen - und damit auch des Blicks. Gleich nach seiner Ankunft etwa fordert ihn Lucie auf, im See zu baden, da er keine Badehose hat, eben ohne. Später gibt sie unumwunden zu, dass sie ihn nur nackt sehen wollte.
Wichtiger als dieser Gender-Aspekt scheint mir jedoch der "therapeutische" Wert, den das Geschehen des Films für ihn hat. Von der Fixierung an seine Ex-Frau gelangt er zur Erkenntnis von der Vergänglichkeit menschlicher Beziehungen und Gefühle. In der Dynamik, die sich zwischen den drei Figuren entfaltet, passiert das, was man vorausahnen könnte. Also: zunächst verliebt sich Lucie in Fred, was Sibil eifersüchtig macht - eher auf Fred als auf Lucie. Dann ist Lucie ihrerseits eifersüchtig, weil Sibil zuerst mit Fred geschlafen hat. Fred hingegen verliebt sich immer mehr in beide Frauen. Nichts davon ist unbedeutend, aber auch nichts in Stein gemeißelt, fest gefahren, fixiert. Alles ist vergänglich, wie ein paar sonnige Sommertage auf dem Land. Und genauso schön. Dass dann am Ende eine Art polygamer Ehe-Vertrag aufgesetzt und mit Blut unterschrieben wird, ist im Kontext des Films reine Ironie. Denn gerade um die unbedingte Schönheit des Vergänglichen geht es.

Montag, 7. Oktober 2013

Movie of the Week 3: Das Mikroskop (Rudolf Thome, BRD 1987)





Die schönste Szene in diesem rundum wunderschönen Film: Adriana Altares und Vladimir Weigl mit Gipsarm haben recht umständlichen, aber dadurch nur umso vergnüglicheren Versöhnungssex, gerahmt von Blicken durchs Mikroskop. Wo sich vorher Pantoffeltierchen auf behäbige Einzeller-Art "küssen", flitzen hinterher die Spermien durchs Bild.


Lukas Foerster schreibt, dass Thome mit diesem Film endgültig zu seinem ganz eigenen Stil fand: "Was heute ein Thome-Film ist, bildet sich in den ersten zwei Jahrzehnten der Karriere langsam heraus, ist aber spätestens 1986 ganz und gar da. Seit Das Mikroskop spielen die Filme in ihrem eigenen Universum. Es gibt ein Thome-Stammensemble (das allerdings erstaunlich anschlussfähig ist, siehe die Hannelore-Elsner-Serie Mitte der 00er-Jahre), es gibt Thome-Figuren, -Motive, -Orte, -Situationen, -Milieus. Sieht man von Modischem ab, von Kleidern, Frisuren, Autos, Kommunikationstechnik, könnte Das Mikroskop auch 2010 gedreht worden sein und Das rote Zimmer 1986."
Sehr bezeichnend erscheint mir in diesem Zusammmenhang der Titel des Films. Weigl, der männliche Protagonist, beschäftigt sich, nach seiner (vorübergehenden) Trennung von Altares zu Beginn, mit dem Leben in immer kleineren Formen. Vom Mikrokosmos der Aquarien, mit denen er seine Wohnung vollstellt, bis zu seinen kleinsten, nur noch durch das Mikroskop sichtbaren Formen. Zum Mikroskop wird bei Thome auch die Kamera, und es sind die Details, die durch dieses sichtbar werden, die seine Filme so faszinierend machen.


Nach dem eher enttäuschenden System ohne Schatten (1983) und einer mehrmonatigen Pause in meiner Erschließung vom Werk des Regisseurs, fühlte ich mich in Das Mikroskop, meinem nunmehr fünfzehnten Thome, auf Anhieb "zu hause". Einerseits, weil mich so vieles in diesem Film, eben en detail, an meine Westberliner Kindheit in den Achtzigern erinnerte. Die "beckers beste"-Saftflaschen auf dem Frühstückstisch. Die Werbung für ein Möbelgeschäft mit dem schlichten Namen "Regale" in einem U-Bahn-Waggon (Gibt's den Laden eigentlich noch? Gab's ihn je? Da mein einziger Berührungspunkt mit ihm eben jene Werbeaushänge waren, erschienen mir diese immer ein Stück weit wie ein nur auf sich selbst verweisendes Zeichen, sagen wir, in der Art der Grindhouse-Trailer). Das japanische Feuerwerk auf dem Flughafen Tempelhof, das ich, gebürtiger Tempelhofer, damals mit meinen Eltern vom Dach unseres Hauses aus bestaunte, und über das hier in einer Szene im Fernsehen berichtet wird. Andererseits legt sich über das so vermittelte Gefühl von Authentizität, das spezifisch Thome'sche als sehr eigene Art, "Realität" zu sehen und zu zeigen. So entstehen, wie Foerster den bereits zitierten Text überschreibt, Filme "knapp neben dem Leben".



Das in sich Abgeschlossene des Thome-Universums entsteht, nur scheinbar paradox, gerade durch die Offenheit seiner, manchmal beinahe banal anmutenden Alltagsgeschichten für allerlei - teilweise generische - Zuspitzungen. Das Mikroskop kippt immer wieder ins Komische, vor allem dann, wenn es um Sexualität - und Fortpflanzung - geht. Neben der eingangs erwähnten Szene, mochte ich besonders den Kauf von Multicolor-Buntbarschen, die, wie der Tier-Fachverkäufer informiert, polygame Maulbrüter sind. Ins Tragische, das durch eine finale Volte ins Spiel kommt, und dem sich der Film dann aber nicht hingibt. Schließlich - aber sicherlich nicht zuletzt - ins Märchehafte, das Thome in Interviews im Kontext seiner Filme gerne als offene Provokation für den Zuschauer beschreibt. Letzteres hier in der Figur der, von Malgorzata Gebel wunderbar mysteriös gespielten Frau, die Weigl auf der Straße anspricht und fortan zu einem Beziehungsdreieck führt, das sehr konsequent entgegen jeglicher Genre-Vorgaben aufgelöst wird. In der ersten Einstellung, in der sie zu sehen ist, sitzt sie auf einer Bank, in deren rote Farbe das Wort "Fuck" geritzt wurde und liest Aladin und die Wunderlampe. Die Kamera und die Xylophon-Klänge auf der Tonspur stilisieren den Berliner Park zum Märchenwald.